Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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35. Kapitel.

Da ich die ganz eigentümliche Gesellschaft zu schildern haben werde, welche Sir William Hamilton in Neapel besuchte und empfing, so glaube ich, ehe ich mich zu der Erzählung der politischen Ereignisse wende, in welche ich mich verwickelt fand, damit beginnen zu müssen, daß ich einen vollständigeren Begriff von jener seltsamen Person gebe, welche der Leser bereits kennt, und welche Lord Harvey, Carl oder Graf von Bristol, Bischof von Derry hieß. Er war das jüngste von zwanzig Kindern, und da er das einzige war, welches davon am Leben geblieben, so hatte er die Güter, die Titel und die Würden der ganzen Familie geerbt.

Er weilte fast fortwährend im Ausland. Zu der Zeit, wo wir ihm begegneten, waren es ungefähr zwanzig Jahre her, daß er keinen Fuß in seine Diözese gesetzt. Nichts an ihm erinnerte daran, daß er auf irgendeine Weise der Kirche angehörte, weder seine Kleider, noch seine Konversation. Gewöhnlich trug er einen weißen Hut und einen seidenen Rock von bald heller, bald sehr greller, nur selten schwarzer Farbe. Dies war sein Kostüm. Was seine Sitten betraf, so waren sie ebenso wie seine Konversation ungemein locker. Das erste, was er bei seiner Ankunft in Neapel tat, war, daß er sowohl im Theater San Carlo als in dem Theater San Carlino eine Loge nahm. Er hatte keinen religiösen Glauben, nicht einmal an die absoluten Dogmen der Kirche, und war der erste, welcher dieselben lächerlich machte. Von der Unsterblichkeit der Seele sprach er mit einer Gleichgültigkeit, welche an Zweifel grenzte, gefiel sich nur in weltlichen Konversationen und liebte es, leichtfertige und selbst skandalöse Anekdoten zu erzählen oder erzählen zu hören. Schon bei seiner ersten Reise in Frankreich hatte er das Rhonetal, Grenoble und die Dauphinée besucht. An der großen Karthause vorbeikommend, war er bis zu dem Kloster der Schüler des heiligen Bruno hinaufgestiegen.

In dem Augenblicke, wo er hier erschien, war die Bruderschaft eben bei Tische. Er pochte an die Tür, die wegen der eben erwähnten Operation der frommen Väter verschlossen war, und der Pförtner erklärte ihm, daß es verboten sei, einzutreten, wenn die Mönche sich im Refektorium befänden. Lord Bristol zog jedoch aus seiner Tasche eine Karte, auf welcher sein Wappen stand, mit den darunter befindlichen Worten: »Lord Bristol, Bischof von Derry.« Diese Karte ließ er dem Abt zustellen, der nur die Worte las: »Bischof von Derry,« und in der Meinung es mit einem katholischen Bischof zu tun zu haben, ihn mit dem ganzen Kloster auf den Knien empfing, indem er ihn zugleich um seinen Segen bat, welchen der Lord auch keinen Anstand nahm, ihnen zu erteilen.

Es war dies eine der Erinnerungen, welche seine Heiterkeit allemal im höchsten Grade erregten, wenn er bedachte, daß katholische Mönche mit vollkommener Unterwürfigkeit den Segen eines protestantischen Bischofs empfangen hatten. Bei der Aufführung der Oper: »Die heimliche Ehe« war er von derselben so entzückt, daß er an einem der nächsten Tage seine sechs englischen Lakaien hineinschickte und ihnen empfahl, Cimarosas Musik mit der größten Aufmerksamkeit anzuhören. Bei ihrer Wiedernachhausekunft ließ er sie in sein Zimmer kommen und fragte sie, ob sie seine Befehle pünktlich befolgt hätten. Auf ihre bejahende Antwort befahl er ihnen, in Zukunft nur in Rezitativen mit ihm zu sprechen, und zwar in aus der genannten Oper entlehnten, sei es nun um Befehle zu empfangen, sei es um ihm zu sagen, daß seine Tafel serviert sei, sei es um ihm die Namen von ihn besuchenden Personen zu melden. Die Diener sahen einander an und glaubten, ihr Herr sei übergeschnappt. Auf seine wiederholte Aufforderung baten sie sich Bedenkzeit aus und versprachen, ihm den nächstfolgenden Morgen Antwort zu sagen.

Am nächsten Morgen schickten sie zwei der Ihrigen als Deputation zu Mylord und ließen ihm erklären, daß sie es mit der Würde englischer Diener unvereinbar fänden, anstatt zu sprechen, zu singen, wie Possenreißer auf dem Theater taten. Lord Bristol entgegnete ihnen hierauf, daß er, wenn sie sich seinen Wünschen fügten, ihren Gehalt verdoppeln würde. Zugleich gewährte er ihnen abermals vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden erschienen dieselben Deputierten wieder und meldeten, daß sie bedauerten, trotz der ihnen von Mylord gebotenen Vorteile auf ihrer Weigerung beharren zu müssen. Mylord Bristol bezahlte ihnen sechs Monate Lohn und schickte sie alle nach England zurück. Dann, als die Engländer fort waren, rekrutierte er ein halbes Dutzend Neapolitaner und stellte ihnen folgende Bedingungen:

Sie sollten mit ihm nie anders sprechen, als in aus der mehrerwähnten Oper entlehnten Rezitativen, wobei es ihnen selbst obliegen würde, die Worte mit der Musik in Einklang zu bringen. Für diesen besonderen Dienst, der natürlich eine höhere Intelligenz als die gewöhnlicher Diener nötig machte, sollten sie fünfundvierzig Ducati monatlich erhalten, das heißt ziemlich viermal mehr, als die am besten bezahlten Diener in Neapel sonst zu erhalten pflegten.

Die unerläßliche Bedingung hierbei war jedoch, daß die sechs Vorzimmer-Virtuosen während der ersten sechs Monate bloß Kost und Kleidung, den baren Gehalt aber erst nach Ablauf des sechsten Monats bekämen. Wenn einer von ihnen den Dienst vor Ablauf dieser Zeit verließe, so hatte er keinerlei Recht auf irgendeine Entschädigung. Die neapolitanischen Diener gingen auf dieses Anerbieten ein, ließen einen Paglietto oder öffentlichen Schreiber kommen, welcher den Kontrakt aufsetzte, und sechs Monate lang ward Mylord auf die zufriedenstellendste musikalische Weise bedient. Eines Abends, als er bei Sir William dinierte, brachte ihm einer seiner sechs Diener unter Absingung eines kurzen Rezitativs einen mit einem großen schwarzen Siegel verschlossenen Brief. Lord Bristol entsiegelte den Brief, las ihn, schob ihn unter seinen Teller und lachte, plauderte und scherzte seiner Gewohnheit gemäß den ganzen noch übrigen Abend. Gegen elf Uhr zog er sich zurück; es war dies eine Stunde früher als gewöhnlich. Am nächstfolgenden Tage ließ Sir William, welcher fürchtete, daß diese zeitige Entfernung durch ein Unwohlsein herbeigerufen worden, fragen, ob Lord Bristol sichtbar sei. Der Lord ließ antworten, es sei ihm ein großes Unglück widerfahren, und er könne daher niemanden empfangen. Sir William erzwang, durch diese Antwort beunruhigt, sich Zutritt und fand den armen alten Mann in Tränen und Schluchzen.

»Mein Gott, was fehlt Ihnen?« fragte Sir William erschrocken.

»Bemerkten Sie, daß man mir gestern abend während des Diners einen schwarzgesiegelten Brief brachte?« antwortete Mylord.

»Ja.«

»Nun, dieser Brief meldete mir, daß mein Sohn in Livorno gestorben ist. Ich wollte die heitere Stimmung an Ihrer Tafel nicht stören und bezwang mich daher. Sobald ich aber mich wieder in meiner Wohnung befand, kam der Schmerz nur umso heftiger zum Ausbruch. Um mich recht auszuweinen, wollte ich daher heute niemanden empfangen, nicht einmal Sie.« Die offizielle Gesellschaft Sir Williams war natürlich das diplomatische Korps. Seine vertraute Gesellschaft dagegen bestand aus hervorragenden Gelehrten und Schriftstellern. Der älteste fremde Minister in Neapel war Graf von Sa, Gesandter von Portugal. Seit den dreißig Jahren, die seine Ernennung bereits zurücklag, war er nur ein einzigesmal nach Lissabon zurückgekehrt und von dort so schnell als möglich wiedergekommen.

Einmal hatte er einen gewaltigen Schrecken gehabt. Es war nämlich die Rede davon gewesen, die portugiesische Gesandtschaft in Neapel als kostspielig und unnütz aufzuheben und den portugiesischen Gesandten in Rom mit den Angelegenheiten an beiden Höfen zu beauftragen. Zum Glück aber war der König Joseph der Erste gestorben, seine Tochter, die Königin Marie, hatte entschieden, daß die Gesandtschaft auch noch ferner bestehen solle, und der Graf von Sa hatte wieder aufgeatmet. Übrigens gab es wenig Diplomaten, deren Amt eine so vollständige Sinekure gewesen wäre wie das dieses Ministers, der weiter nichts zu tun hatte, als seinem Hofe die laufenden Nachrichten mitzuteilen, die er von seinem Sekretär niederschreiben ließ. Die Promenade war die einzige Arbeit, die er sich zumutete. Man sprach viel von seinem Harem, der aus Tänzerinnen vom San Carlo-Theater bestand. Was ihn selbst betraf, so sprach er fast gar nicht, denn das Portugiesische hatte er vergessen und das Französische und das Italienische niemals geläufig sprechen gelernt. Er war groß, breitschulterig und hatte einen Nacken wie ein Stier, mit welchem auch seine Physiognomie viel Ähnliches hatte. Von seinen Talenten weiß ich nichts zu sagen, denn während der sieben oder acht Jahre, wo ich ihn alle Wochen dreimal sah, konnte ich nie auch nur ein einziges an ihm entdecken. Der bedeutendste Minister war der Graf von Lemberg, weil er Familiengesandter war. Er war ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Mann und ganz das Gegenteil von dem Grafen von Sa. Man warf ihm zuweilen vor, daß er stolz sei; mochte nun dieser Vorwurf ungerecht sein oder der Graf von Lemberg meinen, daß dem Gesandten Großbritanniens gegenüber ein solcher Fehler eine Lächerlichkeit sein würde, kurz, wir hatten niemals Gelegenheit, etwas davon zu bemerken. Wahrscheinlich war er bei den Neapolitanern bloß deshalb in diesen Ruf gekommen, weil er die Schmarotzer und Flachköpfe, von welchen es am Hofe von Neapel wimmelte, nicht leiden konnte.

Gleich am ersten Abend, wo ich ihn sah, bemerkte ich zu meinem Befremden, daß er seine Meinung über die höchsten Personen des Hofes so rückhaltlos aussprach, als ob er von den gemeinsten Lazzaronis gesprochen hätte. Das Gespräch kam auf den Chevalier Acton, und der Gesandte von Toskana fand sich veranlaßt, sich über diesen Günstling in lobender Weise zu äußern. Der Graf von Lemberg verzog jedoch verächtlich den Mund und sagte:

»Aus diesem Manne wäre ein guter Seeräuber geworden; damit ist alles gesagt. Er besitzt die Talente und den Körperbau eines solchen und diesem Umstand verdankt er wahrscheinlich seine hohe Stellung.«

Man versicherte, daß er bei einer Unterredung mit der Königin in bezug auf diesen selben Acton gesagt hatte:

»Ich will über die verborgenen Eigenschaften dieses Ministers weder zum Nachteil noch zum Vorteil etwas sagen. Ich kenne dieselben nicht und mag sie auch nicht kennen, wohl aber weiß ich, daß die, welche er im Ministerium entwickelt, nicht den Ämtern entsprechen, womit Eure Majestät ihn beehrt haben.« Die Stellung des Grafen von Lemberg am Hof von Neapel war eine durchaus nicht beneidenswerte. Als Familiengesandter fand er sich in alle Intrigen verwickelt, und es läßt sich nicht leugnen, daß einige dieser Intrigen nicht auf der Höhe der Majestät seines Dienstes standen.

Zwischen dem König und der Königin kamen häufige Zwistigkeiten vor. Ich werde von diesen Zwistigkeiten später einige erzählen, die in meiner Gegenwart stattfanden. Bei allen diesen ehelichen Zerwürfnissen sah der Gesandte sich genötigt, zu vermitteln, die hohen Ehegatten einander wieder zu nähern, im Namen des Kaisers zu sprechen, mit einem Worte wenigstens einmal monatlich den Dienst eines Friedensrichters zu verrichten.

Der arme Lemberg war daher, mochte er auf der Promenade sein oder bei Tische sitzen, niemals sicher, daß er nicht plötzlich geholt würde, um die Ruhe zwischen den erhabenen Gatten wieder herzustellen. Einige Tage nach unserer Ankunft gab er ein großes Diner. Einer der Gäste erzählte uns, daß während der Mahlzeit ein Kurier von der Königin eingetroffen war. Der Graf von Lemberg mußte augenblicklich fort und seine Gäste allein weiterspeisen lassen. Es hatte sich nämlich in Caserta ein Streit wegen der Marquise von San Marco, vertrauter Ehrendame der Königin, erhoben.

»Dieses verwünschte Weibsvolk bringt mich noch von Sinnen!« rief der Graf, indem er die Serviette hinwarf.

Ich werde diese Musterung von Staatsmännern damit schließen, daß ich einige Worte über ein diplomatisches Atom sage, welches Bonecchi hieß, und kaiserlicher Konsul und Agent von Toskana war. Sehr klein, sehr alt, unaufhörlich schmatzend, fortwährend spionierend und mit stierem Blick vorgestrecktem Hals und gespitztem Ohr auf Neuigkeiten lauernd, war Signor Bonecchi der Korrespondent des Kaisers Leopold, dem er alle Wochen Bericht über die Skandalosa erstattete, die am Hofe und in der Stadt vorgekommen waren. Wenn zufällig einmal die Anekdoten fehlten, so trug er kein Bedenken, deren zu erfinden. Anfänglich hatte er einen festen Gehalt bezogen, da aber, wenn er nicht hinreichend angespornt ward, die Neuigkeiten ausblieben, so fand der Kaiser es geraten, ihn wöchentlich und nicht mehr nach dem Jahre bezahlen zu lassen. Seit einem Jahre empfing er demgemäß zwei Louisdor für jede Anekdote, welche der Kaiser für interessant erklärte. Auf diese Weise verdiente er sich monatlich etwa zwanzig Louisdor. Dieser Köder hatte dem kleinen Manne ein eigentümliches Talent verliehen, sich in die Häuser einzuschleichen und sich zu allen Diners und Festlichkeiten einladen zu lassen. Man wußte recht wohl, was er hier wollte, da er aber im Namen des Kaisers und sogar, wie einige behaupteten, im Namen der Königin Karoline kam, welche ihre Privatspionage dem öffentlichen Spion ihres Bruders anvertraute, so wagte niemand, ihm den Zutritt zu verweigern oder ihm ein unfreundliches Gesicht zu machen. Wenn er dann wieder nach Hause kam, so setzte er alles, was er gehört, zusammen, zog Schlußfolgerungen daraus, fügte hinzu, nahm davon hinweg, änderte und schickte so wöchentlich seinem Souverän eine Chronik auf Kosten der höchsten Personagen.

Wenn wir nun noch auf die Ärzte, die Gelehrten und die Schriftsteller übergehen, welche die vertraute Gesellschaft Sir Williams bildeten, so sind wir dann fertig mit der Umgebung, welche mich in dem neuen Leben begleiten wird, in welches mich die Ereignisse führen, die ich bis jetzt erzählt, ebenso wie die noch unglaublicheren und besonders dramatischeren, welche ich den Augen des Lesers noch vorzuführen habe.


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