Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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78. Kapitel.

Am 19. erhielten wir die Nachricht, daß Nelson am 16. die Höhe von Stromboli passiert habe. Man dachte, daß er bald nach Neapel kommen müßte, und indem man es darauf ankommen ließ, was Garat, der Gesandte der französischen Republik, denken, sagen oder tun würde, traf man Vorbereitungen zu großen Festlichkeiten. Drei Tage vorher waren der »Culloden« und der »Alexander« eingetroffen, die, da sie weniger beschädigt waren, als der »Vanguard« diesem fünf Tage voraus waren. Auf dem Kap Campanella und dem höchsten Punkte des Felsens von Capri stellte man Wachen auf. Dieselben sollten durch Signale die Ankunft von Nelsons Flotte melden und sogleich diese Nachricht nach Neapel entsenden. Hierauf schmückte man eine große Barke prächtig aus. Man spannte ein purpurnes Zelt darüber, welches mit den Wappen Englands und des Königreichs beider Sizilien gekrönt war. Man verschönte die Barke durch Fahnen und Trophäen der beiden vereinigten Nationen, man bereitete zwölf bis fünfzehn andere Barken, welche der Hauptbarke folgen sollten, und wartete, nachdem man Befehl erteilt, daß ein jeder vom Hofe sich bereithalten sollte, beim ersten Zeichen Nelson entgegenzueilen. Inzwischen hatte die Königin ihre Zärtlichkeit gegen mich verdoppelt und mir ihre geheimsten Gedanken mitgeteilt. Marie Karoline verhehlte es sich nicht, daß die Feste, die sie dem Sieger am Nil zu Ehren geben wollte, einen Krieg mit Frankreich nach sich ziehen würden, und trotzdem, daß Frankreichs Kräfte durch den Verlust seiner Flotte und den von 30 000 Mann, die mit Bonaparte in Egypten eingeschlossen waren, vollständig erschöpft waren, war es doch nichtsdestoweniger ein Feind, den man fürchten, ja schonen mußte.

Daher mußte der Hof von Neapel um jeden Preis Nelson und hinter diesem England für sich gewinnen. Nun aber rechnete die Königin, um Nelson zu gewinnen, auf mich. Die stolze Marie Karoline bat die englische Gesandtin, wie die arme Amy Strong die bescheidene Emma gebeten hatte. Sollte ich weniger für eine Königin tun, als ich für eine kleine Bäuerin getan? Mein Leben hatte mit der Verführung des Admirals John Payne begonnen, und sollte mit der Verführung des Admirals Horatio Nelson enden. Ich bewunderte Nelson, ich liebte ihn aber noch nicht; meine Liebe zu ihm entstand erst durch seine große Liebe zu mir. Die bis zum Übermaß gesteigerten Gefühle sind auch ansteckend. Ich versprach der Königin, zu tun, was in meinen Kräften stände, sagte ihr aber, daß Sir William uns hindernd im Wege stehen würde. Karoline lachte. »Sir William,« sagte sie, »ist ein viel zu guter Engländer, als daß er den Sieger vom Nil nicht auch belohnen sollte. Überdies braucht er gar nicht gefragt zu werden. Wenn ich Nelson liebte, so würde ich mir gewiß nicht die Mühe nehmen, den König über das um Rat zu fragen, was mir zu tun beliebte.« – »Majestät,« erwiderte ich, »der König Ferdinand war Kronprinz und Sie waren Erzherzogin von Österreich, Sie haben ihm eine eben so große, ja größere Mitgift gebracht, als er Ihnen. Das war jedoch nicht mit Sir William und mir der Fall. Wer war ich denn, als er mich heiratete? Die Maitresse seines Neffen. Wer war ich vorher, ehe ich die Maitresse seines Neffen war? Er hat es vergessen, Madame, und ich möchte ihn nicht gerne wieder daran erinnern.« Die Königin legte mir die Hand auf den Mund. »Wir werden schon alles gut einzurichten wissen,« sagte sie. »Derjenige, der etwas anderes als dein Glück wollte, würde mein größter Feind sein. Bedenke doch, ob ich dich unglücklich machen wollte!« Ich ward nachdenklich, denn ich fühlte deutlich, daß sich mir eines jener Ereignisse näherte, die auf das ganze Leben Einfluß ausüben.

Am 22. September wurden wir früh um sechs Uhr benachrichtigt, daß zwei oder drei große Schiffe von den Wachen signalisiert worden seien, und daß das eine dieser Schiffe die Admiralsflagge trüge. Seit fünf oder sechs Tagen war der König in Erwartung der Festlichkeiten nicht auf die Jagd gegangen, was ihm tiefe Seufzer kostete, denen die Königin aber durchaus keine Beachtung schenkte. Sogleich ward Befehl gegeben, daß jeder auf dem ihm angewiesenen Posten sein sollte, die Geistlichen aller Kirchspiele wurden benachrichtigt, ihre Glocken zum Läuten bereitzuhalten, die Kommandanten aller Forts mußten die Kanonen laden lassen, denn man hatte sich vorgenommen, Nelson einen königlichen Empfang zu bereiten. Der Admiral Caracciolo sollte die Führung der kleinen Flottille übernehmen, die Nelson entgegensegeln sollte. Natürlich befehligte er die Hauptbarke, welche der König und die Königin besteigen wollten. Um daher zu jeder Stunde am Tage oder in der Nacht bereit zu sein, blieb er seit der Ankunft des »Culloden« und »Alexander« fortwährend an Bord der Hauptbarke. Die Königin hatte Sir William Hamilton, in seiner Eigenschaft als englischer Gesandter – und vielleicht auch aus anderen Gründen, die sie nicht nannte – die Ehre, Nelsons Wirt zu sein, überlassen und besonders an dem Tage seiner Ankunft sollte er uns ganz gehören. Sir William hatte große Vorbereitungen getroffen und ich hatte mit großer Freude, ja mit großem Stolze meine Sorgfalt den Vorbereitungen gewidmet, die von dem Auge einer Frau geleitet und von ihrem Geschmack geordnet werden müssen. Wie fast stets hatte ich die Nacht im Palais zugebracht, denn nur selten ließ mich die Königin in das Gesandtschaftshotel zurückkehren. Sir William allein hatte das Recht, sich darüber zu beklagen, und er beklagte sich nicht. Sir William war zu dieser Zeit beinahe siebenundsechzig Jahre alt. Die Königin, welche wünschte, daß ich schöner als je aussehen sollte, entwarf die großartigsten Pläne in bezug auf meine Toilette; mein Entschluß aber stand fest. Ich wollte kein anderes Kostüm, als das, in welchem Romney mich gemalt hatte, als wir, Sir William und ich, nach London zurückgekehrt waren, um unsere Vermählung sanktionieren zu lassen. Dieses Kostüm bestand bekanntlich aus einem langen weißen Kaschmirgewande in Form einer griechischen Tunika, welches in der Taille von einem roten, goldgestickten Maroquingürtel zusammengehalten ward, den eine Agraffe, eine Kamee, die nichts anderes als das Porträt Sir Williams war, schloß. Mein Haar, für welches ich stets allen Schmuck verschmäht habe, sollte ungepudert auf meine Schultern herabwallen und ich wollte mich in einen großen roten indischen Shawl, der mit Blumen gestickt war, hüllen. Dieser Shawl hatte mir oft bei der Königin und in unseren vertrauten Zirkeln bei dem von mir erfundenen Shawltanz gedient, den seitdem alle Tänzerinnen nachgeahmt. Die Königin machte dagegen eine königliche Toilette und war über und über mit Diamanten bedeckt. Auch der König war in großer Toilette und mit seinen Hausorden von Spanien, Frankreich und Österreich geschmückt.

Um acht Uhr waren alle bereit. Wir gingen die Arsenaltreppe hinab nach dem Kriegshafen. Die Hauptbarke erwartete uns; Caracciolo in großer Galaadmiraluniform stand auf seiner Quartierbank. Kaum befanden sich der König und die Königin an Bord, als von allen Seiten die Kanonen der Kastelle donnerten und die Glocken der dreihundert Kirchen von Neapel zu läuten begannen. Die Stadt bot mit ihren von Rauch umwölkten und von Blitzen erleuchteten Türmen ein majestätisches Schauspiel dar. Die Barke stieß vom Lande, sie war nach dem Muster der alten römischen Galeeren gebaut. Sir William hatte die Zeichnung dazu geliefert und er behauptete, daß dieselbe genau nach der Galeere gefertigt worden sei, in welcher Kleopatra dem Antonius entgegengesegelt. Die Königin sagte lachend, daß dies eine Anspielung des englischen Gesandten sei, und daß er nichts dagegen haben würde, wenn die neue Kleopatra in ihrer Liebe zu einem andern Antonius ihre Ähnlichkeit mit der Königin von Egypten noch weiter verfolgte. Die ganze Flottille setzte sich in Bewegung und die Hauptgaleere mit ihren vierzig Ruderern führte den Zug an. Dieser Golf, dessen azurnes Blau an Tiefe und Klarheit mit dem Azur des Himmels wetteifert, bot an dem schönen, lichtvollen Septembermorgen mit den zwölf oder fünfzehn Barken, die an Schönheit und Eleganz einander zu übertreffen suchten, die mit purpurnen Zelten, wehenden Flaggen und Blumen geschmückt waren, und deren jede eine balsamische Spur zurückließ, einen herrlichen Anblick dar. Die ganze Flottille setzte sich unter dem Läuten der Glocken, dem Donner der Kanonen und dem Beifallsrufen der unzähligen Menschenmenge von Neapel, die auf dem Molo und auf den Kais sich drängte, mit den Taschentüchern wehte, die Mützen in die Luft warf und wie toll rief: »Es lebe der König! Es lebe Nelson! Nieder mit den Franzosen!« in Bewegung. Die Königin biß sich mit gehässigem Lächeln auf die Lippen, denn nicht ein einzigesmal hörte man den Ruf: »Es lebe die Königin!« Übrigens waren wir bald so weit von der Stadt entfernt, daß wir das Rufen nicht mehr hören konnten, nur noch das Geläute der Glocken und der Donner der Kanonen drang zu uns.

Sobald wir den Hafen verlassen, hatten wir am Horizonte das Schiff bemerkt, dem wir entgegenfuhren. Der Wind trieb es uns entgegen, so daß mir ihm nicht hätten entgegenfahren können, wenn wir aus Mangel an Rudern hätten segeln müssen. So geschah es denn, daß sich durch dieses gleichzeitige Entgegenkommen zweier Flotten die Entfernung zwischen beiden schnell verminderte. Das Schiff, welches uns am nächsten war, trug, wie die Wachen gesagt hatten, an seinem Hauptmast die Admiralsflagge, und überdies erkannte der Admiral Caracciolo mit dem unfehlbaren Auge eines Seemanns den »Vanguard«. Ohne Zweifel hatte Nelson seinerseits, trotz der großen Entfernung, die kleine Flottille entdeckt und erkannt, denn da er erriet, daß sie zu ihm und seinetwegen kam, so ließ er einen Kanonenschuß abfeuern, von dem wir lange schon den Rauch sahen, ehe wir den Knall hörten, und einer Flamme gleich ward an der Mastspitze das rote englische Banner aufgehißt. Wir konnten die Schüsse vom »Vanguard« nicht erwidern, da wir keine Artillerie an Bord hatten, sogleich aber ließ unser Musikkorps unter der Leitung von Dominico Cimarosa die fröhlichsten Fanfaren ertönen, und mir für meinen Teil gefiel es besser, Nelson auf diese Weise meine Huldigungen darzubringen, als ihn mit dem rauhen Donner der Kanonen zu begrüßen. Nicht ohne heftige Aufregung fühlte ich mich zu dem Helden hingezogen, von dem ich wußte, daß er mich bis zum Wahnsinn liebte. Noch hatte kein Gefühl in meinem Herzen eine so entschiedene Gestalt angenommen, als daß ich selbst wissen sollte, welche Empfindungen mich bei seinem Anblick bewegten, nur fühlte ich an dem Schauder, der meinen ganzen Körper durchrieselte, und an der wechselnden Röte und Blässe meines Gesichts, daß diese Empfindungen sehr heftige sein würden. Der »Vanguard« hatte das Kap Campanella und wir Torre del Greco passiert; wir waren kaum noch drei Meilen voneinander entfernt und in einer Viertelstunde oder in zwanzig Minuten befanden sich die Hauptbarke und der »Vanguard« vielleicht einander dicht gegenüber. Die Königin sah meine Unruhe und da ich, wie gewöhnlich, zu ihren Füßen saß, so neigte sie sich an mein Ohr und flüsterte: »Mut, du Törichte! Denke an Amy Strong, den Admiral Payne und den Matrosen Richard. Nur bittet dich jetzt nicht Amy Strong, sondern die Königin von Neapel. Wir eilen auch nicht dem Admiral Payne entgegen, sondern dem Admiral Horatio Nelson und endlich handelt es sich nicht um die Rettung eines armen Matrosen, sondern um die eines ganzen Königreiches.« – »O Madame,« erwiderte ich, »eben das erschreckt mich. Wenn der Zweck kein so großer wäre, so würde auch meine Angst geringer sein; nie aber habe ich daran gedacht, daß man mir eines Morgens sagen würde: ›Das Heil eines Königreiches hängt von dir ab‹, so daß ich in dem Augenblicke, wo mir diese ernste Mission zuerteilt wird, zögere und nicht die Kraft zur Erfüllung derselben in mir fühle.«

Die Königin faßte meine Hand und drückte dieselbe, als ob sie mir ihre Kraft durch eine Art magnetischer Leitung mitteilen wollte. Und wirklich fühlte ich mich gestärkt, ja beinahe begeistert, so lange sie meine Hand hielt. Wir ruderten so fort und befanden uns endlich dem »Vanguard« dicht gegenüber. Ich sah und hörte nicht mehr, ich befand mich fast in einem ebensolchen Zustande, wie dem, in den mich Doktor Graham während der Ausstellung auf dem Apollobett zu versetzen wußte. Ich verstand, daß die Königin mich aufforderte, mich zu erheben; ich fühlte, daß sie mich nach der Schiffstreppe schob. Mechanisch und ohne zu bemerken, daß ich voranging, was doch gegen alle Etikette war, faßte ich das Geländer und stieg hinauf. Oben an der Treppe wartete Nelson mit gezogenem Hute. Hier gewann ich das Leben wieder, hier befand ich mich wieder dem Manne gegenüber, den ich seit seiner Reise von Toulon nach Neapel nicht gesehen. Seitdem hatte er ein Auge und einen Arm verloren, eine schwarze Binde bedeckte seine Stirn und verbarg seine letzte Wunde. Ich sah diese ganze Gesamtheit von Verstümmelungen, ein unermeßliches Gefühl des Mitleids bemächtigte sich meiner, ich kannte nur eine Belohnung, die des Helden würdig war, der vor mir stand, ich breitete die Arme aus und sank an sein Herz, indem ich ausrief: »O mein Gott, ist es möglich! – Teurer großer Nelson!« Ich war nahe daran, ohnmächtig zu werden, zum Glück aber stürzten Ströme von Tränen aus meinen Augen und Schluchzen erleichterte mein Herz, sonst wäre ich erstickt. Von diesem Augenblicke an gehörte ich Nelson so vollständig an, als wenn er mich bereits besessen hätte. Das war mehr als Resignation, mehr als Hingabe, mehr als Liebe, es war Verhängnis!


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