Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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48. Kapitel.

Die Damen der Königin – diejenigen, welche für ihre beiden Freundinnen galten, aber nichts weiter waren als ihre Vertrauten, die Marquise von San Marco und die Baronin von San Clemente – waren in großer Hoftoilette, was zu uns einen eigentümlichen Kontrast bildete. Sie trugen gepudertes Haar und Blumen darin, waren rot geschminkt, mit Schönpflästerchen auf den Wangen, und ihre steifen Taillen waren von stählernen Schnürleibern umschlossen. Zum erstenmal gewahrte ich die lächerliche Seite dieser großen Toiletten. Die armen Frauen sahen aus wie Masken. Und dennoch waren beide schön, besonders die Marquise von San Marco. Es war aber die Schönheit ohne Anmut, ohne Biegsamkeit, ohne Reiz. Die Königin dagegen war, obschon durch ihre sechsunddreißig Jahre ein wenig korpulent, wirklich bezaubernd. Es war, als ob sie in Erwartung einer unangenehmen Nachricht, die sie noch nicht kannte, die sie aber nicht verfehlen konnte, den nächstfolgenden Tag zu erfahren, der Zeit, den Ereignissen und der Politik noch einige glückliche Stunden abstehlen wollte. Gegen die genannten Damen war sie liebenswürdig, gegen mich aber geradezu anbetungswürdig. Sie hatte mich an ihrer Seite Platz nehmen lassen und bediente während des ganzen Soupers mich selbst. Gewöhnt, wie ich war, Wasser zu trinken, oder es kaum mit ein wenig französischem Wein zu röten, mußte ich, um den Bitten der Königin nachzugeben, jetzt alle feurigen Weine Siziliens und Ungarns kosten. Diese Weine schienen das Blut, welches in meinen Adern rann, in Flammen zu verwandeln. Vor Beendigung des Diners oder vielmehr Soupers meldete man uns, daß die wenigen Personen, zu deren Empfang die Königin Erlaubnis erteilt, da wären und im Salon warteten. Die Königin ließ die Türen öffnen, stützte sich auf meinen Arm und trat in den Salon.

Ich habe schon gesagt, daß sie an diesem Abend viel schöner war als gewöhnlich. Sie schien glücklich zu sein. Ihre Stirn war ruhig, ein wohlwollendes Lächeln umspielte ihre sonst so stolz verächtliche Lippe. Als man sie sah, erhob sich ein Murmeln der Bewunderung, welches mit lauten Beifallsbezeigungen endete. Sie reichte Rocca Romana und Maliterno die Hand zum Kusse. Rocca Romana, der damals das Abenteuerleben begann, welches ihn zum Richelieu von Neapel gemacht hat, war noch ein Jüngling, beinahe ein Knabe. Er stand seinem Rufe nicht nach, das heißt, er war bewundernswürdig schön und vollkommen elegant. Man erkannte in ihm sofort den Mann, der in der reinsten Aristokratie geboren und bestimmt war, bei Hofe zu leben. Maliterno war älter und weniger schön als er. Sein Gesicht war strenger und männlicher und einige Jahre später, im Jahre 1796, gab in Tirol ein Säbelhieb, den er quer über das Gesicht erhielt und der ihm ein Auge ausschlug, seiner Physiognomie einen noch düstereren Anstrich.

Was den Doktor Gatti betraf, so glaube ich, von diesem schon gesprochen zu haben. Er war ein Kurtisan mit biegsamem Rückgrat, der als Arzt überall Zutritt hatte und sich überall eindrängte, nicht um Kranke zu heilen, sondern um zu intrigieren. Die Königin war ihm nicht sonderlich geneigt, gestand ihm aber dennoch einen gewissen Einfluß zu. Der Fürst Pignatelli, der später, als die königliche Familie Neapel verließ und nach Sizilien floh, als Generalvikar des Königreiches eine große Berühmtheit erlangte, war damals ein Mann von zwei- bis vierunddreißig Jahren, ohne einen hervorstechenden Zug, weder hinsichtlich seines Charakters noch hinsichtlich seiner Physiognomie. Er war einer jener gefälligen Minister, welche der böse Genius eines Volkes in Tagen der Revolution an die Seite der Könige stellt und welche die Befehle, die ihre Gebieter ihnen geben, nur allzupünktlich befolgen.

Als man die Königin so strahlend heiter sah, setzten alle Gesichter sich mit dem ihrigen in Einklang. Die Königin stellte mir nach der Reihe die sieben oder acht Vertrauten des königlichen Palastes vor, welche sich auf ihren Ruf eingefunden und wovon ich die hervorragenden bereits genannt. Wie alle Deutsche war Karoline eine große Freundin der Musik. Der Salon war daher mit einer Menge musikalischer Instrumente versehen, worunter sich auch ein Klavier und eine Harfe befanden. Die Königin fragte mich, ob ich das eine oder das andere dieser Instrumente spielte. Ich spielte beide. Ich ergriff die Harfe. Es war klar, daß ich im Begriff stand, das feierlichste Debüt zu machen, welches mir jemals beschieden gewesen. Vor einigen Monaten hatte man in Herculanum ein Manuskript entdeckt, welches Verse von Sappho enthielt. Diese Verse waren von dem Marquis von Gargallo ins Italienische übertragen und von Cimarosa in Musik gesetzt wurden. Ich band mir das Haar auf, ich warf es durch eine Kopfbewegung auf meine Schultern herab. Es war voll, sehr lang und da ich niemals Puder getragen, sehr zart und weich. Es fiel wallend bis weit unter meinen Gürtel herunter.

Ich versuchte – und man weiß, daß ich in der Mimik Ausgezeichnetes leistete – ich versuchte meinen Zügen die Begeisterung der antiken Poesie zu geben, und nach einem Vorspiel, während dessen schon der Beifall laut zu werden begann, sang ich Sapphos Verse, während ich sie mit einfachen Akkorden begleitete. Ich brauche meine Leser nicht daran zu erinnern, bis zu welchem Grad von Vollkommenheit ich in dergleichen Leistungen es gebracht hatte. Gleich von dem ersten Verse an hatte ich mich vollständig mit der Dichterin identifiziert und mich folglich der Gemüter meiner Zuhörer bemächtigt.

Wenn der Beifall mich nicht nach jeder Strophe unterbrach, so lag der Grund darin, daß man fürchtete, auch nur einen Ton meiner Stimme, einen Akkord des Instrumentes zu verlieren; als ich aber bei dem letzten Vers auf die Knie niedersank, und mit den Augen gen Himmel blickend die letzten Worte des Gedichts an die Göttin der Liebe selbst richtete, da brach der Beifallssturm in einer Weise los, welche aller Schranken spottete. Es war augenscheinlich, daß ich einen bis jetzt noch unbekannten Effekt, etwas ganz Neues, vollständig Unerwartetes erzielt hatte. Die Königin hob mich auf, drückte mich an ihr Herz und küßte mich. »O, noch einmal, noch einmal!« rief sie. »Noch einmal, Emma. Ich bitte dich darum.« Ich schüttelte aber den Kopf.

»Majestät,« sagte ich zu ihr, »ich verdanke meinen Erfolg einer Überraschung. Von dem Augenblick an, wo es keine Überraschung mehr gäbe, würde es auch keinen Erfolg mehr geben. Verlangen Sie daher niemals von mir, daß ich mich wiederhole, wohl aber werde ich, wenn Sie wollen, etwas anderes versuchen.«

»Alles, was du willst, aber schnell! schnell! schnell! Wir möchten dir gern wieder Beifall zujubeln. – Haben Sie jemals so etwas gesehen, Gatti? Haben Sie jemals so etwas gehört, Rocca Romana?«

Die Antwort lautete, wie man sich leicht denken kann, einstimmig verneinend. Nun vereinigte sich alle Welt mit der Königin, um noch etwas von mir zu verlangen. Ich war der Wirkung sicher, die ich in der Wahnsinnsszene Ophelias hervorbringen würde. Ich bat die Königin um einen Tüllschleier und Blumen. »Komm mit in mein Zimmer,« sagte sie. »Du wirst unter allen meinen Schleiern den wählen, welcher dir am besten zusagt. Was Blumen betrifft, so findest du deren soviel, als du willst, auf der Terrasse.« Ich ging mit der Königin in ihr Schlafzimmer. Ich wählte einen einfachen Tüllschleier. Dann gingen wir miteinander auf die Terrasse. Die Königin stellte sich mir zur Verfügung und sagte zu mir:

»Willst du dieses Geranium? Willst du diesen Orangenzweig? Willst du diese Rosenlorbeerblüte?«

Alles dies war eigentlich nicht das, was ich brauchte. Diese Blumen der Zivilisation und der Aristokratie standen mit Ophelias Wahnsinn in Widerspruch; Maßlieben, Veilchen und Rosmarin verlangte der Teil Shakespeares. Die Blumen, welche man mir hier bot, taugten wohl für die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, aber nicht für die Tochter des Polonius. Ich begann aber schon nicht mehr schwierig zu sein, sondern Diamanten und Perlen zu nehmen, wenn ich nichts anderes fand. Die Königin wollte bleiben und mir bei meiner Toilette behilflich sein. Ganz besonders aber war eben sie es, auf die ich Eindruck machen wollte, und ich schickte sie daher unerbittlich aus dem Zimmer. Übrigens hatte sich Karoline kaum wieder in den Salon zurückbegeben und in ihrem Lehnsessel Platz genommen, so öffnete sich, dank meiner Geschicklichkeit in dergleichen Umgestaltungen, auch schon die Tür des Schlafzimmers wieder, und ich erschien in dem Rahmen derselben bleich mit stieren Blicken und von Wahnsinn zuckenden Lippen.

Wenn meine Zuhörer, obschon Nachkommen der Athenienser, mit der Poesie der Muse von Lesbos wenig vertraut waren, so waren ihnen die Gesänge des Poeten von Stratford noch weit fremder. Nicht ein einziger von ihnen verstand übrigens soviel Englisch, daß er einer Deklamation shakespearischer Verse zu folgen imstande gewesen wäre. Für sie handelte es sich daher um eine einfache Pantomime. Was hinderte mich aber dies? War die Pantomime nicht gerade das, worin ich am meisten exzellierte? Ich muß selbst sagen, daß ich selbst in meinen vollständigsten Inspirationen noch nie die Höhe erreicht hatte, zu welcher ich mich an diesem Abend aufschwang. Ich war wirklich die naive Valentine Hamlets, die verzweifelte Tochter des Polonius, die wahnsinnige Schwester des Laërtes. Ich hatte niemanden, der mir meiner Rolle gemäß antwortete, aber ich ergänzte jeden Mangel. Die Überzeugung, daß niemand diese Lücken bemerken würde, hielt mich aufrecht oder erhob mich vielleicht noch mehr. Ich war gleichzeitig Dichter und Darstellerin. Da, wo der Vers mangelte, improvisierte ich. Shakespeare selbst, ich bin dessen gewiß, wäre mit mir zufrieden gewesen. Ich werde nicht versuchen, das Erstaunen meiner Zuhörer zu schildern. Es war aller Wahrscheinlichkeit nach das erste Mal, daß diesen Organisationen die bleiche Poesie des Nordens erschien, welche mit aufgelöstem Haar ihre Schmerzen beweint. Nur die Königin fand darin Anklänge an die Dichter ihres eigenen Vaterlandes. Als ich abtrat, folgte mir ein mit Schluchzen gemischter Beifallssturm in mein Zimmer. Die Königin kam mir nachgeeilt und faßte mich in ihre Arme. Dann, als sie nahende Tritte hörte, rief sie:

»Wer kommt da?«

Die zudringliche Person, welche entweder die San Marco oder die San Clemente war, kehrte in den Salon zurück, oder kam vielmehr keinen Schritt näher. Die Königin schien einen Augenblick nachzudenken, dann sagte sie plötzlich: »Bleib hier und kehre nicht in den Salon zurück.«

Es war dies mein einziger sehnlicher Wunsch, denn ich war im höchsten Grade erschöpft. Ich sank in einen Lehnsessel. Die Königin entfernte sich und ich hörte, wie sie sagte: »Unsere Engländerin hat zum größeren Ruhme ihres Dichters und zu unserem größern Amüsement so wacker gespielt, daß sie vor Erschöpfung halb tot ist. Ich bitte daher, sie zu entschuldigen. Gute Nacht, meine Herren.«

»Ist es wenigstens erlaubt, Beifall zu spenden?« fragte Rocca Romana.

»O, soviel Ihnen beliebt,« sagte die Königin. »Sie werden dennoch niemals genug spenden. Gestehen Sie, daß diese Leistung etwas Wunderbares ist.« Es erfolgte ein abermaliger lauter Beifallssturm, dann hörte ich die Stimmen allmählich verhallen. Die Königin dankte ihren Ehrendamen, welche ihre Dienste anboten, und schloß die Tür hinter ihnen. Als sie sich umdrehte, sah sie mich den seidenen Türvorhang des Salons emporheben. »So komm' doch, Sirene! komm' doch, Circe! komm', Armida!« sagte sie. Und indem sie ihren Arm um meinen Hals schlang, zog sie mich neben sich auf das Sofa. Wir sanken neben der Harfe nieder. Sie ergriff dieselbe und wollte selbst zu spielen und zu singen beginnen, als man leise an der Tür kratzte.

»Was will man schon wieder von mir?« fragte die Königin ungeduldig. – »Die Leute und der Wagen der Lady Hamilton sind da,« antwortete eine Stimme. – »Sie mögen in das Gesandtschaftshotel zurückkehren,« sagte die Königin. »Man bedarf ihrer hier nicht. Ich behalte Lady Hamilton bei mir.« Dann zog sie, ja trug mich beinahe nach dem Badezimmer, indem sie flüsterte:

»Komm'! komm'! Sir William ist in Caserta und wird erst morgen zurückkehren.«


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