Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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30. Kapitel.

Wir durchreisten einen Teil von Frankreich, Belgien und Deutschland. In Wien verweilten wir so lange, als Sir William Zeit bedurfte, um dem Kaiser Joseph dem Zweiten seine Huldigung darzubringen. Er hatte schon früher die Ehre gehabt, demselben vorgestellt zu werden, als Seine Majestät vor vier Jahren inkognito und ohne Gefolge unter dem Namen eines einfachen Edelmannes in Neapel gewesen war. Dann reisten wir weiter nach Venedig, Ferrara, Bologna und Rom. In Rom beschloß Sir William mit meiner Einführung in die italienische Welt den Anfang zu machen. Seine archäologischen Forschungen hatten ihn mehr als einmal in die Hauptstadt der Cäsaren geführt und er war mit den angesehensten Familien befreundet. Zu Anfang des Frühjahres 1788 langten wir hier an. Pius der Sechste saß seit dreizehn Jahren auf dem Stuhle des heiligen Petrus und war jetzt einundsiebzig Jahre alt. Gerade in dem Augenblick, wo wir in Rom anlangten, bot sich mir eine Gelegenheit dar, ihn zu sehen.

Bekanntlich empfängt der Papst keine Frauen, sondern begegnet ihnen bloß. Wenn irgendeine vornehme fremde oder römische Dame den Pontifex zu sehen wünscht, so läßt sie ihn um diese Gunst bitten, und er läßt ihr in der Regel antworten, daß er an dem und dem Tage, zu der und der Stunde, wenn es Sommer ist, im Garten des Quirinal, und wenn es Winter ist, im Garten des Vatikan spazieren gehen werde. Die Dame findet sich an dem bezeichneten Tage und zu der bezeichneten Stunde ein, begegnet Sr. Heiligkeit und empfängt den päpstlichen Segen.

Ich für meine Person konnte in meiner Eigenschaft als Protestantin nicht einmal auf eine solche Gunst hoffen, gleichwohl sollte ich auf einem noch einfacheren Wege dieser Ehre teilhaftig werden. Die Direktoren des Kollegs der Propaganda hatten von dem Papst die Zusicherung erhalten, einer ihrer akademischen Disputationen beizuwohnen. Für Sir William war nichts leichter als in seiner Eigenschaft als Gesandter Plätze zu erhalten. Da diese Plätze reserviert waren, so waren wir nicht genötigt, lange an der Tür zu stehen oder warten, sondern brauchten uns erst gerade zur bestimmten Zeit einfinden.

Kaum hatten wir Platz genommen, als ein großes Geräusch die Ankunft des heiligen Vaters verkündete.

Ich gestehe, daß ich sein Erscheinen mit großer Neugier erwartete. Es möchte schwer gewesen sein, einen schöneren Greis zu sehen, als Pius der Sechste war. Sein früher so schönes blondes Haar war allerdings weiß geworden, wallte aber immer noch in anmutigen Locken auf die Schultern herab. Das Gesicht sah ein wenig zu frisch aus, als daß man nicht einige Nachhilfe der Kunst hätte vermuten sollen; die Zähne aber waren schön und das Auge besaß eine merkwürdige Lebhaftigkeit. An dem heutigen Tage war dieses Auge vielleicht lebhafter als gewöhnlich. Man erzählte sich leise, daß Se. Heiligkeit sich soeben einem jener Zornesausbrüche hingegeben, welche der Schrecken seiner ganzen Umgebung waren und die oft durch die unbedeutendste Ursache hervorgerufen wurden.

Er hatte nämlich zu der Feierlichkeit, welcher er beiwohnen sollte, bei seinem Schneider ein neues Kleidungsstück bestellt; eine unglückliche Falte an demselben beeinträchtigte die Regelmäßigkeit der Formen, auf die er so stolz war. Er machte dem armen Teufel darüber lebhafte Vorwürfe, welchen dieser eine demütige Entschuldigung entgegenzustellen wagte. Diese Entschuldigung aber war trotz ihrer Demut durch eine kräftige Ohrfeige zurückgewiesen worden. Der Schrecken mehr als der Schmerz hatten eine Ohnmacht herbeigeführt, und der Schuldige war nur durch einen tüchtigen Aderlaß wieder zum Bewußtsein gebracht worden. Die Zeremonie begann. Alles ging wunderschön, bis die Sitzung zu zwei Drittteilen vorüber war. Die Direktoren des Kollegiums ließen nun in der Meinung, dem Papste dadurch eine Freude zu bereiten, indem sie ihm zeigten, wie weit die Kirche ihre Herrschaft erstrecke, da sie selbst unter der heißesten Zone Anhänger zähle, einen jungen Neger vom Kongo auftreten und dieser neubekehrte Afrikaner begann eine Rede, welche mir sehr gut ausgearbeitet zu sein schien, die aber gleich in ihrem Eingange von dem heiligen Vater unterbrochen ward, indem er sich erhob und sich unter unverkennbaren Zeichen der Unzufriedenheit entfernte. Nach Verlauf von einigen Sekunden ward die Ursache dieser plötzlichen Anwandlung von Übellaune bekannt. Pius der Sechste hatte sich weder um die Schönheit der Rede, noch um den Kongo, noch um den Breitegrad bekümmert, unter welchem es lag. Er hatte nur eines gesehen – einen sehr häßlichen Neger, dessen widerwärtige Physiognomie seine empfindlichen Sehorgane beleidigt hatte – und er hatte sich mit der Bemerkung entfernt, daß man ihm dergleichen Ungeheuer nicht wieder vor die Augen kommen lassen solle. Dies war alles, was die Direktoren des Kollegs der Propaganda durch ihre zarte Aufmerksamkeit gewonnen hatten. Dafür hatte einige Monate früher, am 6. Oktober 1787 – dieses Datum hatte sich wie das eines Festtages in die Erinnerung der ganzen Umgebung des Papstes eingegraben – die Vorsehung ihm eine große Freude bereitet. Die Prinzessin-Herzogin Signora Constanze Onesti war nämlich von einem derben Knaben entbunden worden.

Prinzessin-Herzogin nennt man in Rom die Gattin desjenigen der Neffen des Papstes, der von ihm zum Prinz-Herzog ernannt wird, die andern Neffen werden gewöhnlich Kardinäle. Die Prinzessin-Herzogin, das heißt die Gemahlin des Prinz-Herzogs Onesti Braschi, war, wie man behauptete, dem Papst in mehr als einer Beziehung lieb und wert – erstens als Nichte, weil sie seinen Neffen geheiratet, und zweitens als Tochter der Geliebten des Kardinals Rezzonico, der schönen Julia Falconieri. Bei Gelegenheit des eben erwähnten Ereignisses hatten in Rom große Festlichkeiten stattgefunden und sämtliche Kardinale und Prälaten hatten ihre Freude und ihre Anhänglichkeit dadurch zu erkennen gegeben, daß sie die Prinzessin-Herzogin mit Geschenken überhäuften.

Der Gemahl dieser Dame, den ich in den Soiréen, oder wie man dort sagt, den Conversazioni der Prinzessin Borghese, den am wenigsten langweiligen von allen römischen Konversationen – von dieser allgemeinen Langweiligkeit nehme ich jedoch die des alten Kardinals von Vernis aus, bei welchem man die ganze Ungezwungenheit des Landes fand, welches er repräsentierte – der Gemahl dieser Dame, welchem ich, sage ich, in den Conversazioni der Prinzessin Borghese begegnete, war ein ziemlich schöner Mann von athletischem Körperbau und aus seiner kleinen Stadt Cesena herbeigekommen, um Prinz-Herzog zu werden. Seine Unwissenheit war eine wahrhaft patriarchalische, und wenn man in Rom von einem an den äußersten Grenzen des Blödsinns angelangten Menschen sprechen wollte, so sagte man: »Er ist so dumm wie der Prinz-Herzog.«

Das erstemal, wo er nach seiner Ankunft von Cesena noch ganz stolz auf seine neue Würde und die Abstammung, welche ein römischer Gelehrter ihm ermittelt, sich bei der Prinzessin Borghese einfand, wünschte er ein Glas Wasser und bat die Herrin des Hauses darum. Er stand, während er dies tat, mit dem Ellbogen auf den Kaminsims gelehnt. »Ziehen Sie zweimal die Klingelschnur, die hinter Ihnen hängt,« sagte die Prinzessin zu ihm, »und Sie werden bekommen, was Sie wünschen.«

Der Prinz-Herzog gehorchte, ohne zu begreifen. Er kannte nicht den Gebrauch der Klingeln, welcher übrigens von Frau von Maintenon erfunden, nicht viel über hundert Jahre alt ist. Sein Erstaunen war daher groß, als er, sobald er die Schnur zweimal gezogen, einen Diener mit einem mit allerhand Erfrischungen beladenen Präsentierbrett eintreten sah. Man mußte, um seine Neugier zu befriedigen, ihm den Mechanismus der Klingelzüge erklären, der, wie wir nicht unterlassen dürfen zu bemerken, seine Bewunderung in so hohem Grade erregte, daß er den ganzen Abend davon sprach. Diese Bewunderung war so groß, daß der Prinz-Herzog, anstatt nach Hause zurückzukehren, sich nach dem Vatikan fahren ließ und seinen Onkel aus dem Schlafe weckte, um ihm die von ihm gemachte Entdeckung mitzuteilen.

Der Papst, welcher im Bett lag, zog die zu Häupten seines Bettes hängende Klingelschnur und sagte zu dem herbeieilenden Kammerdiener: »Geleitet Monsignore Onesti wieder hinaus, und ehe Ihr ihn ein andermal zu einer solchen Stunde einlaßt, erkundigt Euch erst, ob das, was er mir zu sagen hat, der Mühe verlohnt, daß man mich wecke.« Diese Unwissenheit des Prinz-Herzogs erstreckte sich auf alles. Wenige Tage nach dem eben erzählten Vorfall begegnete ich ihm bei der Marquise Bocca Paduli Gentili.

Man sprach von der englischen und französischen Literatur – von Shakespeare, Ben Johnson, Racine, Corneille und Molière.

Der Prinz-Herzog saß mit offenem Munde da. Er kannte keinen dieser Herren, sondern hörte sie jetzt zum ersten Mal nennen. Sir William nannte, als das Gespräch auf die, Ganganelli gewidmete, Tragödie: »Mahomet« kam, den Namen Voltaire. »Ach!« rief der Prinz-Herzog, indem er vor Freude in seinem Lehnstuhl emporhüpfte, »den kenne ich! Es ist ein deutscher Mönch, welcher der heiligen Kirche einen großen Schaden zugefügt hat.« Der gute Mann verwechselte Voltaire mit Luther.

Übrigens schien es, als ob ein Verhängnis diesen Dummkopf an unsere Schritte fesselte. Am nächstfolgenden Tage trafen wir uns an der Tafel des venetianischen Gesandten wieder. Man sprach von Wien und von der kaiserlichen Gemäldegalerie. Der Prinz-Herzog rief, von einer schönen Anwandlung von Kunstenthusiasmus ergriffen: »Wenn ich in Wien wohnte, so brächte ich mein ganzes Leben in dieser Galerie im Anschauen der ›Nacht‹ von Correggio zu.« Einer sah den andern an. Wir wußten alle, daß die »Nacht« von Correggio von August dem Dritten, König von Polen und Kurfürsten von Sachsen, der Galerie von Modena abgekauft worden, und daß dieses Gemälde sich in Dresden befand. Lord Harvey, Herzog von Bristol und Bischof von Derry in Irland, konnte sich nicht überwinden, einen solchen Beweis von Unwissenheit ungerügt hingehen zu lassen.

»In der Tat, Monsignore,« sagte er, »es tut mir leid, einem Mann von Ihrer Gelehrsamkeit widersprechen zu müssen, ich zögere aber nicht, Ihnen zu versichern, daß Sie sich irren, und daß das Gemälde, welches Ihnen den Wunsch einflößt, in Wien zu wohnen, um es mit aller Muße betrachten zu können, sich in diesem Augenblick nicht in Wien, sondern in Dresden befindet.«

»Wie,« entgegnete der Prinz-Herzog, »wollen Sie die Sache besser wissen als mein Onkel, der es mir gesagt hat, und der in seiner Eigenschaft als Papst unfehlbar ist?«

»Monsignore,« hob Lord Harvey wieder an, »der Grund, den Sie da anführen, ist nicht stichhaltig. Ich bin protestantischer Bischof, und erkenne folglich die Unfehlbarkeit Ihres Onkels nicht an.« Ich erwähnte vorhin den Stolz, welchen der Prinz-Herzog in bezug auf den Stammbaum an den Tag legte, welchen man ausdrücklich für ihn erfunden und der selbst den hinter sich ließ, welchen der Advokat Nicolas David für die Herzöge von Guise erfunden und welcher die Abstammung derselben von Karl dem Großen herleitete. Mit dem erstgedachten Stammbaume war es folgendermaßen beschaffen. Angelo Braschi stammte aus einer edlen, aber armen Familie von Cesena. Seine Schwester hatte einen kleinen Bürger dieser Stadt, namens Onesti, geheiratet, welcher Handelsgeschäfte trieb und nie auch nur den mindesten Anspruch darauf gemacht hatte, in die Carossen des Königs von Frankreich zu steigen. Dennoch aber, als der Neffe des Papstes von diesem zum Prinz-Herzog ernannt ward, mußte man für ihn eine dieses Ranges würdige Abstammung ausfindig machen.

Zum Glück las ein Genealog in der lateinisch geschriebenen Lebensgeschichte des heiligen Romaldus die Worte: »Romaldus, ex honestis parentibus natus.«

Der Genealog faßte die Worte beim Schopfe, nahm das Beiwort honestis für den Familiennamen des Heiligen und ließ mit großem typographischem Luxus ein Werk drucken, in welchem er bewies, daß der heilige Romaldus aus einer Familie Onesti stamme, mit welcher der Neffe des Papstes in gerader Linie verwandt sei. Kraft dieser, wie man leicht begreift, unbestrittenen Genealogie empfing der Erstgeborene des Herzogs – das Kind, dessen Geburt am 6. Oktober 1787 am Hofe von Rom so große Freude veranlaßt – von seinem Onkel in der Taufe den Namen Romoaldo.


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