Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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50. Kapitel.

Dank der von der Königin gebrauchten Vorsicht hatten wir vierundzwanzig Stunden für uns. Marie Karoline war in der heitersten Stimmung. Abgesehen von der Freude, mich wiederzusehen, kam sie mit der Versicherung des Kaisers Leopold, daß eine Koalition, für welche man auch Preußen zu gewinnen hoffte, sich gegen dieses Frankreich bilden würde, welches sie so sehr haßte. Während ihres Verweilens in Wien war sie von den Emigranten besucht worden, welche alle Frankreich als von zehn verschiedenen Parteiungen zerrissen geschildert und laut die Hilfe des Auslandes angerufen hatten. Diesen Personen zufolge handelte es sich von der Grenze bis Paris bloß um eine Promenade, die nicht einmal das Verdienst der Gefahr haben würde. Was Ludwig den Sechzehnten und Maria Antoinette betraf, so war alles in bezug auf ihre Flucht im voraus fest bestimmt. Am 12. Juni sollten sie Paris verlassen und über Chalons, Verdun und Montmédy die Grenze gewinnen, wo sie der König von Schweden, Gustav, erwarten sollte, der sich sodann augenblicklich an die Spitze der zum Marsch gegen Paris bestimmten Armee stellen würde. Die Aufgabe der Königin war nun, für diese Koalition auch die sämtlichen kleinen Fürsten von Italien und den König von Spanien zu gewinnen. Man betrachtete das letztere als sehr leicht, da ja der König Carl der Vierte der Bruder des Königs Ferdinand war. Marie Karoline bezweifelte nicht das Gelingen dieser doppelten politischen Operation und genoß im voraus die doppelte Freude des befriedigten Hasses und des gerechten Stolzes.

Ich weiß nicht, ob die Königin denselben Hochgenuß darin fand, zu mir herabzusteigen, wie ich, zu ihr emporzuklimmen. Ich bezweifelte es. Es liegt in den königlichen Freundschaften, welche die Würde des Thrones zu vergessen geruhen, eine eigentümliche Anziehungskraft, denn diese Freundschaften sprechen nicht bloß zum Herzen, sondern auch zu allen stolzen Regungen, welche besonders bei dem Weibe mit dem geheimsten Ehrgeiz der Seele in Wechselwirkung stehen. Für kein Weib in der Welt hätte ich dieses Selbstverleugnungsvolle Gefühl empfunden, welches ich für die Königin empfand, eben deshalb weil sie Königin, weil sie Marie Karoline hieß und weil sie Maria Theresias Tochter war.

Was war ich dagegen neben ihr, selbst wenn ich vergaß, daß ich Emma Lyonna gewesen, um mich bloß zu erinnern, daß ich Lady Hamilton war?

Man wundere sich daher nicht darüber, daß der Rausch dieser königlichen Gunst mich zu so großen Fehltritten, vielleicht sollte ich sagen zu so großen Verbrechen verleitete. Ach, ich bin ein Kind des Stolzes! Während wir, die Königin und ich, in Caserta waren, versammelte der König den Kabinettsrat und am Tage seiner Ankunft beschloß man, nicht bloß alle Anstalten zu treffen, um den Krieg gegen Frankreich zu beginnen, sondern auch scharf den revolutionären Geist zu überwachen, der sich auch in Neapel anscheinend offen regen wollte und hier dieselben Unordnungen zur Folge haben konnte wie in Frankreich. Es war ein großer und gefährlicher Entschluß, Frankreich den Krieg zu erklären, und zwar aus dem Grunde, weil der König von Neapel ebensowenig kriegerischen Geist besaß als sein ganzes Volk. Die kriegerischen Neigungen des Königs hatten sich bis jetzt auf eine unmäßige Leidenschaft für die Jagd beschränkt und wenn er einmal zufällig statt der Hirsche und Wildschweine ein anderes Ziel für seine Kugel gewählt hatte, so hatte dieses gewöhnlich bloß in einem armen Teufel von Bauer bestanden, welchem er, um seine Geschicklichkeit zu beweisen, den Hut vom Kopfe geschossen. Seitdem er aber einmal bei einem dieser Experimente anstatt nur den Hut zu treffen, auch den Kopf des Unglücklichen, der zugleich der Ehre und Schande teilhaftig war, ihm als Zielscheibe zu dienen, getroffen und ihn auf der Stelle getötet, hatte er auch diesem Amüsement für immer entsagt.

Was das neapolitanische Volk betraf, so hatte es, abgesehen von einigen Emeuten, von welchen die längste, nämlich die Masaniellos, vierzehn Tage dauerte, stets, obschon im Einzelkampfe mutig, gegen förmliche Schlachten eine nicht zu leugnende Abneigung gehegt. Die sieben Millionen Menschen, aus welchen damals das neapolitanische Volk bestand, waren durchaus nicht in den Waffen geübt, und seit den Schlachten von Bitonto und Velletri, Schlachten, an welchen die Neapolitaner keinen Anteil genommen, weil dieselben zwischen den Spaniern und den Österreichern entschieden wurden, hatte Neapel den Donner der Kanonen nicht wieder gehört.

Die letzte dieser Schlachten, nämlich die von Velletri, hatte vor etwa sieben- oder achtundvierzig Jahren stattgefunden, selbst der Nachhall des Kanonendonners hatte daher Zeit gehabt, zu verstummen und die dermalige Generation bestand aus den Enkeln derer, die nicht selbst gekämpft, sondern bloß hatten kämpfen sehen. Nicht ohne Grund argwöhnte die Königin, daß die in Frankreich proklamierten neuen Prinzipien ihren Widerhall in Neapel finden würden. Der ganze mezzo ceto, welcher größtenteils aus Advokaten, Ärzten, Künstlern und dergleichen bestand, war von diesen Prinzipien durchdrungen. Ganz besonders die Jugend, welche die Bücher Voltaires, die Werke Rousseaus, die Schriften der Philosophen und der Enzyklopädisten begierig verschlungen und welche diese einen Augenblick lang erlaubten Bücher jetzt mit Strenge verboten und mit Eifer verfolgt sah, fragte sich, mit welchem Rechte man sie, wenn ein Nachbarvolk sich zum Lichte hindurchkämpfte, in der Finsternis erhalten wolle.

Allerdings gab es zum Gegensatze zu der fortschrittsfreundlichen, liberalen und aufgeklärten Bevölkerung einen Adel, der keinen andern Ruhm und keine andere Hoffnung kannte als die bei Hofe und die Gunst des Königs, ferner eine verderbte unwissende Geistlichkeit, welche in dem Siege der französischen Prinzipien den Sturz ihrer Macht und den Verlust ihres Vermögens sah, und endlich ein fanatisches Volk, welches dem Könige Ferdinand aufrichtig ergeben war, nicht bloß, weil er der angestammte König war, sondern auch, weil er in bezug auf das Volk vertraulich und liberal, mit diesem infolge seiner gemeinen Sprache, seiner ordinären Beschäftigungen und seiner niedrigen Instinkte eine Ähnlichkeit hatte, welche aus dem Sohne Carls des Dritten nicht das machte, was er hätte sein sollen, nämlich der erste Edelmann des Königreichs, sondern das Oberhaupt der Lazzaroni vom Hafendamme.

Man muß ihm übrigens die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu sagen, daß er alle diese Kriegsrüstungen, zu welchen die Königin, der Chevalier Acton und Sir William ihn trieben, vornahm, ohne sich über die Triumphe, welche dieser Armee, die er organisierte, beschieden sein würden, große Illusionen zu machen. Er hatte sich einmal verbindlich gemacht, in dem großen Kampfe, der sich vorbereitete, eine Rolle zu spielen und es gab nur eins, wozu er fest entschlossen war, nämlich sein eigenes Leben nicht unklug auf's Spiel zu setzen. Mittlerweile verging die Zeit und man näherte sich dem 12. Juni, dem für die Flucht des Königs bestimmten Tage. Die Königin sprach mit mir über diesen verzweifelten Versuch ihres Schwagers und ihrer Schwester alle Tage und verhehlte sich nicht, daß sie auf diesen Wurf alles setzten, um alles zu gewinnen. Marie Caroline ließ, ohne zu sagen zu welchem Zwecke, für den 12. Juni in allen Kirchen öffentliche Gebete anbefehlen. Diese seltsame Persönlichkeit vereinte zwei Extreme in sich. Sie war zu gleicher Zeit abergläubisch und freigeisterisch und die bigotten Instinkte kämpften in ihr mit der philosophischen Erziehung.

Der 12. Juni kam. Die Königin brachte fast den ganzen Tag in der Kapelle des Schlosses auf den Knien zu. Mir erlaubte sie nicht, sie dahin zu begleiten, denn sie fürchtete, daß ich als Ketzerin ihr Unglück bringen könnte. Am Abende jedoch ließ sie mich holen, behielt mich die ganze Nacht bei sich und verbrachte einen Teil der Nacht damit, daß sie auf einer Landkarte diese Flucht verfolgte, welche ihre Gedanken so sehr beschäftigte. »Jetzt müssen sie die Tuilerien verlassen,« sagte sie. »Jetzt müssen sie in Bondy sein, jetzt in Meaux, jetzt in Montmirail.« Erst um fünf Uhr legte sie sich nieder, und erst um acht Uhr schlief sie ein. Am Abend traf ein Kurier aus Frankreich ein, welcher einen Brief von Marie Antoinette brachte. Ich war bei der Königin, als dieser Brief ankam; sie hatte den ganzen Tag nicht erlaubt, daß ich sie verließe. Mit zitternder Hand öffnete sie den Brief, und gleich nachdem sie die erste Zeile gelesen, rief sie ungeduldig: »Denke dir, Emma, sie sind den 12. nicht abgereist.«

Mit diesen Worten zog sie ihr Tuch, trocknete sich den Schweiß von der Stirne und, fuhr dann fort zu sprechen, indem sie zugleich weiter las: »Frau von Rochereul, die Geliebte eines Adjutanten Lafayette's, hatte bis zum 13. abends Dienst bei dem Dauphin. Man fürchtete, daß die Sache verraten werde.« – »Man hat klug gehandelt,« murmelte sie, »aber es wäre besser gewesen, wenn man eher daran gedacht hätte.« Sie las wieder einige Zeilen. »Die Abreise ist nun bis auf den 18. verschoben,« sagte sie. »Also noch acht Tage der Angst und Unruhe.« Sie zerknitterte das Papier in der Hand, anstatt es aber von sich zu werfen, steckte sie es zerknittert in den Busen. »Wer ist der Kurier, der diesen Brief gebracht hat?« fragte sie. – »Derselbe, den Ew. Majestät vor drei Wochen an die Königin von Frankreich abgesendet hat.« – »Ferrari?« rief sie. – »Ja, Ferrari, Majestät.« – »Dann lasse man ihn heraufkommen. Ohne Zweifel wird er mir noch etwas mündlich zu sagen haben.« – »Allerdings hat er gewünscht, daß man nicht vergessen möge, Ew. Majestät seinen Namen zu nennen.« – Es vergingen einige Sekunden, dann trat Ferrari ein. Es war ein Mann von achtundzwanzig bis dreißig Jahren, schon seit acht oder zehn Jahren im Dienste des Schlosses, und ein ganz vortrefflicher Reiter, welcher, ohne auszuruhen, Strecken von hundert und zweihundert Lieues zurücklegte. Er war es, der auf der Rückreise von Wien dem königlichen Wagen vorangeritten war, um überall Pferde zu bestellen. Marie Caroline hatte ihn ihrer Schwester als einen Mann empfohlen, dem sie unbedingt vertrauen könne. Marie Antoinette war es, so scharf sie auch von Lafayette und dessen Generalstab bewacht ward, doch gelungen, Ferrari in den Tuilerien zu empfangen, und man hatte ihm alle Einzelheiten über die Art und Weise mitgeteilt, auf welche man die Wachsamkeit des Generals der Nationalgarde zu täuschen hoffte. Um sich einen Begriff von den Schwierigkeiten, welche die Flucht darbot, machen zu können, muß man zuvörderst wissen, wie die königliche Familie bewacht war. Lafayette, welcher der Nationalversammlung mit seiner eigenen Person haftete, hatte alle seine Vorkehrungen getroffen. Sechshundert Mann Nationalgarde von den verschiedenen Sektionen hielten Tag und Nacht in den Tuilerien Wache. Vor dem äußern Tor hielten fortwährend zwei berittene Gardisten. Schildwachen standen an allen Türen des Gartens, und die Terrasse des Flusses war ebenfalls in Entfernungen von je hundert Schritt mit Schildwachen besetzt. Im Innern war die Wachsamkeit nicht weniger groß. Die Schildwachen standen bis in die Zugänge, welche zu dem Kabinett des Königs und der Königin führten, bis in einen kleinen, im Dachraum angebrachten finstern Korridor, in welchen die für den Dienst der königlichen Familie bestimmten geheimen Treppen mündeten.

Der König und die Königin, welche keine Leibgarde mehr hatten, verließen den Palast nicht anders, als unter der Eskorte von zwei oder drei Offizieren der Nationalgarde. Von allen diesen Schwierigkeiten umringt, hatten der König und die Königin folgendes ausgesonnen: Die erste Dame des Dauphin, die, welcher man nicht recht traute, verließ, wie die Königin Marie Antoinette in ihrem Briefe gesagt, ihren Dienst am 12. Das kleine Zimmer, welches sie in den Tuilerien bewohnte, wird dann leer. Dieses kleine Zimmer ging in ein Gemach, welches schon seit sechs Monaten leer stand und von Herrn von Villequier, erstem Kammerherrn, bewohnt gewesen war. Es stand jetzt leer, weil Herr von Villequier ausgewandert war. Dieses im Erdgeschoß befindliche Zimmer hatte zwei Ausgänge – einen auf den Prinzenhof, den andern auf die Rue Royale. Die Königin sollte sagen, weil es ihr an Platz fehle, solle man ihr für ihre Tochter das Zimmer der Frau von Rochereul überlassen, welches durch Beendigung des Dienstes dieser Dame leer ward. Was das Zimmer des Herrn von Villequier betraf, so sollte der König, der ein vortrefflicher Schlosser war, einen Schlüssel fertigen, mit dessen Hilfe man es öffnen könnte.

Wie zahlreich auch die Schildwachen waren, so hatte man gleichwohl vergessen, eine an die Tür dieses Zimmers zu stellen. Übrigens waren, sobald es elf Uhr geschlagen, die Schildwachen, da der Dienst des Schlosses zu dieser Stunde endete, daran gewöhnt, sehr viele Leute auf einmal herauskommen zu sehen. Man hatte daher Aussicht, mitten unter allen diesen Leuten den Palast verlassen zu können, ohne erkannt zu werden. War man einmal aus den Tuilerien hinaus, so übernahm ein Schwede, Herr v. Fersen, welcher der Königin sehr ergeben war, das übrige. Er wollte, als Fiakerkutscher verkleidet, an dem Pförtchen der Rue de l'Echelle warten, und die Flüchtlinge bis an die Barriere von Clichy bringen, wo ein von ihm bestellter Reisewagen, fertig bespannt, bei einem Freunde von ihm, Mr. Crawford, warten sollte. Der König sollte als Intendant verkleidet sein, das heißt, einen grauen Rock, Atlasweste, grüne Beinkleider, graue Strümpfe, Schnallenschuhe und einen kleinen dreieckigen Hut tragen. Ein Kammerdiener des Königs, namens Hue, von derselben Größe wie der König und dessen Gang und Haltung der König sich einstudiert, ging seit zwei oder drei Tagen aus und ein und sollte damit fortfahren bis zum Abend der Flucht, damit man sich daran gewöhnen möchte, diesen graugekleideten Mann vorübergehen zu sehen. Der Dauphin sollte als kleines Mädchen verkleidet werden. Die Königin, Madame Elisabeth, die königliche Prinzessin sollten mit den diensttuenden Frauen untermischt hinausgehen, und man hoffte, daß sie unter der Menge unbemerkt passieren würden. Die Fliehenden mußten aber auch Pässe haben. Herr von Fersen hatte es übernommen, auch hierfür zu sorgen. Eine Freundin von ihm, Frau von Corff, stand im Begriff, Paris zu verlassen. Sie hatte einen Paß für sich, ihre beiden Kinder, einen Kammerdiener und zwei Kammerfrauen. Diesen Paß hatte sie Herrn von Fersen überlassen, und dieser hatte ihn der Königin gegeben. Auf diese Weise gedachte man aus Paris hinauszukommen. Herr von Bouille, ein Mann von Mut und Verstand, auf welchen der König rechnen konnte, hatte sämtliche Truppen Lothringens, des Elsaß, der Franche-Comté und der Champagne unter seinem Kommando. Er war beauftragt, die Straße zu explorieren, welche von Chalons über Varennes nach Montmédy führt. In gewisser Entfernung auf dieser Straße aufgestellte und von treuergebenen Offizieren kommandierte Truppen sollten die Ankunft des Königs erwarten, und ihm zur Eskorte dienen. Herr von Bouillé hatte eine Million in Assignaten zugesendet erhalten, um alle Ausgaben bestreiten zu können. So standen die Dinge, als am 12. Juni abends Ferrari in Neapel ankam. Er hatte neun Tage gebraucht, um diesen Weg zurückzulegen und war folglich am 4. von Paris abgereist. Die Königin Marie Caroline schenkte ihm zweihundert Dukaten, forderte ihn auf, auszuruhen, und befahl ihm, sich auf jedes Ereignis gefaßt zu halten. Ferrari antwortete, vierundzwanzig Stunden Ruhe wären für ihn genug und die Königin könne auch noch vor Ablauf derselben über ihn disponieren.


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