Alexander Dumas
Lady Hamilton
Alexander Dumas

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51. Kapitel.

Während aller dieser Tage der Unruhe, die auf die Ankunft des Kuriers folgten, verlangte die Königin, daß ich in ihrer Nähe bliebe. Allen anderen gegenüber zeigte sie sich ungestüm, heftig und schroff. Gegen mich allein blieb sie sanft und gut, denn nur mir allein teilte sie ihre Hoffnungen und Befürchtungen mit. Der Kurier der Gesandtschaft kam alle Wochen. Der 16. war der Tag seiner Ankunft. Am 16., während die Königin mit mir in dem alten Park der Herzöge von Caserta spazieren ging, ward uns von einem der Huissiers des Palastes ein Sekretär aus dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zugeführt. Schon von weitem sah die Königin, daß dieser Sekretär einen Brief in der Hand hatte. Sie erhob sich von der Bank, auf der wir saßen, und ging ihm rasch entgegen. Der junge Mann verneigte sich und überreichte ihr den Brief. Die Königin öffnete diesen Brief, las ihn, machte ein Zeichen der Ungeduld und gab ihn dann mir. – »Haben Euer Majestät mir vielleicht Befehle zu erteilen?« fragte der junge Mann. – »Nein, ich habe Ihnen nur meinen Dank zu sagen.« – Der junge Mann verneigte sich abermals und fragte, ehe er sich entfernte, ob der Huissier ermächtigt wäre, ihm eine Quittung über den Brief zu geben und zu bescheinigen, daß derselbe in die eigenen Hände der Königin befördert worden.

Der Huissier erhielt Befehl, zu tun, was von ihm verlangt ward. Der junge Mann und er entfernten sich. Die Königin schlang ihren Arm um meinen Hals, las über meine Schulter hinweg und sagte: »Verstehst du?« – »Ja, vollkommen,« antwortete ich. – Und ich las laut: »Die Jagd ist auf den 21. verschoben. Um Mitternacht wird man aufbrechen, um bei Tagesanbruch auf dem Sammelplatz zu sein. Diese Verzögerung ist durch einen Kreditbrief verursacht worden, welcher den 20. fällig wird.«

Der Brief war ohne Unterschrift. Die Königin erkannte aber die Handschrift ihrer Schwester Marie Antoinette. »Wie! Euer Majestät begreifen nicht?« fragte ich. – »O doch,« sagte die Königin. »Man wird erst am 20. um Mitternacht anstatt am 18. abreisen, weil am 20. morgens der König den Vierteljahresbetrag seiner Zivilliste ausgezahlt erhält.« – »Und wieviel beträgt diese Summe?« fragte ich. – »Sechs Millionen.« – »Ah, das lohnt allerdings der Mühe,« sagte ich lächelnd. – »Ja,« antwortete die Königin, »aber immer noch dauert es zwei Tage. Wer weiß, was in diesen zwei Tagen geschehen kann.« – Dann schüttelte sie den Kopf und sagte: »Ach, meine arme Emma, ich habe traurige Ahnungen.«

Es muß hierbei bemerkt werden, daß die Königin alle ihre Kümmernisse für sich und für mich behielt und weder dem König noch dem Minister ein Wort davon sagte. Die Tage verflossen. Caroline ging nicht nach Neapel; sie verließ nicht Caserta und ich verließ sie nicht. Sir William, vor welchem wir keine Geheimnisse hatten und der die Besorgnisse der Königin kannte, forderte mich selbst auf, ihr treue Gesellschaft zu leisten. Während des ganzen Tages am 20. hatte sie keine Ruhe und konnte weder stehen noch sitzen. Es war als ob sie, von physischer Ermüdung dazu gezwungen, ihre haßerfüllten Gedanken zu verbannen suchte. Von Mitternacht an stieg ihre Aufregung, wenn dieses überhaupt möglich war, immer höher. Einen Augenblick lang war sie mit dem Gedanken umgegangen, Ferrari wieder nach Paris zu schicken. Sie hatte aber eingesehen, daß, wie sehr er sich auch beeilte, er doch immer nur erst den zweiten oder dritten Tag nach der Abreise der königlichen Familie in Paris anlangen würde. Deshalb hatte man Ferrari dabehalten, um ihn für einen dringenden Fall zur Verfügung zu haben. Sie hoffte, daß der König oder die Königin im Augenblick der Abreise einen Kurier an sie abgefertigt haben würden, um ihr diese Abreise zu melden. In diesem Falle ward dieser Kurier am 29. Juni erwartet. Der Tag des 29., des 30. Juni und der Vormittag des 1. Juli vergingen, ohne daß Nachrichten eintrafen; am 1. Juli aber gegen elf Uhr morgens fand Sir William sich in eigener Person ein und verlangte mich zu sprechen.

Die Königin, welche für alle ein Gegenstand der Unruhe war, forderte mich auf, sogleich zu Sir William hinunterzugehen. Er erwartete mich in einem kleinen Salon des Erdgeschosses. Gleich auf den ersten Blick sah ich ihm am Gesicht an, daß er der Überbringer schlimmer Nachrichten war. »Was gibt's?« fragte ich ihn auf englisch. – »Der König und die Königin sind in einer Stadt namens Varennes angehalten worden,« antwortete mir Sir William, »und höchstwahrscheinlich hat man sie zu dieser Stunde schon wieder nach Paris zurückgeführt.« – »Wie sagen Sie, Sir William?« rief eine Stimme. Ich drehte mich um. Die Königin stand ungeduldig und ein Unglück ahnend auf der Schwelle der Tür. Sie war mir gefolgt und hatte Sir Williams Worte gehört, ohne dieselben zu verstehen. An dem Tone aber, womit er gesprochen, hatte sie wohl erraten, daß er mir nichts Gutes verkündete. Sie hatte ihre Frage auf französisch getan. »Madame,« antwortete Sir William, ich meldete Mylady ein großes Unglück.« – »Man hat meine Schwester ermordet!« rief die Königin. – »Nein, Madame, ein solches Verbrechen hat Gott nicht gestattet. Ihre Schwester lebt, aber sie ist auf ihrer Flucht erkannt, angehalten und gefangen nach Paris zurückgebracht worden.« – »Gefangen? Meine Schwester? Man hat gewagt, die Hand an eine königliche Person zu legen?« – »Ihr erster Gedanke, Madame, war ja, daß man sie gar ermordet hatte.«

»Daß man eine Königin ermordet, ist mir erklärlich. Dazu bedarf es bloß eines Fanatikers oder eines Wahnsinnigen. Um sie aber gefangenzunehmen, dazu bedarf es einer offenen Rebellion, einer Volksempörung, einer Revolution!« – »Aber wie wollten denn Ew. Majestät die Bewegung, welche jetzt in Frankreich stattfindet, anders nennen als eine Revolution?« – »Wenigstens hoffe ich, daß, wenn die Königin Gefangene, sie es in ihrem Palaste ist?« – »Wir wissen noch weiter nichts, Madame, als daß vierzig oder fünfzig Lieues von Paris, in einer kleinen Stadt, welche man Varennes nennt, Ihre Majestäten der König und die Königin von Frankreich angehalten worden sind. Die englische Gesandtschaft hat mir einen Kurier mit einer Depesche zugesendet, die weiter nichts enthält. Beim Abgange des Kuriers waren der König und die Königin schon nach Chalons zurückgebracht und drei Volksrepräsentanten reisten von Paris ab, um ihnen entgegenzugehen und sie zu beschützen.« – »Um sie zu beschützen!« rief Marie Caroline; »drei Advokaten wahrscheinlich beschützen den König und die Königin von Frankreich! Das ist seltsam! Kann ich den Kurier sprechen?« – »Ich habe ihn mitgebracht, denn ich vermutete sogleich, daß Ew. Majestät ihn vielleicht zu befragen wünschten.« – »Ich danke Ihnen; lassen Sie ihn kommen. Nicht wahr, du wirst mir als Dolmetscherin dienen, Emma?« – »Ich glaube, er spricht französisch,« antwortete Sir William.

»Nun dann um so besser,« sagte die Königin.

Fünf Minuten später stand der Kurier vor ihr. Er wußte aber weiter nichts, als was er auf der Straße sprechen gehört. Man hatte ihm erzählt, daß man, als man die Flucht des Königs erfahren, Lafayette hatte umbringen wollen, weil man ihn beschuldigte, diese Flucht begünstigt zu haben. Das Ernsthafteste bei der Sache sei, daß die Pariser im höchsten Grade erbittert wären, und er könne versichern, daß der König bei seiner Rückkunft nach Paris alles zu fürchten haben würde, wenn nicht zu seiner Sicherheit die größten Vorsichtsmaßregeln getroffen wären. Plötzlich, während der Kurier der Königin die Einzelheiten mitteilte, erinnerte er sich, daß er auf den Straßen »Gefangennehmung des Königs Ludwigs des Sechzehnten« ausrufen gehört und daß er das Zeitungsblatt gekauft hatte, in welchem die Gefangennehmung erzählt ward. Die Königin streckte begierig die Hand aus, der Kurier suchte in seinen Taschen und zog endlich aus einer derselben eine Nummer der »Revolutionen von Frankreich und Brabant« von Camille Desmoulins hervor. Die Königin durchflog das Blatt rasch, dann knitterte sie es mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Wut zwischen den Händen zusammen und rief:

»O, die Elenden! Besser wäre es, sie hätten ihn zehn-, hundert-, tausendmal getötet, als auf diese Weise beschimpft.«

Ich nahm ihr das Journal aus den Händen und wollte es dem Boten zurückgeben.

»O, lies! lies!« sagte sie; »ich will, daß du selbst siehest, wie diese nichtswürdigen Franzosen ihrem König begegnen.«

Meine Augen fielen auf folgende Zeilen:

»Wovon hängen die großen Ereignisse ab? Sainte-Menehould, dieser Name erinnert unsern gekrönten Sancho Pansa an die berühmten Schweinsfüße. Er will sich nicht nachsagen lassen, daß er durch Sainte-Menehould gekommen sei, ohne von den berühmten Schweinsfüßen an Ort und Stelle gegessen zu haben. Er gedenkt nicht mehr des Sprichwortes: Plus occidit gula quam gladius. Die Zeit, welche über diesen Zubereitungen verging, war ihm verderblich.«

»Dergleichen Angriffe verdienen bloß Verachtung,« sagte ich zur Königin.

Ohne auf mich zu hören, fuhr sie fort:

»Und die Könige sehen ihren Bruder auf diese Weise behandeln, und sie erheben sich nicht alle wie ein Mann und schwören, auf Paris zu marschieren und in dieser fluchwürdigen Stadt keinen Stein auf dem andern zu lassen. O Könige! Familie von Feiglingen! Sehet ihr nicht, daß man euch dort allen den Prozeß macht? Sir William!« – »Madame?« entgegnete Sir William, indem er sich verneigte. – »Kehren Sie jetzt sogleich wieder nach Neapel zurück?« – »Wenn Ew. Majestät es wünscht.« – »Ja, ich wünsche es, und Sie können mir wohl einen Platz in Ihrem Wagen einräumen?« – »Dies wäre eine große Ehre für mich, Madame.« – »Doch nein, eben fällt mir etwas noch Besseres ein. Gehen Sie, in einer Viertelstunde folgen wir Ihnen. Gehen Sie in den Palast und bitten Sie den König in meinem Namen, den Kabinettsrat zusammenzuberufen. Ich will mit allen diesen Männern sprechen. Ich sehe noch gar nicht, daß man sich zum Kriege rüstet, und dennoch haben wir gegen unsern Bruder Leopold Verbindlichkeiten übernommen. Es wäre eine Schande, wenn er bereit wäre und wir wären es nicht. Gehen Sie, Sir William, gehen Sie, und bemühen Sie sich zu erfahren, ob wir auf England rechnen können.«

Wenn die Königin auf diese Weise so sprach, so lag in ihrem Worte eine solche Macht, in ihrer Gebärde eine solche Würde, in ihrer Person eine solche Majestät, daß jeder, der sie hörte, an weiter nichts dachte, als ihr zu gehorchen. Sir William begnügte sich daher, sie zu hören, stieg wieder in den Wagen und rief dem Kutscher zu: »Nach dem königlichen Palast – so rasch als möglich!« Eine Viertelstunde später stiegen wir, wie die Königin gesagt, selbst in den Wagen und folgten Sir William.


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