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Siebentes Kapitel.


Wie oft nimmt arge That nicht Glanz der Liebe,
Wie oft nicht mildes Licht der Freundschaft an?
Nicht trau' der Schlange, wenn auch noch so gleißend
Sie windet sich in deine Lebensbahn.
Gewaffnet bleibt die Vorsicht – scharf ihr Auge,
Der Blick durchdringt die trügerische Nacht –
Da schlägt die Flamm' empor – ha! Ringsum Feinde!
Hoch auf das Schwert – Wie gut, daß du gewacht!

Gegen den Abend dieses Tages verließ der alte Huskurer Bragi Ingemund das schwedische Lager, um an den waldigten Stellen der Umgebung nach einigen heilsamen Kräutern zu suchen, deren er für die Ausübung seiner Kunst bedurfte. Er hatte sich, wie es Zeit und Umstände geboten, wohl bewaffnet, Bogen und Pfeile über der Schulter anhängen, die lange dalekanische Lanze in der Rechten, einen breiten Dolch im Gürtel. Das Biberfell, dessen Haupt ihm zur Mütze diente, dessen Hintertheil mit dem langen Schweife über den Rücken herabhing, so wie der Bärenpelz, den er Sommer und Winter trug, gaben ihm ein wunderliches und abschreckendes Ansehn. Er hatte sich über seiner Beschäftigung ziemlich weit vom Lager entfernt, er sah sich, bei der einbrechenden Dämmerung, genöthigt, am Boden hinzukriechen, um die Pflanzen, welche er suchte, aufzufinden, als ihn plötzlich ein rauher Zuruf und ein nahes Waffengeräusch seiner friedlichen Thätigkeit entriß und ihn mahnte, auf seine Sicherheit bedacht zu seyn. Indem er sich so rasch, als es sein Alter und seine Kräfte gestatteten, erhob, erblickte er in unbedeutender Entfernung einen Krieger mit der dänischen Feldbinde, die Hackenbüchse im Arm, die brennende Lunte an der Seite, der schon seit längerer Zeit ihn beobachtet zu haben schien. Seine erste Bewegung war, die Lanze zum Wurfe fertig zu erheben. Dann betrachtete er mit durchdringendem Blicke den Dänen, der aber nichts weniger, als eine Feindseligkeit zu beabsichtigen schien, sondern, mit der Hand ein Zeichen der Beruhigung gebend und dem Alten näher tretend, sprach:

»Sey unbesorgt! Ich führe nichts Böses gegen dich im Schilde, sonst wäre es mir ein Leichtes gewesen, dir das Lebenslicht auszublasen, als du noch am Boden krochest und nichts mich abhielt, die Büchse zu richten, das Zündkraut abzubrennen. Solche Feinde, wie du einer bist, fürchten wir nicht. Siehe nur, Alter, wie deine Hand zittert, wie in ihr die Lanze hin und her schwankt! Eben so leicht würde es dir werden, einen Bären damit zu erlegen, als einen dänischen Kriegsmann zu schrecken. Noch einmal! Ich will dir kein Leid thun und würde dich ungestört die Kräuter zu deiner Abendsuppe suchen lassen, wenn ich nicht eine Bestellung ins schwedische Lager hätte, die du an den rechten Mann bringen sollst.«

»Dort liegt es!« versetzte, der Uebermacht nachgebend und seine Lanze senkend, verdrießlich der Huskurer. »Habt Ihr dort ein Geschäft, so richtet es selbst aus.«

»Narr!« sagte lachend der Däne. »Wenn es mich gelüstete, Euern Hackenbüchsen und Donnergeschützen zu nahe zu kommen, so würde ich nicht darauf gedacht haben, deiner zu schonen, ich würde dich nicht zu meinem Boten aufgespart haben. Aber es ist nicht Zeit zu langem Gerede! Kennst du einen Mann in Euerm Lager, den sie Roland Doneldey oder auch Roland von Bremen nennen?«

Bragi Ingemund betrachtete seinen überlästigen Gesellschafter mit bedenklichen, forschenden Blicken. Dann entgegnete er in demselben unwilligen Tone, wie früher:

»Stünde er an meiner Stelle, so würde sein Anblick Euch flüchtig gemacht haben, wie das Renn, das den Bären erblickt, wie den bösen Geist Locke, als Thor seinen Hammer gegen ihn erhob. Hütet Euch, ihm zu begegnen. Sein Arm zittert nicht, wann er die Lanze schwingt, und noch nie verfehlte er sein Ziel im Herzen des Feindes!«

»Behalte deine Warnungen für dich,« sprach ihn unterbrechend der dänische Krieger, »und wenn er dir etwas von seiner Kraft und Geschicklichkeit in Führung der Lanze abgeben will, so rathe ich dir, es anzunehmen. Ich habe Kameraden, denen es auf eine Ladung Pulver und Blei nicht ankommt, wenn sie einen so warmen Bärenpelz erbeuten können, wie der, welcher deine alten Glieder deckt. Doch jetzt vernimm, was ich von dir verlange! Hier ist ein Ring, den sollst du deinem Roland Doneldey übergeben. Er kennt ihn, er weiß schon, was er zu bedeuten hat. Nenne ihm dabei den Namen Ignotus und sage ihm, daß derjenige, von welchem der Ring komme, ihn in der Stunde vor Mitternacht zu einer wichtigen Unterredung erwarte. Dort unten am Kreuzweg, wo die drei Birken stehn, wird er ihn finden. Vergiß nichts von dem, was ich dir sagte, Alter! Roland von Bremen wird dir's Dank wissen.«

Bragi Ingemund nahm kopfschüttelnd den Ring. So sehr er sich auch geneigt fühlte, in dieser Botschaft eine List der Feinde, einen Verrath zu vermuthen, so hielt er doch den Ignotus für einen zu aufrichtigen Freund Roland's, als daß er ihn in Verdacht haben konnte, sich zum Werkzeuge, oder auch seinen Namen nur zum Vorwande irgend eines tückischen Streichs herzugeben. Dennoch schien ihm die Sache nicht ganz klar. Nach einiger Ueberlegung fand er es am Gerathensten, demjenigen, dem die Botschaft galt, Alles zu berichten, wie es sich begeben, und ihm selbst das Weitere zu überlassen. Indem er sein Bündel mit Kräutern von der Erde aufraffte und es über die Schulter warf, sagte er:

»Ich gehe Euern Auftrag auszurichten. Aber noch einmal ermahne ich Euch, wenn Ihr etwa dem Roland von Bremen eine Falle gestellt hättet, diese still bei Seite zu bringen, denn wahrlich! er ist der Mann, ein Dutzend solcher Schnapphähne mit dem rothen Feldzeichen heimzusenden, daß sie für ewige Zeiten das Wiederkommen vergessen. Seht, der Mond ist schon aufgegangen und wird die ganze Nacht hindurch ein Licht verbreiten, das der Feind aller Verräther ist! Denkt auf Euer eigenes Wohlergehen, wenn Ihr das Verderben eines Andern im Sinne tragt.«

Die letzten Worte sprach er, als er sich schon in einiger Entfernung von dem Dänen befand. Dieser sah ihm nach, bis er in der Nähe des Lagers verschwand. Dann begab sich der Krieger mit raschen Schritten nach jenem Gehölze zurück, in dessen Tiefe die Höhle mit ihrem verborgenen, drohenden Inhalte lag.

Bragi Ingemund wußte denjenigen, an den seine räthselhafte Sendung gerichtet war, leicht zu finden. Vor dem Zelte des Reichsvorstehers ging er, in einem angelegentlichen Gespräche mit Claudianus und Rasmus Jute begriffen, auf und nieder. Ihre Unterredung betraf die Flotte der Lübecker, die jetzt ein Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit im Lager war. Jedermann wünschte den Augenblick herbei, in dem sie sich dem Lande nähern konnte, man harrte mit Sehnsucht eines Boten, der weitere Aufschlüsse über ihre Stärke, über die Art und den Umfang des Beistandes, den man von ihr erwarten dürfe, überbringen würde. Der alte Huskurer, dem sein bisheriges Verhältniß zu Roland ein Recht auf dessen Vertrauen gab, nahm seinen jungen Freund bei Seite, erzählte ihm das wunderliche Zusammentreffen mit dem Dänen und versäumte zugleich nicht, einige Worte der Warnung vor etwaigem Verrath fallen zu lassen. Als aber Roland den wohlbekannten Ring erblickte, als er vernahm, daß Ignotus bei dieser Begegnung und in Beziehung auf den Ring genannt worden sey, verschwand jeder Schatten von Argwohn aus seiner Seele, und mit erheitertem Antlitze sagte er:

»Du wirst bald erfahren, Bragi Ingemund, daß dieses Ereigniß nur mein Glück und meine Ruhe bezweckt. Der Ring, den du mir überbringst, kommt von einem Freunde, die Zusammenkunft, zu der er mich auffordert, gibt mir ein theures Wesen zurück, das ich so lange schon schmerzlich vermisse und betraure. Hier lauert kein Verrath, hier erwartet mich ein frohes Wiedersehn nach langer Trennung. Ich weiß, Bragi Ingemund, du nimmst Theil an mir, drum freue dich mit mir, sieh keine Gespenster, wo das Leben seine heitersten Gebilde sendet, wo das Schicksal ein altes Unrecht wieder gut macht.«

»Die Fylkis-Könige glaubten auch zum frohen Male zu gehen,« versetzte in einem prophetischen Tone der alte Huskurer, »und sie fanden Tod in der Halle König Ingiald's, der die Gastfreunde verrieth und sie unter die Trümmer der brennenden Gasthalle begrub.«

»Vergiß die Träume jener dunkeln Sagenzeit,« erwiederte, sich von ihm wendend, Roland Doneldey, »vertraue auf mein Wort, daß mir keine Gefahr droht. Was mich erwartet, ist mir bekannt, ich selbst habe dieses Ereigniß herbeigeführt, ich könnte waffenlos, in meinem Prunkkleide hingehn, denn keinem Hasse, keiner Feindseligkeit werde ich begegnen, nur der Liebe und der Freundschaft!«

»Nimmer wagt das!« rief erschrocken Bragi Ingemund, indem er ihn zurückhielt. »Wir leben nicht in einer Zeit des Friedens, hier wandelt Ihr nicht in dem ruhigen Thale von Mora, wie einst, da die Freiheit noch als ein schlummerndes Kind träumend in den Herzen weniger wackerer Männer lag. Sie ist erwacht und ihr fröhlicher Ruf hat die Tyrannei auf ein blutiges Schlachtfeld geladen. Diese verlangt nach Opfern, gleichviel, ob der Verrath, ob die Bosheit sie herbeiführt. Geht nicht unbewaffnet, Roland Doneldey! Ein alter Freund, ein Mann, der Euch liebt, weil er Euch kennt, beschwört Euch darum. Nicht blos das Weib, das seine Neigung erwählt, ist die Geliebte des Kriegers: auch von seinen Waffen, von Lanze, Schwert und Dolch trennt er sich eben so ungern, als von ihr.«

Roland drückte dem Alten, dessen herzliche Theilnahme ihn rührte, die Hand und sagte dann lächelnd:

»Du meinst es gut, Bragi Ingemund, wenn du auch ein dunkles Gewölk zusehen glaubst, wo nur der heitre Himmel strahlt. Aber es wäre Unrecht von mir, den Rath des Freundes zu verachten. Ich gebe dir mein Wort, daß auch meine eisernen Geliebten diese Nacht nicht von meiner Seite kommen sollen.«

Beruhigter sah jetzt der Huskurer seinem jungen Freunde nach, dessen hohe Gestalt sich in dem Labyrinthe der Zeltgassen verlor. Roland Doneldey hatte im Laufe des Abends noch mancher Pflicht zu genügen, die innerhalb seines kriegerischen Berufes lag. Dann begab er sich zurück zum Zelte des Reichsvorstehers, wo Rasmus Jute und Claudianus Wache hielten. Er überzeugte sich, daß hier keine der nothwendigen Sicherheitsmaßregeln versäumt worden, er begrüßte, von froher Hoffnung belebt, die Waffengefährten und ließ sie in heitern Aeußerungen ahnen, daß ihm ein glückliches Ereigniß bevorstehe, daß er mit freudigem Blicke in die Zukunft sehe. So war die Stunde herbeigekommen, in der er der bedeutungsvollen Macht des Ringes sein Schicksal anvertraute.

Alle Annehmlichkeiten, welche den nordischen Sommernächten eigen zu seyn pflegen, hatten sich vereinigt, diese Nacht zu schmücken. Der Südländer ahnt nicht, wie erquickend und zugleich milde diese Luft ist, die der lange Stand der Sonne am Tage erwärmt, die der Odem, den die Natur aus den Gebirgen sendet, reinigt. Er kennt nicht dieses schöne zitternde Licht, zwischen Tageshelle und Mondschein schwebend, das alle Gegenstände in einen magischen Glanz hüllt, das Meer und Ströme wie hellglänzendes Silber, das die grünen Wälder wie einen Gürtel von Smaragden erscheinen läßt, mit dem sich die Berge schmücken, das in den Thau der Wiesen Regenbogenfarben streut, das die Fruchtfelder in goldne Seen verwandelt. Die Ueppigkeit des südlichen Himmels vereinigt sich hier mit der Kraft des nordischen und an jenen Tagen des hohen Sommers, wo die Sonne nur einen Augenblick im Abendroth von den Bergen scheidet, um sie im nächsten wieder im Morgenrothe zu begrüßen, entfaltet sich alle Herrlichkeit der Natur, die mit ihrer ganzen Hingebung für die lange Nacht des Winters dann entschädigen zu wollen scheint.

Diese Zeit war vorüber, aber dennoch besaß die schimmernde Schöpfung noch Reize genug, die Freude, welche Roland's Seele erfüllte, höher zu stimmen, ihre Eindrücke seinen Hoffnungen gleich zu stellen. Er hatte unbemerkt das ruhende Lager verlassen, er wandelte mit raschen Schritten, die die Sehnsucht belebte, der bezeichneten Stelle zu. Das ferne Rauschen des Meeres tönte melodisch in sein Ohr, aus den Sternen glänzte Liebe und Hoffnung in seine Seele nieder, ein dunkles Gewölk, das jetzt, den weiten Thalgrund in den er wandelte, beschattend, den Mond verhüllte, dünkte ihm ein Bild seiner Vergangenheit, deren Düsternheit bald dem Lichte eines beglückenden Wiedersehens weichen werde. Seine Seele schwelgte in diesen Gedanken. Er sah nur die Erfüllung seiner Wünsche vor sich, sein Auge schweifte geradeaus nach dem ersehnten Ziele, nicht zur Seite, wo einzelne dunkle Gestalten, wie geheimnisvoll nahende Geister des Schicksals, dem Lager zuschlichen, ohne auch ihn zu bemerken oder bemerken zu wollen.

Endlich lag der Ort der Zusammenkunft, die Stelle mit den drei Birken am Kreuzwege, vor seinen Blicken. Freilich unterschied er sie nur als eine dunkle Masse, denn noch verbarg jenes finstere Gewölk den Mond; allein er glaubte unter den Bäumen doch einige Gestalten zu erkennen, er eilte mit hochklopfendem Herzen näher, er sollte ja Margarethen, er sollte den treuen Freund finden, der diese ihm zuführte, die gute Lille, die, mit wunderbarer Einsicht begabt, alle Hindernisse überwunden, jeder Gefahr getrotzt hatte, die sich ihrem kühnen Unternehmen entgegenstellten!

Wie grausam sah er sich mit einemmale enttäuscht! Jenes melodische Liebesgeflüster der brandenden Wogen war ein betrügerischer Syrenengesang, jener trauliche Liebesglanz der Sterne ein verlockendes Irrlicht gewesen; nur die finstre Wolke behielt ihre drohende Bedeutung, indem sie den Verrath verbarg, indem sie seine Entwürfe begünstigte. Aus dem dunkeln Schatten der Birken blitzte es plötzlich hellauf, ein Schuß fiel, eine Kugel schwirrte an dem Haupte Rolands vorüber. Mit aller Bitterkeit ergriff ihn die Erkenntniß der Wahrheit.

»Du hattest Recht, alter Warner!« rief er, seine Schritte hemmend und unerschrocken den Feinden entgegenblickend, die jetzt ihren Hinterhalt verließen, um ihn in offenem Felde anzugreifen, »des Kriegers rechte Liebe, von der er nie lassen muß, sind seine Waffen, heran, ihr feigen Schelme, die ihr es nur zu vieren gegen einen wagt! Der Roland von Bremen ist hier, Euch Kampfesrecht und Kriegersitte zu lehren.«

Kühn und mächtig stand er da in seiner athletischen Gestalt, wie ein Held der alten nordischen Sagenzeit. Noch zwei Schüsse fielen, aber auch diese Kugeln verfehlten ihr Ziel und die Dänen, ihrer Uebermacht vertrauend, näherten sich jetzt stürmischer, um im Handgemenge diesem Kampfe, der so wenig Gefahr zu bieten schien, ein Ende zu machen. Da lichtete sich das Gewölk, das die glänzende Scheibe des Mondes bisher verborgen, da verbreitete sich eine Helligkeit, die dem jungen Deutschen die Gestalten seiner Gegner deutlich erkennen ließ. Der Arm, in dem er die Lanze trug, dehnte sich, er zuckte im mächtigen Schwunge, das Wurfgeschoß durchschnitt zischend die Luft und mit einem kläglichen Schmerzgeheul stürzte einer der Angreifenden tödlich getroffen zur Erde. Dieser Unfall hielt die drei Uebrigbleibenden nicht zurück, ihren Plan zu verfolgen. Ohne sich um den röchelnden Waffengefährten am Boden zu kümmern, drangen sie mit einem lauten Geschrei auf Roland ein, der sie festen Fußes erwartete. Aber der erste, der es unternahm, das Schwert gegen ihn zu erheben, mußte dieses Wagstück theuer bezahlen, denn ehe noch seine Waffe fiel, hatte Rolands Dolch, den dieser mit großer Sicherheit nach ihm warf, ihm den Hals durchschnitten, so daß auch er zusammenbrach und nach einem kurzen, dumpfen Stöhnen den Geist aufgab. Jetzt ging Roland gegen die zwei noch übrigen Dänen von der Vertheidigung zum Angriffe über. Mit hoch erhobenem Schwerte sprang er auf sie los; allein das Schicksal ihrer Kameraden hatte sie bereits mit panischer Furcht ergriffen, sie warfen, um leichter auf den Füßen zu seyn, ihre Hackenbüchsen weg und wandten sich zur schleunigsten Flucht. Rolands kriegerischer Sinn war einmal erwacht, die Bitterkeit über einen Verrath, der ihm hier entgegentrat, wo er Liebe und Freundschaft erwartete, reizte ihn zur Rache, Alles drängte ihn, die feigen Meuchelmörder zu verfolgen. Da vernahm er plötzlich eine schreiende Stimme, die seinen Namen nannte, in seinem Rücken und sich hastig umwendend, gewahrte er eine leichte, weiße Gestalt, die mit gerungenen Händen und fliegendem Haare auf ihn zueilte. Es war Lille. Sie sah, wie er im Begriffe stand, den Weg einzuschlagen, den die fliehenden Dänen genommen, sie klammerte sich an ihn fest und ihn ängstlich zurückhaltend, rief sie:

»Nicht dahin, Roland von Bremen! In's Lager lenke deine Schritte. Dort bedarf der Befreier Schwedens treuer Freunde und kräftiger Arme. Mordbrand und Meuchelmord suchen ihre Opfer. Du mußt helfen, du mußt retten. Fort in's Lager!«

Mit der Kraft der Verzweiflung drängte sie ihn nach der Gegend des Lagers hin, das, eine dunkle, schweigende Masse, die weite Ebene umkränzte. Ihre Züge waren entstellt, ihre Augen rollten wild unter dem flatternden Haar, das über Antlitz und Nacken niederfiel. Sie zog, sie drängte an Roland, sie sah ihn bald bittend, bald flehend an.

»Wie?« entgegnete Roland, noch über jenen verrätherischen Angriff empört: »diese feigen Buben soll ich entrinnen lassen, sie sollen der gerechten Strafe ihres Schelmenstücks entgehn?«

»Ein Höherer als du, der Mann, von dem Schweden Alles erwartet, steht in diesem Augenblicke am Abgrunde des Verderbens und ist verloren, wenn du länger zögerst!« versetzte, immer angstvoll treibend, Lille. »Soll ich dir noch einmal sagen, daß der Mord das Zelt Gustav Wasas umschleicht, daß er ihm schon nahe ist, daß er mit dem Dolche schon nach seinem Herzen zielt?«

»Unmöglich!« rief Roland, das Mädchen mißverstehend. »So konnte Ignotus mein Vertrauen nicht täuschen, er ist nimmer der Bösewicht, der ein Unterpfand der Freundschaft zu einem Verbrechen an Recht und Pflicht mißbraucht.«

»Nicht Ignotus, nicht dein Freund!« jammerte Lille. »Er hat den Ring, den du mir übergabst, gar nicht gesehn. Erasmus Fontanus bemächtigte sich seiner, als er mich in seinem Hause entdeckte, als er mich in einen finstern Keller einsperrte. Mit höllischer List wußte man es dahin zu bringen, daß ich selbst ihm und seinen Genossen den Weg aus der Stadt zeigte. Sie schleppten mich fort, sie ließen mich in tiefer Ohnmacht auf dem feuchten Grunde einer Höhle liegen. Als ich erwachte, vernahm ich ihre entsetzlichen Anschläge. Dich wollte man durch den Ring aus der Nähe Gustav's locken, in dir ihn eines treuen Beschützers berauben. Arndt Ornflykt, der Verräther, und Erasmus Fontanus sind die Urheber des Anschlag's – doch fort, fort! Zögre keinen Augenblick länger, schon glimmt die Glut und wird bald zur verderblichen Flamme aufschlagen, schon glänzen die Schwerter durch die Nacht, die Getreuen setzen ihr Leben ein, Claudianus, armer Claudianus, dein Loos ist erfüllt, deine treue Brust durchbohrt, die Mächte der Unterwelt haben ihr Spiel gewonnen – ich selbst, Lille, die dein Leben mit dem ihrigen erkaufen möchte, führt den Tod zu dir heran! Du bist verloren; der Strömkarl frohlockt!«

Sie verbarg das fieberhaft erglühende Antlitz in ihre Hände, sie schluchzte laut, sie würde, von dem Sturme ihrer Empfindungen überwältigt, zu Boden gesunken seyn, wenn nicht Roland sie unterstützt hätte.

»Und Margaretha?« fragte dieser, von einer sehr natürlichen Besorgniß um die Geliebte ergriffen, indem er forschende Blicke nach dem, noch immer in düstrer Stille ruhenden Lager, warf. »Hast du sie aufgefunden, hast du sie gesehn?«

»Triff den Erasmus Fontanus und du triffst ihren Räuber, ihren Kerkermeister!« antwortete, sich gewaltsam aufrichtend, das Mädchen. »Denke jetzt nicht an sie, denke nur an Gustav Wasa und die Gefahr, die über seinem Haupte schwebt. Ein gutes Geschick bewahrt dir die Braut und vereinigt sie mit dir. Doch blick' auf! Siehe dorthin! Wasa's Feinde sind geschäftiger, als seine Freunde. Hoch wirbelt die Flammensäule empor, der Verrath tritt aus der Nacht hervor, der Mord schwingt seinen Dolch.«

In diesem Augenblicke erhellte ein plötzlich ausbrechendes Feuer den weiten Raum, den das Lager umschloß. Dumpfes Getöse drang durch die Nacht herüber, einzelne Büchsenschüsse folgten schnell auf einander, verwirrte, kreischende Stimmen tönten fern her.

»Glaubst du mir jetzt?« rief außer sich Lille. »Wirst du noch länger zaudern, dem Freunde, dem Gebieter zu Hülfe zu eilen?«

Aber derjenige, an den sie diese Worte richtete, vernahm sie schon nicht mehr. Im wüthenden Laufe, mit Sprüngen, welche denjenigen einer Löwin glichen, die dem bedroheten Lager ihrer Jungen zueilt, flog Roland über die Ebene hin. Wie ein luftiger Schatten schwebte das Mädchen, durch einen weiten Raum von ihm getrennt, ihm nach. Er sprang über Gräben und Erhöhungen, kein Hinderniß konnte seinen stürmischen Lauf hemmen, Besorgniß, Unwille und Muth hatten sich seines ganzen Wesens bemeistert. Jetzt schlug das Waffengetöse, jetzt trafen wilde Stimmen vernehmlicher an sein Ohr. Er erreichte die erste Zeltgasse; bei dem Feuerschein, der sich immer weiter verbreitete, erkannte er einen dunkeln Haufen Streitender, der sich dem Ausgange des Lagers zudrängte. Bald war er mitten unter ihnen, bald stand er in der vordern Reihe der Schweden, dem Erasmus Fontanus gegenüber, der sich, nachdem durch den Widerstand, durch die heldenmüthige Aufopferung einiger Wenigen, sein Anschlag vereitelt worden, an der Spitze seiner Gefährten im verzweiflungsvollen Kampfe durchzuschlagen bemühete. Als er Roland Doneldey erblickte, war es, als lähme ein Blitzstrahl seine Glieder. Das Schwert entsank seiner Hand, seine Arme fielen schlaff hernieder, einige Schweden, die auf ihn eindrangen, bemächtigten sich seiner ohne Widerstand. Der Geist Minderhout's trat ihm mit Roland entgegen, die entkräftende Mahnung an ein dunkles Verbrechen lieferte ihn in die Gewalt seiner Feinde.

Schon waren die meisten seiner Gefährten den Streichen einer immer noch wachsenden Uebermacht erlegen. Die übrigen warfen die Waffen weg und ergaben sich der Gnade des Siegers; nur einer von ihnen vertheidigte sich, obschon aus mehreren Wunden blutend, mit einem Muthe, der einer bessern Sache würdig gewesen wäre. Er verschmähen jedes Anerbieten von Schonung, er reizte die Wuth der Gegner mit höhnenden Worten. Es war Arndt Ornflykt. Er suchte den Tod eines Soldaten, um einer entehrenden Strafe zu entgehn. Mehrere der ihn umgebenden Schweden kannten ihn; sein Name wurde unter Verwünschungen genannt. Da kreuzte sich Rolands Schwert mit dem seinigen, dieses fiel zerbrochen zur Erde und ehe es ihm gelang, den Dolch zu ziehen und, wie es seine Absicht war, sich selbst den Tod zu geben, hatte ihn Rolands kräftige Hand ergriffen und den Gefangenen den Umstehenden zugeschleudert.

»Verwahrt ihn wohl!« rief der junge Deutsche. »Sein Leben ist dem Henker verfallen; das Schwert eines ehrlichen Kriegsmannes darf sich nicht mit seinem Blute besudeln.«

Indessen hatte man sich des Feuers bemeistert und seinen weitern Fortschritten Einhalt gethan. Aber ein trauriger Anblick erwartete Roland vor dem Zelte des Reichsvorstehers. Hier fand er, in ihrem Blute schwimmend, von unzählichen Wunden durchbohrt, die Leichen des Claudianus und des Rasmus Jute. Als das Feuer zum Ausbruche gekommen, das die unter dem Schutze der Nacht einschleichenden Dänen angelegt, als dieses, Schreck und Verwirrung im Lager veranlassend, einen großen Theil der plötzlich aus ihrer Ruhe aufgeschreckten Krieger in eine entfernte Gegend gerufen hatte, und die lauernden Mordbrenner, diesen Augenblick wahrnehmend, den Aufenthalt Gustav's bestürmten: da standen ihnen Anfangs nur Claudianus und Jute allein entgegen und wiesen den Sturm zurück, indem sie heldenmüthig ihr Leben opferten. Ohne ihren Muth, ohne ihre Standhaftigkeit wäre ein Anschlag, der Schwedens Freiheit in ihrer Blüthe zu vernichten drohete, gelungen. Aber sie kämpften mit begeisterter Anstrengung, bis Hülfe von Freunden kam, bis eine Macht sich versammelte, welche die Horde des Fontanus zum Rückzuge nöthigte. Dann aber war ihre letzte Kraft erschöpft, sie sanken im gleichen Augenblicke zur Erde, im gleichen Augenblicke verlöschte der Tod die Lebensfackeln der Blutbrüder. Der Bund, der in mitternächtiger Stunde, im Thale des Styggforsen geschlossen worden, hatte seine Erfüllung gefunden.

Roland stand in trauriges Sinnen verloren vor den zwei Freunden, die ihm das Geschick so tückisch und unerwartet geraubt, als ein herzdurchschneidendes Angstgeschrei ertönte, Lille mit verzweiflungsvoller Gebehrde vor seinem Blicke vorüberschwebte und neben dem blutigen Leichname des Claudianus niedersank. Sie umfaßte ihn mit bebenden Händen, sie blickte starr in das bleiche, leblose Angesicht. Dann sprang sie mit einemmale wieder auf, legte bedeutungsvoll einen Finger auf den Mund, lauschte hinaus in die Nacht und sprach, Roland Doneldey forschend anblickend:

»Hörst du nichts? Vernimmst du nicht den Schritt der Sjöra, die ernst und gewaltig durch die Nacht herankommt? Auf mich hat sie es abgesehen, sie will meine Brautführerin seyn zur Hochzeit mit dem Strömkarl, sie ruft, sie verlangt nach mir. Wer kann da widerstehn? Das Band des Lebens ist zerrissen, die Welt ist todt, aber die Geister leben ewig und ihrer Macht ist Alles unterthan. Fort, fort! Die Sjöra darf nicht warten, das Hochzeithaus nicht bleiben ohne die Braut.«

Mit Windeseile huschte sie zwischen den Zeltgassen hin und war bald im Schatten der Nacht verschwunden. Roland würde ihr nachgeeilt seyn, um sie von irgend einer That der Verzweiflung zurückzuhalten, wenn ihn nicht das ernste, unwiderstehliche Gebot seiner Pflicht in die Nähe des Reichsvorstehers gerufen hätte. Diesen fand er auf einem freien Platze, in der Mitte des Lagers, von seinen Hauptleuten umgeben. Als er den herbeieilenden Roland erblickte, rief er diesem zu:

»Wie nun, mein Freund? Hätten wir ein solches Schelmenstück, eine Felonie, die sich um den Preis, welchen der ehrlose Christian von Dänemark auf mein Haupt gesetzt, bewirbt, wohl von Severin Norby erwarten können? Er nennt sich den ritterlichen, wie oft hat er mich nicht versichern lassen, daß er meine Person liebe und ehre, wenn er auch unsre Sache bekämpfen müsse, und dennoch würdigt er sich so tief herab, daß er Mordbrenner und Meuchelmörder gegen uns aussendet!«

»Ihr irrt, edler Herr!« versetzte hastig Roland. »Severin Norby ist in der That eines solchen Bubenstücks unfähig. Vergönnt mir ein kurzes Gehör und ich glaube im Stande zu seyn, Euch alle Fäden dieses schwarzen Complott's, das ohne sein Wissen gebildet worden, offen darzulegen.«

Diese Unterredung, zu welcher sich Gustav Wasa und Roland Doneldey in ein nahes Zelt begaben, hatte keine weitern Zeugen. Ehe sie zu Ende war, erhob sich die Sonne über dem bewegten Wellenspiegel der See. Sie fand alle Truppen des Lagers in kriegerischer Ordnung aufgestellt, bereit, einen weitern Angriff der Feinde, auf den man sich nach dem abentheuerlichen Ereignisse der Nacht gefaßt hielt, kräftig und entschlossen zurückzuweisen. Allein die Stille, welche in der belagerten Stadt herrschte, die Nachrichten, welche die ausgesandten Kundschafter zurückbrachten, trugen einen so durchaus friedlichen Character, daß den Kriegern gestattet wurde, sich in ihre Gezelte zurückzuziehn und nur die gewöhnlichen, zur Sicherung des Lagers nothwendigen Wachen auf ihren Posten blieben.



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