Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.


Ja, Herr, verläumdet wurden wir,
Doch der uns haßt, der droht auch dir,
Im Stillen spinnt er seine Rache:
Drum auf, aus deiner Ruh' erwache!

Wir wissen, daß der Bergvogt von Falun, Nils Westgöthe, sich hartnäckig jeder Aufforderung der Bergleute, den eingestürzten Gang, der Roland begraben, wieder zu eröffnen, entgegengesetzt hatte. Er wandte ein, daß jede Hülfe ohnehin zu spät komme, daß die Wassermasse hinter den Trümmern jetzt so sehr angeschwollen seyn müsse, daß ein großer Theil des Bergwerkes durch sie zu Grunde gehen könne, und daß demnach ihm seine Pflicht nicht erlaube, eines nutzlosen Rettungsversuches wegen das Eigenthum der Krone in Gefahr zu setzen. Als er vernahm, daß Roland dennoch aus seinem Grabe erlöset worden, und daß bei diesem Werke sich der fremde Bergmann, der erst seit einigen Tagen in die Reihe der Grubenarbeiter eingetreten, besonders thätig erwiesen habe, knirschte er vor Wuth und gelobte, neben dem Verderben, das er über Doneldey zu bringen sich vorbehielt, auch dem Bergmann Swend – wie dieser sich nannte – bei der ersten Gelegenheit schwere Rache. Er wußte, daß über diese Begebenheit verschiedene Gerüchte zu seinem Nachtheile im Umlauf waren, er beschloß daher; sich für die ersten Tage in seiner Wohnung zurückgezogen zu halten, um nicht irgend etwas Unangenehmes hören oder sich über die Sache genau aussprechen zu müssen.

An dem Nachmittage eines dieser Tage saß er in seinem Kabinette und betrachtete mit großer Aufmerksamkeit eine Stufe Kupfererz, die vor ihm auf dem Tische lag. Sie glänzte in wunderbaren Farben, weißliches und grünliches Geäder zog sich hindurch, in röthlichen Säulen zeigte sich der starke Kupfergehalt.

»Noch nie,« sprach Westgöthe, indem er die Stufe aufhob und an das Licht hielt, »habe ich ein Stück Erz gesehen, daß so reich an Arsenik wäre, wie dieses. Der Hüttenmeister soll es mir ausscheiden und wohl gepulvert zurückgeben. Man weiß nicht, wie man dergleichen gebrauchen kann zu seiner Zeit. Wäre ich damals, als Martha Jute zu laut wurde und stumm gemacht werden mußte, mit einem solchen Mittel, einem andern Schweigen aufzuerlegen, versehen gewesen, so wäre ihr Blut nicht am Siljan geflossen, so wäre ihre Leiche nicht aus dem treulosen See wieder an's Licht gekommen, so hätte ihr toller Bruder keinen Verdacht auf mich geworfen und stände mir nicht nach dem Leben. Die Natur sorgt in allen Dingen freundlich für uns, wir wissen aber ihre Gaben nicht immer richtig zu ergreifen und anzuwenden. Wie sie verständig in das Erz, das so vielen Menschen eine Quelle des Erwerbs und des Wohlstandes ist, auch zugleich eine vernichtende Macht einschiebt, die, klug benutzt, das unmöglich Scheinende möglich machen, Hindernisse, welche allen andern Anstrengungen trotzten, aus dem Wege räumen, Plane gelingen machen kann, an denen man verzweifelte, die man schon aufzugeben gesonnen war. Roland Doneldey und Rasmus Jute! Wer weiß, wie bald mir die Gelegenheit günstig ist, Euch einen Schlaftrunk zu mischen, der in dem einen mich von einem gefährlichen Nebenbuhler, in dem andern mich von einem Todfeinde befreit!«

In diesem Augenblicke wurden von einem vertrauten Diener, der allein das Recht besaß, den Vogt in der Zurückgezogenheit, der er sich ergeben hatte, zu stören, zwei Fremde, ein Mann und eine Frau, gemeldet, welche Herrn Nils Westgöthe in einer höchst wichtigen Angelegenheit zu sprechen verlangten. Auf seine nähere Erkundigung erfuhr er, daß die Fremden erst heute mit einer Herde Lappländer, welche die Verwüstungen der Stürme und Wetter aus den Hochgebirgen vertrieben, in Falun angelangt seyen, daß beider Kleidung Leute von Stand und Reichthum verrathe und die Frau noch jung und mit allen Reizen weiblicher Schönheit begabt sey. Ein solcher Besuch in Falun gehörte zu den außerordentlichen Begebenheiten, die sich nur höchst selten ereigneten. Das Wunderbare der Sache, die Erwähnung der Schönheit, welche die Frau auszeichnen sollte, bestimmten den Bergvogt sogleich, den Fremden den Eintritt zu gestatten.

Es war Erasmus Fontanus und Frau Virginia, welche wenige Augenblicke hierauf durch den Diener eingeführt, in dem Gemache des Bergvogts erschienen. Die reizende Flammländerin trat mit dem Anscheine einer Schüchternheit, einer Befangenheit ein, welche die natürlichen Vorzüge ihrer körperlichen Bildung noch erhöheten. Sie schlug sittsam die Augen zur Erde, sie näherte sich mit kleinen, zögernden Schritten, während der fahrende Schüler seinen Mangel an seiner Erziehung, seine eingewohnte Rohheit vergebens unter einer linkisch ausfallenden Ritterlichkeit, unter einem durchaus verunglückenden Scheine vornehmen Anstandes zu verbergen suchte. Nils Westgöthe, der seine Jünglingsjahre am dänischen Hofe zugebracht hatte, erkannte sogleich seinen Mann und daß er das nicht sey, wofür er gelten wolle. Er nöthigte mit freundlichem Anstande die schöne Frau, sich neben ihn zu setzen; er wies mit abgemessener Würde dem Studenten einen Platz gegenüber an.

»Wir kommen, bei Euch Schutz und Hülfe zu suchen, edler Herr,« eröffnete dieser mit einiger Verlegenheit das Gespräch. »Wir sind Leute, welche, von boshaften, habsüchtigen Menschen verfolgt, dem Hungertode preisgegeben waren und nun endlich, nach unsäglichen Beschwerden, nach vielfachen Entbehrungen und Gefahren der schrecklichsten Art wieder menschliche Wohnungen, wieder ein Land betreten haben, wo sie ein weises Gesetz, einen weisen Richter um Beistand ansprechen können. Wir bedürfen um so mehr des Schutzes, da wir einen der Veranlasser unsers Unglücks, einen unsrer tückischen Feinde unerwartet hier wieder fanden.«

»Hier, in Dalarne?« versetzte überrascht der Vogt. »Nach Euern Reden zu schließen, wurdet Ihr in einer andern, entlegenen Gegend durch Eure Feinde mißhandelt! Wie kann sich einer von diesen unter unsern friedlichen Thalleuten vorfinden?«

»Es ist kein Schwede, von dem ich rede,« erwiederte Erasmus, »es ist ein Deutscher, Roland von Bremen oder Roland Doneldey genannt.«

»Roland Doneldey!« rief in großer Bewegung Nils Westgöthe. »Ihr seyd mir willkommen, wenn Eure Anklage diesen trifft! An diesen übermüthigen Gesellen habe auch ich eine Schuld abzutragen und wenn wir beide diese Forderungen zusammen vereinigen, so wird er schwer büßen müssen in Strafe und Vergeltung.«

Nichts konnte dem rachsüchtigen Vogte willkommener seyn, als eine Gelegenheit, unter dem Vorwande eines gesetzlichen Verfahrens Roland in seine Gewalt zu bekommen und als bevollmächtigter Richter, im Namen des Königs, ihm gegenüberzustehn. Was brauchte er dann noch zu Gift oder zu irgend einer andern gewaltthätigen Handlung seine Zuflucht zu nehmen? Das Gesetz berechtigte ihn, den verhaßten Nebenbuhler zu verfolgen, und dieses nach seiner Willkür, nach seinen Wünschen auszulegen, konnte es einem so listigen Manne, wie Westgöthen, nicht an Mitteln gebrechen. Frau Virginia erkannte recht wohl die Freude, mit der er die noch kaum laut gewordener Anklage Doneldey's aufnahm und setzte nun, eines schützenden und hülfreichen Gönners gewiß, die Mittheilung des fahrenden Schülers fort.

»Wir befanden uns auf einem norwegischen Schiffe,« nahm sie mit schüchterner Stimme das Wort, »um aus einem deutschen Hafen nach Drontheim zu reisen, wo mich und meinen nun in Gott seligen ersten Eheherrn, Jonas Minderhout, wichtige Geschäfte hinriefen. Auch jener Roland Doneldey, der Euch, edler Herr, wie ich vernehme, nicht unbekannt ist, war unter den Reisenden und ein Vertrauter des Capitäns. Wir hatten erst wenige Tagereisen zurückgelegt, als Herr Jonas Minderhout plötzlich ersiechte und nach einem kurzen Krankenlager verschied. Welche Thränen mich dieser Verlust kostete, wie ich mich nun elend und jammervoll als eine verlassene Wittwe fühlte, könnt Ihr Euch leicht denken, edler Herr!« Einige Thränen rannen bei diesen Worten über die Wangen der schönen Frau, während die feuchten, glänzenden Augen bedeutungsvoll den Bergvogt trafen. »Aber,« fuhr sie, nach einem schweren Seufzer, fort, »ich war doch nicht so ganz verlassen, wie ich Anfangs fürchtete. Dieser treue Freund,« hier zeigte Virginia auf ihren Begleiter, »dem auch schon der verewigte Jonas sein ganzes Vertrauen geschenkt, den er geliebt wie einen Bruder, nahm sich meiner an und schützte mich gegen die Anmaßungen roher Menschen, besonders des Schiffscapitäns und seines saubern Genossen Roland. Seine Redlichkeit und meine ernste Zurückweisung erbitterten sie endlich so, das in tiefer Dunkelheit ein schwarzer Plan zu unserm Verderben ausgebrütet wurde. Oft schon hatte ich bemerkt, daß des Capitäns Blicke gierig auf den Ballen und Kisten ruheten, welche mein nicht unbedeutendes Besitzthum enthielten. Ich hielt ihn aber doch nicht für so gewissenlos, daß er nach der Habe einer Witwe seine Hand ausstrecken würde. Wer aber ermißt den bösen Sinn solcher Menschen, die nicht einmal das Unglück ehren? Wir ahneten kein Arg, als die Reise mehrere Tage über die anberaumte Frist dauerte, als noch eine Woche verlief und wir den Hafen von Drontheim nicht erblickten, wohl aber eine Gruppe öder, einsamer und unbewohnter Inseln. Hier war die Stelle, wo der Capitän und Alle, die sich mit ihm gegen uns verschworen hatten, ihr verbrecherisches Unternehmen ausführten. In der Nacht sah ich mich gewaltsam in meinem Zimmer überfallen. Man ließ mir kaum Zeit, mich anzukleiden, man spottete und lachte meiner Thränen, meiner Klagen. Ich wurde auf das Verdeck gebracht, hier fand ich diesen Freund, dem man gleiches Schicksal mit mir bestimmte. Man zwang uns, in ein Boot zu steigen, man warf uns einige unbedeutende Habseligkeiten hinab, während man uns der kostbarsten und werthvollsten Dinge beraubte, man setzte uns auf eine einsame Insel aus, wo man wahrscheinlich hoffte, wir würden, bald von Hunger und Kummer verzehrt, unsre Anklage mit in das Jenseits nehmen.«

»Und Roland Doneldey befand sich unter den Räubern?« fragte begierig, als wolle er sich dieses Umstandes recht versichern, der Bergvogt.

»Er war am Bord des Drontheimer Schiffes, auf dem uns dieses Schicksal bereitet wurde,« versetzte mit niedergeschlagenem Blicke die schöne Flammländerin. »Unsre Lage war entsetzlich. Noch lag die Insel, auf die man uns gebracht, mit hohem Schnee bedeckt, Eisschollen spielten an der Küste, Wallfische und andre Seeungeheuer umschwärmten sie. Wir waren der Verzweiflung nahe, als wir eine in die Erde gegrabene Hütte entdeckten, die zwar keine Bewohner enthielt, aber, was uns damals am Nöthigsten war, einen Vorrath gedörrter Fische und einiger andrer Lebensmittel, der wahrscheinlich von Fischern hier für ihre, wie wir hofften, baldige Rückkehr aufgespeichert worden war. Diese Entdeckung belebte uns mit neuem Vertrauen auf die Zukunft. Ich will Euch, edler Herr, nicht ermüden mit der Aufzählung alles dessen, was wir zu erdulden hatten. Endlich kam die Stunde unsrer Rettung. Der Unschuldige sollte nicht als Opfer des Verbrechens fallen. Gutmüthige Lappländer, arme Leute, die in der Küstenfischerei ihren Unterhalt fanden, landeten an der Küste. Meinem Freunde war es gelungen, eine wohl versehene Geldbörse der Habsucht jener Räuber zu entziehen. Gegen ein geringes Geschenk brachten uns die wackern Lappländer an das feste Land. Nun durchzogen wir im Geleite andrer ihrer Landsleute die hohe Gebirgskette des Nordens. Ihr könnt denken, edler Herr, welche Beschwerden, welche Mühseligkeiten ein schwaches Weib, wie ich, zu erdulden hatte! Doch that man Alles, meine Lage zu erleichtern. Man hüllte mich in den Rennthierschlitten mit warmen Pelzen ein, man erwies mir die größte Ehrerbietung. Alles dieses hatte ich meinem Freunde zu verdanken, der große und geheimnisvolle Kenntnisse in der Heilkunst besitzt und von den Lappen, denen er durch seine Kunst einige wichtige Dienste erwiesen, für einen großen Zaubrer gehalten wurde; so gelangten wir endlich in die Nähe dieses Landes. Da ereigneten sich in den Gebirgen plötzlich außerordentliche Dinge. Felsengipfel stürzten ein, die Gewässer traten aus, dann fiel ein dichter Schnee, der Alles zu begraben drohete, und in einem schrecklichen Froste erstarrte Alles zu Eis. Wir flohen tiefer hinab, wir betraten diese Thäler. Da hatte mein Freund, Herr Erasmus Fontanus, unerwartet Gelegenheit jenen Roland von Bremen zu entdecken, ihn zu beobachten bei einer Zusammenkunft, welche dieses Land mit Verrath und Verderben bedroht, in der Gesellschaft eines Mannes, der unbekannt in Eurer eigenen Nähe weilt, edler Herr, auf dessen strafwürdiges Haupt aber bereits von der wachenden Gerechtigkeit ein ansehnlicher Preis gesetzt worden ist.«

»Und wer wäre das?« fuhr hastig Nils Westgöthe empor. »Wer könnte meinem Scharfblicke entgangen seyn, der dem Könige verdächtig schiene, der als ein Hochverräther verfolgt würde?«

»Gustav Wasa!« sagte keck und bestimmt der fahrende Schüler. »Er selbst nannte seinen Namen. Nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen, die Schweden gegen ihren rechtmäßigen König Christian aufzuregen, irrte er, verfolgt und in schlechte Kleidung gehüllt, in den Bergen und Wäldern umher. Aber jetzt kann er seinem Richter nicht mehr entgehn. Ihr habt ihn in der Falle. Als Grubenarbeiter in den Bergwerken von Falun glaubt er unentdeckt auf neuen Verrath sinnen zu können. Ja, Herr Bergvogt, Ihr zählt ihn in diesem Augenblicke zu Euern Untergebenen.«

»So ist es kein anderer, als Swend!« rief im höchsten Grade überrascht und erregt Westgöthe. »Zum Himmel, es ist kein andrer! Wo hatte ich meine Augen, das ich nicht gleich erkannte, wie ein gemeiner Bergmann nicht so zierlich seine Worte zu setzen vermöge, nicht diesen fast ritterlichen Anstand besitzen könne!«

Er trat rasch zur Thüre und rief den im Vorgemache harrenden Diener.

»Bescheide sogleich den schwarzen Henz herauf!« beauftragte er diesen. »Er soll jede Arbeit liegen lassen und wenn es auch die wichtigste wäre, um sogleich meinen Willen, welcher eine höchst eilige Sache beträfe, zu vernehmen!«

Nachdenkend ging er einige Male im Zimmer auf und nieder. Dann näherte er sich Frau Virginien mit einer Freundlichkeit, welche ihr bewies, daß ihre Reize nicht ohne Eindruck auf sein empfängliches Herz geblieben waren, und sagte:

»Die Entdeckung Eures Freundes, schöne Frau, wägt schwerer in der Wagschale, die zu Rolands Nachtheil sinken dürfte, als Eure Anklage. Für diese fehlt es Euch an Zeugen und sie müßte vor das Thalgericht gebracht werden, in dem ich keine Stimme habe und wo die Aeltesten der Thalmänner selbst das Richteramt üben. Roland Doneldey aber zählt viele Freunde unter den Dalekarlen, er ist der Neffe des Pfarrers von Mora, dem die ganze Thalgemeinde mit Leib und Leben ergeben ist und wer weiß, welcher Spruch zu Euerm Nachtheile wegen fälschlicher Beschuldigung am Ende von solchen Richtern gefällt werden würde. Als Genosse eines Hochverräthers, als geheimer Anhänger dieses geächteten Gustav Wasa's steht er jedoch unter meinem Gerichte. Heute sind dänische Krieger hier angelangt, um den Flüchtling aufzusuchen. Verhält sich Alles, wie die Aussage Eures Freundes mich hoffen läßt, so ist er in der nächsten Stunde ein Gefangener und wir theilen den Preiß, den König Christian ausgesetzt hat. Für Bestrafung des Buben Roland, für Rache an ihm laßt dann mich sorgen. Sie soll Euch in reichem Maße werden. Ich selbst habe abzurechnen mit ihm und ich versichre Euch, ich schenke ihm nichts an Strafe des Uebermuthes und der Frevel.«

Erasmus Fontanus vernahm mit Unbehagen das Theilungsprojekt des Vogtes, da er glaubte, den Sündenlohn für den Verrath an einem unglücklichen Verfolgten allein verdient zu haben; doch blieb ihm nichts übrig, als sich in den Willen des mächtigen Mannes, dessen Schutz ihm nothwendig schien, zu fügen und sich sogar noch höchst zufrieden mit dieser Einrichtung zu zeigen. Die schöne Flammländerin hoffte indessen noch ganz besondere Beweise von der Gunst des Vogtes erhalten zu können, die jenen Verlust reichlich ersetzen dürften.

»Das Schicksal hat auf eine entsetzliche Weise mich zu einem Gegenstande seiner Tücken gemacht;« hob sie aufs Neue in einem klagenden Tone an. »Einsam in die Welt hinausgeworfen, würde ich keinen Trost für die Gegenwart, keine Hoffnung für die Zukunft haben, wenn nicht in Herrn Erasmus Fontanus ein bewährter, unschätzbarer Freund mir zur Seite stände. Ich fühle, daß ich ihn nicht mehr entbehren kann auf meiner Lebensbahn, daß ich ohne diese Stütze ein schwankes Rohr bin, jedem Sturme preisgegeben. Ach, das Loos einer Wittwe ist ein sehr trauriges und niemand kann es ihr verdenken, wenn sie in ihrer hülflosen Lage nach einem festen Stabe greift, der sie weiter durch das Daseyn geleitet! So habe ich mich denn entschlossen, diesem wackern Freunde, nach Ablauf des Trauerjahrs, dessen treuliche Beobachtung ich dem Gedächtnisse des Herrn Jonas schuldig bin, meine Hand zu reichen und mein Lebensglück ganz ihm zu vertrauen, der es zu sichern wissen wird.«

Sie schlug bescheiden die Augen zu Boden, sie hatte dieses Geständniß unter einem Anscheine von Blödigkeit abgelegt, der ihr eine neue Anmuth verlieh. Nils Westgöthe betrachtete sie jetzt mit größerer Theilnahme, als bisher. Es dünkte ihm ganz angenehm, die Einsamkeit seines Hauses in Falun für einige Zeit mit zwei Gästen zu beleben, die ihm in mancherlei Bedeutung dienen konnten. Er sah ein, das die schöne Virginia sich wohl geneigt finden dürfte, seine Huldigungen anzunehmen, in dem Studenten Fontanus glaubte er einen Mann gefunden zu haben, der einen etwaigen Keim zur Eifersucht leicht seinem Interesse opfern, der, ohne große Bedenklichkeit, sich zu Geschäften, die ein weites Gewissen erheischten, brauchen lassen würde. Die Erscheinung Gustav Wasa's in Dalarne, sein Verhältniß zu Roland von Bremen, seine Absicht auf Margaretha Böchower versetzten ihn in eine schwierige Lage, in der er verschmitzter, weltkluger Gehülfen bedurfte. Der schwarze Henz war ihm zwar auf den Tod ergeben, aber ihm mangelte die Erfahrung, die Gewandtheit, die jetzt in Bewegung gesetzt werden mußten. In Frau Virginia und ihrem Begleiter schien ihm sein gutes Glück gerade solche Leute zu schicken, wie er sie nöthig hatte. Schon durchkreuzten sich die mannichfaltigsten Entwürfe in seinem Kopfe, die kluge Flammländerin – denn daß sie eine ungewöhnliche weibliche List besaß, hatte er schon erkannt – zu einer Mittelsperson zwischen sich und Margarethen zu machen, Rolanden durch verläumdrische Märchen aus deren Herzen zu verdrängen und hundert andre Dinge, die ihm selbst jetzt noch nicht ganz klar waren.

Erasmus Fontanus mochte von dem, was in des Bergvogts Innerm vorging, eine Ahnung haben. Er trat zu ihm, faßte mit zudringlicher Vertraulichkeit, die Westgöthe unbehaglich duldete, seine Hand und sprach:

»Es gibt der Fälle im Leben genug, wo, wie das Sprichwort sagt, eine Hand die andere waschen kann. In mir werdet Ihr stets einen bereitwilligen Diener finden, wenn es gegen einen Euerer Feinde gilt. Es ist jenen Räubern nicht gelungen, uns so ganz arm zu machen, wie es in ihrer Absicht lag. Wir brauchen niemanden zur Last zu fallen, wir können noch selbst für unsre Bedürfnisse sorgen. Nur an einem mächtigen Gönner, einem kräftigen Beschützer fehlte es uns noch, und den glauben wir in Euch gefunden zu haben, edler Herr!«

»Ihr irrt Euch nicht!« versetzte, indem er seine Rede aber mehr an Virginia, als an Erasmus Fontanus richtete, der Bergvogt. »Es dürften sich mancherlei Verhältnisse gestalten, in denen wir einander gegenseitig von Nutzen seyn könnten. Laßt uns ruhig Alles erwarten, Alles kaltblütig überlegen. Kommt aber der rechte Augenblick zum Handeln, so dürfen wir auch nicht bedenklich seyn in der Wahl unsrer Mittel, wenn sie nur zum Ziele führen.«

»Ganz recht!« entgegnete mit einem widrigen Lächeln der fahrende Schüler, der den Bergvogt zu verstehen glaubte. Er deutete auf die Erzstufe, in der er den reichen Arsenikgehalt erkannte, und fuhr fort: »Warum sollten wir im Nothfalle nicht den Muth besitzen, anzuwenden, was uns die Natur gewiß nicht zwecklos beut? Man könnte behaupten, es wäre Undank gegen sie, wenn man ihre Gaben zu benutzen verschmähete.«

Indessen hatte der Diener den Auftrag, welchen ihm Nils Westgöthe ertheilt, ausgerichtet. Er kehrte in der Gesellschaft des schwarzen Henz zurück, der demüthig an der Thüre des Zimmers, die listigen Blicke unter den buschigten Augenbraunen lauernd nach den Fremden sendend, stehen blieb. Der Bergvogt gebot dem Diener, sich zu entfernen und winkte den schwarzen Henz näher.

»In welcher Grube arbeitet heute Swend, der fremde Bergmann,« fragte hastig, »der so eifrig bemüht war, jenem gefangenen Vogel die Thüre seines Käfichts wieder zu eröffnen? Du mußt ihn sogleich heraufschaffen und unter guter Bedeckung in die Vogtei bringen lassen. Er ist ein verkappter Hochverräther, sein Haupt ist vervehmt, sein Leben dem Gesetze verfallen.«

»So hat er den Wolf gewittert, der auf seiner Fährte lauert;« erwiederte finster der schwarze Henz. »Heute morgen fehlte er beim Abrufe der Grubenarbeiter, man will ihn gestern Abend mit Rasmus Jute gesehen haben, wie beide mit eiligen Schritten den Bergpfad in die Wälder einschlugen.«

»Verwünscht!« rief erblassend Nils Westgöthe, den jede Erwähnung seines Todfeindes Jute, der wie ein Geist der Rache ihm auf seinen Lebenspfaden entgegentrat, gleich einem Blitze in die Seele traf. »Es ist gewiß, daß er durch diesen Elenden gewarnt worden, daß er, unsrer höhnend, sich der Gefahr noch zu guter Zeit entzogen hat. Aber man soll Späher das ganze Thalland durchziehen lassen. Eilboten müssen zu den Dänen gesandt werden, daß eine bedeutende Kriegsmacht hier versammelt werde. In Dalarne soll dieser tollkühne Hochverräther das Ziel seiner verbrecherischen Entwürfe finden.«

»Ich sah einen dritten Mann mit ihm und Roland von Bremen;« bemerkte Fontanus. »Groß und von kriegerischer Haltung! Es mag wohl kein andrer gewesen seyn, als dieser Rasmus Jute!«

»Er war es!« sprach sehr bestimmt der Bergvogt: »denn wo mir etwas Unangenehmes, meinen Plänen Hinderliches in den Weg tritt, da kann ich darauf rechnen, daß dieser boshafte Landstreicher, der nirgends eine bleibende Stätte hat, im Spiele ist. Wehe ihm, wehe Jedem, der es mit dem geächteten Verbrecher hält! Die Zeit ist gekommen, wo auch die Langmuth, die man bisher in diesem Thallande gezeigt, zu Ende gehen muß. In aller Strenge muß das Gesetz erscheinen, damit man es fürchten lernt. Ihr seht,« wandte er sich zu Fontanus, »die Verhältnisse verwirren sich, es bereiten sich Begebenheiten vor, zu deren glücklichen Ausgange Muth und Klugheit aufgeboten werden müssen. Ich rechne auf Euch; ich darf Euch für Eure Thätigkeit den Dank der Regierung, reiche Belohnung und weitere Anerkennung versprechen. Ihr und diese treffliche Dame mögt Euch indessen als Gäste meines Hauses betrachten. Jetzt ermahnt mich die Pflicht, Alles aufzubieten, des Geächteten, den ich Kurzsichtiger schon in meiner Gewalt besaß, wieder habhaft zu werden. Dann wollen wir überlegen, was sonst zu thun ist. Ein neues Leben hebt jetzt in diesen Thälern an. Eine solche Regsamkeit, nach langer Unthätigkeit, erfrischt, sie gibt dem Daseyn Bedeutung und, wie wir mit Vertrauen hoffen können, trägt sie in der Zukunft ihre reiche Frucht.«

Der Student sah Herrn Nils Westgöthe, der sich jetzt in der Begleitung des schwarzen Henz eilig entfernte, mit einem spöttischen Lächeln nach. Dann sprach er zu Frau Virginia, in deren ganzem Wesen sich die vollkommenste Zufriedenheit über das Gelingen ihres Planes, über diesen neuen Sieg ihrer Reize darlegte, in einem höhnischen Tone:

»Die Menschen bleiben sich gleich von dem Gestade, wo der Feuerwein des Vesuv's wächst, bis zum Nordkap, wo der Eisbär seine Wohnung aufschlägt. Dieser Thor prahlt mit der Erfüllung seiner Pflichten, indem er nur die Befriedigung seiner eigenen Habsucht im Auge hat; er gibt vor, seinem Könige zu dienen, während er nichts andere ist, als ein Sklave der Leidenschaften, die ihn beherrschen. Immerhin! An uns ist es, solche Schwächen zu durchschauen und zu gebrauchen, wo sie uns gut dünken. Je mehr er uns als Mittel zu seinen Zwecken ansieht, desto blinder geht er in die Schlingen, welche wir ihm stellen.«

Frau Virginia stand vor einem Spiegel und musterte, mit großem Wohlgefallen an ihrer zierlichen Gestalt, ihren Anzug. Sie sah sich schon als die unbeschränkte Gebieterin des Bergvogts und durch diesen als die bedeutendste Person in ganz Dalarne an. Mit der bittersten Empfindung dachte sie an Roland von Bremen zurück, der nicht allein ihr Wohlwollen verschmäht, der sich selbst als ihren Gegner gezeigt hatte. Jetzt glaubte sie die Gelegenheit gefunden zu haben, ihn zu demüthigen, jene Beleidigungen schwer zu ahnden. Aber aus der Tiefe ihrer Seele stieg zwischen diesen frohen Empfindungen der Gegenwart, ein trübes, mahnendes Bild hervor, das die Züge des unglücklichen Jonas Minderhout trug. Zitternd ergriff sie die Hand ihres Begleiters, und sagte mit seltsam bewegter Stimme:

»Laß uns die Zimmer aufsuchen, welche wir bewohnen sollen. Ich muß Beschäftigung, ich muß Zerstreuung haben. Der Geist Minderhout's wird wieder lebendig in mir.«

Bestürzt führte sie Erasmus Fontanus hinweg. Auch ihn durchbebte bei der Erinnerung an Herrn Jonas ein eisiger Schauer, den er vergebens durch Trotz, durch rohes Hinwegleugnen vor seinem innern Richter, zu bewältigen suchte.



 << zurück weiter >>