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Siebentes Kapitel.


Mord, Mord – entsetzliches Verbrechen,
Hinweg die Sünder! Schuld steckt an.
Der Himmel will die Gräulthat rächen, –
Die Mörder fort aus unsrer Bahn!

Wir würden fürchten die Geduld unsrer Leser zu ermüden, wenn wir ihnen in chronologischer Genauigkeit die Bilder der Stürme vorführen wollten, welche im Laufe der folgenden Tage das stattliche Schiff des Drontheimer Capitäns eines großen Theils seines Takelwerks beraubten, es weit gen Norden hinauf verschlugen und in eine so mißliche Lage versetzten, daß der wackre Seemann, der es leitete, trotz seiner nautischen Erfahrungen, trotz seines Muthes und seiner Kaltblütigkeit den schlimmsten Befürchtungen in seiner Seele Raum geben mußte. Durch das Aufgebot aller Segel, welche die Concordia zu tragen vermochte, war es dem Capitän gelungen, sein Fahrzeug glücklich aus den Schären oder kleinen Felseninseln an der Küste Norwegens, in deren Nähe das Schiff einem stets drohenden Verderben ausgesetzt war, hinwegzuführen, aber er erkannte nun auch, daß er weit hinauf über seinen Bestimmungsort getrieben worden, daß er, so lange dieser Sturm in seinem Rücken wüthete, an eine Ausbesserung des Schiffes nicht denken konnte, welche durchaus nothwendig erschien, um den Hafen von Drontheim zu erreichen. Dabei zeigte sich eine Verdrossenheit, eine Muthlosigkeit unter der Mannschaft, die Harslö nicht zu erklären wußte. Arbeiten, die sonst, selbst in der gefährlichsten Lage, mit heiterm Muthe, mit Eifer und Lebendigkeit ausgeführt worden, gingen jetzt träge und schleppend von statten, gleichsam als hätten sich die Matrosen überzeugt, daß jede Thätigkeit dennoch überflüssig, daß es vergeblich sey, dieser übermächtigen Empörung der Elemente einen Widerstand entgegenzustellen. Oft versammelten sie sich in kleinen Gruppen auf dem Verdecke, besprachen sich leise mit einander, deuteten finster nach dem Unterdeck oder, wenn der Student Erasmus Fontanus sich oben sehen ließ, auf diesen und in ihren Mienen lag dann immer etwas Scheues, Unheimliches, das die drückende Stimmung, welche sich der ganzen Mannschaft bemächtigt hatte, verrieth. Wenn Roland an diesen Gruppen vorüberging, vernahm er nicht selten, im Tone einer Verwünschung ausgesprochen, den Namen der schönen Flammländerin, die jedoch jetzt nicht ihre Cajüte verließ, auch an dem Mittagstische des Capitäns sich nicht einfand, sondern blos in der Gesellschaft des fahrenden Schülers Trost und Beruhigung in ihrer verlassenen Lage zu finden schien.

Eines Morgens, als unser junger Abentheurer das Verdeck betrat, kam ihm Capitän Harslö mit allen Zeichen innrer Unruhe entgegen.

»Wir sind weit mehr von unserer Bahn verschlagen worden, als ich glaubte,« sagte Harslö. »Seht Ihr dort in gerader Richtung vor uns die Inselreihe, deren schneebedeckte Oberfläche im Lichte der dämmerigen Morgensonne matt erglänzt und wie ein schmutziger Segelstreif über die dunkelgrünen Wogen, die sie bald verstecken, bald sichtbar werden lassen, sich erhebt. Das sind die Lofoden. Wehe uns, wenn dieser Wind, der uns nun schon tagelang zum Spielballe seiner Launen macht, noch wenige Stunden anhält! Unser Steuer ist beschädigt, erlahmt; es vermag nicht gegen den Andrang dieser empörten Wogen den Lauf des Schiffes zu regieren. Unsre besten Segel flattern zerrissen im Winde, Takelwerk und Spieren sind zerstört, sie wären uns auch unnütz in der Gefahr, die uns jetzt bedroht.«

»Muth gefaßt, Capitän Harslö!« unterbrach ihn Roland. »Ein alter Seemann, wie Ihr, darf nicht zagen. Das Schiff selbst ist noch unverletzt, dieser Kiel widersteht noch lange dem Angriffe der Winde.«

»Ihr kennt die Gefahr nicht, der wir entgegengehn;« versetzte kopfschüttelnd der Capitän, »bald aber werdet Ihr sie in den Zügen meiner Matrosen, die sonst nicht so leicht vor einem Seeabentheuer zurückbeben, lesen können. Habt Ihr nie von jenem furchtbaren Strudel gehört, der unter dem Namen des Maelstroms der Schrecken aller Seeleute ist?«

Roland verneinte.

»Er liegt an der südlichen Spitze dieser Inselgruppe,« fuhr Harslö fort, »und wir treiben gerade auf ihn zu. Die Sage des Landes berichtet, daß alle bösen Geister, welche in den heidnischen Zeiten hier geherrscht, bei der Einführung des Christenthums sich in diesen Abgrund geflüchtet haben und von hier aus verderblich nach Menschenopfern, nach Allem ringen, was Unglück oder Unwissenheit in ihre Nähe führen. Eine höllische Macht muß in ihm walten, denn er spottet aller Gesetze der Ebbe und Fluth. Was sich auf eine Meile weit seinem fürchterlichen Wirbel nähert, wird von dessen Kreisen ergriffen, im tollen Tanze herumgeschleudert, in den Trichter der Tiefe hinabgerissen und nach einiger Zeit von diesem wieder ausgespieen, aber zerschmettert, in tausend Trümmern, und gehörte es dem Leben an, als eine furchtbar entstellte Leiche. Dieses Schicksal, mein wackrer junger Freund, bedroht uns und ich sehe nicht, wie wir ihm entgehen wollen. Das Schiff gehorcht keiner Leitung mehr, die Fluth treibt uns den Inseln immer näher und bald werden wir die gierigen Kreise des Maelstroms erblicken.«

»Nichts ist so schlimm, daß es nicht ein Mittel dagegen gäbe, keine Gefahr so groß, daß nicht eine Möglichkeit der Rettung vorhanden wäre;« entgegnete in seinem gewöhnlichen heitern Tone der junge Deutsche. »Laßt den finstern Ignotus sorgen und grübeln, laßt die flammländische Dame zagen und fürchten! Wir wollen den frohen Muth bis zum letzten Augenblicke bewahren und ist es dann nicht anders – müssen wir Seewasser schlucken, so begegnet uns nur, was schon manchem wackern Manne vor uns begegnete. Margaretha ist mein letzter Ruf in das Toben des Strudels, das Paßwort zur Unsterblichkeit! Aber ich glaube, Eure Sorgen sind eitel. Seht, wie der Himmel sich erheitert, wie der Nebel sich von der Sonne losringt!«

»Ob eine helle oder eine trübe Sonne über unserm Todestanze leuchtet, das ist gleichgültig!« antwortete der Capitän. »Die Wellen drängen uns unaufhaltsam dem Unglücke entgegen, die Inseln treten uns immer näher. Wir müssen das Letzte versuchen. Jeder Lappen, jedes Stückchen Leinwand, das noch Wind fangen kann, muß herab!«

Die Pfeife des Hauptmanns rief das Schiffsvolk an Ort und Stelle. Mit mürrischer, übelwollender Miene versammelten sich die Matrosen. Einige alte Seeleute, welche diese Gegenden schon befahren hatten, deuteten nach der Inselgruppe, die vor ihnen lag, und sprachen halblaut ihre Besorgnisse gegen die jüngern Cameraden aus. Der Sturm wüthete noch immer, die bewegten Wellen warfen das Schiff bald auf diese, bald auf jene Seite nieder.

»Alle Segel herab!« erklang jetzt die Stimme des Capitäns. »Kein Lappen, so groß, wie eine Hand, darf in den Spieren bleiben. Reißt Alles herab, daß der Wind frei über den Spiegel streicht.«

Die Befehle des Capitäns wurden befolgt, obgleich mit sichtbarem Verdruße, mit einer Langsamkeit, die den übeln Willen der Mannschaft aussprach.

»Was nur diesen Burschen in ihren Tollköpfen herumgehn mag!« sagte der Capitän zu Roland. »Noch nie habe ich sie so unlenksam, so träge gefunden, wie in diesen Tagen und durch ein strenges Gericht in der Zeit der Gefahr darf ich sie nicht noch mehr erbittern.«

Indessen hatte das eben vollzogene Mannöver keine bemerkbare Veränderung in der Lage des Schiffes hervorgebracht. Es trieb in demselben Maaße der Bewegung vorwärts, wie bisher, bald erhob eine Welle es haushoch, bald sank es wieder tief in den Abgrund, so daß jeder, der sich auf dem Verdeck befand, angespannte Taue, Masten und andre feststehende Gegenstände ergreifen mußte, um nicht vom Bord herab in die salzige Tiefe gespült zu werden. Die Inseln traten von Augenblick zu Augenblick erkennbarer vor das Auge, man konnte die Vertiefungen in den senkrecht absteigenden Felsenwänden, selbst einzelne Bäume, welche ihre Wurzeln in das Gestein geschlagen, genau unterscheiden. An andern Stellen der Küste hatten sich mächtige Eisschollen zu kleinen Bogen angehäuft, unbedeutendere Eisstücke trieben schon um das Schiff. Die bedenklichen Mienen der Seeleute verfinsterten sich noch mehr, als jetzt zwischen diesem Treibeise Trümmer von Schiffstheilen, zerbrochene Masten, Planken und einzelne Stücke von Segeltuch sichtbar wurden.

»Das hat der Höllenschlund des Maelstroms wieder ausgespieen!« raunten die ältern Matrosen einander zu. »Bald packt er auch uns und reißt uns in des alten Seekönigs schwarze Kammer, der aus den Heidenzeiten her dort mit seinen Götzen sitzt und seine Freude hat an Verderben und Vernichtung. Sollen wir das dulden, wenn wir's ändern können?«

In diesem Augenblicke erhob sich der Sturm, der eine kurze Zeit hindurch eine tückische Mässigung gezeigt, mit erneuerter Gewalt. Er rührte das Meer zu ungeheuern Wogen auf, die das Schiff, wie einen Ball fortschleuderten, immer näher der Küste, immer näher dem entsetzlichen Strudel zu. Als spotte der Himmel dieser Empörung in den untern Regionen der Natur, rang sich die Sonne glänzend aus dem Nebel, der sie bedeckt, empor, klärte sich sein Gewölbe zum reinsten Azur auf.

Ignotus stürzte, den Knaben Claudianus gewaltsam mit sich fortziehend, auf das Verdeck.

»Sieh, Knabe,« rief er aus, »dieses Bild eines grausamen, Tücke und Frevel brütenden Heuchlers! Seine Stirn zeigt Wohlgefallen und Liebe, aber in dem Abgrunde des schwarzen Herzens kocht Verrath und blutiger Mord. Hast du schon von einem Könige gehört, der zugleich auch ein Menschenschlächter ist? Er lächelt auf dem Throne, er lächelt im Angesichte des Schaffot's, auf dem er seine Opfer schlachtet. Außen glänzt der Himmel, in der Tiefe des Innern lauert die Hölle. Horch! Ihre Dämonen heulen aus dem Abgrunde. Bald dringen sie herauf, bald strecken sie die gierigen Krallen nach uns aus –«

»Küsten zu beiden Seiten! Die Wirbel des Maelstroms vor uns!« rief mit einer Donnerstimme, die das Heulen des Sturms, das Brausen der Wogen übertönte, ein kühner Matrose, den Capitän Harslö in den Mastkorb geschickt hatte, herab. »Noch zwanzig Takel Länge und er ergreift uns.«

»Alle Anker in See!« fiel, noch ehe er die unheilvolle Nachricht ganz gegeben, der Commandoruf des Capitäns ein. »Wir müssen festliegen, wie ein Felsen. Diese Klippen an den Küsten, diese tolle Wirbel sollen die Concordia noch nicht in Trümmer schlagen!«

Der Trotz der Verzweiflung hatte sich des Capitäns und der Mannschaft bemächtigt. Wie gierige Tiger auf ihre Beute stürzten sie auf die Winden los, von denen an mächtigen Tauen die Anker in See gelassen wurden. Jeder sah ein, daß von dem Erfolg dieser Maaßregel die Möglichkeit der Erhaltung des Schiffes abhing. Die ersten Anker, die man auswarf, hielten nicht, sie mochten auf Felsengrund gerathen seyn und schleiften dem Schiffe nach.

»Hinab den großen Hay!« schrie Harslö. »Hoffentlich beißt der besser an.«

Schon hatte Roland mit einer Kraft, die selbst in dieser Verwirrung Alle erstaunen machte, den großen Anker über Bord gehoben und er schoß jetzt pfeilschnell dem nachrollenden Taue voran in die Tiefe hinab.

»Er packt, er hält!« ertönte es von Aller Munde, indem das Schiff, plötzlich in seinem stürmischen Laufe unterbrochen, mit einer mächtigen Schwankung rückwärts bog und dann, sich kräftig wieder aufrichtend, von den Wellen vergebens bedrängt, in einer schaukelnden Bewegung liegen blieb. Die Matrosen sahen einander mit der Zufriedenheit von Menschen, die einen großen Sieg errungen haben, an. Jeder schien freier zu athmen, jeder frische Hoffnung, frischen Lebensmuth zu schöpfen. Dennoch war das Schiff noch nicht gerettet, nur erhalten für den Augenblick. Man lag am Rande des furchtbaren, meilenweit um sich greifenden Maelstroms, dessen weitesten Ring man deutlich erblicken konnte, dessen kleinere wild wüthende Wirbelkreise zwischen den Klippen, die hier in unzähliger Menge ausgestreut lagen, Berge von sonnebeglänztem Silberschaum emporsandten. Unaufhörlich erbebte das Tau, erdröhnten die Planken unter dem Anstürmen der Winde und der Wogen. Eine plötzliche, gewaltigere Anstrengung des Sturmes, als die bisherigen, konnte mit einemmale das Tau, wie einen dünnen Faden zerreißen, das Schiff in den Wirbeltanz des schrecklichen Strudels schleudern. »Wir haben unsre Schuldigkeit gethan, wie es wackern Männern und erfahrnen Seeleuten, die nicht zum erstenmale auf salzigem Wasser ihre Hände rühren, geziemt;« wandte sich Capitän Harslö jetzt an seine Leute. »Was weiter gethan werden kann, müssen wir der Entscheidung Dessen anheimstellen, dessen Wink den Winden gebietet und die Wogen regiert.«

»Er wird das Schiff die Sünden derjenigen entgelten lassen, die auf ihm weilen;« murmelte ein alter Matrose in sich hinein. »Noch nie habe ich gehört, daß ein Sturm das Fahrzeug verlassen, das Verbrecher an Bord hat. Hinaus mit dem Sündenballast! Warum sollen die Schuldlosen mit den Schuldigen gerichtet werden?«

Capitän Harslö sah den Sprechenden überrascht und erstaunt an. Er wollte ihm eben eine nähere Erklärung seiner Worte abfordern, als sich plötzlich, ohne daß ein heftigerer Wind- oder Wellenstoß Anlaß gegeben hätte, das Schiff auf einer Seite so hoch erhob, daß mehrere von den Seeleuten zu Boden stürzten, andre bis zu Gegenständen zurücktaumelten, die ihnen einen festen Haltpunkt boten. Der Capitän und einige Matrosen klammerten sich an die Gallerie und blickten über diese hinab nach der Ursache des wunderlichen Ereignisses.

»Die große Seeschlange!« riefen einige im Tone des Entsetzens.

»Der Kraaken!« schrieen andre.

Nach wenigen Augenblicken aber lös'te sich das Räthsel dieser seltsamen Begebenheit, indem unter dem Hintertheile des Schiffes der Kopf eines mächtigen Wallfisches hervortrat, der mit einem Theile seines Leibes am Kiele hingestreift war. Nur das Getöse des Sturmes, das entsetzliche Rauschen des nahegelegenen Maelstroms und die Aufmerksamkeit auf ihre eigene Lage konnte der Mannschaft der Concordia die Annäherung dieses Seeungeheuers verborgen haben. Jetzt schoß er aus den Luftlöchern des gewaltigen Kopfes zwei hoch aufspritzende Wasserstrahlen empor, die das Hinterdeck der Concordia überströmten, dann zeigte er sich nach und nach ganz, während das Schiff nach mannigfachen Erschütterungen seine frühere Lage wieder einnahm, auf den schäumenden Wellen, die er, einer schwimmenden Insel gleich, in bogenförmigen Bewegungen durchschnitt.

»Wo sind die Harpunen?« schrie der größte Theil der jungen Seeleute, die, außer dem Wallfisch, Alles um sich her vergessend, vor Begierde nach einer Jagd brannten, die sie bis jetzt nur aus den Erzählungen ihre erfahrneren Cameraden kannten. »Harpunen her! Der Bursche darf uns nicht entgehn.«

»Ruhe!« gebot des Capitäns allenthalben vernehmbare Stimme. »Welcher Thor möchte hier die Jagd auf einen Wallfisch unternehmen, der seinen Weg gerade einer Stelle zulenkt, die Allem, was in ihren Bereich kommt, unvermeidliches Verderben bringt. Jeder an seinen Posten! In wenigen Augenblicken werdet Ihr seyn, wie der Maelstrom mit seinen Opfern verfährt. Das mächtige Thier berührt gleich seine Kreise, die Jagd des Strudels ist sichrer, als die unsrige.«

Roland sprang auf das Cajütendach, indem er sich an einem niederhängenden Tauende hielt. Sein scharfes Auge folgte jeder Bewegung des noch sorglos dahinziehenden Seeriesen. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo er den äußersten der Kreise des Maelstroms, der mit seinen Wirbeln ein eigenes, von dem allgemeinen Gange der Wogen abgeschlossenes Gebiet bildete, berührte. Das Thier schien noch keine Gefahr zu ahnen. Es gab sich der Macht dieses ersten, noch langsam, aber doch gewaltig ergreifenden Ringes, wie einem Spiele, hin. Seine Wasserstrahlen schossen hoch aus der Fluth empor, sein Schweif peitschte diese zu Hügeln aufsteigenden Schaumes. Plötzlich aber fühlte er sich von der Gewalt eines unwiderstehlich hinreißenden zweiten Kreises ergriffen, er mochte die Verletzungen der Klippen, an die er geworfen wurde, schmerzlich empfinden, er spie noch höhersteigende Wasserstrahlen aus, er schlug heftiger mit dem ungeheuern Schweif in die Wogen, er bemühete sich nun der Gefahr, die er erkannte, durch eine rasche Wendung zu entgehn. Aber der Strudel hielt ihn fest in seinem Bereiche. Jede Anstrengung war vergebens, immer rascher wurde das widerstrebende Thier in den tollen Wirbeltanz fortgerissen, sein Blut färbte den weißen Schaum der kräuselnden Wellen, sein ungeheurer Leib dehnte sich in krampfhaften Bewegungen. Bald war er den engern, wildern Kreisen des Strudels heimgefallen. Wie einen schwarzen Punkt sah ihn Roland noch einigemale aus diesem emportauchen, dann ertönte ein furchtbares, jedes Getöse, welches die empörte Natur in diesem Augenblicke erzeugte, weit überschallendes Geheul, das Thier, welches noch vor kurzem, als eine schwimmende Insel den Ocean durchfurcht, war verschwunden, eine Beute der vernichtenden Macht des Maelstroms geworden.

Das Schiffsvolk der Concordia stand, während dieses Schauspiels, in ein stummes, düstres Staunen verloren. Drohte nicht ihm ein gleiches gräßliches Schicksal, konnte es diesem nicht unerrettbar schon im nächsten Augenblicke preisgegeben seyn, wenn der noch immer steigende Sturm das Ankertau zerriß, wenn die empörtern Wogen den Anker selbst aus dem Felsengrunde aufwühlten? Die Mienen der Männer wurden finstrer, vorwurfsvolle Blicke fielen auf den Capitän, mürrisch starrten einige ältere, in der strengen Beobachtung des Dienstes ergrauete Matrosen, auf den Strudel. Niemand konnte sich bergen, daß der Sturm, der das Schiff auf den schäumenden Wellen hin und her tanzen machte, einen furchtbaren Grad der Gewalt erreicht habe, daß nun menschliche Anstrengung nichts mehr vermöge, daß der Hand der Vorsehung allein die Lenkung ihres Geschickes heimgefallen sey.

Unter diesen Umständen betrat ganz unerwartet Frau Virginia Minderhout, begleitet von dem Studenten Erasmus Fontanus, das Verdeck. Sie schien beruhigt und gefaßt, ein sanftes Roth bedeckte wieder ihre Wangen und selbst jenes verführerische Augenspiel, das sie so gern geltend machte, zeigte sich wiederum mit der alten Lebendigkeit. Ihre Blicke schweiften über das Verdeck, über die empörten Wogen hin, dann wandte sie sich lächelnd und mit zärtlichem Geflüster zu ihrem Begleiter, in dem wieder erwachenden Gefühle ihres Leichtsinnes alle noch so ernst drohende Gefahr vergessend. Erasmus sah mit dem Eigendünkel, der ihn gewöhnlich zu beseelen schien, auf sie und das Schiffsvolk herab. Ein Ausdruck des Hohnes trat auf seine Züge, als die Seeleute in Blicken und Gebehrden unverhohlen ihren Widerwillen gegen das Paar, an den Tag legten.

Da sonderte sich ein alter Matrose von dem Haufen, der sich an ihn gereiht hatte, ab, näherte sich dem Capitän und sprach mit einer seemännischen Verbeugung in ehrfurchtsvollem, aber entschlossenem Tone:

»Capitän Harslö, ich segle nun schon seit mehr als fünfzig Jahren in diesen Gewässern, aber ein so hartnäckiger Sturm, wie dieser, hat noch nie in meinem Takelwerke gewüthet. Den schickt nicht die Natur, den schickt ein Höherer als ein gerechtes Strafgericht. An den Küsten Norwegens bricht sich jeder Sturm binnen achtundvierzig Stunden, uns treibt er nun schon über acht Tage lang aus dem Fahrwasser und will uns durchaus in den Maelstrom drängen, um ein schweres Verbrechen, das am Borde der Concordia begangen worden, zu ahnden. Ja, Capitän, ein schweres, fluchwürdiges Verbrechen hat statt gefunden, die Lebensfahrt eines armen Mannes ist gewaltthätig beendet worden und ich und alle meine Cameraden, wir klagen die fremde Frau und den Mann, der so trotzig und keck dort neben ihr steht, dieses Verbrechens an.«

»Nils, was fällt dir ein?« versetzte im höchsten Grade betroffen der Capitän. »Du hast dich immer als einen wackern, treuen Burschen gezeigt, ich will nicht hoffen, daß du in deinen alten Tagen einer Meuterei die Hand bietest!«

»Wir achten unsern Capitän und folgen seinen Befehlen, bis das letzte Tau am Lebensanker reißt;« erwiederte der alte Seemann. »Meuterei liegt unsern Gedanken fern, aber Capitän Harslö wird auch nicht wollen, daß wir als unschuldige Leute die Strafe für die Frevelthaten andrer miterdulden sollen. Die Concordia hatte guten Wind und offenes Fahrwasser bis an dem Tage, wo der holländische Passagier starb und sein Grab in der großen nassen Kammer erhielt. Ich habt seine Leiche gesehn und untersucht, ich war es, der Euch sagte, daß sein Lebensschiff auf den Strand gelaufen sey und nicht mehr flott gemacht werden könne. Aber auch damals schon schien mir sein plötzlicher Tod bedenklich. Seine Hände waren in einandergekrampft, wie die eines Menschen, der unter großen Anstrengungen erlegen ist, am Halse zeigten sich einige blaue Flecken, wie man sie wohl bei einem Ringen oder einem Faustkampfe erhält. Ich schwieg aber, denn womit hätte ich damals meinen Verdacht weiter rechtfertigen können? Jetzt ist es ein andres. Der Himmel, das Meer, die Winde sind selbst zu Anklägern geworden und rufen Mord und sammeln Verderben über der Concordia, so lange noch die Verbrecher an ihrem Borde weilen. Wir haben uns besprochen, Capitän Harslö, ich und meine Cameraden, und sie haben mich zum Vertreter unsrer Sache gewählt. Wir seyn, daß alles menschliche Thun vergebens ist, wir seyn den Untergang vor Augen, wir haben nur noch eine Hoffnung, den Höllengeistern, die dort gierig auf ihre Beute lauern, zu entgehn. Die Mörderin und der Mörder müssen vom Bord entfernt werden. Dann sollt Ihr seyn, daß der Sturm schweigt, daß die Wellen sich beruhigen, daß die Concordia noch sicher einläuft in den Hafen von Drontheim.«

»Wir Alle meinen es so?« rief der Haufe der Seeleute, die hinter dem Redner standen. »Fort mit den Mördern! Die Concordia muß frei seyn von Blutschuld, dann ziehn ihre Segel wieder stolz über das Meer.«

Capitän Harslö betrachtete finster die Gruppen, die sich vor ihm versammelt hatten. Der größte Theil der Mannschaft bestand aus gesetzten, verheiratheten Männern, die gewiß in ihrer Verpflichtung gegen Weib und Kind eine unerschütterliche Ursache fanden, auf ihrem Begehren zu beharren. Der Befehlshaber sah ein, daß er ohne ihren guten Willen, selbst wenn auch eine günstige Veränderung in der Lage des Schiffs einträte, nicht auf eine glückliche Fortsetzung der Reise rechnen dürfe. Dann war auch er jenem Aberglauben der Seeleute unterworfen, welcher in diesem Augenblicke die Handlungsweise seiner Untergebenen leitete. Er konnte sich nicht läugnen, daß die junge Flammländerin und der Student selbst durch ihr tadelnswürdiges Benehmen das Mißfallen, den Argwohn der Seeleute veranlaßt hatten. Die gräßliche Anklage, welche sich jetzt gegen sie erhoben, mochte er nicht entscheiden. Freilich hatte auch sie einen gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit für sich, freilich standen ihm, von der in ihrer Gegenwart erhobenen Beschuldigung schwer getroffen, zitternd und erbleichend Frau Virginia und Erasmus, gleich überführten Verbrechern, gegenüber; aber dennoch beschloß er, noch einen Versuch zu wagen, die Mannschaft von ihrem Verlangen abzubringen. Indem er sich hierzu anschickte, trat jedoch plötzlich ein Ereigniß ein, das seinen Absichten unerwartet entgegenwirkte und die Aufregung des Schiffsvolkes, seinen Trotz und seine Erbittrung auf die Gegenstände der Anklage vermehrte.

Ignotus war mit wilden Gebehrden und flammenden Blicken auf eine Erhöhung gesprungen und überschauete hier, seltsam und irr aussehend, das Ganze. Er hatte Claudianus nach sich gezogen, er hielt den bebenden, todtenblassen Knaben mit gewaltiger, unwiderstehlicher Kraft an seiner Seite. Sein Auge traf zornsprühend auf Virginia und Erasmus, dann flog es nach den Seeleuten, die im Eifer ihres Beginnens eine drohende Stellung gegen das Paar angenommen hatten.

»Ein Gottesgericht! Ein Gottesgericht!« rief er mit schneidender, durchdringender Stimme von seinem hohen Standpunkte herab. »Die Erkenntniß der Sünde ist lebendig geworden in den Einfältigen und durch sie geht Er in's Gericht mit den Sündern. Seht, sie sind gezeichnet, das Bewußtseyn der Schuld verkündigt sich in dem bleichen Antlitze, in dem scheuen Blicke, in dem Hinsterben jeder geistigen Kraft! Wehe mir, daß ich diese Zeichen kenne, daß sie sich tief und schmerzlich in meine Seele eingegraben haben! Mord, Mord! Verruchte Empörung gegen alles Heilige in der Schöpfung, gegen Gott, der das Leben verliehen, gegen die mütterliche Erde, gegen das holde Tageslicht, die es genährt und gepflegt, gegen das innige Band, das Menschen an Menschen knüpft! Das Verbrechen ist so ungeheuer, daß wir zurückschaudern vor seiner Entdeckung, das wir diese gern dem Himmel überlassen. Aber er hat gesprochen, er hat es offenbart im Donner und Blitze, im Sturme und Wetter, er hat es offenbart durch den Mund dieses Knaben, ihm selbst unbewußt, in der Rede des Traumes, die ich belauschte, als der arme Knabe von schrecklichen Bildern gepeinigt, willenlos aussprach, was er gern verborgen hätte. Aber die Zeit ist gekommen zu sprechen, Claudianus! Rede hier vor Allen, entdecke was du weißt, lade durch Verheimlichung nicht auch auf deine Seele die Theilnahme an schwerer Blutschuld, oder, Bube,« setzte er in wilder Aufwallung und indem er den Arm des Claudianus heftig preßte, hinzu, »ich, der Todfeind des Mordes, sein geschworener Widersacher, zermalme dich!«

»Ihr sollt mir den Knaben nicht mißhandeln!« rief in diesem Augenblicke mit stark erhobener Stimme Roland und schwang sich neben Ignotus auf jenen erhöheten Platz. Ein gewaltiger Griff seiner Rechten befreiete den Claudianus aus den Händen des Dänen, der den unerwarteten Vermittler wild anstarrte, ohne jedoch weiter Etwas gegen ihn zu unternehmen. »Er mag sprechen, wenn er will,« fuhr indessen Roland fort, »er soll aber ungezwungen sein Geständniß ablegen, niemand wage ihm nahe zu treten, wenn er das Geheimniß, von dem Ihr sprecht, fort und fort in seiner Brust bewahren will!«

Unter dem Schiffsvolke wurde ein lautes Murren vernehmlich, denn die plötzliche Erscheinung des Knaben Claudianus, als eines Zeugen in dieser Angelegenheit, war allen von zu großer Bedeutung, als daß sie auf dem Punkte, wo die Sache jetzt stand, seine Aussage hätten missen mögen. Jedermann hatte die Bestürzung bemerkt, von der Erasmus Fontanus während der Rede des Ignotus ergriffen worden, jedermann erwartete aus dem Munde des Knaben ein Zeugniß, das jeden Zweifel, der noch über der Frevelthat waltete, lösen mußte.

»Ich will reden;« stöhnte jetzt aus tiefer Brust der Knabe und Alles ward still ringsum und der Student und Frau Virginia blickten angstvoll, in großer Bewegung, einander an. »Ich habe geschwiegen, weil ich wähnte, die Dankbarkeit gebiete mir zu schweigen, aber das Mitwissen eines verbrecherischen Anschlags drückt zu schwer in der Brust, als daß ich es länger ertragen könnte, ohne es auszusprechen, die Gerichte Gottes verkünden sich allmächtig und seine Stimme gebietet mir im Rollen des Donners, im Brausen des Sturmes, Alles zu entdecken.«

Die Seeleute drängten sich begierig näher nach der Stelle, auf der Claudianus stand. Virginia sank entkräftet auf eine Bank, der fahrende Schüler bemühete sich vergebens, eine entschlossene, trotzige Miene zu zeigen. Mit bebender, gepreßter Stimme fuhr der Knabe fort:

»Oft war ich bei dem verstorbenen Herrn Jonas Minderhout allein, verkürzte ihm die Zeit mit allerlei Erzählungen aus dem Alterthume oder sang ihm, worüber er gern einschlief, ein Lied zur Zitter vor. Es traf sich auch wohl, daß ich ihm den Abendtrunk bereitete, den er meist schon im halben Schlummer genoß. Da nahm mich eines Abends mein damaliger Meister, Herr Erasmus Fontanus, bei Seite, drückte mir eine Phiole mit einer grünlich aussehenden Flüssigkeit in die Hand und sagte unruhig und geheimnisvoll: ›Pennal, es gibt ein Geschäft für dich! Wenn du dem Herrn Jonas den Abendtrunk einrührst, so mische unbemerkt diese Arznei hinzu. Es ist ein wirksames Mittel gegen seine Schwermuth, das er nur aus Thorheit zu nehmen verschmäht und Frau Virginia will es ihm deshalb heimlich beibringen.‹ Ich ahnete noch kein Arg, ich nahm das Glas aus seiner Hand, allein der Zufall oder vielmehr mein guter Engel wollte, daß es mir entglitt, am Boden zersprang und dort seinen Inhalt verschüttete. Mein Meister lärmte und tobte, er wußte seines Zornes kein Ende zu finden, weil er nun die Arznei noch einmal machen müsse, was mit großer Mühe und schweren Kosten verknüpft sey. Ich aber solle dann auch keinen Augenblick säumen, den Herrn Jonas unvermerkt damit zu bedienen. Indessen war ein Hund herbeigekommen und hatte von der verschütteten Flüssigkeit Einiges aufgeleckt. Gleich darauf begann er dumpf und schmerzlich zu heulen, verfiel in Zuckungen und starb.«

»Crabb, mein armer Crabb!« unterbrach ihn hier des Steuermanns Stimme. »Sie haben dich vergiftet, das treueste Thier, das je einem Seemann auf seinen Fahrten gefolgt ist. Wenn in der Treue eines Hundes einiger Werth liegt, so heult auch der Sturm um deinetwegen, so drängen auch um deinetwegen die Fluthen uns zum Maelstrom.«

»Ich sah nun Alles klar;« fuhr, nach dieser kurzen Unterbrechung, erregter der Knabe fort; »ich erinnerte mich des Heimlichthuns zwischen der Frau Minderhout und meinem Meister, ihres vertraulichen Wesens und einiger Aeußerungen des Herrn Fontanus, wie doch derjenige sehr glücklich seyn würde, der die Schätze des alten grämlichen Kaufherrn besäße. Ach, ich konnte nicht zweifeln, das man mich zum Werkzeuge eines schrecklichen Verbrechens hatte machen wollen! Da fiel ich dem Meister zu Füßen und beschwor ihn bei seinem Seelenheile, von einer solchen Frevelthat abzustehn, da sagte ich ihm, daß ich in jeder Sache ihm dienen wolle, aber in dieser nicht könne. Er wurde wüthend und trat mich mit Füßen. Er behauptete, die Arznei sey nur einem Thiere nachtheilig, aber dem Menschen bringe sie Nutzen. Als ich dennoch widerstand und endlich vor den Ausbrüchen seiner Wuth entfloh, verfolgte er mich mit gezücktem Schwerte und würde mich ermordet haben, wenn nicht Herr Roland von Bremen als mein großmüthiger Beschützer aufgetreten wäre.«

»So ist es;« nahm dieser das Wort. »Der Knabe stürzte in großer Beängstigung auf das Verdeck, derjenige, den er seinen Meister nennt, schwang in blinder Wuth den Degen über seinem Haupte.«

Der Student, der bisher niedergebeugt und gedrückt gestanden, ermannte sich. Er erkannte die Gefahr seiner Lage, nur im starren Läugnen glaubte er eine Aussicht auf Rettung zu finden.

»Alles Verläumdung und falsche Anklage!« rief er in einem Tone, dem er vergebens Stärke und Bestimmtheit zu leihen suchte. »Der Bube läßt seine Tücke an mir aus, weil ich seinen Nichtswürdigkeiten nicht in Allem zu Willen gewesen; der andre unterstützt ihn, um ihn als seinen Diener an sich zu locken.«

»Wie, Bösewicht,« versetzte heftig Roland, indem er von der Erhöhung herabstieg, sich dem fahrenden Schüler näherte und seine Hand an's Schwert legte, »mich wagst du der Lüge zu zeihen? Nimm ein Schwert zur Hand und ich will dir Antwort geben, wie du es verdienst.«

»Ruhe! Ruhe!« schrieen mehrere ältere Matrosen, indem sie sich zwischen beide drängten. »Es ist genug an einem Morde, das Schiff soll nicht durch einen zweiten noch mehr den Zorn des Himmels auf sich laden.«

»Fort mit dem Verbrecher und seiner Genossin!« riefen andre. »Ihre Schuld ist erwiesen, warum sollen wir die Strafe ihrer Sünden theilen?«

Der Kreis, welchen die Seeleute um das zitternde Paar bildeten, schloß sich enger und enger. Viele Arme erhoben sich drohend und schienen bereit, die laut ausgesprochene Absicht des Schiffsvolks in's Werk zu setzen und die Bedrängten über Bord zu werfen. Mit Gebehrden der Verzweiflung sank Frau Virginia auf die Kniee und erhob bittend die Hände nach den Matrosen. Sprechen konnte sie nicht, die Zunge versagte ihr den Dienst, ihre Brust war wie zugeschnürt. Aber die Seeleute blieben unempfindlich bei diesem Anblicke, die eigene Noth beherrschte sie mit unerschütterlicher Kraft, man griff nach der Knieenden, man bemächtigte sich des Studenten, dessen durch Furcht und Zagen schon gelähmter Widerstand leicht zu überwinden war.

»Zurück!« ertönte da mit einemmale im Tone des unwiderstehlichen Gebots die Stimme des Capitäns. Mit kräftigen Armen theilte er die Menge und stand ernst und mit finsterm Blicke Gehorsam erheischend in ihrer Mitte. Die Gewohnheit behauptete ihr Recht über die erregten Seemänner. Sie wichen ehrerbietig aus, sie erwarteten in Stille die weitere Mittheilungen des Capitäns. »Was wollt Ihr thun?« fuhr er mit strengem Ausdruck in Rede und Gebehrde fort. »Ihr, die Ihr Euch zu Richtern andrer berufen glaubt, wollt Euch selbst mit Verbrechen beladen? Wenn Euch die unselige That erwiesen dünkt, wenn Ihr Euch überzeugt fühlt, daß die Gegenwart dieser Beiden das Unglück der Concordia veranlaßt, so entfernt sie meinhalb von dem Schiffe, setzt sie aus an irgend eine Küste mit all ihrer Habe, aber macht Euch nicht selbst als ihre Mörder, als Räuber ihres Eigenthumes geltend. Wer von Euch hat den Muth, sie im leichten Boote dort an das Ufer der kleinen Insel in Westen zu führen? Das Boot geht unter dem Winde, aber Wellen und Klippen bieten selbst dem kühnsten Seemanne noch Schwierigkeiten genug.«

»Ich, ich!« erklang es aus zwanzig Kehlen. Zugleich wurden viele Hände geschäftig das Boot hinabzulassen, einige Seeleute eilten unter Deck, um das Eigenthum der Frau Virginia und des Studenten heraufzuschaffen. Die schöne Flammländerin, jetzt ein Bild der Verzweiflung und für den Menschenkenner auch eins des bösen Gewissens, wand sich convulsivisch zu den Füßen des Capitäns.

»Ich kann nichts für Euch thun!« sagte dieser finster. »Lenkt Euer Gebet zu Gott, er sieht in Euer Herz und wird Euch richten nach seiner ewigen Gerechtigkeit.«

Das Boot war hinabgelassen, nur mit großer Anstrengung konnten die Matrosen, die es schon bestiegen, verhindern, daß es die Wellen nicht an dem gewölbten Bauche der Concordia zerschlugen. Bald hatte es auch die Habseligkeiten des verbannten Paares eingenommen, auf des Capitäns Befehl wurde ein Vorrath an Lebensmitteln mit eingeschifft und dann bemächtigten sich die Seeleute der ohnmächtigen Flammländerin, um sie, jedoch mit aller Schonung und Behutsamkeit, welche die Rücksicht auf ihr Geschlecht gebot, den bereits im Boote harrenden Männern zu übergeben. Erasmus Fontanus sah seine Sache verloren, allein in einer weniger schrecklichen Weise, als ihn die frühere Lage der Dinge mußte fürchten lassen, auf eine Art, die doch noch immer eine, wenn auch nur schwache Hoffnung auf eine glückliche Wendung seines Schicksals in der Zukunft ließ. Der Anblick des nahen Todes hatte ihn zu Boden gedrückt, der Gedanke, diesem entgangen zu seyn, erhob ihn. Ohne einen Blick auf die Schiffsmannschaft zu werfen, durch deren Reihen er nach der Leiter, die in das Boot hinabführte, schritt, hemmte er seinen Gang, als er an Roland vorüberkam.

»Ihr glaubt mich verloren;« sagte er mit verbissenem Ingrimm zu diesem: »aber der böse Geist, der Euch heute dient, kann mir ein andresmal günstig seyn und auf diese Zeit gelobe ich Euch Rache, Euch und dem verrätherischen Buben Claudianus.«

»Ich bedaure Euch;« versetzte, von einer wahrhaft mitleidigen Empfindung ergriffen, Roland. »Ihr geht einem dunkeln, zweifelhaften Schicksale entgegen: wohl Euch, wenn Ihr es nicht verdient habt.«

Der Student wandte seinen störrischen, finstern Blick von ihm ab und eilte in das Boot. Dieses stieß ab und wurde in wenigen Augenblicken von einigen mächtigen Wellen weit hinweg geschleudert. Bald tauchte es zwischen den grünen, schaumspritzenden Wogen empor, bald verschwand es wieder, durch die empörte Fluth dem Auge entzogen. Die Männer, welche es führten, wußten mit sicherm Blick ihre Bahn zu wählen, mit kräftigem Arm dem Andrange der Wellen zu widerstehn. Bald sah man es vom Borde des Schiffes aus nur noch wie einen kleinen schwarzen Punkt, der sich einer schneebedeckten Inselspitze näherte, bald trat diese vor und es war nun den Blicken der Nachsehenden entschwunden. Aber diese Fahrt würde es nicht so glücklich zurückgelegt haben, wenn nicht, gleichsam im Einverständnisse mit dem Ausspruche des Schiffsvolks gegen die Angeklagten, kurz nachdem diese die Concordia verlassen, die auffallendste Veränderung in den Erscheinungen der Natur vorgegangen wäre. Jeder neue, wiederkehrende Windstoß zeigte sich milder, die Wogen fingen an sich zu beruhigen, die Schwankungen des Schiffes wurden von Augenblick zu Augenblick unbedeutender. Alles verkündete die Rückkehr eines heitern Wetters und die erfahrenen Seeleute sahen voraus, daß im Laufe der nächsten Stunden eine günstige Veränderung des Windes eintreten würde. Alles bewegte sich nun in froher Thätigkeit am Bord der Concordia. Die Segel wurden ausgebessert, Rahen und Tauwerk wieder an Ort und Stelle gebracht. Man vermied, von den Ausgesetzten zu sprechen und ihrer Entfernung den wiederkehrenden Glücksstern zuzuschreiben, allein die gesammte Mannschaft, Capitän Harslö nicht ausgeschlossen, trug die feste Ueberzeugung in sich, daß ohne diese Maßregel das Schiff noch immer dem Verderben, dem nahen Untergange würde preisgegeben seyn. Man blickte nicht mehr mit Besorgniß auf den Strudel, dessen Toben, jetzt da die Winde schwiegen und die Wellen ruhiger gingen, um so wilder und schrecklicher hervortrat; man blickte hoffnungsvoll zurück nach der Himmelsgegend, unter der die ersehnte Heimath mit so vielen lieben und theuern Anziehungspunkten, wie Frau, Kinder, Verwandte und Freunde sind, lag.

Als das Boot mit seiner Bemannung zurückkehrte, fragte niemand nach den verbannten Inselbewohnern. Wenige Blicke, die man wechselte, reichten hin, zu verkünden, das Alles ausgeführt sey, wie man es beabsichtigt, daß jedes Herz sich erleichtert fühlte, von der drückenden Nähe derjenigen befreit zu seyn, denen man glaubte, mit Recht alles Unglück, welches die Fahrt betroffen, zuschreiben zu dürfen. Da wandte sich auch plötzlich, wie man gehofft, der Wind, ein leichter günstiger Nordwest erhob sich und die Pfeife des Capitäns, der ungeduldig diesen Augenblick erwartet, rief jeden an seine Stelle. Die Anker wurden gelichtet, die Segel aufgehißt und, unter dem Jubel der Mannschaft, schwebte stolz der anmuthige Bau der Concordia aus der Nähe des gefährlichen Maelstroms hinweg, nach der untern Küste von Norwegen, dem Hafen von Drontheim zu.



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