Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.


Nacht war es, die auf seinem Geiste lag:
Da kam die Liebe und es wurde Tag.

Die Kathedrale von Drontheim, der alten Residenz der ehemaligen Könige von Norwegen, wurde in jener Zeit, welcher die Begebenheiten dieser Erzählung angehören, von den Bewohnern des Nordens für ein Wunder der Welt gehalten. Selbst nachdem zehn Jahre später eine Feuersbrunst den größten Theil des majestätischen Bau's verwüstete, blieb in dem unverletzten Chor noch ein Raum, der nicht allein zum Gottesdienste mehr als hinreichend war, sondern außerdem noch die Versammlungsplätze des Landstings und andrer öffentlichen Behörden enthielt. Das ganze großartige Gebäude ist von dunkelm Marmor aufgeführt, ein Zeuge alterthümlicher Pracht und Kunst, der untergegangenen Beharrlichkeit unsrer Altvordern in solchen Werken. Damals zeigte es noch allen Prunk, allen Glanz, worin der Katholicismus seine äußere Würde sucht, worin er ein irdisches, sinnebefangendes Band zwischen dem geistigen Heiligthume der Lehre und der materiellen Begehrlichkeit des Menschen zu bilden strebt. Die Altäre in den weiten Gängen waren mit Heiligenbildern geschmückt, kostbare Monstranzen und anderer glänzender Kirchenschmuck traten allenthalben dem Blicke entgegen, durch die bunt gemalten Bogenfenster fiel ein dämmerndes Licht, das den mächtigen Räumen jenes mystische Grauen verlieh, welches die Seele empfänglicher für höhere Einwirkungen, für jene Gefühle stimmt, die sie den ewig waltenden Himmelsgeist ahnungsvoll erkennen läßt.

In einem der düstersten und abgelegensten Gänge dieses Doms finden wir unsern jungen Freund, Roland von Bremen, in Gesellschaft des Knaben Claudianus wieder. Die Concordia hatte ohne weitere Unfälle den heimathlichen Hafen erreicht. Die Mannschaft und die Passagiere trennten sich unter herzlichen Glückwünschen für die Zukunft von einander, Capitän Harslö empfahl beim Scheiden seinem Lieblinge Roland Behutsamkeit und Vorsicht auf dem gefährlichen Wege, den er über die mächtigen Grenzgebirge nach Schweden einzuschlagen gedachte. Claudianus hatte sich nun bestimmt, dem jungen Deutschen sich ganz und gar anzuschließen. Wir sehen ihn ganz verändert, keck und muthig, in kriegerischer Haltung neben Roland hinschreiten. Er gleicht in seinem ganzen Wesen jetzt einem jungen Edelknaben, der die Farben seines ritterlichen Gebieters trägt, der diesen in Haltung und Benehmen nachzuahmen sucht. Rolands kühne, edle Weise im äußern Leben und Handeln, sein hülfereiches Wohlwollen hatten einen unwiderstehlichen Eindruck auf das unverdorbene Herz des Knaben gemacht. Dieser erkannte nun vollkommen, das er lange in einer traurigen Täuschung gelebt habe, daß ihn der Student Erasmus Fontanus einem Abgrunde zugeführt, in welchem er, ohne die wunderliche Umgestaltung der Dinge, hätte untergehen müssen. Mit jedem Tage gewann er an Geschick in Waffenwerken, deren Uebung Roland, seiner Gelehrigkeit sich erfreuend, eifrig mit ihm fortsetzte. Er wollte nun durchaus in eine kriegerische Laufbahn eintreten, nachdem ihn einmal, wie er glaubte, die Wissenschaft betrogen, obschon er leicht hätte wahrnehmen können, daß nicht diese, sondern ihr unedler Jünger, ein arges Spiel mit ihm getrieben.

Roland und sein jugendlicher Begleiter hatten sich tief in die labyrinthischen Gänge des weiträumigen Gebäudes verirrt. Sie schritten über die Gräber der alten norwegischen Könige hin und manche sinnige Inschrift auf den Grabsteinen, die Claudianus zu entziffern verstand, fesselte ihre Aufmerksamkeit. Dennoch schienen sie eilig, verlegen und von dem Drange, irgend Jemand in diesen Räumen aufzufinden, belebt.

»Er hat dieses Gebäude noch nicht verlassen;« sprach Roland eifrig zu dem Knaben, »davon bin ich überzeugt. Aber was kann ihn hier halten von frühe Morgens bis zur Mittagszeit? Bald wird man die Thüren schließen und er ist dann genöthigt, in diesem Aufenthalte, der wahrlich geeignet ist, alle Schreckbilder seiner gereizten Phantasie wieder zu beleben, die Nacht hinzubringen. Armer Ignotus,« setzte er in dem Tone des Bedauerns hinzu, »wann wird dich das Leben wieder in seine Heiterkeit, in sein freudiges, thätiges Treiben aufnehmen?«

»Es ist geschehn!« antwortete lebhaft eine Stimme aus einem düstern Winkel und Ignotus trat aus einer kleinen Kapelle, in der er zu einem Heiligenbilde gebetet, mit raschen Schritten hervor. Kaum erkannte ihn Roland, so sehr hatte auch er sich in einem Raume von wenigen Stunden verwandelt. Sein Blick war frei und offen, auf seiner Stirne strahlte Zufriedenheit, seine Wangen blühten in sanfter Röthe, seine Gestalt zeigte sich aufgerichtet und erhaben. Alle jene Spuren der finstersten Schwermuth, des peinlichsten Seelenschmerzes, der beklagenswerthesten Geisteszerrüttung, welche das schreckliche Ende seines Vaters veranlaßt, waren verschwunden. Mit freudeglänzendem Antlitze reichte er dem Bremer Freunde die Rechte und fuhr fort:

»Ja, mein wackrer Gefährte, ich bin in ein neues Leben getreten und was Ihr mir verkündigt von der Macht der Liebe über den Dämon, der mich beherrscht, ist in Erfüllung gegangen! Jene dunkle Nacht, die aus der Vergangenheit herüber in die Gegenwart sich drängte, ist nun von einem Himmelslichte vertrieben; in dessen Glanze ich eine herrliche, beseligende Zukunft erblicke. Ich habe eine Erscheinung gehabt, mein Freund, aber so rein, so reizend, daß ich noch zage, sie der Erde angehörig zu glauben! Dort knieete sie, dort in jenem abgelegenen Heiligthume, wo Ihr mich fandet. Alle Anmuth, alle Schönheit, aller beseligende Zauber, womit der Himmel seine Engel ausstatten soll, schienen ihr verliehen. Als ich sie zuerst erblickte, hatte mich gerade mein böser Genius wieder ergriffen. Ich saß auf jener Steinbank und starrte düster vor mich hin und vor meinen Augen wogte es, wie ein Meer von Blut, ausgeflossen von allen Mordthaten, welche seit Anbeginn der Welt begangen. Und das graue Haupt meines Vaters leuchtete aus dem Blutmeere empor und ich sah wieder in die klaren blauen Augen, die mich so oft liebevoll angeblickt, in die theuern Züge, die meiner Kindheit, meiner Jugend gelächelt. Da schritt plötzlich über die Blutwellen, ohne daß sie unter seinem Fuße gewichen wären, König Christian einher. An seinem Arme führte er die Genossin seiner Frevel, die blutdürstige Sigbrit. Sie lächelte höhnisch herab auf das Silberhaupt Torbern Oxe's, Ingrimm, tödlicher Haß, höllische Rachgierde malten sich in ihren Zügen. Und als Beide sich der Stelle näherten, wo das verehrte Haupt emportauchte, da traten sie es unter ihre Füße, daß das Blut hochauf nebenhinaussprüzte, da wurde ihr Lächeln noch teuflischer und satanischer Triumph erheiterte ihre Stirn. Ich wollte aufschreien, ich wollte mich von der Centnerlast, die meine Brust drückte, befreien, aber ich vermochte es nicht. Erstarrt, von den Banden eines gräßlichen Wahns gehalten, mußte ich, ohne einer Bewegung mächtig zu seyn, auf dem Steinsitze harren und immer die Wiederkehr des schrecklichen Blutbildes schauen. Da umsäuselte es mich plötzlich, wie Himmelsodem und es war, als erhebe sich in meinem Innern eine Ahnung seligen Friedens. Und um jene Säule trat eine weibliche Gestalt – nein! es war die Gestalt eines Engels und heftete ihren Blick auf mich, in dessen Glanz sich mit einemmale das ganze Dasein, die ganze Welt erheiterten und verschönerten. Hinweg geschwunden war das blutige Bild, die schwere Last von der Brust genommen, der gräßliche Wahn gelöst. O, mein Freund, ich wurde in jenem Augenblicke wiederum geboren, ein heiteres, unbefangenes, liebevolles Kind!«

Roland drückte in freudiger Theilnahme über diese glückliche Umwandlung seine Hand; Claudianus, den bisher eine gewisse Scheu von Ignotus fern gehalten, trat ihm vertraulich näher. In der Seele des zum Jünglinge übergehenden Knaben erregte die Mittheilung des Ignotus Gefühle, welche sich bald zu einer wunderbaren, unklaren Sehnsucht ausbildeten, deren Befriedigung, wie ein Räthsel der Zukunft vor ihm lag. Er lernte eine Macht kennen, die aus schwerer Geistesdumpfheit, aus schrecklicher Geistesverwirrung, aus nagender Gemüthspein retten konnte, die mit einem Zauberschlage Unheil in Heil, tiefes Erdenleid in Himmelsfreudigkeit verwandelte. Was Wunder, wenn dieser erste Wiederklang der Idee einer beseligenden Frauenliebe, der in sein Herz traf, dieses mit seltsamen schönen Hoffnungen, mit Bildern erfüllte, die seine Unerfahrenheit reizten, ohne daß diese sie zu deuten vermochte!

»Seht Ihr,« sagte indessen in heitrer Stimmung Roland zu Ignotus, »daß ein fröhlicher Kriegsmann auch ein guter Prophet seyn kann? Ihr müßt lieben, Ihr müßt wünschen und hoffen, damit Ihr vergessen könnt. Um das Leben zu lieben, mußtet Ihr ein Gut kennen lernen, das in seinem Werthe demjenigen, welches Ihr verloren, wenigstens nahe kommt. Aber sprecht weiter, mein Freund! Was wißt Ihr mehr von der schönen Dame, von diesem Euerm Schutzgeiste in irdischer Gestalt? Wo werdet Ihr sie wiederfinden?«

»Glaubt Ihr, daß ich gewagt hätte, sie anzureden?« antwortete noch immer sehr erregt Ignotus. »Konnte ich in ihrer Gegenwart einen anderen Gedanken denken, als diese, konnte ich, von ihrem wundermächtigen Blick getroffen, etwas anderes fühlen, als daß ich nun erlös't sey, als daß sie gesandt worden, meinem Leben eine schöne, freudigere Bedeutung zu geben? Dort knieete sie nieder, dort sandte sie ihr Gebet zu Gott. Ob sie auch für mich betete? Oft wandte sie ihren Blick seitwärts auf mich und dann schmeichelte ich mir mit diesem Gedanken. Sah sie denn nicht in mir einen vom Unglück Gezeichneten? Konnte ihr Herz, dessen zarte Empfindungen aus ihrem ganzen Wesen sprachen, gegen einen Elenden gefühllos seyn, den sie, heimgesucht von einer schweren, entsetzlichen Stunde, überrascht? Ja, mein Freund, sie hat zu mir herübergesehn und in ihrem Auge lag ein Ausdruck der Theilnahme, der mich der Erde enthob und in die Seligkeit des Himmels versetzte! Sie betete lange, sie versenkte sich bald in eine Andacht, die sie selbst als eine Heilige erscheinen ließ. O hättet Ihr sie gesehen mit dieser Fülle der blonden Locken, diesem großen seelenvollen Auge, in dem der Himmel wiederstrahlte, diesem edlen verklärten Angesichte, die ganze reizende Gestalt in ihrer unbeschreiblichen Herrlichkeit – Roland, die Engel nehmen irdische Gestalt an und wandeln beglückend unter den Sterblichen.«

»Nehmt mir es nicht übel,« versetzte lächelnd der junge Bremer, »aber mit eben dem Auge, mit dem Ihr Eure Unbekannte anseht, sehe ich mein Bäschen in Dalarne an. Auch sie ist gekommen, mich in der Zukunft einmal zu erlösen aus dem leichtsinnigen Kriegerleben und mich einzuführen in den Frieden des Hausvaterstandes, auch sie ist reizend und lieblich, wie ein Paradiesesenglein und der Unterschied zwischen unsern beiden Erlöserinnen mag sich darauf beschränken, daß Bäschen Margaretha braune Haare, Eure schöne Fremde aber blonde hat.«

»Noch sehe ich sie vor mir,« fuhr Ignotus, Rolands Rede wenig beachtend, in schwärmerischer Begeisterung fort, »noch ist es, als wehe ihre Nähe mit beglückendem Odem mich an, als lebe ihre Gegenwart mit geistiger Gewalt in diesen Räumen fort. Stunden sind vorübergegangen, seitdem sie jene Stelle verlassen, seitdem sie sich, an mir vorüberschwebend wie ein Himmelsgeist, wieder entfernt. Dann warf ich mich dort nieder, dann ruheten meine Kniee auf der Stelle, welche die ihrigen berührt, dann träumte ich mich selig in dieser Empfindung. Lange konnte ich nur sie denken, lange vermochte ich nicht, mich zum Gebete zu sammeln. Dann aber kam es plötzlich über mich mit einer Allgewalt, wie ich sie noch nie empfunden. Roland, ich mußte weinen, weinen wie ein Kind oder wie ein Weib und in diesem Thränenstrom, der nicht endigen wollte, lös'te sich der schmerzliche Krampf, der seit jener schaudervollen Richtscene in Kopenhagen mein Herz und meinen Geist gefesselt gehalten. Je länger ich weinte, desto freier, desto friedlicher gestaltete sich Alles in meinem Innern. Ich fühlte, daß ich das Geschick des unglücklichen Vaters ewig betrauern würde, aber die quälenden Rachgeister waren entflohn. Die reinigende Nähe jenes himmlischen Wesens hatte sie verbannt, hatte mich mit der Welt, mit dem Leben wieder ausgesöhnt. Und als die Thränen nun endlich aufhörten zu fließen, da konnte ich lächeln, zum erstenmale freudig hinauflächeln, seit jener langen Nacht, zum Lichte des Himmels. Roland, so habt Ihr mich gefunden. Ein Unglücklicher, Ruheloser verließ Euch, ein Hoffender, ein Befriedeter steht Euch jetzt gegenüber.«

»Seyd mir herzlich willkommen in dieser glücklichen Umwandlung;« versetzte Roland, »allein Ihr habt nur erst den Fuß erhoben, um in eine neue Lebensbahn einzuschreiten, Ist müßt ihn nun auch eilends vorwärts setzen, damit Ihr den Gewinn dieser Stunde nicht wieder verliert. Noch ist der Gedanke an die herrliche Erscheinung stark genug, um die dunkeln Mächte, die aus Euerm frühem Leben Euch verfolgen, zu entfernen, aber die fortwährende Nähe des erlösenden Engels, sein Besitz unter der Gestalt einer lieben Hausfrau kann Euch erst ganz vor der Wiederkehr jener unheimlichen Wahnbilder sichern. Wo ist sie? Wer ist sie? Es ist schlimm genug, dergleichen Fragen, die dem Engel einen Theil seines Himmelsgewandes nehmen, thun zu müssen, aber das Erdenglück will nun einmal durch irdische Mittel erreicht seyn. Kommt mit, Ignotus! Wir wollen uns in das Gewühl des Jahrmarkts werfen: vielleicht daß uns dort die Schöne begegnet, deren Anblick Euch in ein neues, deren Besitz Euch hoffentlich in ein glückliches Leben führen soll.«

Mit dem leichten Schritte eines hoffnungsvoll Liebenden folgte Ignotus seinem Freunde, der die wirklichen Gaben des Lebens zu hoch anschlug, um in den erträumten, und wenn sie noch so schmeichelhaft schienen, ein erfolgereiches Heilmittel für das tiefe Seelenleiden des jungen Dänen zu erkennen. Ein thatenreiches Leben selbst, ein Kämpfen und Ringen um den Gegenstand seiner Liebe sollte ihn ergreifen: dann, meinte Roland, müsse die Vergangenheit vor der zu kräftigen Werken unwiderstehlich auffordernden Gegenwart verstummen, dann müsse Ignotus aus dem Kampfe mit dem Mißgeschicke frei und siegreich hervorgehn. Ignotus selbst fühlte sich in diesem Augenblicke ganz glücklich. Die Erscheinung des reizenden Wesens, die ihm in böser Stunde beseligend geworden, dünkte ihn schon ein hinlänglicher Bürge für das Glück seiner Zukunft. Er fühlte sich von der reinsten Hoffnung belebt, es war ihm, als ob nun Alles schon entschieden und für das neue freudige Leben geordnet sey. Claudianus ging langsam und sinnend hinter den beiden Freunden her. Er sah einen herrlichen Garten aufgethan mit wunderlieblichen, lockenden Früchten. Eine unwiderstehliche Sehnsucht zog ihn hin, ein Gefühl, als wenn dort, mit dem Besitze dieser Früchte, Alles errungen sey, was das Leben auf Erden werthvoll und theuer machen könne. Und dennoch zagte er und fürchtete zu nahen. Eine dunkle, aber mächtige Empfindung sagte ihm, daß er nicht unter die Auserwählten gehöre, die diesen Garten betreten dürften, mit blöder Scheu bemühete er sich, das ganze Bild, das ihn verwirrte, indem es ihn zugleich entzückte, aus seiner Seele zu verbannen.

Ihr Weg führte sie durch das Chor der Kirche. Hier sahen ernst aus dunklen Mauervertiefungen die Steinbilder der alten nordländischen Könige auf sie herab. Die riesigen Gestalten, von dem Dämmerlichte, das durch die bemalten Bogenfenster fiel, seltsam beleuchtet, schienen ihre Fußgestelle verlassen und wie Gespenster aus grauen Tagen in das Leben der Gegenwart schreiten zu wollen. In ihren Zügen lag eine Schwermuth, welche sich wie eine Klage deuten ließ, daß ihnen das rasch vorübergehende Leben so wenig Zeit gelassen, große Entwürfe zu vollenden, daß die Späterkommenden diese nicht erkannt und deshalb im Keime erstorben sey, was ein mächtiger, glücklicher Moment in ihnen erzeugt. Ignotus eilte mit beschleunigten Schritten an ihnen vorüber. Bei dem Anblick dieser starren, finstern Gestalten regte sich eine Anwandlung von Grauen in ihm, die seinen frohen, hoffnungbelebten Empfindungen lästig fiel.

Sie traten aus der feierlichen Stille der weiten Kathedrale in das buntbewegte Leben des Drontheimer Jahrmarkts, das ein wunderliches Bild des Zusammenflusses der verschiedenen Völkerstämme, welche die nordische Halbinsel bis zu dem mit ewigem Eise umgebenen Nordcap bewohnen, zeigte. Hier lagerten armselige Lappländer von den höher nach Norden gelegenen Küsten, die geräucherte Fische, Seehundsfelle und andere Gegenstände, welche sich ihnen als kärgliche Beute in ihrer Heimath boten, zum Tauschhandel brachten. Nicht weit von ihnen fand sich eine andre Schaar ihrer Landsleute, die, aus den Bergen herabkommend, in ihren mit Rennthieren bespannten Schlitten Bären- und Wolfsfelle, Luchs- und Biberhäute gegen andre, ihren Bedürfnissen entsprechende Waare feil hielten. Diese Bergbewohner zeigten etwas mehr Lebendigkeit, als jene sogenannten Fischerlappen, wenn sie auch im Aeußern, in der zwergartigen Gestalt, der lederbraunen Hautfarbe, den dicken unförmlichen Köpfen, mit den weit hervorstehenden Backenknochen, den aufgestülpten Nasen und schrägliegenden Augen, wenig von jenen abwichen. Jeder dieser fernher kommenden Besucher führte seine ganze Familie, Weiber, Greise und Kinder mit sich. In dem aus Thierfellen gefertigten Anzuge unterschieden sich beide Geschlechter unbedeutend, nur trugen die Männer hohe spitzige Mützen, während die Weiber den Kopf mit einer leinenen Haube bedeckten und den Gürtel, der die Kleidung zusammenhielt, mit bleiernen Figuren, welche für Talismane gehalten wurden, und mit bunten Stückchen Glas verziert hatten. Die Kinder, welche diese Gruppen umlagerten, waren von abschrecklicher Häßlichkeit und mit Schmutz bedeckt. Eine dumpfe Geistesträgheit, die starre Behaglichkeit des Nichtsthuns, des Nichtsdenkens und Nichtswissens sprachen aus ihrem ganzen Wesen, das durch nichts eine Veränderung erlitt, durch nichts gestört und belegt werden konnte. Kräftig und gewandt, bald einen Scherz auf den Lippen, bald ernst und eifrig ihren Handel besprechend, stellten sich dagegen die südlichen Bewohner des Reiches dar. Sie brachten starke normännische Pferde zum Markte, sie zeigten in ihrem ganzen Thun eine Offenheit und Redlichkeit, die leicht jedes Geschäft, in das man sich mit ihnen einließ, zu Stande brachte. Auch sie waren größtenteils in Pelz gekleidet, wenige von ihnen in ein selbstverfertigtes Tuch, Wadmal genannt.

Als Roland und seine Begleiter an ihnen vorübergingen, suchten sie die zwei ritterlich aussehenden jungen Männer durch Anrufungen, durch Lobsprüche auf ihre Rosse, zum Kaufe zu reizen.

»Hier, edler Herr,« riefen sie dem Deutschen zu, »ein Pferd, das ganz würdig ist, Eure stattliche Gestalt zu tragen, das selbst unter Eurer Kraft nicht erliegt und wenn es Euch über den Dofrefield bringen müßte. Seht die kräftigen Glieder, das schöne Ebenmaß! Nur im Nordlande kann ein solches Pferd geboren werden.«

Roland blickte wirklich mit hoch erregter Kauflust auf die trefflichen Thiere, allein er war stark genug, der Versuchung zu widerstehn, indem er bedachte, daß der Weg, der vor ihm lag, andre Mittel zum Fortkommen erheischte, als selbst das kräftigste Roß ihm bieten konnte. Langsam entfernte er sich von dieser Stelle und näherte sich mit seinen Freunden durch eine Reihe kleiner Buden, wo die Krämer ihre Magazine mit allerlei Bedürfnissen des gewöhnlichen Lebens eröffnet hatten, einem Platze, von dem das wilde Getöse einer Trommel und einer Pfeife herübertönte. Hier waren fröhliche Landleute aus der Umgegend, alle mit glänzend rothen Mützen bedeckt, versammelt und benutzten die Unthätigkeit der Mittagsstunde, sich mit ihrem Nationaltanze zu ergötzen. Muntere Burschen schwangen sich mit ihren Tänzerinnen im Kreise, warfen sich dann plötzlich, ohne die Hand ihrer Dame fahren zu lassen, der Länge nach auf den festgetretenen Schneeboden, während die Tänzerin in anmuthigen Bewegungen um den Liegenden herumschwebte. Dieses wunderliche Spiel wiederholte sich unter allen Paaren nach einer gewissen Ordnung und jedes schien es dem Uebrigen an Zierlichkeit und Leichtigkeit zuvorthun zu wollen.

Unsere Freunde verweilten eine Zeitlang bei dieser unterhaltenden Scene, dann wandten sie sich einem andern Orte zu, von dem ein ebenso freudiges Jauchzen herüberdrang. Um dessen Ursache zu erkennen, mußten sie sich durch einen Haufen von Zuschauern Bahn machen, die größtentheils aus ansehnlichen, schwarzgekleideten Männern, wohlhabenden Bürgern von Drontheim, bestanden. Endlich gelangten sie an eine Stelle, die ihnen einen Blick auf einen Schauplatz bot, wo eine Anzahl junger Männer in Ringkämpfen ihre Kraft und Geschicklichkeit zu zeigen suchten. Hier waren es nicht blos Landleute, die diesem ernstern Spiele oblagen, auch Jünglinge, deren höherer Stand die ritterliche Kleidung, eine edle Haltung bekundeten, rangen mit einander, auch wohl, in Werken der Kraft und des Muthes jede Scheidewand vergessend, mit einem oder dem andern Landmanne, der nicht zu blöde gewesen, sie herauszufordern. Im Hintergrunde des circusförmigen Platzes zeigten sich einige erhabene Sitze, welche von stattlich gekleideten Herren und Frauen eingenommen waren.

Während Roland mit Freudigkeit und erwachender Lust zur Theilnahme an diesem Kampfe auf die Ringenden blickte, fühlte er sich plötzlich von Ignotus, der neben ihm stand, heftig beim Arme ergriffen.

»Seht dorthin,« sagte mit bebender, leidenschaftlich bewegter Sinne der junge Däne, »seht auf jene erhöhete Stelle, wo der Greis mit dem Engelsbild an seiner Seite thront! Das ist sie, das ist der Schutzgeist meines Lebens, das ist die wunderbare Heilige aus der Kathedrale! Habt Ihr je ein so reizendes Wesen erblickt? Kann sich die Tugend in edlere Formen hüllen, als diese Gestalt sie zeigt? O, mein Freund, ich möchte zu ihr hin, mich ihr zu Füßen werfen, ihr gestehen, was sie mir in einer Stunde der geoffenbarten Himmelsseligkeit geworden und dann, dann – ach! könnte man schöner sterben, als in einem solchen Augenblicke?«

»Auch einem solchen Augenblicke zu leben und seiner Früchte zu genießen, halte ich doch für besser;« erwiederte lächelnd Roland, indem er seine Augen nach der von Ignotus bezeichneten Stelle richtete. Hier gewahrte er einen silberhaarigen Greis, dessen ganzes Aeußere mit ehrfurchtsvollen Empfindungen erfüllen mußte. Seine Brust war mit goldenen Ehrenketten geschmückt, Spornen von demselben edlen Metalle bezeugten seine ritterliche Würde. Auf seiner Stirn strahlte die Heiterkeit eines edeln Bewußtseyns, in seinen Zügen lag bei aller Kraft und Erhabenheit eine Milde und ein Wohlwollen, die neben der Ehrfurcht auch Liebe und Neigung jedem Herzen einflößten. Das Mädchen an seiner Seite war sein verjüngtes Ebenbild. Was sich bei ihm in der Würde des Alters darstellte, das war ihr im Reize des Lebensfrühlings eigen, das erschien bei der lieblichen Jungfrau in tausend Blüthen der Anmuth und Schönheit. Roland bemerkte, daß sie ihre Aufmerksamkeit nicht dem Kampfspiele vor ihr widmete, daß vielmehr ihr Blick sinnend auf dem glücklichen Ignotus weilte.

»Wahrlich, sie ist schön;« sagte Roland sich selbst, »aber nicht für mich, nicht für mein Wesen! Mein muntres Lieschen in Dalarne und ich passen besser mit einander.«

Er wandte sich an einen der zunächst stehenden Bürger und fragte nach dem Greise und der jungen Dame an dessen Seite.

»Das ist unser Drost Hagen und seine Enkelin, Clara Norby, des berühmten dänischen Admirals Severin Norby Tochter;« lautete die Antwort. »Er ist ein würdiger, hochverehrter Herr und erfahrene Leute wollen sogar wissen, das er von den alten nordischen Seekönigen abstamme; die Enkelin befindet sich nur zum Besuche bei ihm, aber wer Gelegenheit hat, sich ihr zu nähern, der rühmt sie als ein Muster von Tugend, Frömmigkeit und aller edeln Eigenschaften. Der heilige Olaf segne ihn und das fromme Kind! Sie wird den Preis austheilen an den tüchtigsten Ringer und da gilt kein Unterschied der Personen: der Bauer hat hier dasselbe Recht, wie der Edelmann.«

Der Bürger widmete nach dieser genügenden Auskunft seine Aufmerksamkeit wiederum dem Ringkampfe, Roland aber raunte dem Ignotus zu:

»Habt Ihr Lust, um die Tochter des dänischen Admirals zu freien? Der Norby ist ein wackrer Seeheld und wenn er nicht etwa vor dem drohenden Zorne der Sigbrit die Flagge streicht, so gelingt es Euch wohl, an Bord seines Familienschiffes zu kommen.«

»Ich würde um sie werben und wenn sie die Tochter des königlichen Tyrannen, der auf dem Throne Dänemarks herrscht, selbst wäre!« antwortete sehr bewegt Ignotus. »Glaubt Ihr, meine Liebe frage nach Stand und Namen, sie könne Hindernisse finden, die sie nicht stark genug wäre, aus dem Wege zu räumen, ihr Leben sey nur für einen flüchtigen Moment, nicht für die Ewigkeit erstanden? Roland, eine Empfindung, welche die Macht besaß, eine Wunde zu heilen, wie ich sie im Herzen trug, welche die Trauer, die Rache aus meiner Seele verbannte, konnte dieses nur vollbringen, indem sie sich ganz zum Herrn meines Wesens erhob und fortan mein ganzes Streben, mein Wünschen und Begehren regeln wird! Aber seht diesen Kampf! Welcher Aufwand an Kraft und Behendigkeit von beiden Theilen, welche Kunst des Angriffs und wiederum der Vertheidigung.«

Die zwei besten der ringfähigen Männer schienen jetzt ihre Kräfte gegeneinander zu prüfen. Der eine von ihnen, seiner Kleidung nach ein Landmann aus den Gebirgsgegenden des Reiches, war hochgebaut und schlank, dabei von kräftigen Knochen und starken Muskeln; der andre, ein adlicher Junker aus Drontheim, stand jenem an körperlicher Größe nach, schien jedoch in seiner untersetzten, stämmigen Gestalt, hinreichende Mittel zu finden, einen Versuch gegen den ländlichen Athleten zu wagen. Beide hatten bereits ihre Kämpfe gegen die übrigen Ringer bestanden und waren als Sieger aus diesen hervorgegangen. Jetzt behaupteten sie allein das Feld und, nach der Aussage der Umstehenden, mußte nun dieses Ringen entscheiden, wem der Preis aus den schönen Händen der dänischen Admiralstochter zu Theil werden würde.

Kein Auge wandte sich von den zwei Männern, die in den verwickelsten Stellungen, welche das Streben nach dem Siege mit sich brachte, ein Ebenmaaß edler Verhältnisse an den Tag legten, würdig den Studien eines Malers zum Modell zu dienen. Lange schwankte der Kampf. Bald neigte sich die Gefahr des Erliegens auf die Seite des Landmanns, den die Behendigkeit des Junkers überrascht hatte, öfter aber noch war dieser, bedrängt durch die größere Kraft des Gegners, seinem Falle nahe. Endlich erfolgte dieser wirklich, indem er einen Fehltritt that und der Landmann, seinen Vortheil rasch benutzend, den Junker mit beiden Armen umschlang und durch überwiegende Stärke und Schwere unter sich an den Boden brachte.

Der nationale Ernst der Zuschauer gestattete kein frohes, dem Sieger glückwünschendes Zujauchzen, allein Alle vereinigten sich im ruhigen Gespräche zu seinem Lobe, hoben einen und den andern Kunstgriff, den er geschickt im rechten Augenblick angewandt anerkennend hervor, indem sie jedoch auch den Bestrebungen des Unterliegenden Gerechtigkeit widerfahren ließen. Indessen schritt der Landmann, der nun das Feld allein behauptete, in dünkelvoller, triumphirender Haltung auf und nieder, schwang und dehnte zu wiederholtenmalen seine seynigten Arme, gleichsam als wolle er zeigen, daß es ihm nicht an Kraft fehle, noch einen weitern Kampf gegen jeden, der ihm den Preis streitig mache, zu bestehn und warf auffordernde, Spott und Geringschätzung aussprechende Blicke ringsumher. Zuletzt blieb er vor Roland und Ignotus stehen, sah sie höhnisch lächelnd an und streckte die beiden muskelstraffen Arme gegen sie hin.

»Nun bei Gott,« raunte der junge Deutsche seinem Freunde zu, »dieser Lümmel soll den Roland von Bremen genauer kennen lernen, als ihm lieb ist! Verwahrt mir mein Schwert, Ignotus! Ich muß den Spaß auch einmal mitmachen.«

»Nein, nein!« versetzte, ihn zurückhaltend und sich selbst vordrängend, eifrig Ignotus. »Mir überlaßt es, den Händen dieses aufgeblasenen Thoren den Preis zu entringen. Er sollte von ihr geschmückt werden, er die Nähe dieses engelgleichen Wesens, vielleicht den Hauch ihres Odems empfinden, von ihrer Hand gar berührt werden und ich – ich hätte nichts gethan, die Stelle zu ihren Füßen selbst einzunehmen, den Preis, den sie ertheilt, selbst zu erringen! Nein, nein, Roland, wenn Ihr mein Freund seyd, so dürft Ihr mich dieser Gelegenheit, das Glück meiner Liebe zu versuchen, nicht berauben! Gegen Euch selbst müßte ich auftreten, thätet Ihr das.«

Mit wenigen raschen Schritten war er in der Mitte des Kampfraums. Hier warf er seinen Mantel ab und stand nun da im knapp anschließendem seidenen Gewande. Das blonde Haar wallte in anmuthigen Ringeln den schlanken Nacken hinab, das edel gebildete Antlitz bedeckte eine hohe, Kampflust verkündende Röthe. Lebhaft blickten die blauen Augen zu der reizenden, in diesem Augenblicke von einer seltsamen Verwirrung befallenen Clara empor, dann auffordernd zurück zu dem Gegner, der sich mit spöttischer Miene und nachlässigem Wesen, gleichsam als sey dieser neue Feind seiner Bemühungen nicht würdig, näherte. Aller Blicke waren auf den jungen Dänen gerichtet, dessen zierlich gebauete Gestalt, dessen wohlgefällige Bewegungen, dessen Kühnheit, einem Manne entgegenzutreten, der bereits in vielen Siegen seine Ringkunst bewährt hatte und an körperlicher Kraft dem unbekannten Kämpfers weit überlegen schien, einen jeden mit Bewunderung erfüllten. Viele wünschten ihm den Sieg, ohne jedoch darauf zu hoffen; andre, die schon vor der Übergewalt des nordischen Bergbewohners hatten weichen müssen, spöttelten desjenigen, der, durch ihr Beispiel nicht gewarnt, noch gegen einen so furchtbaren Ringer in die Schranken zu treten wagte. Roland selbst fühlte sich besorgt um seinen Freund, wenn er die Größe und Stärke des Nordländers gegen seine zarte und schlanke Gestalt erwog. Wie gern hätte er ihm in diesem Augenblicke den größten Theil seiner eigenen körperlichen Kraft abtreten mögen, damit er siegreich dem Gegenstand seiner Liebe sich hätte nähern, von der Hand der schönen Clara Norby den Preis des Sieges hätte erhalten können!

Indessen stand der athletische Nordländer seinem kecken Gegner kaum einige Augenblicke gegenüber, so sah er sich von diesem so lebhaft, gewandt und verwegen angegriffen, daß er bald erkannte, er dürfe den neuen Kampf nicht so sorglos und gleichgültig aufnehmen, wie er bisher geglaubt hatte. Ignotus zeigte eine Geschicklichkeit und Behendigkeit der Bewegungen, ein stets wandelbares Spiel der kühnsten Angriffe, welches den Landmann verwirrte und ihn nur bei der angestrengtesten Aufmerksamkeit zur Abwehr kommen ließ. Glaubte er seinen Gegner fest ergriffen zu haben und ihn nun durch seine überwiegende Kraft bedrängen zu können, so entschlüpfte ihm Ignotus mit der größten Gewandtheit und begann einen neuen stürmischen Angriff von einer andern Seite, dem der Norweger nur durch die Festigkeit seiner Stellung widerstehn konnte. Aber Ignotus war unermüdlich in immer neuen Versuchen, seinen Feind zu ermatten und endlich zu bezwingen. Seine Erziehung hatte ihn mit allen ritterlichen Uebungen vertraut gemacht, er besaß eine jener Naturen, die unter einem zarten Gliederbaue eine unermüdliche, zähe Kraft verbergen, die es in körperlichen Anstrengungen auf die Dauer mit weit stärker gebildeten Männern aufnehmen. Die Odemzüge des Nordländers wurden immer schwerer, seine Bewegungen gewaltsamer, während der junge Däne unaufhörlich seine verwegenen Angriffe erneuerte. Niemand unter den versammelten Zuschauern war, der diese Art zu kämpfen nicht laut bewunderte, der nicht schon dadurch, daß der bisherige Besieger Aller nicht diesen und unbedeutend scheinenden Gegner, gleich bei'm ersten niedergeworfen, überrascht worden wäre. Roland sah freudig auf den jungen Mann, der ihm durch sein Unglück und seinen edlen Sinn theuer geworden war, er bemerkte mit inniger Theilnahme, wie die schöne Jungfrau an der Seite des greisen Drostes ihre leuchtenden Blicke von Ignotus nicht abwandte, wie jeder neue Beweis seines Muthes und seiner Gewandtheit ein höheres Feuer auf ihrem Angesichte entflammte, wie sie in zweifelhaften Fällen, wo der Sieg auf die Seite des Bergbewohners sich zu neigen schien, ängstlich und besorgt, als fürchte sie für Ignotus, niederblickte. Da plötzlich schien wirklich der Glücksstern, der dem Dänen bisher glänzend geleuchtet, zu erbleichen. Bei einem allzukühnen Angriff, den er, des Gegners überlegene Kraft vergessend, von vorn auf diesen gewagt, gelang es dem Norweger, ihn bei beiden Armen zu ergreifen und auf ein Knie niederzudrücken. Er schwankte, er bog mach hinten über und jedermann erwartete nun den Augenblick, in welchem der Gegner ihn mit der ganzen Wucht seines riesigen Körpers zu Boden zwängen wurde. Roland zitterte vor innerlicher Wuth, sich nicht in diesen Kampf mischen, nicht die Niederlage des Freundes, die nun entschieden schien, verhindern zu können. Manche Stimme des Bedauerns wurde laut, wenige nur erklangen im Tone des Spottes und des Hohns. Roland aber nahm sich fest vor, den Kampf für seine Person noch einmal mit dem Norweger, wenn dieser Ruhe geschöpft, zu beginnen und den Freund, der ein andres Loos verdient, zu rächen. Allein ebensoschnell, wie das Glück sich zu Gunsten des Bergbewohners gewandt, kehrte es mit einemmale zu seinem Gegner zurück. In einem Augenblicke, wo jedermann glaubte, die zierliche Gestalt müsse nun unter der Uebergewalt ihres Bedrängers zusammenbrechen, ertönte ein unwillkürliches, hell laut ausgestoßenes: »Ach!« von der Tribune herab. Dieser Laut, den vielleicht sonst nur noch wenige vernahmen, durchbebte mit magischer Kraft das ganze Wesen des jungen Dänen. Indem er selbst sich bereits in sein Mißgeschick ergab, hatte er einen Blick hinauf zu der reizenden Dame seines Herzens geworfen, er erkannte ihre Theilnahme an seinem Unfalle, er sah die lieblichen Lippen sich bewegen, er vernahm jenen Ton der Theilnahme, der bis in die Tiefen seines innersten Lebens drang und die hier noch schlummernden Kräfte zu unwiderstehlicher Thätigkeit erweckte. Mit der Gewandtheit eines Aals entschlüpfte er blitzschnell den Händen seines Gegners; ehe dieser noch wieder eine feste Stellung annehmen konnte, hatte er ihn umschlungen, zum Wanken gebracht und durch eine überraschende Bewegung, in die er alle seine Kräfte vereinigte, niedergeworfen. Diese Umgestaltung des Kampfes ergab sich so schnell, daß ihr die meisten der Zuschauer kaum mit ihren Blicken folgen, daß sie kaum begreifen konnten, wie derjenige, der eben noch dem Unterliegen nahe geschienen, jetzt plötzlich den Platz als Sieger behauptete.

Selbst die herkömmliche ernste Ruhe der Bürgersmänner von Drontheim konnte sich bei dieser Gelegenheit nicht in ihren gewohnten Schranken halten. Während der Besiegte langsam und unmuthig vom Kampfplane hinkte, drängten sie sich zu Ignotus und brachten ihm ihre Glückwünsche dar. Laut belobte man die weise Verwendung seiner Kräfte, man durchging aufmerksam jede einzelne Periode des Kampfes, man erkannte die große Ringfertigkeit, die der junge Däne in dem Widerstande gegen einen so mächtigen Gegner und in dessen endlicher Besiegung gezeigt hatte. Nur mit Mühe konnten die Junker, die der greise Drost gesandt, ihn zum Empfange des Preises vor seine schöne Enkelin zu führen, ihn aus der Mitte des umdrängenden Haufens losmachen.

Mit hocherröthender Wange, mit niedergeschlagenem Blicke erwartete ihn Clara; bebend, von tausend beseligenden Empfindungen durchströmt, näherte sich ihr Ignotus. Sie war aufgestanden, sie hielt mit zitternder Hand den himmelblau seidenen Gürtel, aus welchem die Preisgabe bestand und auf der in goldner Runenschrift der alte Spruch gestickt war: Kraft ist des Glückes Mutter. Mit der edeln Haltung, welche nur einem jungen Manne eigen seyn konnte, der alle Vortheile einer ritterlichen Erziehung genossen, den Stand und Geburt berechtigt hatten, sich in höhern Gesellschaftsverhältnissen zu bewegen, trat der junge Däne vor die reizende Jungfrau und ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder. Leise lispelte er, nur ihr verständlich, indem er den Preis aus ihren Händen empfing:

»Gesegnet sey der Augenblick, in dem ich Euch zum erstenmale sah!«

Eine tiefere Gluth trat auf ihr Angesicht, sie wich vor dem Großvater zurück, der, dem Sieger mit altherkömmlicher Treuherzigkeit die Rechte bietend, eine freundliche Einladung, ihn zum Mittagsmahle in sein Haus zu begleiten, aussprach. Der entzückte Ignotus vermochte kaum zu antworten. An Clara's Seite schwebte er wie von einem glücklichen Traume befangen, dahin. Keine traurige Erinnerung beunruhigte ihn mehr, jedes peinigende Gefühl dünkte ihn erstorben und begraben und über der Gruft blühete ein Paradies empor, in dem er wonnetrunken wandelte. Der edle Anstand, das ritterliche Wesen, die Unbefangenheit, zu der Ignotus von Natur hinneigte und die nur durch jenen tiefen Gram bedrückt gewesen, jetzt aber in einer Zeit der glänzendsten Hoffnung wieder lebendig an den Tag trat, machten einen höchst günstigen Eindruck auf den alten Drost. Er nahm den Arm des jungen Mannes, stützte sich auf ihn und sprach mit jugendlichem Feuer von den Ringkämpfen, die er in den Tagen seiner Kraft bestanden, von frühen alten Zeiten, wo solche Spiele höher geehrt und selbst an den Höfen der nordischen Könige geübt worden. Indem er sich mit seinen zahlreichen Begleitern aus der Nähe des Ringplans entfernte, zerstreueten sich auch die übrigen Zuschauer und bald sah sich Roland mit dem Knaben Claudianus allein.

»Der geht nun seinen eigenen Weg;« sagte Roland zu seinem jugendlichen Gefährten. »Wohl ihm, daß der Leitstern seines Lebens aufgegangen ist, dem er nun folgen muß durch jeden Wandel des Schicksals, der seine Nacht in Tag, sein Leid in Wonne, seinen Haß in Liebe verwandelt hat! Komm, Claudianus! Wir haben einen gefährlichern Weg zu wandeln, aber wir wollen ihn mit frohem Muthe, mit frischer Heiterkeit betreten. In den Schneewüsten der Gebirge, wo die Bergströme donnernd niederstürzen, wo die Seen noch ihre Eisesflächen zeigen, unter dem Dache der Felsen, an ihren Abgründen wird nun lange unsre Heimath seyn. Aber jenseits, Knabe, winkt auch uns ein Paradies. Du wirst die kräftigen, fröhlichen Dalekarler und die lieblichen Dalkurlor, die Jungfrauen dieser reizenden Thalgegend kennen lernen, du sollst Margaretha Böchower sehen, die herrlichste aller dieser Thalblumen, in deren Augen ein immerwährender Himmel voll Heiterkeit strahlt, in deren Herzen ein Schatz von Gutmüthigkeit und Treue liegt, den ich heben werde zu seiner Zeit, so wahr ich der Roland von Bremen bin! Komm, Knabe, wir wollen uns rüsten aufs die Reise mit Skyen So werden die langen hölzernen Schrittschuhe der Nordländer, mit denen man leicht über die Schneeflächen hinfährt, genannt. und Stachelstöcken. Morgen mit Tagesanbruch geht es den Bergen zu.«

Nachdem Roland, die zu seinem Vorhaben nöthigen Einkäufe gemacht, begaben sie sich zurück in das Haus des Bürgers, dessen Gastfreundschaft sie Capitän Harslö empfohlen hatte. Mit geheimnisvoller Miene empfing sie der redliche Mann, fragte sorglich nach ihrem Gefährten Ignotus und entdeckte ihnen dann, daß der Norweger, welchen die höhere Gewandtheit des Ignotus besiegt, in einem hintern Bau seines Hauses an den erhaltenen Quetschungen und Verrenkungen danieder liege und sich eben unter den Händen des berühmten Huskurers Bragi Ingemund befinde, um von diesem geheilt zu werden. Auf Rolands Frage nach dem Wesen und Berufe eines solchen Huskurers erfuhr er, daß man unter dieser Benennung Leute verstehe, welche eine besondere Kenntniß der Natur und ihrer Kräfte besäßen, auch mit übernatürlichen Eigenschaften ausgerüstet seyen und das ganze Nordland durchzögen, um durch ihre Heilmittel, mehr aber noch durch Zauberei, die in einzelnen Häusern daniederliegenden Kranken zu kuriren. Bragi Ingemund sey als einer der geschicktesten dieser wunderbegabten Männer bekannt und habe sich diesen Ruf durch viele gelungene Kuren im ganzen Nordlande, selbst bis gen Stockholm hinab, erworben. Man sage, er vermöge seine Abstammung von den alten nordischen Skalden abzuleiten und die Kunst, mit der er ausgestattet, habe sich aus uralten Zeiten immer von dem Vater auf den Sohn fortgeerbt.

Roland, der schon mancherlei Seltsames von den Beschwörungen und dem merkwürdigen Treiben der nordischen Gaukler und Zaubrer, denen in Fällen der Noth der Landmann noch immer lieber sein Vertrauen schenkte, als den wenigen heilkundigen Priestern, gehört hatte, wünschte den Heilversuchen dieses berühmten Huskurers beizuwohnen und äußerte dem gütigen Wirthe sein Verlangen.

»Kommt nur mit!« sagte der Bürger. »Bragi Ingemund scheut sich vor niemanden und würde in Gegenwart von Kaisern und Königen sein Werk ebenso ungestört betreiben, wie in der ärmlichsten Hütte eines elenden Fischerlappen, umgeben von zerlumpten Weibern und Kindern. Er kennt die Menschen und weiß, daß in der Bedrängniß der Vornehme, wie der Geringe, nach Hülfe sich sehnt, wie und woher sie auch komme. Er zählt viele Jahre und jedes seiner Jahre zählt wieder hunderte von wunderbaren Begegnissen, die ihn so klug und weise gemacht haben, wie wenige Menschen sind. Kommt nur mit! Er kann noch nicht weit seyn in seinem Geschäfte und Ihr mögt Euch selbst überzeugen, ob der alte Ingemund nicht des Ruhmes werth ist, dessen er genießt.«

Roland und Claudianus folgten ihrem freundlichen, willfährigen Wirthe. Als sie den düstern Hofraum betraten, vernahmen sie in einiger Entfernung den dumpfen Schall einer Handtrommel und eine laute eintönige Rede, die zwischen Gesang und Deklamation die Mitte hielt. Sie gelangten in eine dämmerige gewölbte Halle und sahen hier am Boden den Norweger sitzen, der aus dem Ringkampfe mit Ignotus als ein Besiegter geschieden war. Er hatte die Hände gefaltet und folgte mit starren, ehrfurchtsvollen Blicken jeder Bewegung des Huskurers, welcher ihn in ebenmäßigen langsamen Schritten umkreiste und unter der monotonen Begleitung der Trommel jene Zaubersprüche laut werden ließ, deren Schall schon außerhalb das Ohr der Herannahenden getroffen. Der Huskurer ließ sich durch die Gegenwart der Fremdlinge durchaus nicht in seinem Beginnen stören. Er bot in seinem Aeußern eine wunderliche, die Aufmerksamkeit Rolands in einem hohen Grade erregende Erscheinung. Sein Haupt war mit einem Biberfelle bedeckt, dessen Kopf die Mütze ausmachte, während der übrige Theil des Felles weit auf dem Rücken herabhing. Unter diesem scheinbaren Biberschädel drangen einige greise Locken, sah aus dem tiefgefurchten, aber immer noch frischrothem Angesichte ein Paar scharfer, kluger und verschmitzter Augen hervor. Seine kleine, hagre Gestalt war in einen dicken, schwarzen Bärenpelz gehüllt, auf dem Rücken trug er festgeschnallt, die zu seinen Wanderungen nothwendigen langen, hölzernen Skyen, an den Füßen eine Art von Sandalen aus starkem Thierfelle. Sein lederner, mit seltsamen Charakteren bezeichneter Gürtel, hielt den wunderlichen Runenstab und mehrere Eisen-Instrumente von auffallender Form, deren er sich bei seinem Geschäfte bedienen mochte.

Die neugierigen Fremdlinge hatten erst wenige Augenblicke seinem Treiben beigewohnt, als seine gesangartige Rede verstummte, er mit einer leichten Schwingung der Hand die Trommel zur Seite warf, neben den Patienten niederknieete, den schmerzhaften Fuß entblößte und ein scharfes Messer in dessen Oberfläche einstieß, worauf sogleich ein Strom von Blut erfolgte, das er sorgfältig in eine bleierne Schale auffing. Unter wunderlichen, dunkeln Segenssprüchen schnitt er nun mit dem blutigen Messer, das er immer wieder frisch aus dem Gefäße benetzte, allerlei Runen in einen geschälten Birkenstab, begab sich hierauf in einen Winkel des Gemaches und verscharrte den blutigen Runenstab in die an dieser Stelle aufgelockerte Erde.

»Was von Erde ist gekommen,
Sey in sie zurückgeschwommen;
Trocknet Blut in feuchtem Grunde,
Bringt es Heilung bald der Wunde:
Odin gebe seinen Segen,
Freia sey uns nicht entgegen!«

Diesen Spruch murmelte er zu wiederholten Malen, während er sein Werk zu Stande brachte. Dann erhob er sich rasch, trat zu einem kleinen Kessel, der über einer Kohlengluth schwebte und befeuchtete mit dessen Inhalt ein Tuch, welches er nun sorgfältig und behutsam um den leidenden Fuß des Norwegers schlug. Auch bei dieser Operation fehlte es nicht an seltsamen Sprüchen, in deren Sinn sich eine wunderliche Mischung von altheidnischem Aberglauben und christlicher Lehre aussprach. Noch immer hatte der Huskurer nicht geendet. Erst nachdem sich der langsame Kreistanz, die eintönige Rezitation mit Begleitung der Trommel wiederholt, versicherte er den Kranken, daß, wenn er im Laufe der Nacht sich noch einigemale dieser Behandlung unterworfen, sein Uebel bis zum nächster Morgen gehoben seyn würde.

Mit einem verschmitzten Blicke auf Roland näherte sich jetzt Bragi Ingemund diesem und sagte, ihn nach dem Vorderhause zurückbegleitend, während der Bürger bei dem Patienten zurückblieb:

»Die starken Naturen unsres Nordlands wollen durch Zaubersprüche erschüttert seyn, die sie an die alten Zeiten der heldenmüthigen Vorfahren erinnern, die ihre innerste Kraft ergreifen und in ein heilsames Leben rufen. Die Kräuter, die auf unsern Gebirgen wachsen, sind, in gesegneter Stunde gepflückt, voll wunderbarer, wohlthätiger Eigenschaften und ich getraute mich wohl, Euch, junger Herr, wenn Euch ein Uebel träfe, dessen Heilung nicht außer der Kunst des Menschen liegt, mit ihrer Hülfe allein herzustellen; allein unsre guten Leute vom Lande und aus den Bergen verlangen mehr und wenn Bragi Ingemund ohne seine Zaubertrommel, ohne seine Runenstäbe und ohne seine alten Sprüche käme, so würde er bald seinen Ruhm und sein Verdienst einbüßen und in seinen alten Tagen betteln gehn müssen.«

Roland hatte sich bereits überzeugt, daß der Huskurer selbst einen größern Werth auf die Blutentziehung und die Kräuterumschläge, welche er bei dem Norweger angewandt, legte, als auf die übrigen Gaukeleien. Es gefiel ihm, daß der Mann in seinen Augen nicht für mehr gelten wollte, als er war, und er fand in seinem Wesen so viel Anziehendes, daß er ihn bat, an einer Kanne Meth Theil zu nehmen, die der sorgsame Wirth für seine Gäste hatte aufstellen lassen. Bragi Ingemund willigte mit einem klugen Lächeln ein. Dann sprach er:

»Es wird nicht die letzte Kanne Meth seyn, die wir mitsammen leeren, wenn Euch anders an einem wege- und landeskundigen Reisekumpan gelegen ist. Ihr wollt, wie ich höre, über den Jemte-Field hinüberwandern nach Dalarne. Das ist keine Kleinigkeit in dieser Jahreszeit. In den Niedrungen treiben die Flüsse schon Eis, aber hoch oben ist noch Alles gefroren und, wo die Sonne schon wärmend hindringt, da lauern die Schneestürze und können demjenigen, der nicht ihrer leisen Vorzeichen kundig ist, Gefahr und Verderben bringen. Wer dort reisen will, muß die Ströme, die Seen und Bergübergänge genau kennen, muß alle Schlupfwinkel wissen, in die man im Falle der Noth sich zurückziehn kann. Bragi Ingemund ist der Mann, dem keine Stelle in jenen Gebirgen, wo nur eines Menschen Fuß sich hinwagt, unbekannt geblieben ist. Sprecht, junger Herr, wollt Ihr ihn zum Reisegefährten, wollt Ihr unter des alten Huskurers Führung die Wandrung über den Jemte-Field unternehmen?«

»Alter,« versetzte in einem zweifelhaften Tone Roland, »du sagst selbst, daß diese Reise großen Beschwerden unterworfen sey, daß sie ungewöhnliche Anstrengungen erheische. Bist du auch deiner Kraft so gewiß, daß du sie glücklich zu beendigen denkst?« (

Der Huskurer lachte muthwillig und spöttisch in sich hinein. Dann schlürfte er langsam und behaglich von des Hausherrn würzigem Meth und versetzte:

»Ihr seyd freilich mit Knochen und Gliedmaßen versehen, wie die Riesenkönige Ragnar Lodbrok und Fiolmer, von denen die Saga Wunderdinge erzählt. Allein es kommt doch darauf an, wer es auf die Dauer länger aushält, Ihr mit Euerm gewaltigen Körperbau oder der alte Huskurer mit seinen unter zahllosen Müheseligkeiten abgehärteten Sehnen, mit seiner zähen Beharrlichkeit, die keine noch so lange und noch so beschwerliche Reise lähmen kann. Glaubt mir, wer die ganze Länge der Kjölen durchschnitten hat, um unter dem Schnee und Eise des Nordkaps nach heilsamen Kräutern zu suchen, der fragt nicht viel nach den Abgründen und Schneewüsten des Jemte-Field. Aber Euer junge Bursche da, dieses zarte Buttermilchgesicht, wie gedenkt es, in das schwedische Thalland zu gelangen?«

»Aus dieselbe Weise, wie Ihr!« versetzte keck Claudianus. »Wir haben daheim im deutschen Reiche auch Gebirge, zu deren Uebersteigung Muth und Ausdauer gehört und als ich mit Meister Erasmus Fontanus den Harz durchwanderte, um nach verborgenen Golde und Silberadern zu forschen, betraten wir Wildnisse, in die vielleicht niemand vor uns eingedrungen. Habt keine Sorge um mich, Meister Ingemund! Ich bin auf Wandrungen groß geworden und habe als Pennal Entbehrungen ertragen, wie sie Euch wohl nie auferlegt werden.«

»Es gibt Beispiele,« sagte der Huskurer für sich hin, »daß solche Knaben noch ausgehalten, wo selbst die Kraft eines tüchtigen Mannes erlegen. Drum mag es immerhin mit ihm gewagt werden. Aber,« wandte er sich zu Roland, »versteht Ihr und Euer junger Gefährte Euch auch auf das Skyelaufen? Denn das sage ich Euch, nur auf Skyen vermögen wir die Schneeflächen des Jemte-Field zu überschreiten.«

Roland versicherte, daß er während eines frühern Aufenthaltes in Dalarne sich in diese Art, die nordischen Gebirgsgegenden zu bereisen, sehr eingeübt habe und daß er, bei des Knaben Claudianus Anstelligkeit zu jeder Art von Leibesübungen, auch von diesem eine baldige Vertrautheit mit den leicht über die Schneelagen hinschwebenden Skyen erwarte.

»Ja, ich muß hinüber,« sprach jetzt, in sich selbst versinkend und die Gegenwart seiner zwei kräftigen Reisegefährten nicht beachtend, Bragi Ingemund. »Er schwebt schon auf den Gewässern, der in der königlichen Stadt Stockholm die Krone dreier Reiche auf sein Haupt setzen will und wo seine Hand nach einer Krone sich erhebt, da fließt auch Blut und Blut ist die Saat des Krieges, wie dieser wiederum den Keim zu weiterm Blutvergießen in sich trägt. Da wird man den alten Huskurer brauchen können, da wird es Wunden geben, die er verbinden, Krankheiten, die er heilen muß. Die wunderbare Stimme in mir mahnt mich, die Ahnung von Blut und Krieg treibt mich hinüber.«

»Sprecht Ihr von König Christian?« fragte befremdet Roland. »Noch ist Stockholm wohl befestigt gegen jeden Angriff und des Reichsverwesers Sten Sture's Wittwe besitzt den Muth eines Mannes, die Unerschrockenheit und Standhaftigkeit eines Helden. Sie wird dem blutdürstigen Tyrannen widerstehn bis zum letzten Odemzuge.«

»Redet leiser;« entgegnete der Huskurer, indem er sich besorgt umblickte. »Der Tyrannen Ohren hören weit und ihre Hände sind stets bereit zu blutiger That. Sture's Wittwe erbebt nicht im Sturm des Krieges, aber nicht alle Männer gleichen diesem Weibe. Es gibt Schwächlinge, furchtsame und feile Seelen unter den schwedischen Edlen – die Zeit wird das Räthsel lösen, wie sie sich in der Gefahr bewähren.«

Noch besprachen die beiden Männer Manches über die bevorstehende Reise, dann trennten sie sich, in der Ueberzeugung, jeder in des andern Bekanntschaft einen Gewinn gemacht zu haben.

»Ich sehe nun immer heller in das Wesen und Treiben der Menschen;« sagte der Knabe Claudianus, als er sich wieder mit Roland, dem er seine ganze Liebe zugewandt hatte, allein fand. »Viel Lug und Trug läuft da unter und derjenige ist nicht zu verdammen, der mit nothwendigen Täuschungen Gutes bezweckt. Wie ganz anders erscheint mir dieser alte Wundermann als mein früherer Meister Fontanus, obgleich Beide in ihrer Handlungsweise, in ihrem geheimnißvollen Wirken sich wiederum nähern! Diese armen abergläubischen Landleute würden lieber sterben, ehe sie sich in ihrem Krankheitszustande einem noch so verständigen Manne anvertraueten, der nicht zugleich bedacht wäre, durch wunderliche Gaukeleien und thörichte Vorspiegelungen ihrem Aberglauben zu schmeicheln. Bei dem Studenten Erasmus aber war es ein Anders. Der suchte den Aberglauben zu erregen, um seinen Vortheil dabei zu finden. Nie kann ich Euch, mein wackrer Waffenmeister genug danken, daß Ihr mir die Augen geöffnet, daß Ihr mich aus der Gewalt jenes gefährlichen Menschen befreit habt.«

Erst spät am Abende kehrte Ignotus, nur auf einige Augenblicke, aus der Gesellschaft des greisen Drostes Hagen zurück. Eine Wonnetrunkenheit hatte sich seiner bemächtigt, der er nicht Worte zu verleihen wußte. Hastig berichtete er, daß er nur komme, um Abschied zu nehmen und sein Gepäck zu Herrn Hagen bringen zu lassen, der ihn, als er, unfähig dem entgegenkommenden Vertrauen des edeln Greisen zu widerstehn, seinen Stand und Namen offenbart, wie einen Sohn in seinem Hause aufgenommen und ihm allen Schutz, alle Verborgenheit gegen König Christian's Nachforschungen zugesagt. Zu seiner großen Freude habe er auch vernommen, daß der würdige Drost ein Jugendfreund seines Vaters gewesen, er sey in Thränen ausgebrochen über dessen unglückliches Schicksal, in Verwünschungen gegen seinen Mörder. Und Clara? – Ignotus lag scheidend an Rolands Brust und sagte leise:

»Sie ist mehr, als ein Engel! Die Engel bewohnen den Himmel und trinken seine Seligkeit und vermögen sie wiederum erwählten Sterblichen einzuflößen; aber ihr ist es verliehen, aus dem Irdischen, was sie umgibt, Seligkeit zu schöpfen, sie besitzt die Macht, die Erde in den Himmel zu verwandeln. Roland, ich spreche verwirrtes, unzusammenhängendes Zeug, allein die Verwirrung des Entzückens hat sich meiner bemächtigt, ich finde keinen Ausdruck für die Gefühle, die mich jetzt beherrschen. Lebe wohl, mein Freund, und möge dir so bald das Glück begegnen, wie es mir begegnet ist! Glaube nicht, daß es mir wieder entschlüpft. Das Schicksal kann mir Hindernisse, Kämpfe in den Weg werfen, aber das Bewußtseyn des mir nun erstandenen Glückes lebt so fest in mir, daß es kein Hinderniß gibt, welches ich nicht hinwegzuräumen mächtig, keinen Kampf, in dem ich nicht zu siegen stark genug wäre. Es ist das erstemal, daß ich liebe, das erstemal, daß ich um Gegenliebe werbe. Ich kenne ihre Zeichen nicht, doch belebt sich das Feuer in Clara's Augen, wenn sie auf mir ruhen, ihre Wangen röthen sich tiefer, ihr ganzes Wesen scheint sich enger, fast blöde, in zarte Jungfräulichkeit einzuhüllen. Ein Leben ohne ihren Besitz ist nicht denkbar: Arwed Oxe und Clara Norby waren eins von Anbeginn ihres Daseyns.«

Der glückliche Schwärmer eilte fort, einer Zukunft entgegen, die herrliche, lockende Bilder vor seiner Phantasie aufstellte. Roland sah ihm froh über seine unerwartete Umwandlung, allein auch trauernd über die rasche, plötzliche Trennung, nach. Der Jüngling war ihm lieb geworden. Welches empfindungsvolle Herz hätte auch dem Leiden, das ihn schon in früher Jugend heimgesucht, seinem edlen Charakter, seinem ganzen ritterlichen Wesen, eine innige Theilnahme versagen können?

In der Frühe des nächsten Morgens hielt Bragi Ingemund mit einem leichten, von zwei kräftigen nordländischen Rossen gezogenen Schlitten vor dem Hause des Drontheimer Bürgers, der Roland und seine Gefährten so gastlich aufgenommen. Unser junger Abentheurer und sein wackrer Knabe gesellten sich zu dem landeskundigen Huskurer und im ungestörten Fluge ging es nun, über die noch hart gefrornen Straßen, in das Innere des Landes, der großen nordischen Gebirgskette zu.



 << zurück weiter >>