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Viertes Kapitel.


Der Felsen Höhn, des Meeres Tiefen,
Sie bergen Wunder unzählbar,
Die Zaubrer, die in Höhlen schliefen,
Der Ungeheuer bunte Schaar.

Diese Nacht sollte für unsern jungen Freund nicht ohne ein zweites Abentheuer vorübergehn. Der Aufenthalt auf dem Verdecke in der frischkühlen Luft, die ihn belebend anwehete, war ihm behaglich, er streckte sich auf die Schiffsbank nahe am Borde aus und blickte hinauf zum Sternenzelt und in das feurige Garbenspiel des Nordlichtes. Bald fingen die Sterne an, vor dem nahenden Grauen des Morgens zu erbleichen, die funkelnden Strahlen im Norden wurden seltener, ein scharfer Morgenwind erhob sich. Da vernahm Roland dicht unter sich durch das Anströmen der Wellen hindurch ein andres Geräusch, das seine Aufmerksamkeit erregte. Er sprang auf die Bank und lehnte sich weit über das Bord, um den Gegenstand, der es verursachte, zu erkennen. Mit Anstrengung seiner ganzen Sehkraft bemerkte er eine dunkle Gestalt, die aus einer der Schiffslucken hervorkroch. Sie trat auf den Vorsprung, der an dieser angebracht war, sie klammerte sich an den Wänden fest und blieb nun hier stehen, ohne einen Laut von sich zu geben und ohne eine Bewegung zu wagen, die sie leicht hätte in den Abgrund stürzen können. Roland fühlte sich durch diese wunderliche Erscheinung überrascht und befremdet. War es ein Nachtwandler, der hier unwissend an den Rand des Verderbens trat, war es vielleicht wieder ein Unglücklicher, wie Ignotus, dessen Thun, von einem dunkeln Verhängnisse geleitet, eines Beschützers, eines Wächters bedurfte? Er wußte, daß man Nachtwandler durch einen lauten Anruf, wenn dieser sie an gefährlicher Stelle traf, Verderben bringen konnte, er sprach also nur mit gedämpfter Stimme hinab:

»Wer ist der Tolldreiste, der sich um diese Stunde an einen Ort wagt, wo ein Zufall, wo die geringste Unvorsichtigkeit ihn zu einer Beute des Todes machen kann? Sprecht, wenn ich nicht die Schiffsleute erwecken und Euch mit Gewalt von dieser Stelle hinwegbringen lassen soll!«

»Ach, Herr, verrathet mich nicht!« entgegnete eine zitternde, schwache Stimme, in welcher Roland sogleich die des Knaben Claudianus erkannte. »Ich schöpfe nur ein wenig Luft. Am Tage darf ich nicht und nur Nachts, wenn Meister Erasmus im tiefen Schlafe liegt, wage ich es, mich herauszuschleichen, die freie Luft zu athmen, den lieben Sternenhimmel anzuschauen und auf das seltsame Geflüster der Wellen zu lauschen.«

»Und warum kommst du nicht herauf, warum wählst du diesen seltsamen Weg, deine Lust nach frischer Luft, deine Freude an der Natur zu befriedigen.?« versetzte fragend Roland.

»Ich schlafe bei den Jungen im untern Raume,« antwortete Claudianus, »und dieser wird jeden Abend von Außen von dem Bootsmanne verschlossen. Aber noch einmal, edler Herr! Verschweigt um Gotteswillen dem Meister, daß Ihr mich hier fandet. Er bricht, wenn ich gegen sein Gebot handle, in die wildeste Wuth aus, er schlägt mich blutig und tritt mich mit Füßen.«

»Dagegen wird dich der Roland zu schützen wissen;« antwortete der junge Deutsche. »Da! Ergreife dieses Thauende und schwinge dich herauf. Ich möchte dich näher kennen lernen, ich möchte dir helfen, wenn es dir selbst darum zu thun ist.«

Mit vieler Leichtigkeit kletterte der Knabe an dem Tau empor. In wenigen Augenblicken stand er vor Roland und sagte schüchtern:

»Ich weiß nicht, ob ich recht handle, indem ich das Gebot des Meisters überschreite, aber es ist doch auch gar zu hart, immer unten in dem dumpfen Kasten zu schmachten und lateinische Vokabeln auswendig zu lernen, während ich hier oben über meinem Haupte die Leute unter dem schönen freien Himmel herumgehen höre, während das Meer, das ich schon so lange zu sehen gewünscht und immer wiedersehen möchte, nur durch eine dünne Bretterwand von mir getrennt, neben mir hinrauscht, während Ihr andern hier oben Alles, was die Schöpfung Wunderbares aus der Tiefe des schäumenden Abgrundes emporsendet, was hier schon die Magie des hohen Nordens andeuten mag, in Freiheit genießt.«

Roland mußte über die seltsame, etwas phantastische Weise, womit sich der Knabe ausdrückte, lächeln.

»Was verstehst du denn unter deiner Magie des hohen Nordens?« erwiederte er scherzhaft. »Träumst du von Hexen, die dort ihr Wesen treiben? Von den Gespenstern der alten Reken, daß sie aus ihren Hünengräbern hervorschreiten und wunderbare Dinge verkündigen? Von Zaubrern und Beschwörern, von Wald und Berggeistern?«

»Spottet nicht über diese Dinge!« entgegnete fast böse der Knabe Claudianus. »Es ist sicher, daß hoch oben in den Gebirgen am Nordpol noch wilde heidnische Völker hausen, die Verkehr mit den Geistern Verstorbener treiben, deren Zaubrer Krankheiten zu beschwören, verborgene Dinge, wie Schätze und edle Metalle, unter der Erde zu entdecken vermögen. Sie sollen wunderlich von der Natur gestaltet seyn. Man findet sie nicht leicht auf, denn sie sind heute oft noch über hundert Meilen von der Stelle entfernt, wo man sie am nächsten Tage antrifft. Ob sie stiegen oder sich nur an jeden beliebigen Ort hinwünschen können, das bleibt nun die Frage!«

Der Knabe sagte das Alles mit der größten Treuherzigkeit und der festesten Ueberzeugung. Roland konnte sich eines lauten Lachens nicht erwehren und sprach:

»Thörigter Junge! Die wunderbaren Nordmänner, von denen du so viel Fabelhaftes träumst, sind nichts anders, als die armen Lappen oder Samen, wie sie sich selbst nennen, die noch tief in Heidenthum und Aberglauben begraben sind. Freilich haben sie ihre Zaubrer und Krankheitsbesprecher, die sie aus Eigennutz betrügen und mit tollen Gaukeleien verblenden. Aber was die Schätze und edlen Metalle betrifft, die sie an verborgenen Stellen entdecken sollen, so bin ich dir Bürge, daß der größte Theil dieses elenden Volkes weder das Geld noch dessen Werth kennt, da sie das Wenige, dessen sie bedürfen, im Tausche einhandeln. Und ihre Kunst zu fliegen oder sich an andre Orte hinzuwünschen? Glaube mir, Kind, wenn das Hütlein Fortunati noch irgendwo angetroffen wird, so ist es sicher nicht in Lappland! Aber ihre Rennthiere, mit denen sie reisen, sind flüchtig, wie der Wind, und daher mag wohl deine Sage entstanden seyn.«

»Ihr schwebt sicherlich im Irrthume;« antwortete hartnäckig Claudianus. »Mein Meister ist zu tief erfahren in geheimnisvollen Wissenschaften, um sich täuschen zu können. Er wandert in der Absicht nach den Ländern des Nordens, um sich im Schatzgraben, im Auffinden edler Erze zu vervollkommenen. Ich glaube, es gibt keinen gelehrtern Mann in der Welt, als den Meister Erasmus Fontanus und gern ertrage ich Noth und Schläge, wann ich nur dann und wann ein Brosämlein seiner Gelehrsamkeit auffangen kann. Ihr solltet nur seine Beschwörungen hören, wenn er in chaldäischer oder arabischer Sprache die Geister aus ihren Gräbern heraufruft und sie seinem Gebote Folge leisten müssen. Sicherlich! die Haut würde Euch schaudern und das Mark in den Gebeinen erstarren.«

»Hast du denn diese Geister selbst gesehn?« fragte mitleidig der junge Deutsche. »Ist ihre Erscheinung so furchtbar, wie die Beschwörung deines Meisters?«

»Ich sehe sie nicht, er aber sieht sie;« versetzte unbefangen der Knabe. »Ihr müßt wissen, ich bin nur erst ein Pennal, das noch Viel lernen, Viel erfahren muß, ehe es eingeweiht werden kann in höhere Dinge. Habe ich es aber erst einmal bis zum Studenten gebracht und das Arabische und Chaldäische in den Kopf, dann beschwöre ich mir meine Geister so gut, wie nur einer, und die alten Philosophen Plato und Cicero sollen mir Rede stehen über Mancherlei und selbst der Zaubrer Albertus Magnus muß wieder herbei, um mich seine Künste zu lehren.«

Claudianus schien so fest überzeugt von der Wahrheit der Ungereimtheiten, die ihm sein älterer Begleiter in den Kopf gesetzt hatte, das Roland wohl einsah, es würde vergebens seyn, ihn jetzt von seinen Irrthümern befreien zu wollen. Vieles aber blieb ihm noch dunkel in dem Verhältnisse des Knaben, der durch sein offenes, gutmüthiges Wesen seine Theilnahme erregt hatte. Es war ihm wohl Mancherlei von den Mißbräuchen zu Ohren gekommen, die das fahrende Leben der Studenten mit sich bringe, indem sie von einer Universität zur andern zogen, um irgend einen berühmten Professor zu hören, indem sie auch wohl nur, um ihren Hang zum Vagabundenleben zu befriedigen, Dörfer und kleine Flecken besuchten, wo sie die Bauern auf alle Weise zu Gaben und Unterstützungen zu bewegen suchten. Die Gelegenheit, sich hierüber näher zu unterrichten, gewährte ihm nun diese Zusammenkunft mit dem Knaben Claudianus, von dessen eigenen Lebensumständen, von dessen Zusammenleben mit Erasmus Fontanus er auch einiges Nähere zu erfahren wünschte. Er ließ den Knaben neben sich niedersitzen und fragte ihn zutraulich, wie er eigentlich in die Gesellschaft des Studenten gekommen, ob er mit ihm verwandt oder von seinen Verwandten diesem anvertraut worden sey.

»Nein!« antwortete Claudianus. »Nur seine hohe Erscheinung, seine große Gelehrsamkeit haben sich mit einemmale meines Geistes bemächtigt und diesen dem seinigen unterworfen, so daß ich mit ihm ziehen mußte und Alles geduldig von ihm ertrage, wenn er mich nur seines Unterrichtes, der Mittheilung seiner unermeßlichen Geistesschätze würdigt. Ich war ein armer Knabe in einem Dörfchen bei Augspurg im Reiche. Meine Eltern kannte ich nicht, denn sie starben sehr frühe, andre Verwandten besaß ich nicht und die Gemeinde sah sich daher genöthigt, sich meiner anzunehmen. Erst hütete ich die Schaafe, später wurden die Kühe des Dorfes meiner Wachsamkeit übergeben. Da sprach einmal der Pfarrer mit mir, meinte, ich sey zu etwas Besserm von der Natur geschaffen, und nahm mich zu sich in seine Wohnung. Der Pfarrer war ein braver und sehr gelehrter Mann, aber mit mir gab er sich doch nur wenig ab, denn er studirte Tag und Nacht auf den Lapidem Philosophorum, auf den Stein der Weisen. Lesen und Schreiben lehrte mich der Küster und als ich einmal so weit war, drängte es mich in meiner Seele immer weiter nach mehrern Kenntnissen. Aber da hatte des Pfarrers Köchin immer so mancherlei Beschäftigungen und Bestellungen für mich im Hauswesen, daß mir keine Zeit zum Unterricht blieb, wenn ich auch sonst Gelegenheit gehabt hätte. Was half es mir nun, daß ich von den Gänsen und Kühen los war? Ein lateinisches Vocobularium, das der Pfarrer selbst in frühern Zeiten niedergeschrieben hatte, gewährte mir den einzigen Trost in dieser Lage. Aber schon nahete der Tag, an welchem das Licht einer neuen Sonne in mein Leben treten sollte. Der Meister Erasmus Fontanus erschien im Pfarrhause. Sein würdiges, gelehrtes Ansehn, seine wunderbare Rede, aus der eine Fülle von Weisheit, die ich einmal in Zukunft recht zu verstehn hoffe, strömte, die Pergamentrolle in seinem Gürtel, das Schreibzeug an seiner Seite – Alles erfüllte mich mit Bewunderung und zog mich in seine Nähe. Er verweilte mehrere Tage in unsrem Hause. Der Pfarrer war fast immer in seinem Zimmer mit ihm verschlossen und als nun die Stunde kam, die Fontanus zu seiner Weiterreise bestimmt, konnte ich mich nicht länger halten, fiel dem Pfarrer und ihm zu Füßen, bat jenen, mich mit dem Studenten gehen zu lassen, bat diesen meine Begleitung zu dulden und mich in den Tempel der Gelehrsamkeit einzuführen. Beide gewährten meinen Wunsch und auf diese Weise ward ich das Pennal des Meisters Erasmus, der mich wahrlich sehr glücklich machen könnte, wenn er nicht so spärlich mit seinem Unterrichte wäre.«

»Wie könnte er mehr geben, als er selbst besitzt!« sagte Roland halblaut für sich hin. »Und wohin führte Euch nun Euer Weg?« wandte er sich wieder zu dem Knaben. »Welches Leben triebt Ihr miteinander?«

»Wir zogen in vieler Herrn Länder umher und durch manche Städte;« fuhr Claudianus in seiner Erzählung fort. »In den Städten aber verweilten wir nur immer kurze Zeit, denn meines Meisters Absicht war, die armen Landleute, die noch so gar tief in Unwissenheit versunken sind, mit seinem Lichte zu erleuchten. O, Herr, welche Reden hat er oft in Herbergen und Bierstuben gehalten, würdig eines Demosthenes und Cicero! Welche wunderbare Räthsel hat er dort aufgegeben und gelöst! Die Bauern aber erkannten auch seine Bemühungen und ließen es uns selten an Etwas fehlen.«

»Wenn es aber fehlte,« unterbrach ihn Roland, »was begannet Ihr dann?«

»Je nun,« versetzte arglos der Knabe, »dann war es des Pennal's Schuldigkeit, im Dorfe umherzuwandern von Haus zu Haus und sie um ein Stück Dörrfleisch, einen Käse und ein Brod anzusprechen. Meister Erasmus zeigte sich hier oft, als einen gar strengen Herrn, denn wenn ich nicht genug mit heimbrachte in die Scheuer oder in den Stall, wo er indessen seinen Wohnsitz aufgeschlagen, so erhielt ich oft Schläge, daß mir das Blut den Rücken herabfloß, und von den Speisen auch nicht ein Krümchen. Das geschah aber nur sehr selten, denn der Meister ist auch, wenn es darauf ankommt, sehr erfahren in weltlichen Dingen, in dem neu erfundenen Kartenspiele Landsknecht und im Würfeln oder Knöcheln. Wo die Bauern sich darauf mit ihm einlassen, da können wir auf eine gute Erndte gefaßt seyn. Einmal gewann er einem Pachter einen ganzen Ochsen ab. Den pöckelten wir ein und dörrten das Fleisch im Rauchfange und blieben nun so lange im Orte, bis wir das Thier aufgezehrt hatten. Von den Frauen gingen wir fast nie ohne Geschenk fort. Der Meister wahrsagte ihnen, legte ihnen die Träume aus, verkündigte ihnen, nach seiner tiefen Einsicht Glück und Freude, und mancher Gulden fiel dafür in seinen Säckel.«

»Arme Betrogene!« sagte Roland mit einem Achselzucken. »Und du, Claudianus, hast du denn nun Theil an den Schätzen seiner Weisheit erhalten, ist dir von ihm der Tempel der Gelehrsamkeit erschlossen worden?«

»Er sagt,« erwiederte Claudianus, »ich solle nur mit ihm so fort leben und das Uebrige werde sich von selbst finden. Manches freilich hat er mir schon zugemuthet, worin ich ihm nicht zu Willen seyn konnte. So sollte ich einmal von einem Pachthofe eine fette Gans an mich locken, ein andresmal einen Hammel, der sich im Walde verirrt, todtstechen –«

Der junge Deutsche brach in ein lautes Gelächter aus.

»Höre, Claudianus,« sprach er dann ernst, »du befindest dich in schlechten Händen und der Unterricht, den dir dein Meister in Lehre und Beispiele ertheilt, führt auf geradem Wege zum Galgen. Nimm guten Rath an und entferne dich, sobald sich die Gelegenheit dazu zeigt, aus seiner Nähe. Sein ganzes Treiben ist eitel Trugwerk, Schelmenwesen und Spitzbüberei. Du bist jung, du trittst kaum in die Welt. Tausend Wege stehen dir offen, die zu einem frohen und nützlichen Leben führen. Wie kannst du dich einem gewissenlosen Vagabunden, einem falschen Spieler und Diebe als Sklav unterwerfen, während du sonst etwas Tüchtiges, ein wackerere Kriegsmann zum Beispiel, zu werden vermagst?«

»Ich muß durchaus ein Gelehrter, ein vir doctus und clarissimus werden;« antwortete der Knabe. »Freilich kann ich nicht Alles billigen, was der Meister Fontanus thut, und seine Schläge, seine Fauststöße thun oft gar sehr wehe; aber wenn ich ihn dann wieder reden höre von den tiefen Geheimnissen der Natur, von dem Wirken der Elementargeister in dem Aether, den Strömen und in den Abgründen der Erde, wenn er wundervolle Dinge erzählt vom Frau Venusberge, vom alten Kaiser Friedrich Barbarossa, der im Kyffhäuserberge in Thüringen sitzt, dessen Bart durch den dicken eichernen Tisch durchgewachsen ist und der einstens aus seinem nun fünfhundertjährigen Schlafe erwachen wird, um die alte deutsche Herrlichkeit zurückzubringen, – wenn er um Mitternacht sich von seinem Lager erhebt und seine mächtigen Beschwörungsformeln in die Nacht hinausruft: dann bin ich wieder sein mit Leib und Seele und eine Stimme aus meinem Innern ruft mir gebieterisch zu: stehe fest in der Prüfung, vertraue dem Meister und du wirst dein hohes Ziel erreichen!«

Indessen war der Morgen angebrochen und die Sonne erhob sich glanzlos, eine bleiche runde Scheibe, über das Felsengestade Norwegens, dem man sich im Laufe der Nacht so weit genähert hatte, daß seine Berge mit ihren Schneehäuptern und steilen Klippen fernherüber sichtbar waren. Mehrere Seeleute versammelten sich auf dem Verdecke, die Schiffsjungen stiegen aus dem untern Raum empor und der Knabe Claudianus konnte sich nun unbemerkt auf dem gewöhnlichen, allgemein gebräuchlichen Wege wieder nach seinem Aufenthalte zurückbegeben. Capitän Harslö trat zu seinem jungen Freunde und sagte, auf die Küste deutend:

»Wehe dem Schiffe, das hier die Unkunde seines Führers oder der Sturm dem Strande zutreibt! Tausend Klippen, gefährliche Strudel, deren Lage noch unbekannt ist, die Felsenwande der Küste selbst bringen ihm sichres Verderben. Dann,« setzte er leise und im scheuen Tone eines abergläubischen Seemanns hinzu, »ist es auch nicht recht geheuer in diesem Meere. Alte Matrosen erzählen seltsame Dinge, welche hier erlebt worden sind. Oft erscheinen mitten in der Nacht nach dem Strande hin viele Lichter und bewegen sich durcheinander, wie die Laternen von Schiffen, welche Ankergrund suchen, dann hört man plötzlich ein dumpfes entsetzliches Nothgeschrei und die Lichter versinken mit einemmale in Nacht; aber niemand lasse sich von einem menschlichen Gefühle bewegen, hier retten und helfen zu wollen! Alles sind nur Vorspiegelungen der ruhelosen Geister derjenigen, die in diesen Meeren umgekommen und nun schadenfroh auch andre Seefahrer in das Verderben locken möchten, das sie ergriffen. Und habt Ihr nie von den schrecklichen, riesenhaften Meerungethümen gehört, die in diesen Gewässern hausen?«

Auf Rolands Verneinung durch eine Gebehrde, fuhr der Capitän vertraulich fort:

»Seht dort den Seekrebs, der mit den Scheeren nach unten gekehrt an den großen Mast genagelt ist, und gleich daneben die Schlangenhaut, deren Kopf ebenfalls zur Erde herabhängt! Das sind Vorsichtsmaßregeln, die gegen großes Unglück wahren. Ihr Deutschen wißt nichts von diesen Dingen und spottet ihrer wohl gar, indem Ihr uns für kindische und abergläubische Thoren haltet, aber kein Norweger zweifelt daran, daß in diesem Meere die große Seeschlange lebt, die über hundert Klafter lang ist und oft, wo die nothwendige Vorsicht versäumt worden, einen Matrosen vom Verdecke schnappt oder auch das ganze Schiff mit ihrem ungeheuern Rachen ergreift und es Wochenlang auf einem Flecke festhält. Noch weit gefährlicher aber ist der Kraaken, der ungeheuere Seekrebs, der von Zeit zu Zeit seinen Rücken, wie eine meilengroße Insel aus dem Meere erhebt und mit seinen Scheeren große Schiffe umklammert und niederzieht in den Abgrund, ehe sich jemand von dem Schiffsvolke retten kann. Sehet mich nicht ungläubig an und hütet Euch, vor den Matrosen Euern Zweifel laut werden zu lassen, Ihr könntet sonst als ein Ketzer, der dem Schiffe Unglück bringt, über Bord wandern müssen.«

Nach dieser wohlgemeinten Warnung ließ der Capitän die Segel seewärts richten, um, fern von der gefährlichen Klippenreihe und dem Felsengestade Norwegens, durch die offene See seine Fahrt nach Drontheim fortzusetzen. Bald verschwanden die Häupter der Schneeberge wie Wölkchen, welche die Morgensonne in einen duftigen Glanz hüllt, und das Auge des Seereisenden mußte nun wieder an unbedeutendern Gegenständen, an einigen Seemöven, die dem Lande zugegen, an Fischen, welche aus der Fluth auftauchten, eine Zerstreuung in dem immerwährenden Einerlei einer ruhigen Wasserfahrt suchen. Roland aber behielt die Warnung wohl im Sinne und als Abends die Matrosen das sogenannte Kraakenlied sangen, in welchem der Kraaken als ein Beherrscher des Nordmeers anerkannt und gebührend verehrt wurde, enthielt er sich jedes Lächelns, jeder spöttischen Bemerkung.



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