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Neuntes Kapitel.


Aus Bäumen ruft's, aus Flüssen tönt es mächtig,
Vom Wiesengrunde, wo die Elfen tanzen –
Der Ruf ist lockend, grauenvoll zugleich,
Doch der muß folgen, dem er mahnend gilt.

Wir ersuchen den freundlichen Leser, einen Zeitraum von mehreren Wochen mit uns zu überspringen und uns dann in das schöne schwedische Thalland, in die Gegend des reizend gelegenen Fleckens Mora zu begleiten, wo sich der brausende Dalelf in das weite Becken des von anmuthigen Ufern umkränzten Siljansee's ergießt. Diesen Punkt hat die Natur erwählt, um ihn mit den mannichfaltigsten Reizen zu schmücken. Zwischen dem frischen Grün der Wiesen drängen sich liebliche Birkenwäldchen von den Anhöhen bis zum Ufer des Siljan vor, zahlreiche Heerden weiden an den Abhängen der Berge, die von Wäldern gekrönt, zu beiden Seiten des Thales emporsteigen und dessen Hintergrund schließen, über dem Hintergrunde erheben sich die mit ewigem Schnee bedeckten Häupter der Grenzgebirge, von dem schönen Rosenlichte des Abends und der hellen Sommernächte sanft umflossen. – Wer in diesem lieblichen Lichte, das nur den klaren Nächten des Nordens eigen ist, zwischen den duftigen Wieseninseln des Siljan hinschifft und bald seinen Blick auf den sanften Abhängen der Ufer mit den amphitheatralisch zerstreuten Wohnungen der wackern Dalekarlen weilen läßt, ihn bald hinaufsendet zu den Schneehäuptern, die schon im lichten Morgenrothe zu schweben scheinen, bald hinab über den See nach jener Gegend, wo die düstern Rauchwolken der Eisenwerke von Falun sich erheben, der kann sich hier leicht in wunderliche Träumereien verlieren, die ihm heitre, erhabene und trübe Lebensbilder vorführen, wie sie der verwandte Geist in den einzelnen Gegenständen, die ihn umgeben, erzeugt. Auch sind die Bewohner dieser Gegend und waren es noch mehr zu jener Zeit, in welche die Begebenheiten, die wir darzustellen bemüht sind, fallen, allen phantastischen Träumereien, welche die alten Sagen des Landes von den Trollen oder Naturgeistern berichten, vielen abergläubischen Einwirkungen durch Besprechung und andres Hexenwesen, zugänglich. Sie zeichnen sich, sowohl Männer wie Weiber, durch ihren schlanken und dabei doch kräftigen Körperbau, durch eine edle Gesichtsbildung, durch Würde und Ruhe in ihrem ganzen Wesen, durch Offenheit, Tapferkeit und Treuherzigkeit aus. Familienzwiste, kleinere Streitigkeiten unter den Bewohnern, geringfügige Vergehn, werden noch jetzt, wie vor vielen hundert Jahren, in der Gillstuga (dem Gemeindehause) von den versammelten Hausvätern, unter dem Vorsitze der Aeltesten, verhandelt und gerichtet. Die Dalekarlen sind ein einfaches Hirtenvolk, das mit patriarchalischem Sinne Redlichkeit, Treue und unbeschränkte Gastfreundschaft übt.

Es war in der Nacht vor dem Johannistage, der in ganz Schweden als Bote der hier spät eintretenden schönen Jahreszeit fröhlich begrüßt und gefeiert wird, als zwei Mädchen leise und hastig die hohe Holztreppe, welche von dem großen Saale der Gillstuga zu Mora an der äußern Wand des Gebäudes zum Boden führte, hinabtrippelten und oft zurückblickten und lauschten, ob sie von niemanden gesehn und verfolgt würden. Oben waren noch Frauen, Mädchen und Jünglinge beschäftigt, die Versammlungshalle mit grünen Birkenzweigen und bunten Bändern festlich auszuschmücken, über der Treppe waren schon solche heiter geputzten Bogen von gekrümmten Birkenstäben angebracht, in den Straßen bemüheten sich noch fröhlich jubelnde junge Leute, Gewinde von frischem Laub und von Wiesenblumen querüber von Haus zu Haus zu ziehen und den lustigen Maienbaum mit seinem hoch oben schwebenden Kranze und seinen hundert flatternden Bändern aufzurichten.

Jene zwei Mädchen schlichen schweigend und behutsam längs den Häusern hin und wählten bald einen engen, einsamen Seitenweg, wo sie bei dem tageshellen Lichte der kurzen nordischen Sommernacht nicht so leicht den Blicken Andrer ausgesetzt waren. Noch unterbrach keine von ihnen die Stille, die, indem sie sich von dem Innern des Dorfes entfernten, mehr und mehr eintrat. Endlich lagen die letzten Wohnungen hinter ihnen und nun mäßigten sie die dringende Eile, mit der sie bisher ihren Weg fortgesetzt hatten, die eine von ihnen, eine noch sehr jugendliche zarte Gestalt, schritt auf den betretenen, durch die thauigen Wiesen sich schlängelnden Pfad vor und sprach nach ihrer Begleiterin, einem schon älter scheinenden Mädchen, in einem sanften, schwermüthigen Tone zurück:

»Hüte dich, Margarethe, den Rand des Grases zu betreten. Um Johanniszeit halten die Elfen allnächtlich hier ihre Ringeltänze und es ist nicht gut in ihren Kreis zu gerathen. Sie sind zwar nicht böse und schaden demjenigen nicht, der sie stört, allein er muß sich dann ihre Neckereien gefallen lassen, sie verwirren seinen Blick und führen ihn oft auf diese Weise stundenweit hinweg von seinem Pfade. Habe ich doch am vorjährigen Johannisfeste, als ich vor Mitternacht nach dem Kreuzwege ging, wohin unser Weg uns auch jetzt führt, gesehen, wie sie den trunknen Lars Danielson, der blind in ihre Ringe hineintappte, weit fortgeführt auf die Waldgebirge, wo ihn am andern Morgen schlafend die Leute gefunden.«

»Das hast du selbst mit deinen eigenen Augen gesehen?« versetzte in einem verwunderten, zugleich schalkhaften Tone die andre, in der wir Rolands Freundin, Margaretha Böchower, die Nichte des wackern Pfarrers von Mora, Jacob Pehrson, kennen lernen. »Höre, Lille mein Kind,« fuhr sie zu dem noch nicht sechzehnjährigen Mädchen fort, »ich glaube, daß die Geister, von denen du sprichst, dem Lars Danielson im Kopfe steckten, daß er sie selbst durch seine Unmäßigkeit dahinein beschworen und daß er durch sie zum tiefen Schlafe auf die Felsenhöhen geführt worden.«

»Spotte nicht!« bat Lille. »Die Elfen sind wohl ein harmloses Völkchen und achten nicht solcher Reden. Sie necken nur den, der sie nicht in ihren Spielen stört. Aber da ist die Sjöra, die Waldjungfrau, der Strömkarl, der die Flüsse und Seen bewohnt – sie werden leicht gereizt durch Hohn und Spott und könnten dich ihren Zorn empfinden lassen. Ach, liebe Margareth, es ist schlimm genug, daß ich Dinge sehe und höre, die andern Menschen verborgen bleiben, aber ich bin nun einmal ein Sonntagskind und muß mich drein ergeben.«

Ein tiefer Seufzer begleitete diese Worte. Margaretha fühlte sich freilich auch nicht ganz frei von dem Aberglauben jener Zeiten, allein ihr heitres Gemüth konnte doch dem beunruhigenden Glauben an eine stete Gegenwart von überirdischen Wesen, wie er in diesen Thälern herrschte, sich nicht ganz unterwerfen, obschon eine Neigung zum Wunderbarem mit Neugierde vermischt, sie veranlaßt hatte, das schwermüthige, junge Mädchen auf ihrem nächtlichen Gange zu begleiten. Ihr Weg führte sie jetzt in ein Birkenwäldchen, das sich sanft an den Abhang eines Hügels lehnte. Neben ihnen hin rauschte in leichten Fällen ein Bergwasser und belebte die Stille der Nacht. Niemand begegnete ihnen, eine völlige Einsamkeit umgab sie.

»Ich höre den Strömkarl singen;« hob plötzlich in einem seltsamen, fast verzückten Tone das jungfräuliche Kind an. »Früherhin drang sein wunderbares Lied oft zu meinem Ohre. Wenn ich an dem Ufer des Siljan oder des Dalelf hinwandelte und kein Mensch sich sich in der Nähe fand, dann begann es unten in der Tiefe des Wassers zu tönen wie eine Glocke und bald verwandelte sich dieser Laut in verständlichen Gesang, der mit unwiderstehlicher Macht sich den Weg in meine Seele bahnte und mich hinabrief, hinablockte, hinabzog in die krystallene Wohnung des Wassergeistes. Ich kann dir mit Worten nicht ausdrücken, Margareth, welche Sehnsucht nach dem Reiche unter den Fluthen dieses Singen in mir erregte. Wie manchesmal stand ich am Ufer des Siljan und lauschte ihm und vermochte nicht, die Stelle zu verlassen, die der Strömkarl zu seinen Lockungen ausersehn! Sein Lied wurde dringender, es wurde zu einer Klage, zu einem unwiderstehlichen Flehn um Mitleid mit seinem Verlangen, mich in seiner glanzumflossenen Wohnung zu sehen. Ach, Margareth, ich bin ein sündiges Kind, ich war nahe daran, seinen Versuchungen zu erliegen! Schon hob sich mein Fuß, schon breiteten sich meine Arme aus und es dünkte mich, als würde ich in den Fluthen ein Glück erlangen, wie es die Erde nicht zu bieten vermöge – da drang plötzlich ein anderer Ton über den See zu mir herüber, der Schall des Kirchenglöckchens von Mora, heilige Sprüche, die mich dein Oheim gelehrt, kamen mir in den Sinn, ein frommes christliches Gebet auf die Lippen. Mit einemmale verstummte das klagende Lied des Strömkarls, von einer ungeheuern Angst ergriffen, floh ich weit hinweg vom Ufer des Siljan und sank, wie aus einem schweren quälenden Traume erwachend, knieend vor dem Muttergottesbilde in der kleinen Wiesenkapelle nieder. Da wurde es mir leichter, da mußte ich recht aus tiefer Seele weinen, weil ich mich als eine Sünderin erkannte.«

»Glaube mir, Lille,« sagte gutmüthig Margaretha Böchower, »du hast die Macht, diese gefährlichen Spiele deiner Einbildungskraft, zu denen schon in früher Kinderzeit der Keim in dich gelegt worden, zu bekämpfen. Gib dich fröhlich den Zerstreuungen des Lebens hin, stehe nicht immer schwermüthig zur Seite, wenn wir andern uns an Tanz und Spielen ergötzen, entsage deinen einsamen Wanderungen, auf denen du dich so leicht unglücklichen Wahnbildern und Täuschungen hingibst.«

Lille schien nicht auf Margarethens Worte zu hören. Sie blieb stehn und lauschte eifriger nach dem Wasser hin. Sie zerpflückte einen Blumenstrauß, den sie trug, und warf die einzelnen Blumen in die Wellen. Dann fuhr sie in einem ruhigem Tone fort:

»Ich habe ihn lange nicht gehört, den Strömkarl! Seit jenem Tage nicht, wo Euer Freund aus Deutschland mit dem Jünglinge Claudianus und dem alten, wunderlichen Huskurer über die Fjälln herüberkamen nach Dalarne. Wie oft bin ich nicht mit dem Claudianus am Siljan oder am Dalelf hingewandelt und kein Gedanke an den Strömkarl kam in meine Seele, sein Gesang schien für immer verstummt! Ich horchte nur den Worten des Jünglings, wenn er von seiner abentheuerlichen Seereise, von den Gefahren und Müheseligkeiten erzählte, die ihm auf der Wanderung durch die Gebirge begegneten. Meine Seele nahm den innigsten Antheil; ich zitterte bei der Erinnerung von Schrecknissen, welche längst vorübergegangen waren, ich ängstigte mich vor denen, welche die Fortsetzung seiner Erzählung noch berichten würde. Ich sah auch die Elfen nicht mehr auf den Wiesen tanzen, sie erschienen nicht mehr in meinen Träumen, der Hausgeist Tomtejubbar näherte sich nicht mehr meinem Lager und die böse Mara, die so oft wie eine quälende Last auf meiner Brust gelegen und mich zum Tode geängstigt, blieb fern. Aber die Johanniszeit hat die lange verborgen gebliebenen Gestalten wieder sichtbar gemacht. Am Tage rauscht es und flüstert es um mich, seltsame Schattenbilder von Trollen aller Art umschweben mich und Nachts steht der Tomtejubbar in seiner wunderlich zusammengekauerten Gestalt mir gegenüber und summt ein zauberisches Schlummerlied, das mich einschläfert und der grausamen Macht der peinigenden Mara hingibt.«

Sie schritt langsam weiter, während Margaretha lächelnd sprach:

»Es will mich fast bedünken, mein seltsames Kind, daß der junge Claudianus eine besondere Kraft gegen die Einflüsse deiner Trollen in sich trägt und ich möchte dir deshalb rathen, seine Gesellschaft so viel zu suchen als möglich; auch, wenn er abwesend ist, deine Gedanken recht fest auf ihn zu richten und ihn überhaupt als den dir bestimmten Schutz gegen böse Menschen und böse Geister anzusehn.«

»Wie du deinen Vetter Ronald Doneldey!« versetzte unbefangen Lille und bemerkte nicht, daß ihre Freundin über diese Worte in einige Verwirrung gerieth. »Ach, ich möchte das gern,« fuhr sie fort, »und aus meiner Seele drängt mich auch eine seltsame Empfindung zu ihm hin, aber ein andres Gefühl macht mich wieder blöde und schüchtern in seiner Nähe und wunderliche, trübe Gedanken steigen in mir auf, als müsse ich dereinst dem Jünglinge Unglück bringen. Deshalb, liebe Margareth, habe ich dich auch gebeten, mit mir zu den drei Quellen zu gehn, wo ich um Mitternacht das Johannisgesicht für's nächste Jahr zu haben hoffe. Weißt du noch, wie ich dir lange vorher die Ankunft Rolands, des Claudianus und des alten Bragi Ingemund, der nun in's Niederland gezogen ist, verkündet und dir die Ankömmlinge beschrieben habe auf ein Haar, nach ihren Gesichtszügen, ihrer Gestalt und ihrem ganzen Wesen? Das Julgesicht Jul, Julafton. Weihnacht. Auch um diese Zeit besitzen, nach dem Aberglauben der schwedischen Landleute, Geister und Kobolde die Macht, dem Forschenden besondre Offenbarungen und prophetische Gesichte vorzuführen. hatte sie mir gezeigt. Lille ist ein armes, verwaistes Kind, sie hat nicht Eltern, nicht Verwandten mehr, sie steht ganz allein, deshalb auch nehmen sich die Trollen ein ganz besonderes Recht auf sie.«

Margaretha folgte sinnend dem sonderbaren Kinde, das sie jetzt tiefer in den Birkenwald führte. Die Lübecker Jungfrau musste sich gestehen, daß Lille in der That durch jene Vorhersagungen eine wunderbare Gabe offenbart hatte, sie erinnerte sich einiger Worte des alten Huskurers, der im Scheiden zu ihrem Oheim, dem Pfarrer Jacob Pehrson gesagt hatte: »verwahret und hütet das arme Kind nicht, das Ihr da mildthätig in Euer Haus aufgenommen. Was man von dem Einflusse übernatürlicher Mächte auf einzelne Menschen erzählt, ist nicht ganz ohne, aber diese Mächte treiben ihr Wesen nicht sowohl außerhalb des Menschen, als in ihm selber. Beten und Fasten ist wohl ein gutes Ding für Schlemmer und Müßiggänger, auch ruhigen, friedlichen Leuten, die keinen Zwiespalt im Innern kennen, ist es ein schöner Trost, so wie im Allgemeinen löblich für die Menschheit, aber dem armen Dinge hilft es nichts. Lille muß zerstreut, muß an die erlaubten Freuden des Lebens gewöhnt, von einsamen Wanderungen zurückgehalten und, sobald es gehn will, verheirathet werden. Glaubt dem alten Bragi Ingemund! Das kann ihr allein helfen.« Seit dieser Zeit hatte der Oheim darauf gesehen, daß Lille ihren einsamen Träumereien sich nicht mehr in dem Grade hingeben konnte, wie früher. Sie mußte mit den übrigen Dorfbewohnern hinaus aufs Feld, um sich in ihrer Gesellschaft zu zerstreuen und ihren Körper durch Thätigkeit zu stärken, sie mußte mit ihm und Margarethen die Gillstuga besuchen, wenn dort irgend ein Anlaß eine fröhliche Zusammenkunft mit sich brachte, sie war außerdem fast immer in der Gesellschaft der heitern Margaretha, die sie durch tausend Scherze und Neckereien dem tiefen Brüten, in das sie oft wieder zu verfallen drohete, entriß. Da schien der zum Jünglinge reifende Knabe Claudianus, ohne daß er dieses beabsichtigte, den Bestrebungen Margarethens und ihres Oheims zu Hülfe zu kommen. Er zeigte eine Neigung zu Lille, die alle Zeichen einer erwachenden ersten Liebe trug. Lille litt ihn gern um sich, sie wurde heitrer, gesprächiger, ihr ganzes Wesen ließ eine frohe Umwandlung, eine Heilung ihrer wunderlichen Gemüthskrankheit hoffen. Er ging oft mit ihr allein am See hinab, er begleitete sie zu den entlegenen Wohnungen einzelner Thalmänner, die sich an den Berghöfen angebaut hatten und in mancherlei Verhältnissen einen Verkehr mit dem Pfarrhause unterhielten. Für sein jugendliches Alter besaß er einen Reichthum an Erfahrungen, dessen Mittheilungen einem so einfach erzogenen, einsam im abgelegenen Thallande lebenden Mädchen, wie Lille, höchst anziehend dünken mußten. Sie gelangte endlich zum Bewußtseyn einer Neigung für Claudianus, die in ihrem bisher unbekannten, mächtigen Gefühle sie zugleich fesselte und beängstigte. Kindliche Unbefangenheit und das erste Entstehen einer jungfräulichen Erkenntniß kämpften in ihrer Seele mit einander und beunruhigten ihr ganzes Wesen. Da kam die Johanniszeit, die für ganz Schwedenland eine Freudenzeit war, für die Bewohner von Dalarne aber auch ihre altherkömmliche wunderbare Bedeutung in sich trug. Lille fühlte sich immer mehr gepreßt und beängstigt. Die alten Erscheinungen kehrten wieder, ahnungsschwere furchtbare Traumbilder beunruhigten ihren Schlaf und eine unklare Empfindung rief ihr fortwährend zu: »Laß ab von dem Claudianus, du bringst ihm Unglück.« Sie wollte der Stimme folgen, aber sie vermochte es nicht mehr. Dieser Zwiespalt in ihrer Seele stieg von Tag zu Tag und als nun der Vorabend des St. Johannistages kam, da entschloß sie sich um Mitternacht, auf dem Kreuzwege bei den drei Quellen das Johannisgesicht zu befragen. Alle Ermahnungen Margarethens, von diesem Vorsatze abzustehen, blieben vergeblich und so wollte denn die Lübecker Jungfrau, selbst von einiger Neugier auf den Erfolg des Unternehmens ergriffen, das hartnäckige Mädchen lieber begleiten, als sie allein ihren Täuschungen überlassen. Das Rauschen des Waldstroms, an dessen Ufer sie hinschritten, ließ sich leiser vernehmen und wurde bald zu einem leichten Gemurmel. Sie traten aus dem schattigen Walde heraus und gelangten auf einen runden Wiesenplatz, in dessen Hintergrunde, von dunkeln Felsenblöcken umgeben, die drei Quellen entsprangen, sogleich ein bedeutendes Wasserbecken bildeten und dann in einem bald zum Waldstrome anwachsenden Bache dem Siljansee zueilten. Auf diesem offenen Raume wurde Margaretha Böchower von der ganzen Schönheit einer nordischen Sommernacht überrascht. Weit rechts über die Waldspitze sahen im rosigen Lichte die schneebedeckten Hochgebirge herüber und hoch über ihnen trennte nur ein kleiner Streif die Abend- und die Morgenröthe. Links herüber zeigte sich, von wenigen glanzlosen Sternen umgeben, die blasse Scheibe des Mondes, dessen Licht in das hellere jener Himmelserscheinungen verschwamm und sich wie beschämt verlor. Diese Beleuchtung gab der ganzen Scene etwas Magisches, das die Seele ahnungsvoll und mit leisem Grauen durchdrang. Margaretha wußte sich durch ihre Besonnenheit gegen diese Eindrücke stark und klar zu erhalten, Lille aber war noch bleicher geworden, als gewöhnlich, und zitterte am Arme der Freundin.

»Allenthalben Elfen im wunderlichen Ringelreihen!« sagte sie leise für sich hin. »Wie sie schweben, wie sie sich dehnen und neigen, die schlankem weisen Gestalten! Komm, Margareth! wir müssen ihnen aus dem Wege gehn. Dort zu dem dunkeln Grunde führt unser Pfad, der grüne Raum ist ihr Gebiet und da müssen wir sie walten lassen als Herren und Meister.«

Sie hatte unter diesen Worten starr auf den Wiesengrund geblickt. Jetzt zog sie in seltsamer Hast Margarethen nach den schwarz emporsteigenden Felsen hin. Da regte es sich zwischen diesen und tief gebückt, auf einen Krückenstock gestützt, trat die Gestalt eines bejahrten Weibes, in der Tracht der Thalbewohnerinnen, den Mädchen entgegen. Die Alte trug einen Krug, der sehr schwer zu seyn schien, so daß sie ihn nur mühesam fortschleppte.

»O weh!« flüsterte Lille Margarethen zu: »das ist die böse Helle, von der die Leute sagen, daß sie Hexerei und Zauberspuk treibe. Ihre Begegnung bedeutet nichts Gutes, ihre Nähe bringt Unglück. Laß uns schnell an ihr vorüberschreiten. Sicherlich hat sie das Johanniswasser geschöpft, das sie zu ihren schwarzen Künsten verwendet.«

Die Mädchen beschleunigten ihren Gang und wollten mit einem flüchtigen Gruße gegen die Alte ihrem Ziele zueilen. Diese aber stellte sich in ihren Pfad, sah mit häßlichem Grinsen zu ihnen auf und sprach in einem heisern, widrigen Tone:

»Warum weicht Ihr der Mutter Helle aus, ihr thörichten Kinder! Geht Ihr auf bessern Pfaden, als sie, führt denn Ihr so ganz absonderliche und tugendhafte Dinge im Sinne, daß Ihr Euch von einem armen Weibe, dem der böse Leumund Unrechtes und Unwahres nachsagt, mit Eckel abwendet? Ich war auch einmal jung und hübsch, wie Ihr, und der Strömkarl hat auch mir manches lockende Lied von seiner Liebe und von der Herrlichkeit in seinem Reiche zugesungen. Die Zeiten sind vorbei und auch das Alter bringt dem, der es anzuwenden weiß, manche Kurzweil. Höre, Lille,« wandte sie sich jetzt zu dieser besonders, »ich will dir prophezeien! Aus dir wird einmal etwas recht Großes oder etwas recht Geringes, du wirst entweder auf dem Kristallthrone sitzen und im Krystallreiche herrschen, oder in deinen späten Tagen eine alte Hexe gescholten werden, wie Mutter Helle.«

Bei diesen Worten schlug sie ein wildes, höhnisches Gelächter auf, wackelte grüßend mit dem Kopfe und schlich an ihrem Krückenstabe weiter. Die Mädchen sahen ihr, von unheimlichen Gefühlen ergriffen, nach, bis sie im Walde verschwunden war. Dann drängte Lille wiederum hastig gegen die Felsenschlucht, hielt an deren Eingang Margarethen zurück und redete diese mit bebender Stimme an:

»Erwarte mich hier, Margaretha! Ich muß allein seyn bei dem Werke, das ich vorhabe. Du sollst hernach Alles wissen. Das Johannisgesicht zeigt sich nur dem Einsamen und die Gegenwart eines zweiten, der vielleicht gar seine Wunder bezweifelt, läßt es nicht zur Gestaltung kommen. Laß mich, Margareth! Halte mich nicht, das Werk will nun einmal vollbracht seyn.«

Sie riß sich von dem Arme der Freundin los und eilte fieberhaft zitternd in das Dunkel der Felsenschlucht. Margaretha sah ihr kopfschüttelnd nach. Sie mußte sie gewähren lassen, es schien gefährlich, dieses reizbare Wesen gewaltsam an seinen Handlungen verhindern zu wollen. Ueberdem blieb ihr Margarethe sehr nahe. Sie konnte das Rauschen der Quellen vernehmen, jedes Wort, das die beängstigte Lille herausstoßen konnte, mußte zu ihren Ohren dringen. Auf einen Felsensitz ließ sich die Lübecker Jungfrau nieder und blickte bewundernd auf das reizende Schauspiel, das der nördliche Himmel bot. Während die Abendröthe zu erbleichen begann, zeigte sich jetzt, um die Mitternachtstunde, die Morgenröthe in einem glühenden Lichte, das von Augenblick zu Augenblick zunahm. Die Schneehäupter schwammen in rosigem Glanze, die Laubgewölbe des Waldes umfloß ein magischer Duft, der von einem geheimnisvollem in alle Farben des Regenbogens spielenden Lichte durchweht schien. Es dünkte sie nicht mehr seltsam, daß die Bewohner dieser Gegenden, spät erst durch die Lehre des Christenthums erleuchtet, von Allem, was sie umgab, zu einem Glauben an wunderbare Gewalten bewogen wurden, der mit den Sagen aus den frühern heidnischen Zeiten in Verbindung stand. Fühlte sie sich doch selbst von einem seltsamen Grauen befangen, schien es ihr doch jetzt, wo ein abentheuerliches Licht Alles in einer ungewöhnlichen Weise erblicken ließ, nicht so ganz unglaublich, daß in solchen wunderlichen Nächten ein Geisterspuk sein unheimliches Spiel treiben könne, daß diese zitternden, flüsternden Birken von Elfen und Sjören, diese rauschenden Quellen von Strömkarlen und Necken bewohnt seyen.

Sie suchte sich diesen Gedanken, die ihre Furcht näheren, zu entreißen. Rolands Bild trat erheiternd und erfreulich vor ihre Seele. Er war unerwartet und überraschend in Dalarne erschienen, während sie ihn im fernen Deutschlande wähnte. Der Oheim hatte ihn mit wahrer Vaterliebe aufgenommen, denn als ein guter Schwede, dem Christians Tyrannei ein Gräul war, schenkte er dem Neffen, welcher mit Gustav Wasa bei Stäke und Brän siegreich gegen die Dänen gefochten, seine volle Neigung. Freilich durfte sich Margaretha keiner Billigung der Gefühle, welche sie für Roland hegte, von Seiten ihres Vaters erfreuen, allein die Liebe besitzt einen unerschöpflichen Reichthum an Hoffnungen und das Mädchen wußte tausend Fälle zu ersinnen, von welchen endlich einer die Einwilligung des Herrn Bernhard Böchower herbeiführen werde. Indessen hatte sich, während Rolands Abwesenheit in Deutschland, ein neuer Bewerber um Margaretha's Gunst und Hand gefunden, der sich durch seine Stellung im Lande Dalarne zu besondern Ansprüchen berechtigt glaubte. Es war dieses Herr Nils Westgöthe, königlicher Bergvogt zu Falun, ein Mann von vierzig Jahren, wohlbegabt mit irdischen Gütern und irdischem Ansehn. Schon manche Schöne des Thallandes hatte sich durch die finstern Gesichtszüge des Mannes, durch seinen lauernden, hinterlistigen Blick nicht abhalten lassen, den Besitz des vornehmen und reichen Junggesellen zu wünschen, um dann in Falun und in den Nachbarorten, bei den festlichen Zusammenkünsten in der Gillstuga, von Sammt und Seide umflossen, mit goldnen Ketten geschmückt, den Vorrang zu behaupten; Margaretha Böchower aber fand seine zudringlichen Annäherungen höchst lästig und legte ihre Unzufriedenheit mit diesen unverhohlen an den Tag, ohne jedoch den Bergvogt hierdurch von einer Fortsetzung seiner Bewerbungen zurückzuschrecken. Der Mann war so sehr von dem Werthe seiner Person, von dem Eindrucke, den diese in ihrer amtlichen Würde machen müsse, von der Erheblichkeit seines Reichthumes überzeugt, daß ihm Margaretha's Kälte und Zurückhaltung nur als jungfräuliche Blödigkeit, als Unerfahrenheit in der Erkenntniß seiner Absichten erschien, bis ihm eine geschäftige Zunge hinterbrachte, das Mädchen habe bereits ihre Neigung einem jungen Deutschen geschenkt, der einige Zeit bei dem Pfarrer Jacob Pehrson verweilt, dann plötzlich abgereist und nun eben so unerwartet wiedergekehrt sey, wahrscheinlich um endlich die beabsichtigte Verbindung mit des Pfarrers Nichte, der er auch in einem entfernten Grade verwandt sey, zu vollziehen. Auf diese Nachricht begab sich Herr Nils Westgöthe sogleich nach Mora, um seinen Nebenbuhler von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Der Scharfblick der Eifersucht gab ihm bald die Ueberzeugung, daß hier in Wahrheit ein Verständniß obwalte, welches seinen Wünschen und Bestrebungen feindlich entgegenstehe. Je mehr er einsah, daß ein Nebenbuhler, wie der lebensfrohe, kräftig und edel gebildete Roland Doneldey in der Wagschale von Margaretha's Neigungen gewichtiger erfunden werde, als er, der vornehmste und begüterteste Mann im ganzen Thallande; desto bittrer begann er ihn zu hassen, desto tiefer grub sich in sein Innres der Glaube ein, daß der Deutsche das einzige Hinderniß sey, welches sich der Ausführung seiner Plane störend in den Weg stelle. Sein ganzer Unwille traf auf Roland, er brütete im Stillen an Entwürfen des Verderbens gegen diesen, wußte aber seine wahren Gesinnungen so geschickt zu verbergen, daß der junge Mann in ihm einen zwar finstern und ernsten, aber doch wohlmeinenden Freund zu besitzen glaubte. Die Warnungen der schärfer blickenden Margaretha schienen ihm bei seiner gewohnten Sorglosigkeit durchaus ungegründet, und selbst in einem schlimmen Falle verließ er sich auf sein Glück, auf seinen Muth und auf seine persönliche straft.

Ueber alle diese Dinge war Margaretha in ein tiefes Nachdenken versunken, dem sie plötzlich durch einen lauten Schrei und Lille's Erscheinung im Ausgange der Felsenschlucht entrissen wurde. Das arme Kind war blaß, wie eine Leiche, flog mit wankenden Schritten auf ihre Freundin zu, umschlang diese und sagte, sich scheu umblickend, ängstlich und hastig:

»Fort von hier, Margareth! Diese Johannisnacht ist von bösen Geistern belebt, die nur Schreck und Entsetzen in das Menschenherz senden. Das Gesicht hat mir furchtbare, sinneverwirrende Bilder gezeigt. Komm, Margareth! Unten will ich dir erzählen. Hier umweht mich's noch, wie die Nähe der tückischen Sjöra und des hohnlachenden Strömkarls.«

Mit flüchtigen Schritten eilte sie über den Fußpfad in das Dickicht des Birkenwäldchens. Margaretha, von unheimlichen, schaurigen Empfindungen ergriffen, folgte ihr ebenso schnell. Sie flogen die Anhöhe hinab, am Waldstrom hin, dessen Wellen wieder wunderlich rauschten und dem Ohre Lille's wie grauenvoller Gesang ertönten. Das Mädchen schien ein willenloses Werkzeug heftiger und stürmischer Gefühle. Sie hatte Margaretha's Hand gefaßt, in der die ihrige fieberhaft brannte, sie zog ihre Begleiterin in wilder Hast sich nach, bis sie endlich vor einer kleinen Kapelle nahe bei Mora erschöpft und ohnmächtig niedersank. Hier wurde sie erst nach einiger Zeit durch Margaretha's angestrengte Bemühungen wieder zur Besinnung gebracht und brach dann, sich matt aufrichtend, in die Worte aus:

»Ach, Margareth, wie schrecklich bin ich bestraft für meine Neugier, die Zukunft wissen zu wollen, wie quälend lastet auf mir die Wundergabe, die mir der Zufall des Tages meiner Geburt verliehen! Die alte Helle hatte Recht. Böse Geister fassen nach mir. Sie wollen mir kein Glück auf Erden gönnen.«

Sie fing an bitterlich zu weinen. Margaretha sprach ihr freundlich zu und nach einigen wiederholten Versuchen gelang es der Nichte des Pfarrers von Mora, ihre junge Freundin so weit zu beruhigen, daß diese die Erscheinungen, deren Anblick einen so furchtbaren Eindruck auf sie hinterlassen, berichten konnte.

»Ich saß,« erzählte Lille, »am Rande des dunkeln Teichs, den die drei Sagaquellen, wie sie das Volk nennt, bilden. In hohen Bogen sprudelten sie aus der hohen Felsenwand über mich hinab in den schaurigen Kessel und während ich, ohne die Augen wo anders hin zu richten, immer auf ihre Strahlen, die sich im Falle vereinigen und so eine wunderliche Spiegelwand in steter Beweglichkeit zusammenstellen, blickte, wand ich emsig und eilig den Kranz von Farrenkräutern, die am Fuße der Felsen wachsen, und sprach leise und, wie es seyn muß, zu dreimal dreimalen den Johannisspruch:

Johannisnacht, gieb fröhlich Gesicht,
Ihr guten Trollen, schlafet nicht,
Damit die bösen nicht erwachen
Und Glück und Heil zu Unglück machen!

Ich hatte meinen Kranz bald vollendet, nahm dann den silbernen Erbring von meiner Mutter selig zur Hand und warf Beides mit den Worten:

Dem Strömkarl das Grüne,
Metall ihm zur Sühne!

in das dunkle Wasser. Da rauschte und sprudelte es unten, da sah ich, wie eine gewaltige, schilfumwundene Hand Beides ergriff und damit untertauchte, ich erblickte auf der Oberfläche des kleinen Teichs ein wunderliches, mit allerlei Wasserblumen gekröntes Haupt, das dann auch mit einem schneidenden Hohngelächter verschwand. Margareth, ich wollte fliehen, ich wollte mein Werk aufgeben, allein ich vermochte es nicht. Eine wunderbare Macht hielt mich auf dem Felsensitze gefesselt. Eisige Schauer durchbebten meine Glieder, eine Betäubung kam über mich, in der mich Alles wie ein Traum dünkte. In dem rastlos niederwogenden Wasserspiegel erschienen mir allerlei Gestalten, Bekannte und Unbekannte. Ich sah geharnischte Männer, ich sah Waffen erglänzen; im ganzen Thallande, das offen vor meinen Blicken dalag, herrschte eine kriegerische, blutige Verwirrung. Ich sah dich durch die Streitenden eilen, ich sah Roland Doneldey mit hochgeschwungener Streitaxt und hinter ihm den Vogt von Falun, wie er im Begriff stand, deinen Freund hinterrücks niederzustoßen. Herrlich aber vor Allen ragte eine kriegerische Gestalt vor, deren Helm mit einem goldnen Adler geschmückt war, deren Antlitz Heldenmuth und königliche Würde zeigte. Margareth, es gemahnte mich, als sähe ich einen der alten Nordlandskönige, von denen die Sage erzählt, vor mir! Da zuckte plötzlich ein Wurfspeer durch die Luft nach der Brust des königlichen Helden, da o Margareth, hätt' ich es nimmer erschaut – warf sich Claudianus, der gute, treue Claudianus zwischen jenen und die tödtliche Waffe und seine Brust nahm sie auf, sein Blut quoll schwarz und unaufhaltsam aus tiefer Herzenswunde! Ich fühlte einen unbeschreiblichen Schmerz in meiner Seele, es dünkte mich, als sey die Welt in diesem Augenblicke untergegangen mit allem Herrlichen, was sie trage, mit allem Lieblichen, was sie pflege. Meine Betäubung nahm zu, ich war der Bewußtlosigkeit nahe, als mich ein gräßliches Hohnlachen aus dieser emporriß und ich plötzlich den Strömkarl mit dem Silberschuppenleibe aus dem dunkeln Wasser aufsteigen und die Arme nach mir ausstrecken sah, als wollten sie mich ergreifen. Da durchbebte mich ein schrecklich belebendes Entsetzen, es gab mir die Kraft mich zu bewegen, mich durch die Flucht zu retten, zurück. Ich stieß jenen Schrei aus, den du gehört haben mußt, ich rannte wie wahnsinnig fort und konnte mich nicht eher sicher glauben, als an dieser Stelle, wo die Heiligen Gottes den bösen Geistern keine Macht über die Menschen zulassen.«

Lille schwieg und brach wiederum in Thränen aus. Vergebens blieben Margaretha's Bemühungen, sie zu trösten, ihr Alles als ein Spiel ihrer gereizten Einbildungskraft darzustellen. Lille schüttelte zu allen beruhigenden Worten den Kopf und sagte von Zeit zu Zeit: »der arme Claudianus! Mußte er deshalb über das Meer und über die Fjälln Schneegebirge kommen, um hier einen frühen Tod zu finden? Wäre er nur daheim geblieben! Lille's Daseyn hätte auch, ohne daß dieser heitre Stern in seine Nacht geblickt, seine Laufbahn vollendet.«

»Ihr werdet nichts ändern an dem Gewebe, das die hohen Nornen um Mitternacht spinnen!« fiel, nachdem Lille diese Klage zum Oeftern wiederholt, eine heisere Stimme ein und die alte Helle mit ihrem Krückenstocke und ihrem Wasserkruge, trat aus dem Innern der Kapelle hervor. Die Sonne war indessen aufgegangen und man konnte jeden Zug des tiefgefurchten Angesichtes deutlich erkennen. Jener Ausdruck von Hohn und Bitterkeit, der die Mädchen früher erschreckt, war gänzlich verschwunden und es fiel ihnen nicht schwer, jetzt eine tiefe Melancholie, eine Weichheit in dem gänzlich verwandelten Wesen der Alten wahrzunehmen, das jeden in ihnen neu aufkeimenden Widerwillen schnell verscheuchte. »Hört mich an, ihr Kinder!« fuhr Mutter Helle fort, indem sie sich dicht vor ihnen niederkauerte und mit einem alten, zerrissenen Tuche die Thränen trocknete, die ihr in den tief liegenden Augen standen. »Ich will Euch eine Geschichte erzählen, die sich vor vielen, vielen Jahren in Dalarne zugetragen hat. Es ist niemand mehr übrig von denen, die sie erlebten, bis auf die alte Helle, die sie am Nächsten anging. Kind;« wandte sie sich jetzt besonders an Lille, »die alte Helle hatte auch das Schicksal, an einem Sonntage geboren zu werden und gerade an einem solchen, auf den zufälliger Weise das Johannisfest fiel. Sie sah auch schon frühe Dinge, die andre Menschen nicht zu sehen begabt waren, die Ringeltänze der Elfen, die nächtlichen Wandrungen der Sjöra, das bösartige Treiben der Bergtrollen, die sie von Kindheit an besonders mit ihren Neckereien verfolgten. Sie besaß ein heitres Gemüth, eine starke, muthige Seele und lachte oft des Geisterspuks, der sie umgab. Das war ein thörigtes, gefährliches Lachen! Die Trollen zeichneten es ein in ihr Gedächtniß mit unvergänglichen Runen, um es schwer zu rächen. Als Helle das achtzehnte Jahr erreicht hatte, lernte sie einen jungen Bergmann aus Falun, Namens Oluf kennen. Beide sahen bald einander gern, Oluf verdiente in den Gruben ein schönes Stück Geld, Helle besaß Lust und kräftige Hände zur Arbeit; so gaben denn ihre Eltern den beiden jungen Leuten gern ihren Segen zu ihrer Verbindung. Es wäre Alles gut gegangen, wenn Helle in ihrem Leichtsinne nicht die Trollen zum Zorne gegen sich gereizt gehabt hätte. Die aber vergessen und verzeihen nichts, sie tragen jede Beleidigung demjenigen nach, der sie ihnen zugefügt, und bringen sie tückisch in Rechnung zu einer Stunde, von der er nur Glück und Freude hofft. Der Hochzeitstag war angesetzt, die Gäste waren geladen. Ein Vetter Oluf's in Falun wollte die Hochzeit ausrichten und am Tage vorher brachten Helle's Eltern sie in des Pfarrers Haus zu Falun. Sie hatte erwartet, Oluf würde ihr entgegenkommen, allein er kam nicht und es hieß, er arbeite noch in den Gruben. Da betrübte sich Helle und dunkle Ahnungen von nahem Unglücke und künftigem Elende stiegen in ihr auf. Es ward Abend und ihr Bräutigam blieb noch immer aus. Sie hatte keine Ruhe mehr in dem Pfarrhofe, sie eilte von unerklärlicher, schrecklicher Angst ergriffen nach den Gruben. Da kamen ihr weinend und jammernd Männer, Weiber und Kinder entgegen. Die älteste der Gruben war eingestürzt, Oluf, der dort noch allein gearbeitet, unter ihrem Schutte begraben. In einer Tiefe, zu der keine menschliche Anstrengung zu dringen vermochte, lag er verschüttet, ein kaltes starres Opfer der Rache der Bergtrollen, er, der fröhliche Bräutigam, dessen Ehrentag morgen begangen werden sollte. Was aus Helle gleich nach diesem Ereignisse geworden, weiß ich nicht. Erst nach langer Zeit erwachte sie, wie aus einem tiefen Schlaf. Ihre Eltern waren indessen gestorben, sie selbst war gealtert und aus Allem, was sie vernahm, mochte sie wohl über zwanzig Jahre in jenem bewußtlosen Zustande hingebracht haben. Nach und nach kehrten alle schreckliche Erinnerungen in ihre Seele zurück. Sie scheuete die Menschen, sie suchte die Einsamkeit, sie fand in dieser die Gesellschaft der Trollen, die ihrer zwar höhnten, aber ihr doch von dem todten Bräutigam sprachen. So wurde sie immer älter, so sah sie alle Freunde und Verwandte, die ihr in ihrer fröhlichen Jugend nahe gestanden, in das Grab steigen. Wie sie die Menschen mied, so mieden diese sie wieder. Man sprach Böses von ihr, man schalt sie eine Hexe und wo in einem Haushalte ein Stück Vieh erkrankte, wo sonst ein Unheil eintraf, da sollte die alte Helle es veranlaßt haben. Ihr war gleichgültig, was die Menschen von ihr dachten und sprachen. Sie stand unter einem ganz fremden Geschlechte, die einzige Uebriggebliebene aus ihrer Zeit. Diese nur lebte für sie, die Gegenwart hatte nichts, was sie reizte.«

»Recht innig sehnte sie sich zu sterben, nach der Wiedervereinigung mit Oluf, nach der Hochzeit mit ihm, die nun der Tod ausrichten muß. Aber sie mußte lange harren und muß noch immer harren auf diese Stunde. Sie zählt schon über hundert Jahre und der Tod will noch nicht kommen, denn die Trollen haben ihr das Geheimniß der Nornen verrathen, daß Helle erst dann stirbt, wenn sie noch im Leben den Bräutigam wiedergesehen hat. Das sind wunderliche Dinge, ihr Mädchen, aber es geschieht so, denn, wie ich Euch schon sagte, den Faden, den die Nornen spinnen, zerreißt kein Sterblicher!«

Auf beide Mädchen hatte die Erzählung der Alten einen tiefen Eindruck gemacht. Würden sie früher von Abneigung, vielleicht gar von Abscheu gegen die arme Helle beherrscht, so empfanden sie jetzt mit derjenigen, die sich so sehr nach dem Tode sehnte und nicht sterben konnte, ein inniges Mitleid. Helle hatte ihre Geschichte in einem kalten, gleichgültigen Tone erzählt, als betreffe sie eine ganz andre, als sie selbst, eine Fremde, die sie nichts angehe; aber unter dieser Kälte brannte ein heißer Schmerz tief im Innersten des Herzens und einzelne Zuckungen, die über das aschfarbene Gesicht flogen, dicke Thränen, die langsam durch die Furchen der Wangen aus den starren Augen herniederrannen, verriethen ihn. Sie hatte Lille's Hand, die ihr aufmerksam und regungslos zugehört, ergriffen und streichelte sie.

»Armes Kind,« hob sie wiederum an, »du bist auch eine Sonntaggeborene! Rüste dich mit Kraft auf alle Dinge, die dein wunderliches Verhängniß dir in den Weg führen kann. Du wirst lieben und unglücklich seyn, wie Helle, dann auch auf dich vermeinen die Geister ein Recht zu haben und nimmer entsagen sie diesem, ohne ihre mächtigen Kräfte gegen die Sterblichen versucht zu haben.«

Sie richtete sich auf und wankte, auf ihre Krücke gestützt, langsam den Häusern von Mora zu. Die beiden Mädchen, von seltsamen Gefühlen beunruhigt, folgten ihr mit zögernden Schritten. Im Eingange des Dorfes wandte sich die Alte noch einmal um, erhob die rechte Hand gegen Margaretha und sprach in einem warnungsvollen Tone:

»Fremdes Mädchen, du wandelst auf Blumenpfaden, aber oft lauert auch unter Blumen die giftige Schlange! Ich habe die Tücke der Bergtrollen erfahren, hüte dich, daß du nicht die des Bergvogts erfährst. Was Lille im Johannisgesichte gesehen, kann nimmer zur Lüge werden. Ich kenne Nils Westgöthe'n genau, ich habe ihn schon gekannt, als er noch ein Knabe war und auf den Schlakenhaufen zu Falun spielte. Allwöchentlich wandre ich nach Falun und harre auf dem Schutte des alten verfallenen Bergwerks meines Stündleins. Da kommen dann viele Leute zu mir und erzählen von allen Dingen, die sich im Orte begeben. Der Vogt ist ein böser Mann. Er hängt unserm Feinde und Unterdrücker, dem Dänen, an, sein Gewissen ist ihm ebensowohl um die Befriedigung seiner schlimmen Leidenschaften, wie um Geld und Gut feil.«

Nach diesen Worten verschwand Helle in der ärmlichen Hütte, die sie bewohnte; den zwei Mädchen aber blieb hinlänglicher Stoff zum Nachdenken und sie schlichen stumm, jede ihren beunruhigenden Gefühlen hingegeben, durch die nun verödeten, festlich geschmückten Straßen von Mora. Dem Pfarrhause näherten sie sich auf einem Seitenwege. Sie fanden die kleine Hinterthüre nur angelehnt, wie sie sie verlassen, und gelangten unbemerkt in das Schlafgemach, das sie mit einander theilten. Ohngeachtet der Warnung, welche Margaretha von der alten Helle erhalten, fand das geistesstarke und körperlich gesunde Mädchen bald die Ruhe, deren Bedürfniß durch die späte Wandrung noch vermehrt worden war; Lille aber brachte unter Thränen und quälenden Bildern die wenigen Morgenstunden hin, die noch bis zur Eröffnung des feierlichen St. Johannis-Gottesdienstes übrig waren.



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