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Drittes Kapitel.


Drei Männer schlossen einen Bund,
Den tauften sie Muth und Treue:
Die Freiheit am Altare stund
Und gab ihm die heilige Weihe.

Es war eine der klarsten nordischen Winternächte, in der Roland Doneldey am Ufer des Siljan hinab jenem Föhrenwäldchen zuschritt, wo ihn, der getroffenen Abrede zu Folge, Gustav Wasa erwarten wollte. Der Schnee, welchen das Thauwetter des vorigen Tages aufgelockert und der dann eintretende starke Frost in einen harten Grund verwandelt hatte, knisterte unter seinen Schritten, die Eisdecke des Sees zeigte sich in den zusammengefrorenen Schollen, wie eine Masse erstarrter Wogen: Alles ließ sich in dem wunderlichen Dämmerlichte des Nordens genau erkennen. Doch bemerkte Roland nicht eine Gestalt, die in einen Mantel gehüllt, ihm schon vom Pfarrhause aus folgte, jeden seiner Schritte hütete und diese in einer Entfernung, die sie vor einem Verrathe durch das Geräusch, welches sie veranlaßte, sicher stellte, zum Maßstabe ihres eigenen Fortschreitens nahm.

Roland fühlte sich von jener Stimmung ergriffen, welche die Aussicht auf das Wiedersehn eines Freundes, die Begierde auf eine trauliche Unterhaltung mit ihm, auf eine Mittheilung, welche so manche Zweifel lösen mußte, hervorzubringen geeignet sind. Er beschleunigte seine Schritte, er sah bald das Föhrenwäldchen vor sich, dessen dunkle Baummassen sich finster auf dem Schneegrunde erhoben. Die Gestalt hinter ihm verlor ihn nicht aus den Augen. Während Rolands mächtige Glieder sich zu weiten, rasch vorwärts tragenden Schritten streckten, mußte sich der Nacheilende, um ihm gleich zu bleiben, in eine laufende Bewegung setzen, deren Geräusch nun eher die Aufmerksamkeit Doneldey's erregt haben könnte, wenn diese nicht ganz den Ereignissen, die vor ihm lagen, zugewandt gewesen wäre. Der Wind rauschte in den Zweigen der Föhren, die Dämmerung wurde hier zur finstern Nacht und Roland mußte seine ganze Sorgfalt aufbieten, um nicht den zu einem kleinen Raume im Innern des Wäldchens führenden Pfad zu verlieren, wo er seinen schwedischen Freund zu finden hoffte. Indessen schien derjenige, der bis zum Eingange des Wäldchens ihm unverwandt gefolgt war, durch die herrschende Finsterniß in seiner Wachsamkeit gehindert, von Rolands Spur abgekommen zu seyn. Er war schon gleich nach dem Eintritte in das Dickigt verschwunden, ohne Zweifel nach einer andern, außer Rolands Wege liegenden Gegend hin verirrt. s

Endlich erreichte dieser den Ort, den er zu der beabsichtigten Zusammenkunft bestimmt glaubte. Es war ein kleiner Fleck im Walde, auf dem in einem Halbkreise mehrere seltsamgestaltete Felsenblöcke aufrecht standen, die unter dem Namen der Runensteine den Bewohnern von Dalarne bekannt waren. Die nordische Sage erzählte wunderliche Dinge von diesem Platze, dessen düstere Umgebungen, dessen ganze Eigenthümlichkeit wohl gemacht waren, die Phantasie zu seltsamen Ahnungen und Träumereien anzuregen. Einen großen altarähnlichen Stein in der Mitte nannte man noch den Altar des Odin, die um diesen im Kreise befindlichen niedrigen Felsblöcke sollten die Sitze der Priester gewesen seyn, die ganze Stätte ein Opferplatz, auf dem sich die königlichen Helden, welche dem Gotte sich zum Opfer gelobt, nach abgelaufener Frist den Flammen des Scheiterhaufens, den sie selbst unter Absingung feierlicher Weihelieder entzündet, übergaben.

Als Roland diese Stelle betrat, fühlte er sich von trüben Empfindungen ergriffen. Wie die Grabmahle hinabgeschwundener Heldenstämme erschienen ihm die riesigen Felsblöcke, wie Zeugen einer begrabenen großen Zeit, die jetzt rein Wunsch, kein Sehnen wieder in das Leben zu rufen vermochten. Bald aber traf sein Blick auf zwei dunkle Gestalten, die an den großen, Opferstein in der Mitte des Kreises gelehnt standen. Er erwartete nur einen Anwesenden zu finden, er stutzte bei dem Anblicke des zweiten und ein Gedanke an Verrath, der Auflaurer herbeigeführt haben könne, erhob sich in seiner Seele. Er ging leise und vorsichtig näher, indem er sich hinter der äußern Reihe der Felsblöcke verbarg. Die tiefe Finsterniß ließ ihn keine der Gestalten genau genug erkennen, um seine Zweifel aufzuklären. Da aber sah er sich plötzlich selbst durch den Scharfblick des einen Mannes entdeckt und Gustav Wasa's wohlbekannte Stimme rief ihn bei Namen. Rasch trat er nun näher und stand bald dem fürstlichen Freunde gegenüber, dessen edle Gestalt in die schlichte Tracht eines schwedischen Landmanns gehüllt war, der, wie ein Arbeiter um Tagelohn, eine Axt auf der Schulter trug, die freilich ebensowohl zum Kampfe, als zu friedlichen Beschäftigungen dienen konnte.

»Sey uns willkommen, alter Freund und Waffengenosse!« sprach Gustav Wasa. »Du findest hier noch einen Waffenbruder aus frühern Tagen, einen Krieger, der immer da focht, wo das Gedränge am dichtesten war. Roland Doneldey und Rasmus Jute – noch fünfzig Männer, wie diese, und ich werfe dem blutbefleckten Christian den Handschuh hin!«

Roland war näher getreten und erkannte jetzt in Wasa's Begleiter einen Mann, den er oft in Mora gesehen zu haben sich erinnerte, noch mehr aber lebte er jetzt in seinem Gedächtnisse durch Gustav's Hindeutung auf die Zeiten des Krieges gegen die Dänen auf. Er besann sich, daß Rasmus Jute mit ihm zugleich den Wall von Stäke erstiegen, daß er in den siegreichen Gefechten an der Küste sich als einen kühnen und erfahrnen Krieger gezeigt hatte und immer einer der treuesten Anhänger der schwedischen Sache und der Person Wasa's gewesen war.

»Bei'm Himmel, Rasmus Jute,« redete Doneldey diesen an, indem er ihm die Hand bot, »Ihr habt Recht, mit mir zu zürnen, denn wie oft bin ich an Euch vorübergegangen, ohne Euch als den wackern Mann wieder zu erkennen, der an meiner Seite so oft rüstig in die Reihen der Dänen eingestürmt, der mit uns Wunden und Gefahren getheilt! Wer hätte Euch auch hier gesucht im friedlichen Dalarne, wo die Waffen einrosten würden, wenn wir nicht den Großvater Bär und den Goldfuß Wolf, Noch jetzt nennt der schwedische Gebirgsbewohner den Bären schmeichelnd den Großvater und den Wolf Goldfuß. damit ihm beide auf der Jagd nicht schaden sollen. in den Wäldern zu jagen hätten. Warum sprachet Ihr mich nie an, warum erinnertet Ihr mich nicht an unsre alte Waffengenossenschaft?«

»Es ist nicht rathsam,« versetzte Jute, »daß zwei Freunde des schwedischen Rechtes zusammengesehen werden. Glaubt mir, Junker Roland, die Spürhunde der Dänen durchstreifen jetzt auch das einsame Thalland und forschen nach Gustav Wasa und seinen Anhängern. Ein Preis ist auf den Kopf unsers edeln Hauptmanns gesetzt, er wird gejagt, wie das Thier der Wildniß. Wir müssen im Geheimen wirken, wir können es dann um so kräftiger. Einmal seyd Ihr glücklich den Schlingen des tückischen Westgöthe entgangen, hütet Euch, daß Ihr nicht zum zweitenmale in sie fallet. Er ist ein arger Feind seines eigenen Vaterlandes, sein Haß verfolgt Euch und mich. Schon hat er dänische Soldaten nach Falun berufen, um sie in alle Gegenden von Dalarne nach Gustav Wasa auszusenden. Aber, so gewiß mein Arm ein Schwert zu führen versteht, so sicher soll es ihn treffen, ehe er das Maaß seiner Schandthaten voll macht!«

»Mäßige dich, Rasmus!« fiel Gustav Wasa ein. »Noch ist die Zeit nicht gekommen, wo wir öffentlich für unsre Sache die Waffen erheben können. Wenn aber erst das Volk die blutigen Gräuel kennt, die in den ersten Tagen dieses Monats Stockholm gesehen hat, das unermeßliche Blutbad, in welches auch das ehrwürdige Haupt meines Vaters Erich, das sorgenlose meines Schwagers Brahe untertauchte – Freunde, an meiner Seele nagt ein unheilbarer Schmerz, aber ich bekämpfe ihn, ich denke nur an das Vaterland und die Geister von hundert edlen Schweden, die ihm zum Opfer gefallen, fordern auf zur Rache, zur Strafe, zur Freiheit.«

Er schwieg und verfiel in ein schwermüthiges Nachdenken. Roland, durch seine Worte ergriffen, und auf eine Schreckenskunde vorbereitet, mochte ihm diese nicht abdringen, sondern sie lieber ruhig erwarten. Es herrschte unter den Männern eine Stille, die mehrere Minuten dauerte. Endliche wurde diese wieder von Gustav Wasa unterbrochen, der in einem düstern Tone anhob:

»Hier, wo die alten Heldenkönige sich willig den Göttern geopfert, wenn sie diesen eine zum Heile des Vaterlandes vollbrachte That danken wollten, will ich Euch eine traurige Geschichte erzählen. Sie spricht von gescheiterten Hoffnungen, von Verrath, von Tyrannei und Meuchelmord. Als wir uns das letztemal sahen, Roland, lag noch mancher schöne Wunsch im Keime, manche blühende Hoffnung dachte zur Reise zu kommen. Nichts ist geschehen von dem Allen. Freilich ließen es die wackern Lübecker an Versprechungen für eine Zukunft, in der mein Unternehmen erst einmal einen glücklichen Anfang gemacht haben möchte, nicht fehlen, freilich widerstanden dein Oheim Bernhard Böchower und der ehrenfeste Burgemeister Brömse unerschütterlich jedem Ansinnen Christians, mich auszuliefern, allein selbst, als sie mich heimlich auf einem Kauffartheischiffe nach den schwedischen Küsten einschifften – was hatte ich dabei gewonnen, was konnte ich allein gegen den Dänenkönig und sein mächtiges Heer unternehmen? Ich sah ein, man hatte meiner nur gern ledig seyn wollen, man fürchtete noch immer Christians Macht. Und dennoch schwebte ich voll Hoffnung dem schwedischen Strande zu. O, meine Freunde, welcher wunderbare Zauber liegt in dem Hauche der Luft, die uns von der Erde des geliebten Vaterlandes entgegen strömt! Ich sah die Küste Schwedens wieder, ich stieg bei Calmar an's Land, und alle Hoffnungen, an denen ich schon verzweifelt, belebten sich auf's Neue, alle Wünsche, die tief in meiner Seele geschlummert, wurden wiederum wach. Noch hielt sich Calmar, noch vertheidigte ein tapfres Weib, die Wittwe Anna Bjelke, die Feste mit männlichem Muthe gegen alle Angriffe Norby's, der mit seiner Flotte sie von der Seeseite belagerte. Sie nahm mich auf als eine gute Schwedin, sie wollte freudig den Befehl über Stadt und Soldaten in meine Hände legen; aber es waren feile Ausländer, die schon das Gold der Dänen kennen gelernt, die auf Verrath sannen und droheten, mich dem Todfeinde auszuliefern, wenn ich nicht sogleich die Stadt verließ. Anna Bjelke vermochte durch nichts, sie zu ihrer Pflicht zurückzurufen: ich mußte mich aus Calmar entfernen. Da brach wieder die jung entstandene Blüthe meiner Hoffnungen. Ich irrte nun lange umher, ich suchte Freunde und fand keine. Furcht und Zagen hatte sich aller Gemüther bemächtigt. Die Landleute glaubten in meiner Gegenwart Gefahr zu erkennen, man vertrieb mich allenthalben, man versagte mir jede Zuflucht. Von den Thoren des Karthäuserklosters zu Grypsholm, das meine Vorfahren gegründet, ward ich zurückgewiesen, mein eigener Schwager Brahe zeigte sich durch meinen Besuch beängstigt, er war klein genug, mir zur Unterwerfung zu rathen, mit ihm zur Krönung Christians nach Stockholm zu gehn, wo er nun seine Schwäche mit dem Kopfe bezahlt hat. Ich mußte wieder heimathlos umherirren, bis ich das Haus meiner Väter, Rafnäs, erreichte, und hier verborgen einige Zeit hinbrachte. Da kam die Schreckenskunde von dem Blutbade, das der Bösewicht Christian bei seiner Krönung unter den edeln Schweden, die arglos seiner Einladung entsprochen, anrichten lassen. Unter dem Beile des Henkers war das Haupt meines Vaters, das des unbesonnenen Brahe gefallen, zahllose andere Opfer reizten den Tyrannen nur zu immer neuem Blutdurste, hunderte, tausende fielen seinem entsetzlichen Gelüste. Meine Mutter, meine Schwester, wurden gefangen nach Dänemark abgeführt, der Wittwe Sture's ließ Christian die Wahl, ob sie ertränkt, verbrannt oder lebendig begraben werden wolle, nur des Admirals Norby kräftiges Fürwort rettete sie. Mich selbst traf Aechtung und ein hoher Preis wurde auf meinen Kopf gesetzt. Ich mußte Rafnäs verlassen, ich nahm einen alten Diener unsers Hauses mit, für dessen Treue ich mein Leben verpfändet hätte. Der Elende bestand nicht die Probe des Unglücks. Er entfloh heimlich, nachdem er mich alles dessen beraubt, was ich werthvolles mit mir führte. Nun blieb mir nichts übrig, als unter der Verkleidung eines niedrigen Landmannes auf Tagelohn auszugehen, nirgends war ich sicher, allenthalben lauerten die Dänen, allenthalben fanden sich Elende, die mich, um den Preis, der auf meinen Kopf gesetzt worden, zu erlangen, gern verrathen hätten. So kam es denn zuletzt soweit, daß Gustav Wasa, der Sprößling der alten Könige dieses Landes, als ein unglücklicher Handlanger in den Bergwerken von Falun eine Zuflucht suchen mußte, wo ihm wenigstens ein Trost ward, die Freude dich zu retten, mein Roland.«

In diesem Augenblicke rauschte es in dem niedern Gebüsche, das sich zwischen den Föhren aufdrängte, und der Schall rasch hinwegeilender Schritte wurde hörbar.

»Verrath!« rief Rasmus Jüte und stürzte mit gezogenem Schwerte in das Gesträuch, das den Gegenstand, der so plötzlich die Aufmerksamkeit der drei Männer erregte, verborgen haben mußte. Roland flog mit Blitzesschnelle ihnen nach. Der Wald zeigte sich hier lichter, man konnte auf ferner Schneefläche eine Gestalt erblicken, die, wie ein dunkler Schatten über sie hinschwebte. Doch blieben alle Anstrengungen der Nacheilenden, sich dem gefährlichen Lauscher zu nähern, vergeblich. Er hatte bereits einen zu weiten Vorsprung gewonnen, er war zu flüchtig auf den Füßen, als daß sie hoffen konnten, ihn einzuholen. Sie verfolgten ihn noch einige Zeit lang, sie sahen ihn endlich in ein Dickigt verschwinden, wo es unmöglich war, seine Spur weiter zu erkennen. Unmuthig kehrten sie zu Gustav Wasa zurück, den sie, in sinnender Stellung an den Opferaltar lehnend, wiederfanden.

»Ihr seht, « redete er die Zurückkommenden an, »wie meine Schritte umstellt, wie die Späher des dänischen Tyrannen allenthalben auf meinen Fersen sind. Ich habe Falun verlassen, um nicht wieder dahin zurückzukehren. Das wird diesen Lauscher, wenn es anders in seiner Absicht liegt, mich zu verrathen, irre leiten. Die argwöhnischen Blicke des Bergvogts, der Haß, der sich in diesen ausspricht, seitdem ich dir, Roland, jenen unbedeutenden Dienst geleistet, haben mich zeitig gewarnt. Ich werde höher hinaufwandern in die Gebirge, näher der Grenze Norwegens zu. Dort lebt auf seinem einsamen Schlosse Ornäs ein Edelmann, Arndt Ornflykt, der einst, der Sache des Vaterlandstreu ergeben, unter mir gefochten. Er hat sich immer als einen wackern Ritter, als einen guten Schweden gezeigt. Ihn will ich auffordern, seine Leute zu bewaffnen, die Edlen der Nachbarschaft zum Kampfe für die heilige Sache des Vaterlandes aufzurufen. Laßt nur einmal erst eine kleine Schaar gewonnen seyn, dann wird sie anwachsen, wie die Lawine, die aus einem Schneestäubchen ersteht, dann strömen Tausende herzu, der fremden Tyrannei, der Knechtschaft müde.«

»Trauet dem Ornflykt nicht!« sprach im Tone der Warnung Rasmus Jute. »Gott hat ihn gezeichnet, er ist ein Rothkopf und unter dem Fuchshaare lebt immer ein listige, falsches Gemüth. Dann behandelt er auch sein Weib, die edle Barbara Stygsdotter schlecht, und ich meine, wer nicht gut verfahre an derjenigen, welcher er Liebe und Treue vor Gott gelobt, der könne noch weniger das Recht gegen denjenigen im Auge behalten, dem er durch keinen Eid verpflichtet ist. Ueberhaupt hoffet von den Bauern, als von den Edeln. Das Volk ist säumig, ehe es sich aus seiner Ruhe erhebt und zu den Waffen greift, dann aber könnt Ihr Euch auch auf seine Treue, auf seine Festigkeit, auf seine ungestüme Tapferkeit, die die Feinde nie zählt, als wenn sie besiegt am Boden liegen, verlassen. Noch haben sie Christians Grausamkeit nicht genug erfahren, um sich den friedlichen Gewohnheiten ihres Lebens zu entreißen. Aber auch hierher wird die Mordlust des Bluthundes dringen. Werden doch allenthalben im Reiche schon Galgen errichtet, um jeden, der nur verdächtig scheinen möchte, schnell aus dem Wege zu schaffen. Auch diese Thäler wird er nicht verschonen, und dann ist der Augenblick der Rache, die Stunde der Freiheit gekommen.«

»Ja, edler Herr,« fügte Roland hinzu, »das Volk der Dalekarlen wird keine Unterdrückung ertragen, sobald sie ihm nahe tritt. Je weiter und rascher das Unrecht um sich greift, desto geschwinder reift die Sache des Rechtes. Auch ich kenne noch aus alten Zeiten diesen Ornflykt. Er ist tapfer, er ist selbst kühn, aber eben so listig und wandelbar.«

Die Einwürfe der bewährten Freunde schienen für einige Augenblicke den Entschluß Gustavs wankend zu machen. Dann aber sagte er in einem festen, bestimmten Tone:

»Ich kann einem Mann mein Vertrauen nicht entziehn, der sich mir immer ritterlich und ehrenvoll gezeigt hat. Täuscht er mich, so wird mir auch in einer Gefahr, die mich bei ihm treffen könnte, mein Glück, das mich bisher noch nie ganz verlassen, behülflich seyn, ihr zu entgehn. Dann besitzt er, wie du selbst sagst, Jute, ein wackeres Weib. Ich habe die Kraft, den edeln Sinn der Frauen schätzen gelernt, seitdem Sture's Wittwe Stockholm vertheidigt, bis die Männer sie verrathen, seitdem ich Anna Bjelke den Feind außerhalb, den Verrath innerhalb der Mauern von Calmar bekämpfen gesehn. Ich gehe nach Ornäs. Ornflykts Frau wird keinen Verrath des Gatten zur Reife kommen lassen, wenn dieser darauf sinnen sollte, was ich noch immer nicht von einem schwedischen Ritter glauben kann. Etwas Entscheidendes muß gewagt werden. Dieses zwecklose Umherirren, dieses rastlose Fliehen vor bekannten und unbekannten Gefahren zehrt meine besten Kräfte auf. Lieber mitten in der Gefahr, trotzig und kühn gegen sie kämpfend, als immer sie fürchten, immer vor ihr weichen, um ihr in einer neuen Gestalt zu begegnen. Seyd unbesorgt um mich! Ich kenne alle Schlupfwinkel dieser Gebirge, ihre geheimsten Verstecke. Und dann, Ihr Freunde, weiß ich Euch zu finden, wenn die Noth mich zu Euch triebe. Aber ich ahne von nun an eine glückliche Zeit. Christian hat durch die Stockholmer Greuelszenen, durch ihre Fortsetzung während seiner ganzen Rückreise nach Dänemark nicht allein den Abscheu der Menschen, sondern auch den Zorn des Himmels zu sehr erregt, als daß jene seiner Tyrannei sich ferner ohne Widerstand unterwerfen möchten, dieser sie länger dulden könnte. Das Maaß seiner Schandthaten ist voll. Nahe ist der Tag der Rache, der Demüthigung. Und nun, Ihr Männer, laßt uns, ehe wir scheiden, an dieser Stelle, wo uns die Erinnerung an die alten Heldengeister umschwebt, einen Bund schließen zum Heile Schwedens, zur Wiedererlangung seiner Rechte in alle Wege. Sey es durch Gewalt der Waffen, durch Vergießung des eigenen Blutes, durch Entbehrungen und Beschwerden, sey es selbst durch den Tod! Fern von unserm Lande, aber auch in einer Gegend, wo mächtige Gebirge ihre Schneehäupter erheben, wo, wie in unserm Norden, aus ewigen Eisthälern herab, brausende Ströme stürzen, wo die Menschen ebenso einfach eben, wo sie harmlos ihre Heerden hüten, wo sie nichts kennen, als die Liebe zu den Ihrigen und zu der Heimath, die ihnen das Daseyn gab: da hatte sich auch vor vielen Jahren ein fremdes Volk, wie bei uns der Däne, eingenistet, und seine Vögte herrschten mit eiserner Strenge, mit verbrecherischer Willkühr über das unterdrückte Land. Da traten, wie in dieser Halle Odins, drei Männer zusammen an tief verborgener Stelle um Mitternacht, und riefen diese zum Zeugen eines Bundes, den sie zur Befreiung ihrer Heimath beschworen. Und sie hielten, was sie gelobt in heiliger mitternächtlicher Stunde, sie erreichten, was sie wollten, eben weil die Kraft mit dem Willen gleich war. Zu ihnen gesellten sich tausende, die eben so gedacht, wie sie, aber nur nicht kühn genug gewesen, den ersten Wurf zu wagen. Wie jene drei Männer, so laßt auch uns das heilige Bündniß schließen! Treue, Blut und Leben der gerechten Sache, der Freiheit, dem Schwedenlande!«

Auf die Schärfe der Axt, welche Gustav Wasa niedergesenkt hielt, legten Roland Doneldey und Rasmus Jute die Finger der rechten Hand, und gelobten im mächtigen, volltönenden Einklange:

»Treue, Blut und Leben der gerechten Sache, der Freiheit, dem Schwedenlande!«

»Meines Vaters Haupt ist auf dem Blutgerüste zu den Füßen des Henkers gefallen,« begann noch einmal Gustav Wasa, »Mutter und Schwester sind in der Gewalt des Tyrannen, und ich muß für ihr Leben zittern, wenn Christian mich als seinen offenen Feind erkennt. Aber heiliger als jedes Band ist das, welches mich an die Gerechtigkeit, an die Heimath fesselt; denn das Recht ist göttlichen Ursprungs und das Vaterland ebenso eine Gabe des Höchsten, durch die er tausende mit uns verbrüdert. Jetzt lebt wohl, Ihr schwedischen Männer, denn auch dich, Robert Doneldey, rechne ich zu den Söhnen Schwedens. Du hast durch Liebe, durch Treue, durch Thaten dir die schwedische Erde zur Mutter gewonnen. Kehre zurück in deinen friedlichen Aufenthalt nach Mora, den dir die Liebe schmückt. Dort wache, dort forsche, dort harre! Vernimmst du irgend etwas von Wichtigkeit, so theile es schleunig an Rasmus Jute mit. Er weiß mich immer zu finden, von ihm kann ich auf dem schnellsten Wege jede Kunde erhalten.«

»Und wo, Jute, darf ich hoffen, Euch zu finden?« wandte sich Roland zu diesem. »In Mora erscheint Ihr selten und dann immer nur so flüchtig, daß man Euch kaum wahrnimmt. Wo habt Ihr Eure Wohnung?«

»Derselbe Mann,« erwiederte finster Rasmus Jute, »der Euch nach dem Leben stand in den Gruben von Falun, lauert auf meine Schritte mit Kerkerhaft und Meuchelmord. Er trägt ein Verbrechen, eine gräßliche Blutschuld gegen mich auf der Seele, und fürchtet mich mit Recht als einen strengen Richter des begangenen Frevels. Deshalb wandle ich rastlos, wie ein Verfolgter, durch die Thäler, über die sich seine Gewalt erstreckt, deshalb wohne ich einsam und von den Menschen zurückgezogen in der Wildniß, wo ich den Adler zum Nachbarn, den Großvater Bär und den Goldfuß Wolf zu Bekannten habe. Wenn Ihr mich heimsuchen wollt, so müßt Ihr Euch zu einer kühnen Wanderung entschließen, aber dafür seyd Ihr ja der Roland Doneldey, der keine Gefahr scheut, dessen Herz keine Furcht kennt. Tief im Hintergrunde des Thallandes, wo sich die Riesen der nordischen Fjälln erheben, stürzt sich der Styggforsen aus dunkler Felsenschlucht mächtig herab. Von seinem Falle erbebt die Erde, aus seinen brausenden Wogen steigt ewig ein weißer Nebelduft auf, der ihn schon weithin verkündet. Nur ein Pfad, schlüpfrig und schmal, führt an steiler Felsenwand hinauf zu dem Kessel, in welchen sich der Strom mit furchtbarem Getöse stürzt. Dort kann ein einzelner Mann mit Steinen und Felsstücken hunderte von Bedrängern erlegen, ehe es einem von ihnen gelingen möchte, seinen Standpunkt zu erreichen. Wenn Ihr nun am Rande dieses ewig schäumenden Kessels angelangt seyd, so seht Ihr allenthalben nur Felsenwände vor Euch, und jeder weitere Schritt scheint durch die Macht der riesig vortretenden Natur gehemmt. Dann achtet auf ein einzelnes, an niederm Felsenvorsprunge ausgewachsenes Birkenbäumchen. An diesem schwingt Euch auf die Felsenplatte, und Ihr seht dann eine schmale Felsenkluft vor Euch, nur geräumig genug, um einem einzelnen Manne den Durchgang zu gestatten. Hier aber findet Ihr einen treuen und gefährlichen Wächter, meine schottische Dogge, groß und stark wie ein Bär. Sie ist angekettet, aber ihre Kette ist lang genug, daß sie den ganzen Eingang vertheidigen kann. Des Hundes Getöse wird mich dann schon von der Ankunft eines Besuchs unterrichten, und ich komme Euch selbst entgegen, um Euch in meine verborgene Wohnung einzuführen.«

Die drei Männer, die nun einen heiligen Bund für Schwedens Befreiung geschlossen, trennten sich. Gustav Wasa und Rasmus Jute schritten tiefer in den Wald, den Gebirgen zu. Roland Doneldey nahm seinen Weg nach Mora zurück. Er fühlte sich froh belebt durch die Aussicht auf ein baldiges reges Kriegstreiben, er empfand noch fort und fort die Freude der Stunde, die ihn mit dem alten Anführer, mit einem alten Kriegskameraden zusammengebracht. Gustav Wasa war für ihn das Ideal eines hoch und heilig gehaltenen Heldenthumes. Hatte er ihn doch in so manchem Gefechte als Sieger gesehen, immer frohmuthig, wenn die Trommete zum Kampfe rief, verwegen, wo der Augenblick ein Wagestück verlangte, und wiederum besonnen, wo der ruhige, unbefangene Blick des Feldherrn das Loos des Tages zu entscheiden hatte. In seinem heitern Sinne, der nur Hoffnungen aber keine Befürchtungen zuließ, zweifelte Roland gar nicht an der glücklichen Ausführung aller der Entwürfe, die in der Bedeutung ihres Bundes lagen. Seine fröhlichen Hoffnungen ließen ihn schon Gustav an der Spitze seines Heers, als Sieger der Dänen in die Hauptstadt einziehend, erblicken. Dann aber nannte man auch seinen Namen, den Namen Roland Doneldey's, als eines Mannes, der vom ersten Augenblicke für das Recht und die Freiheit gekämpft und seinem riesigen Pathen auf dem Marktplatze zu Bremen keine Schande gemacht. Dann, meinte er, müsse auch der Lübecker Oheim, Herr Bernhard Böchower, sich überzeugen, daß er nicht für den lebendigen Tod in seinen Schreibstuben getaugt, sondern von der Natur zum Kriegsmann bestimmt worden, dessen Thaten wohl verdienten, durch den Besitz der geliebten Margaretha belohnt zu werden. Sein Inneres war voll fröhlicher, heitrer Aussichten. Alles, was er wünschte und hoffte, schien ihm schon so gut wie geschehn, er dachte nicht an die Möglichkeit der Hindernisse, an so Vieles, was feindlich entgegentreten würde, an zweifelhafte Kämpfe, die noch in seinem Wege lagen.

So erreichte er mit leichten, von innerer Zufriedenheit beflügelten Schritten den Ausgang des Waldes. Hier wurde die Finsterniß, in der, er bisher gewandelt, zum Dämmerlichte, in welchem er die Eisdecke des Siljan, selbst den ferner liegenden Kirchthurm von Mora erblicken konnte. Er hatte aber kaum den Wald verlassen, als mit eiligen Schritten eine Gestalt auf ihn zukam, in der er, als sie näher trat, zu seinem Befremden den Jüngling Claudianus erkannte. Dieser schien in heftiger Bewegung, stand odemlos vor ihm und starrte ihn wie jemand, der seiner Sinne nicht ganz mächtig ist, an.

»Was führt dich hierher in dieser Stunde?« sprach im Tone des Erstaunens Roland. »Warum hast du dein ruhiges Lager im Pfarrhause zu Mora verlassen, was suchst du hier im Walde, wo, wie du von Lille weißt, die Elfen und Sjören gern mit dem Neugierigen ihren Muthwillen treiben?«

»Spottet nicht, Herr!« antwortete verstört der Jüngling. »Die Leute von Dalarne haben ganz Recht, wenn sie glauben, daß diese Wälder von Teufeln bewohnt sind. Habe ich doch selbst den ärgsten aller bösen Geister erschaut, umgeben von seltsamen, wunderlichen Gespenstern, von Wesen, wie ich noch nie sah. Noch stockt das Blut in meinen Adern, noch sind meine Sinne verwirrt von dem Anblicke. Laßt uns rascher gehn, Herr! Weit von jener Stelle, wo ich Entsetzliches, Unglaubliches schauete, werde ich eher wieder meines Geistes, meiner Gedanken mächtig werden.«

Er eilte in ängstlicher Unruhe vorwärts. Roland, der innigen Antheil an dem Jünglinge nahm, sah ein, daß er sich in einer Aufregung befinde, die durch irgend eine außerordentliche Begebenheit veranlaßt seyn mußte. Er hatte seine Hand ergriffen. Sie brannte fieberhaft.

»Beruhige dich, Claudianus, und vertraue dich ganz mir an!« sagte er im gütigsten Tone. »Es ist schon seltsam genug, daß ich dich nach Mitternacht hier finde, aber – «

»Nein, nein!« unterbrach ihn mit wunderlicher Heftigkeit der Jüngling. »Das ist durchaus nicht seltsam, das gebot mir die Pflicht, die Liebe zu Euch. Als Ihr aus jener entsetzlichen Gefahr in Falun glücklich gerettet wiederkehrtet, da gelobte ich mir, fernerhin Eure Schritte zu beobachten und Euch allenthalben hin, wo ich Gefahr ahnen konnte, als ein treuer Wächter zu folgen. Ich schlief nicht, als Ihr Euch vom Lager erhobet und leise das Zimmer verließet. Ich folgte Euch nach, ich hütete Euch aufmerksam mit den Blicken bis am Eingange des Waldes, wo ich Euch plötzlich unerwartet aus den Augen verlor. Mein ganzes Bemühen ging nun dahin, Eure Spur wiederzufinden. Lange irrte ich im Walde umher auf ungebahnten Wegen, ohne daß mir irgend etwas Besondres aufgefallen wäre. Ich zürnte nur auf mich, daß ich einen Augenblick es an genauer Aufmerksamkeit auf Euch hatte fehlen lassen, daß der ganze Zweck meines Ganges verloren sey. Ich bildete mir tausend Gefahren ein, die Euch treffen möchten, in denen Ihr meines Beistandes bedürfen konntet, die Euer Leben bedrohen möchten. Es dünkte mich schon räthselhaft und von übler Vorbedeutung, daß Ihr, ohne Eurer Absicht mit einem Worte gedacht zu haben, Euch heimlich aus dem Pfarrhaus entferntet, daß Ihr die Mitternachtsstunde zur Ausführung eines geheimnisvollen Planes erwähltet. Ich dachte auch nicht entfernt an die spukhaften Sagen, welche im Thallande jedes Kind von den Waldgeistern zu erzählen weiß, ich trug nur Eins im Sinne, Euch wiederzufinden und in der Noth als getreuer Beistand zur Seite zu stehen. Da brach mit einemmale aus den Lücken der dunkeln Föhren ein seltsamer, bleicher Feuerschein hervor. Mochte ihn der Schnee so wiederspiegeln, oder mochte es sein eigenthümliches Licht seyn: ich weiß es nicht. Dieser unerwartete Glanz im Walde befremdete mich, und ich kann nicht bergen, daß ich in diesem Augenblicke von der Ahnung einer außerordentlichen, übernatürlichen Erscheinung ergriffen wurde. Ich schlich leise und behutsam dem wunderlichen Lichte näher, ich stand endlich hinter einem starken Baumstamme, der an einen kleinen offnen Raum stieß, wo sich mir nun ein fremdartiges, unerklärliches Schauspiel bot. Spottet meiner nicht, Herr Doneldey, wenn ich von häßlichen Gespenstergestalten spreche, von der Erscheinung zweier Personen, die nur ein Wunder wieder in's Leben und nach Dalarne geführt haben kann. Ja, ein Wunder, Herr!« fuhr sich erhitzend der Jüngling fort. »Denn wie könnte es ohne ein Wunder, ohne eine übernatürliche Kraft geschehen, daß diejenigen, die verlassen und, dem Hungertode auf einer einsamen Insel am Maelstrome preisgegeben, hier in Schweden frisch und lebendig einherschreiten, neue Tücke und neues Unheil brütend?«

»Was sagst du?« fiel nun seinerseits überrascht und betroffen Roland ein. »Virginia und Erasmus Fontanus, dein alter Meister, wären hier? Du selbst hättest sie gesehn?«

»Ich habe sie gesehn;« sprach der Jüngling noch immer sehr erregt, aber bestimmt: »sie oder ihre Gespenster, aber Gespenster sprechen nicht, wie die Gestalten, welche vor meinen Blicken wandelten, von weltlichen Dingen, sie schmieden nicht höllische Entwürfe zum Verderben der Menschen, wenn sie nicht zugleich Teufel sind, wie die Frau Minderhout und der fahrende Schüler Fontanus. Ich bin noch immer verwirrt, es geht noch Alles, was ich gesehn und gehört, mir wunderlich im Kopfe um. Sie waren es, wenn ich ihrer Erscheinung gedenke, und sie können es doch wiederum nicht seyn, wenn ich mich der Vergangenheit, wenn ich mich erinnere, wie sie von aller menschlichen Hülfe fern, auf einer Insel zurückgeblieben sind. Ich will Euch nur Alles erzählen, wie ich eins aufs andre gesehen, und vernommen, Ihr mögt Euch dann selbst die Wahrheit daraus enthüllen. Es war ein seltsames, pyramidenartiges Gebäude, aus dem jener wunderliche Feuerschein hervorbrach, von dem ich Euch sagte. In dem Gebäude sah ich einige kleine, schmutzige und bleiche Gestalten, wie Schatten, einherschwanken, andre bewegten sich um das Gebäude und erhielten sich in einer sonderbaren Beweglichkeit, wie Menschen, an denen Alles Gelenk ist, nichts fester Knochenbau. Sie gingen vorgebückt, sie schienen grämlich und sprachen nicht. In einiger Entfernung lag eine dunkle Masse am Boden, wie eine Schaar ruhender Thiere.«

»Du beschreibst eine Herde Lappländer, die ihre Wohnung im Walde aufgeschlagen hat,« unterbrach ihn Roland. »Die dunkle Masse am Boden wird nichts anders als eine Heerde Rennthiere gewesen seyn.«

»Ihr konnt Recht haben,« versetzte Claudianus: »aber ich war damals von der ganzen Erscheinung, und von dem, was ich noch sah, so überrascht, daß ich nichts bedenken, nichts überlegen konnte. Dazu kam die Erinnerung an Lille's Wundersagen, die sich meiner ganz bemächtigt hatten, die ich nun in der Gegenwart in der Wirklichkeit entstehen sah. Wäre nicht auch Euer Geist wie von einem Zauber befangen worden, wenn Ihr im Scheine jenes Feuers plötzlich Frau Virginia Minderhout in köstliche Pelze gehüllt aus dem fremdartigen Gebäude hervortreten, über die Schneefläche dem Walde zu wandeln, und dann hier wartend stehen bleiben gesehen hättet? Ganz wie sie damals gewesen auf dem Schiffe des Capitän Harslö, ehe noch der plötzliche Tod des alten Herrn eingetreten, den Blick keck und erobernd das Haupt stolz emporgerichtet, frei und froh, als sey nichts geschehn, was ihr Gewissen berühren, ihre Reue erwecken, ihre Erinnerungen trüben könne! Ich war wie auf die Stelle hinter dem Baume gebannt, es war mir, als läge mit eiserner Gewalt die Nothwendigkeit auf mir, daß ich abwarten müsse, was aus dem Allen werden würde, es trat mir oft der Gedanke in die Seele, die ganze Erscheinung möchte plötzlich als ein gespenstiges Unwesen in die Luft fliegen oder sonst auf eine Weise verschwinden. Ich wünschte, ich ersehnte das. Frau Virginia begann wieder langsam auf und niederzuwandeln, sie ging näher an mir vorüber, ich konnte jeden Zug ihres Antlitzes, jede Geringfügigkeit an ihrer Kleidung erkennen. Da plötzlich trat mit eiligen, hastigen Schritten eine Mannsgestalt ans dem Dickigt neben an hervor, sie stand nach wenigen Augenblicken vor Virginia: es war niemand anders, als mein ehemaliger Meister Erasmus Fontanus.«

»Unser Lauscher im Gebüsche!« rief sehr bewegt Roland Doneldey. »Verwünscht, wenn der Bube eine Entdeckung gemacht hätte, deren Weiterverbreitung ihm einen bedeutenden Sündenlohn einbringen könnte! Ihn würde sein Gewissen nicht vom Verrathe zurückhalten. Aber ich kann dir noch kaum glauben, Claudianus. War nicht Alles ein Traum, ein Gaukelspiel deiner Einbildungskraft?«

»Nein, nein!« erwiederte heftig der Jüngling. »Mit jedem Augenblicke steigen jene Gestalten deutlicher und klarer vor meinem Gedächtnisse auf, ich habe Wahrheit geschaut und wenn Ihr vernehmt, was ich von Euch, was ich von noch Einem hörte, der in diesem Lande flüchtig umherirren soll, dessen man sich bemächtigen will, weil man ihn fürchtet –«

»Bei'm Himmel!« fiel Roland ein. »Das ist mehr als ein Traum. Du kannst nichts ahnen von diesem Geheimnisse, du mußt es von einem gehört haben, der sich unberufen in seine Theilnahme eingedrängt. Sprich weiter, Claudianus! Ich bin begierig, wie weit die Kenntniß dieses zudringlichen Spähers geht.«

»Noch einmal, Herr,« sagte versichernd Claudianus, »es war kein andrer, als Erasmus Fontanus. Er sah verstört aus, ich stand ihm so nahe, daß ich wahrnehmen konnte, wie seine Kleider an mehreren Stellen zerrissen waren, und in diesen noch dorniges Strauchwerk, das den Schaden verursacht haben mochte, hing. Virginia, sprach er, ich habe eine Entdeckung gemacht, die uns in diesem Lande von großem Vortheil seyn kann. Wir werden uns zugleich rächen an einem unsrer schlimmsten Feinde, an Roland Doneldey, dem wir so vieles Ungemach, das wir ertragen, zuzuschreiben haben. Ich habe ihn gesehen und noch zwei Männer, von denen der Eine dem Dänenkönige höchst gefährlich ist, so daß dieser einen großen Preiß auf seine Gefangennehmung oder auf seinen Kopf gesetzt hat. Man sah mich nicht und als man mich bemerkte, war es zu spät, mir noch etwas zu verheimlichen, und als man mich drohend verfolgte, konnte es den Nachsetzenden nicht gelingen, mich zu erreichen. Komm, Virginia! die Sache bedarf einer ernsten Ueberlegung. Nicht umsonst haben wir Gefahren getrotzt und Beschwerden ertragen, wir werden in diesem Lande Rache finden, wir können hier ein großes Glück machen. – Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich, als Erasmus, Frau Minderhout führend, dicht an meinem Versteck hinstreifte, erbebte, und von vermehrten, unheimlichen Empfindungen ergriffen wurde. Es dünkte mich, als sähe ich ein böses Gespenst, das einst seinen giftigen Odem über die Blüthen meiner Kindheit ausgeströmt und sie getödtet habe. Ich fühlte mich nicht frei, nicht muthig, sondern bedrückt, geängstigt. Ich sah noch Fontanus und Virginien sich dem seltsamen Gebäude nähern und in dieses verschwinden. Die wunderlichen Nachtgestalten, die noch hier und da herumgeschwärmt, folgten ihnen nach, und ich selbst, verwirrt von Allem, was ich in dieser Nacht gesehen, von dem Unglaublichen der ganzen Erscheinung bedrängt, floh zurück durch den Wald, bis ich endlich, vom Zufalle geleitet, an jener Stelle anlangte, wo mein gutes Glück mich Euch finden ließ. Was sagt Ihr nun dazu, Herr Roland? Haben die bösen Geister, mit welchen diese Wiesen und Wälder bevölkert seyn sollen, ein neckendes Spiel mit mir getrieben, oder könnte es Wahrheit, könnte es Wirklichkeit seyn, daß von jenen Eilanden im hohen Norden, durch Eise und Schneewüsten, über unwegsame Gebirge, mein ehemaliger Meister und die Genossen seines Verbrechens herab in dieses Thalland gekommen wären, Euch und einem Andern, den ich nicht kenne, zum Verderben?«

Sie hatten während dieser Unterredung den Flecken Mora erreicht. Roland blieb einige Augenblicke nachsinnend vor der Thüre des Pfarrhauses stehen und sagte dann:

»Verbanne jeden Gedanken an irgend eine gespenstische Erscheinung! Laß diese Thorheiten denjenigen, welchen sie Geburt und Erziehung zu tief eingeprägt haben, als daß sie vermöchten, sich aus ihnen zur Geistesfreiheit emporzuringen. Es sind wirkliche Gefahren, die hier lauern, es ist ein neuer Verrath, der das Leben des edelsten Mannes, der auch meine Sicherheit bedroht. Aber zum Glück hat der Bösewicht Fontanus nur Dinge vernommen, die der Vergangenheit angehören, nicht die Entwürfe für die Zukunft! Dennoch müssen wir auf unsrer Hut seyn. Du bist brav, Claudianus, du bist verschwiegen. Wisse denn, daß ein Sprößling der alten Schwedenkönige in Dalarne umherirre, und Schutz und Beistand gegen den blutigen Tiger Christian sucht. Er ist mein Freund, er ist mein Waffenbruder. Das Verbrechen hat ihn geächtet, weil es die Tugend fürchtet. Fontanus möchte gern den Preiß gewinnen, der auf seinem Haupte steht, er ist erfreut, mich, seinen alten Widersacher, zu verderben, da ihn der Zufall unsre Verbindung kennen gelehrt. Gib genau auf Alles, was sich ereignet, Acht, Claudianus! Wäre ich abwesend, und irgend eine Sache schiene dir verdächtig, so eile sogleich zum Wasserfalle des Styggforsen, im tiefsten Hintergrunde von Dalarne. Dort wirst du entweder mich selbst oder doch einen Mann finden, dem du Alles anvertrauen kannst. Morgen mehr davon! Wir bedürfen Beide der Ruhe nach den seltsamen Ereignissen dieser Nacht.«

Claudianus fühlte sich durch das Vertrauen Rolands sehr geehrt. Die Mittheilung eines so wichtigen Geheimnisses konnte er als einen Beweis von Anerkennung seiner Besonnenheit, seines Muthes und seiner treuen Ergebenheit an Doneldey ansehn. Dann besaßen auch die Begebenheiten, in die er so unerwartet verflochten worden, einen Reiz des Romantischen und Abentheuerlichen, der sein feuriges Gemüth mächtig ergriff, und ihn in der Zukunft eine Theilnahme an großen Ereignissen, an Thaten, welche das Geschick eines ganzen Reiches bestimmen konnten, ahnen ließ. Während Roland, der Alles mit Ueberlegung, aber dennoch mit sorgenfreiem, unbefangenem Geiste betrachtete, sich ungestört einem erquickenden Schlummer hingab, wachte Claudianus den Ueberrest der Nacht hindurch, und hatte sich bis zum Morgen ein Bild des flüchtig umherirrenden königlichen Helden entworfen, das ihn mit einer Liebe und Bewunderung erfüllte, die jede Prüfung auf Leben und Tod zu bestehen, bereit waren.



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