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Drittes Kapitel.


Rache? Wahnsinn ist die Rache
Und ihr Ziel das eigne Herz.

An jenem Abende, an welchem Frau Barbara Ornflykt im Vereine mit dem Geistlichen von Mora und dem alten Huskurer Bragi Ingemund die verschwundene Margaretha vergebens in allen Winkeln der Kapelle von Rättwick aufgesucht hatte, mußte sich die Lübecker Jungfrau in der That bald überzeugen, daß Nils Westgöthe der Urheber eines Unternehmens sey, welches sie dem Schuhe ihres väterlichen Verwandten, der Nähe des Geliebten entzog. Sie sah sich, als man sie von der Verhüllung, die man in jenem entscheidenden Augenblicke über ihr Haupt geworfen, befreiete, in einem Gemache der Wohnung des königlichen Vogtes von Falun, diesem gegenüber, dessen Lächeln, dessen freundlicher, auf Virginia Minderhout gerichteter Blick, die innere Zufriedenheit mit dem Gelingen seines Planes aussprach. Margaretha fühlte sich in der Tiefe ihrer Seele über den Betrug empört, der sie aus der sichern Wohnung ihres Oheims gelockt, über den Gewaltstreich, den man auf ihre Person verübt. Sie beschloß, jeder Annäherung des Vogtes eine kalte Verachtung, einen Stolz entgegenzusetzen, der ihn bald von der Fruchtlosigkeit seiner Bewerbungen überzeugen müsse. Indessen hatte Nils Westgöthe die erste, allzu lebhafte Regung seiner Zufriedenheit mit dem Ausgange der Sache zu bekämpfen gewußt. Indem er seinem Angesichte den Ausdruck ernster Würde zu geben suchte, trat er zu Margarethen und sagte:

»Verkennt nicht meine Handlungsweise, Jungfrau Böchower, und haltet mich nicht für Euren Feind, während ich nur auf Euer eigenes Wohl bedacht bin und im Sinne eines Mannes handle, dem die Natur das vornehmste Recht auf Euch gegeben. Ich kenne die Gesinnungen Eures würdigen Vaters, ich weiß, daß er Euern Umgang mit dem leichtfertigen Roland von Bremen nicht billigt, ich fühle mich verpflichtet, Euch einer Verbindung mit Menschen zu entziehen, welche die gefährlichsten Dinge im Schilde führen, welche mit staatsverbrecherischen Planen umgehn. Das Schwert der Gerechtigkeit schwebt über ihrem Haupte. Daß es Euch nicht mit treffe, werdet Ihr vielleicht mir zu verdanken haben. Schon habe ich Veranstaltung getroffen, daß Herr Bernhard Böchower die wahre Lage der Sache erfahre. Bis sein väterlicher Wille Euer weiteres Schicksal entscheidet, müßt Ihr Euch schon gefallen lassen, unter dem Schutze eines Mannes zu verweilen, den der König selbst in diese Thäler gesetzt hat, über Recht und Sitte zu wachen, das Ansehn der Eltern und Vormünder zu vertreten, den Irrenden mit Milde, aber auch mit Ernst auf den rechten Weg zurückzuführen.«

Margaretha wandte sich, ohne ihn einer Antwort zu würdigen, von ihm ab. Sie sah ein, daß der Vogt unter einem Anscheine von Gesetzlichkeit schlau die Willkür, die er sich gegen sie erlaubt, zu verbergen suchte, daß seine Stellung ihn selbst bevollmächtigte, die etwaigen Forderungen des Oheims zurückzuweisen, daß er sie mit dem Vorwande, Nachrichten von ihrem Vater zu erhalten, noch lange hinhalten und in seiner Gewalt bewahren könne. Unter diesen Umständen vertraute sie allein auf Rolands Liebe, auf seine Kühnheit, auf seinen Unternehmungsgeist. Nur ein Werk der List, ein Wagstück, das alle Vorsichtsmaßregeln des Vogts und seiner Gehülfen durchkreuzte, konnte hier helfen, konnte den Mißbrauch eines richterlichen Ansehns vereiteln.

Von diesen Hoffnungen belebt, fand sich Margaretha ruhig in ihr Schicksal. Wenn sie den Verlust ihrer Freiheit, die Trennung von ihren Freunden abrechnete, so hatte sie nicht Ursache sich zu beklagen. Man behandelte sie mit Anstand, man hatte ihr einige Zimmer im obern Stocke des Hauses mit der Aussicht auf die Gebirge eingeräumt, man überließ es ihr, sich mit weiblichen Arbeiten, zu denen sie hinreichende Materialien vorfand, zu beschäftigen, wie sie wollte. Allein ihre Zimmer waren durch starke Gitter von dem übrigen Theile des Hauses getrennt, die Fenster mit Eisenstäben verwahrt, und die beständige Gesellschaft der Frau Minderhout, die sich ihr aufdrängte, fiel ihr, bei der unüberwindlichen Abneigung, die sie gegen diese Frau empfand, sehr zur Last. Frau Virginia machte es sich zum angelegentlichen Geschäfte, die guten Eigenschaften des Bergvogtes hervorzuheben, seines Ansehens beim Könige und im Lande als einer besondern, wohl der Beachtung würdigen Sache zu gedenken und diejenige glücklich zu preisen, die berufen sey, diesen Mann als Hausfrau durch das Leben zu geleiten und Ehre und Würde mit ihm zu theilen. In einem gleichen Sinne, nur unumwundener und plumper, sprach sich Erasmus Fontanus aus, der von Zeit zu Zeit in den Gemächern Margarethens erschien und erklärte, er wisse keinen andern Rath für sie, als sich dem mächtigen Bergvogte geneigt zu zeigen, der ja Mittel genug besitze, eine widerspenstige Gefangene nach seinem Willen zu lenken. Allen diesen Andeutungen und Aufforderungen stellte Margaretha ein ernstes Schweigen entgegen, während in andern Beziehungen ihr von Natur heiteres Gemüth, ihr in Hoffnungen gestärkter Muth wieder lebendig hervortrat. Manches muthwillige, aber bedeutungsvolle Wort wies Virginia und den nunmehrigen dänischen Hauptmann Erasmus Fontanus in die geziemenden Schranken zurück, wenn diese sich eine allzugroße Vertraulichkeit erlaubten und selbst Nils Westgöthe hatte, wenn er, wie es in der Regel geschah, bei den Mittags- und Abendmalzeiten erschien, einen und den andern Spott zu erdulden, den er jedoch nicht in seinem wahren Sinne nahm, sondern dahin erklärte, daß Margaretha Böchower sich mit ihrem Schicksale zu versöhnen beginne und sich selbst in diesem behaglich fühle.

So verging die Zeit und es ereignete sich nichts, was Margarethen in ihrer Hoffnung auf Befreiung befestigen konnte. Sie sah in ihrer Abgeschiedenheit niemand, als jene drei Personen und man verfuhr so vorsichtig, daß Virginia Minderhout alle Dienstleistungen, deren die deutsche Jungfrau bedurfte, selbst übernahm. Der dunkle Rauch der Hütten von Falun, der Schnee auf den Berggipfeln der Umgebung, bildeten eine Scene der Oede, welche nichts Erfreuliches hatte und die Sehnsucht der Gefangenen, in das vertrauliche Leben des Verwandtenhauses zu Mora zurückzukehren, vermehrte.

Da trat eines Tages um die Stunde, zu der Frau Virginia sich einzufinden pflegte, eine bleiche Mädchengestalt in Margarethens Zimmer. Margaretha konnte ihr Befremden nicht bergen, daß zum erstenmale eine Unbekannte, wie es schien, eine Dienerin des Hauses sich ihr nähere. Das Mädchen berichtete, wie Frau Minderhout sich heute durch Unpäßlichkeit außer Stand gesetzt sehe, selbst zu erscheinen, und daß man sie sende, die gewöhnlichen Dienstleistungen zu verrichten. Sie sey eine Waise, nenne sich Anne und habe nach dem Tode ihres Vaters, der Gefängnißwärter im Orte gewesen, als Magd Aufnahme im Hause des Vogtes gefunden. Es lag eine ungemeine Sanftmuth, allein auch eine tiefe Trauer in dem ganzen Wesen des Mädchens. Ihr Aeußeres, ihr ruhiges, zurückhaltendes Benehmen flößten Margarethen Wohlwollen und Vertrauen ein. Wie, sagte eine innere Stimme zu ihr, wenn dieses Mädchen von Gott gesandt wäre, zu deiner Befreiung mitzuwirken, dich den Schlingen zu entreißen, in denen dich List und Gewalt gefangen halten? Sie sprach gütig zu dem Mädchen, sie entdeckte ihr dann offen, daß man sie gegen Recht und Billigkeit mit Gewalt hier zurückhalte, sie versprach ihr eine große Belohnung, wenn sie ihr behülflich seyn wolle, auf geheimen Wegen dieses Haus zu verlassen.

Anne hörte sie mit allen Zeichen lebendiger Theilnahme an. Aengstlich und besorgt aber blickte sie, während Margarethens Eröffnungen, öfters nach der Thüre, als fürchte sie einen verborgenen Auflaurer, dann aber brach sie, als Margaretha geendigt hatte, in Thränen aus und sagte mit halb unterdrückter Stimme:

»Nur Gott kann Euch helfen, ich vermag es nicht. Wer einmal dieses Haus betreten hat, über dem waltet ein böser Geist, dessen Macht menschliche Kräfte nicht zu widerstreben im Stande sind. Glaubt nicht, daß Ihr allein eine Gefangene seyd in diesen Mauern. Auch ich bin in ihren Bezirk gebannt und werde diesen nur verlassen, um in ein Leben voll Jammer und Elend einzugehen mit einem Manne, den ich hasse und verabscheue.«

Bei diesen Worten vermehrten sich Annens Thränen und ihre Rede ward unter Schluchzen erstickt. Entsetzt ergriff Margaretha beide Hände des Mädchens, zog es näher an sich und versetzte:

»Sage mir Alles, unglückliches Kind! Vielleicht kann dich der Trost eines theilnehmenden Wesens aufrichten, vielleicht gibt er dir eine Kraft zurück, die uns beide dem drohenden Verderben entreißt!«

»Ich bin nicht mehr zu retten,« sprach in einem bittern Tone das Mädchen, »und die Ruchlosigkeit der Menschen, die hier Gewalt haben, spottet des Widerstandes der Unschuld, der Versuche, sich ihnen zu entziehn. Die Sünde besitzt tausend Mittel, zu ihrem Zwecke zu gelangen, während die Tugend nur einen Weg zum Ziele, den der Wahrheit und ihres Rechtes, kennt. Waffnet Euch mit Stärke, setzt Eure Hoffnung nur auf den Himmel, denn man wird nichts scheuen, Euch in das Verderben zu ziehn, das man Euch bestimmt. Ich weiß wohl, daß man nichts Geringeres im Sinne trägt, als Euch zur Gattin des mächtigen Vogts zu machen, aber der Mächtige, der in Laster und in Sünde lebt, kann ein edel denkendes Weib nur unglücklich machen. Ich hörte von Euch, ehe ich in dieses Haus kam, man hat mir Eure Wohlthätigkeit, Euern frommen Sinn, die Reinheit Eures Wandels vielfach gerühmt. Wie gern würde ich Euch helfen, wenn ich es vermöchte! Aber ich selbst werde bald ganz diesen Menschen angehören, ich bin ihnen schon verfallen mit Leib und Seele.«

Annens Thränenquell war versiegt. Sie blickte in finstrer Stumpfheit, in einer Oede der Verzweiflung vor sich hin. Ihre Brust hob sich convulsivisch, ihr Herz bewegte sich in stürmischen Schlägen.

»Mein Unglück ist,« sprach sie dann eintönig weiter, »daß ich zu viel weiß. Ich weiß Dinge, welche man in einige Vergessenheit begraben möchte, deren Entdeckung man fürchtet. Deshalb wurde die Bosheit der Hölle beschworen, um mich schweigen zu machen, um mich so eng an das Verbrechen zu fesseln, daß mein eigener Vortheil seine Verheimlichung erheischt. Aber Euch will ich mich entdecken, Euch will ich offenbaren, was nun als eine schwere Last auf meiner Seele liegen wird, bis mich der Tod davon befreit. Ich war mit einem Manne ans diesem Thallande verlobt; er nannte sich Rasmus Jute, galt für einen wackern Krieger und Jedermann rühmte sein redliches Gemüth. Da kam ein entsetzliches Unglück über ihn, das ein Teufel, der in menschlicher Gestalt auf Erden wandelt, ausgebrütet. Den Teufel nenne ich nicht und das Unglück bezeichne ich nicht, aber hütet Euch vor Nils Westgöthe und dann am meisten, wenn er am freundlichsten gegen Euch tönt. Unsrer sind nur vier, die nur jene entsetzliche Geschichte wissen. Mein Verlobter wollte Rache nehmen an dem Teufel, aber dieser wußte ihn zu fangen und bewahrte ihn in Ketten und Banden zu einem gräßlichen Tode. Da führte ich ihn aus dem Kerker in die Freiheit und schied in Jammer und Wehmuth von ihm, denn mit ihm verließ mich die Hoffnung, jemals mit ihm vereinigt zu werden. Sein Feind mochte ahnen, daß ich es gewesen, der seine Fessel gelöst, daß ich mit jenen furchtbaren Dingen bekannt sey, deren Offenbarung er scheuen mußte. Als mein Vater starb und ich einsam und allein stand, lockte er mich in sein Haus, wo nun jeder Schritt, den ich that, jedes Wort, das ich sprach, bewacht wurde. Ich durfte das Haus nicht wieder verlassen. Zu spät erkannte ich meine Unbesonnenheit. Man behandelte mich hart, man schloß mich endlich in ein feuchtes, dunkles Gewölbe ein und drohete, mich hier verschmachten zu lassen, wenn ich nicht einem Manne, der mir schon ferneres Schweigen aufzulegen wissen werde, meine Hand reiche. Ihr kennt nicht den schwarzen Henz, Ihr wißt nicht, wie ihn die Hand Gottes schon als einen Verworfenen, als einen, der jedes Verbrechens fähig ist, gezeichnet hat. Und ich – ewige Mutter Gottes – ich weiß das Aergste von ihm, ich sehe in ihm einen Abschaum der Menschheit, von seiner Stirne leuchtet mir blutroth das Zeichen des Mordens entgegen, ich schaudere bei seinem Anblicke, und – mit ihm sollte ich mich vereinigen für alle Zukunft, ihm sollte ich Liebe, ihm sollte ich Treue schwören vor dem Altare! Lieber den Tod, als das. Ich widerstand jeder Versuchung, ich wollte sterben, um diesem entsetzlichen Loose zu entgehn. Da trat eines Tages – ewiger Gott, es dünkt mich eine schreckliche Ewigkeit und es war erst vorgestern! – Henz selbst zu mir in das Kerkergewölbe und sagte mir kalt: man habe sich nun meines ehemaligen Verlobten wieder bemächtigt, er werde diesesmal in festerm Gewahrsam gehalten, als früher, und sey nun unwiderruflich zu öffentlicher schmachvoller Hinrichtung verurtheilt, wenn ich nicht einwillige, seine – des schwarzen Henz – Ehefrau zu werden. Ich wußte nicht, was ich thun sollte. Indem ich mich opferte, konnte ich den theuern Mann erretten, es schien mir, als gebiete die Liebe, die Treue selbst dieses Opfer. Aber die Frau eines Bösewichts, eines Mörders! Gott behüte Euch, daß Ihr jemals zu einem Seelenkampfe gedrängt werdet, wie ich ihn kämpfen mußte! Man gestattete mir Bedenkzeit bis zum nächsten Tage. Dazwischen lag eine lange, gräßliche Nacht. Ich hatte wunderliche Erscheinungen in dieser Nacht. Es war mir, als sähe ich den Rasmus Jute in meinen Kerker treten, mit einem blutigen Streif am Halse, die eine Hand auf dem Herzen, die andre anklagend gegen mich erhebend. Sein Blick ruhete düster, schmerzlich auf mir. So stand er unbeweglich die ganze Nacht hindurch, während es neben ihm in wild auftauchenden Bildern sich regte, während da bald das Hochgerüste drohend aufstieg, bald seine Feinde hohnlachend sich zeigten, bald der Henker mit den blutigen Schwerte wieder nach dem blutenden Halse zuckte. Als der erste Schimmer des Tages in mein Gefängniß drang, verschwanden die Bilder, aber mein Entschluß war auch nun gefaßt. Es war ein heitrer Tag, der gestrige, aber für mich der schwarze meines Lebens. Genug! Henz kam wieder und ich verließ die Kerkergruft als seine Braut um den Preis von Jute's Freiheit, um den Preiß aller meiner Hoffnungen auf Erden.«

Sie schwieg. Um ihren Mund flogen krampfhafte Zuckungen, denen ein irres, fast wahnsinniges Lächeln folgte. Margaretha fühlte sich tief erschüttert. Sie sah in einen Abgrund schwarzer Verbrechen, sie konnte errathen, was Anne verschwieg, was diese in geheimnisvolle Rede verhüllte. In diesem Augenblicke dachte sie nicht an die Gefahren, die sie selbst bedroheten, sie war ganz von Theilnahme für die Arme erfüllt, die aus Liebe dem Glücke der Liebe entsagte, aus Treue zu dem geliebten Manne sich dem Verhaßten, Verachteten ergab.

»Unglückliches Mädchen,« sagte sie im Tone des innigsten Mitleids, »dein Loos ist schrecklich und man hat deine heiligsten Gefühle auf eine verabscheuungswürdige Weise zu Zwecken der Eigensucht, zum grausamsten Zwange mißbraucht. Aber wer bürgt dir, daß deine Unterdrücker dich nicht mit Lügen hintergingen, daß die wiederholte Gefangenschaft deines Geliebten nicht ein Märchen ist, ersonnen dich zu täuschen, dir jene Einwilligung abzudringen, welche dich einem elenden, jammervollen Daseyn hingibt? Menschen, wie du sie schilderst, sind jedes Betruges fähig.«

»Auch an diese Möglichkeit habe ich gedacht;« versetzte mit dumpfer Gleichgültigkeit Anne. »Aber ihre Worte können ebensowohl Wahrheit enthalten und in dem entsetzlichen Schwanken zwischen Wahrheit und Täuschung bleibt mir kein andrer Rettungsweg, als den ich eingeschlagen habe. Auf Erden sehe ich den Rasmus wohl niemals wieder, allein wenn er mir dereinst im Himmel entgegentritt, so stehe ich rein vor ihm, treu bis zum Elende, liebend bis zum Unglücke, das schrecklicher ist, als der Tod. Ich hatte keine andre Wahl. Mein Loos ist geworfen, die ewige Mutter Gottes und seine Heiligen werden es mich ertragen lehren.«

Während dieser Unterredung hatte sie die Arbeiten, die ihre Gegenwart veranlaßt, zu Stande gebracht. Eben wollte Margaretha den Faden des Gespräches wieder aufnehmen, um auf ihre eigene Angelegenheiten zurückzukommen, um noch einmal zu versuchen, ob Anne in keiner Weise eine Aussicht auf Entfernung aus diesem Hause des Verbrechens eröffnen könne, als eine rauhe Stimme aus der Ferne das Mädchen bei Namen rief. Anne bebte zusammen und schritt hastig nach der Thüre.

»Das ist der schwarze Henz!« sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich muß seinem Rufe gehorchen, ich kann keinen Augenblick länger bei Euch verweilen. Schon wird man Argwohn schöpfen, man hat uns vielleicht belauscht und noch befindet sich Rasmus in der Gewalt dieser Menschen, nicht eher ist seine Freiheit gesichert, als bis mich des Priesters Segen – mir ein Fluch – mit dem Schrecklichen vereinigt. Lebt wohl! Gott helfe Euch in Eurer Noth. Ich vermag es nicht.«

Eilig schlüpfte sie aus dem Gemache und Margaretha, in ihren Hoffnungen erschüttert, in vermehrter Besorgniß von den Ränken ihrer Bedränger, sah sich wiederum allein. Alles, was sie vernommen hatte, ließ sie die Ruchlosigkeit des Vogtes und seiner Gehülfen in einem Umfange erkennen, dem jede Mahnung des Gewissens, jede Rücksicht der Gerechtigkeit fremd war. Sie durfte nicht hoffen, daß man nur einen Augenblick die Wachsamkeit auf sie außer Augen setzen würde; so sehr sie sich sehnte, in das Haus ihres Oheims zurückzukehren, so gewiß sie darauf rechnen zu können glaubte, daß Roland Doneldey nichts unterlassen werde, ihre Befreiung zu bewirken, so mußte sie doch auch fürchten, daß er bei diesem Versuche in die Gewalt des königlichen Vogtes gerathen könne, daß dieser leicht einen Vorwand finden dürfte, den verhaßten Nebenbuhler, dessen Verderben er einst schon beabsichtigt, dem Untergange zu weihen.

Die sehr sie Recht hatte, als sie die Gefangenschaft des Rasmus Jute bezweifelte und Annen als einen Vorwand, ihre Einwilligung zu erpressen, darstellte, ist unsern Lesern aus dem Gange dieser Erzählung bekannt, so wie sie denn auch aus den Mittheilungen, welche Jute im Felsenthale des Styggforsen an Roland Doneldey richtete, sich des Mädchens erinnern werden, das einst den Kriegsgefährten Gustav Wasa's und des jungen Deutschen aus dem Gefängnisse zu Falun befreiete. Vergebens hoffte Margaretha im Laufe des Tages sie wiederzusehn. Es war das erste Wesen, das ihr in diesem Hause wohlwollend und aufrichtig entgegengetreten war, zu dem sie eine Neigung empfand, dessen Unglück sie tief rührte, indem sie zugleich mit einem Bangen, das sie gewaltsam zu unterdrücken suchte, in Annens Geschick einen Spiegel dessen, was ihrer selbst harre, zu erblicken glaubte. Unangenehm berührte sie am Abende dieses Tages die Wiedererscheinung der Frau Virginia, die sich, wie sie sagte, von ihrer Unpäßlichkeit hergestellt fühlte und berichtete, daß ihr Freund Erasmus Fontanus schon am Morgen mit einer Kriegerschaar ausgezogen sey, um ein Complott von Rebellen, das im Thallande sich zu Gunsten des Hochverräthers Gustav Wasa gebildet, zu stören.

»Ich kann nicht glauben,« fügte sie mit nachdrücklichem Tone hinzu, »daß Euer Herz noch an einem Manne hängt, der, wie Roland von Bremen, das Schifflein seines Lebens unbesonnen und frevelhaft einem Sturme preisgegeben, in dem es untergehen muß; sonst müßte ich Euch bedauern. Er steht oben an unter den Verschworenen, die das Schwert der strafenden Gerechtigkeit ereilen wird. Denkt nicht mehr an ihn, sucht Euch zu überreden, Ihr hättet nie einen Verwandten dieses Namens besessen, Ihr hättet ihn nie gekannt, nie eine Neigung für ihn empfunden, damit das Mißgeschick, dem er nicht entgehen kann, ohne schmerzlichen Eindruck an Euch vorüberschreite. Greift nach dem Glücke, das sich Euch angerufen bietet: ein Wort und Ihr seyd die angesehenste Frau von Dalarne!«

Dieses eine Wort aber, das Virginia schon so oft vergebens dem Munde Margarethens zu entlocken gestrebt, blieb auch diesesmal unausgesprochen. Freilich mußte in den reizbaren Zustande, der die Jungfrau seit Annens Eröffnungen ergriffen, die Entdeckung der Gefahr, in welcher Roland schwebte, sie in einem hohen Grade beunruhigen, allein sie wußte diese Gemüthsbewegung zu verbergen, sie setzte, wie immer, auch diesesmal dem Ansinnen der listigen Flammländerin eine stolze Verachtung entgegen.

Unter diesen Verhältnissen erschien in dem nächsten Tage der Vorabend des Julafton, zu dessen Feier sich auch in Falun Alles in Bewegung setzte. In ganz Schweden ist, seit der Einführung des Christenthums, dieses Fest das heiligste und heiterste im ganzen Jahre und die armen Bergleute von Falun sahen es mit um so freudigerer Erhebung herannahen, da es sie auf mehrere Tage hin aus der Nacht ihrer Grüfte erlöste und ihnen eine freilich nur kurze Zeit des Glücks im Schooße der Häuslichkeit bereitete. Vor dem Hause des königlichen Vogtes hatte man den mit vergoldeten Aepfeln reich verzierten Weihnachtsbaum, eine Tanne von ungeheurer Größe, aufgerichtet. Bunte Bänder flatterten um den Wipfel, ausgestopfte Vögel, freilich nur von roher Form, zeigten sich, einen Schein des Lebens einer schönern Jahreszeit gebend, auf den Zweigen. Das Aeußere der Wohnungen war mit grünen Tannenzweigen geschmückt, im Innern herrschte fröhliche Thätigkeit, alle Schornsteine, selbst die der Aermsten, rauchten, denn nirgends fehlten heute über dem Feuer des Heerdes die mit Bändern am Rande umgebenen Kessel mit Festfleisch und mit der altherkömmlichen Weihnachtsgrütze. Der Fußboden der Zimmer und Gänge wurde mit Stroh belegt, die weißen Wände der Gemächer prangten mit Teppichen oder, bei den ärmern Leuten, mit zusammengesetzten Papierbogen, auf denen in roher Malerei sich Darstellungen aus der biblischen Geschichte zeigten. Jedes Herz schlug frei und fröhlich und bei dem Hacken des für die ganze dreizehntägige Festzeit, oft auch für Monate hinaus bestimmten Holzes, ertönten in den Höfen heitere Lieder und Jünglinge und Mädchen neckten einander in Scherzreden, welche die freudige Stimmung vermehrte. Alle Sorgen waren vergessen, jede trübe Erinnerung wurde fern gehalten. Wie die Urväter den heiligen Jul gefeiert, so geschah es in ererbten Gebräuchen auch diesesmal und die ältern Leute gaben den jüngern an, wie Alles sich zieme, wie es der Würde und der herkömmlichen Feier dieser heiligen Zeit entspreche.

Im Hause des Vogtes trat die Bedeutung des Festes, in so weit es der Luxus jener Zeit mit sich brachte, noch glänzender und prunkvoller hervor. Die Teppiche an den Wänden bestanden aus feinen Stoffen, zarte Binsen bedeckten den Fußboden, die herkömmlichen Speisen wurden feiner bereitet, die Dienerschaft zeigte sich in ihren Festkleidern. Nils Westgöthe hatte die Erfüllung mancher Hoffnung auf diesen Tag gebaut. Gustav Wasa konnte in seine Gewalt gerathen und der Preiß, der auf dessen Gefangennehmung gesetzt, ihm werden; sein Nebenbuhler Roland Doneldey mußte dann einem gleichen Schicksale unterliegen und selbst mit dem Gedanken schmeichelte sich der Bergvogt, Margaretha Böchower dürfe, von den Freuden des Tages erhoben, in ihren Taumel hingerissen, eine Gewährung gegen ihn aussprechen, wie sie die Leidenschaft, die er kaum mehr zu beherrschen vermochte, ersehnte.

Als der Abend und mit ihm der Beginn der Festlichkeiten des Julafton erschien, fand sich, auf des Vogts Einladung, auch Margaretha, von Frau Virginia begleitet, in dem größten, reich geschmückten Gemache des Hauses ein. Nicht die Freuden, welche diese Zeit bereitete, konnten sie der Einsamkeit ihrer Zimmer entziehn; es war ihr daran gelegen, die innern Verhältnisse des Gebäudes kennen zu lernen, Alles genau zu beobachten, was ihr vielleicht als Mittel, als Begünstigung einer künftigen Flucht dienen könne. Der Saal, welchen sie betrat, bildete eine Halle im Erdgeschosse des Hauses. Die hohen Bogenfenster gingen in den Garten, auf dessen Schneefeldern sich das Licht der zahlreichen Kerzen im Innern des Gemaches wiederspiegelte, im Hintergrunde stiegen, wie abentheuerliche Riesengebilde, die mächtigen Fjälln empor, welche der aufgehende Mond mit einem magischen Glanz übergoß. Zum erstenmale sah sich Margaretha jetzt wieder von einem Scheine der Freiheit umgeben. Während Nils Westgöthe sie mit sein gesetzten Worten willkommen nannte und sich Glück wünschte, in ihrer Gesellschaft die Freuden des Julafton zu genießen, schweiften ihre Blicke sehnsüchtig nach den fernen Bergen, an deren Fuß das heimathliche Mora mit dem Hause des verehrten Oheims gelegen war. Ihre Gedanken weilten in der Freiheit, ihre Empfindungen waren bei dem Freunde ihres Herzens. Sie hörte nicht, was der Vogt sprach; ein Lächeln, das ihre Lippen umschwebte, deutete dieser zu seinen Gunsten, allein es galt schönen Erinnerungen, es war ein Gruß an die fernen Freunde. Sie blickte lange hinaus in das Freie. Wie eine stärkende Macht zog es aus dem Anblicke der großartigen Natur, welche vor ihr lag, in ihre Seele, wie der Odem eines erhebenden Geistes, der sie mit neuem Vertrauen, mit frischem Muthe erfüllte. Heiter wandte sie sich um, ein freudiges Gefühl ergriff sie, als sie auf der Tafel in der Mitte der Halle, die Kuchen mit Weihnachtslichtern besteckt, die glänzenden Weihnachtsbäumchen, die von der Decke herabhängende, mit Zweigen, Bändern und Goldflittern geschmückte Weihnachtskrone erblickte. So war ihr der Julafton im vorigen Jahre im Hause des Oheims erschienen und selbst an noch frühere, an die glücklichen Weihnachtstage der Kindheit, mahnte sie Alles, was sich hier zeigte.

Nils Westgöthe bemerkte mit Wohlgefallen diese heitere Stimmung seiner schönen Gefangenen. Er nahm seine Stelle zwischen ihr und Virginien ein, er forderte lebhaft zur Weihnachtslustbarkeit auf, indem er, wie es die Sitte wollte, zuerst einen Julreim vorbrachte, den jeder spenden mußte, der an der süßen, mit Zucker, Zimmt und Rosinen reich bestreueten Festgrütze Theil nehmen wollte.

»Auch Ihr,« wandte er sich dann mit der Geschmeidigkeit eines am Königshofe gebildeten Mannes zu Margarethen, »müßt heute alle Grillen, alle Sorgen, mit denen Ihr Euch so grundlos quält, mit denen Ihr eine für Euch gewiß glückliche Zeit verzögert, aus der Seele verbannen. Der Julafton duldet keine Sorgen. Das ist ein altes Sprüchwort der Leute in Dalarne und sein Sinn erstreckt sich über das ganze Schwedenland. Wo fände sich innerhalb seiner Grenzen heute ein Pallast, eine Hütte, in welche nicht die Freude eingekehrt wäre? Benetzt Eure Lippen mit einigen Tropfen dieses köstlichen Weins, dessen Trauben an der Südküste von Spanien gereift sind! Sein Feuergeist erhebt über die Sorgen des Lebens, der Zauber, der in ihm ruhet, hüllt Alles, was uns sonst trübe erscheint, in ein glänzendes, erfreuliches Licht.«

Schweigend schob Margaretha den dargebotenen Becher zurück, aber sie vermochte nicht, die ruhige Heiterkeit, welche die schöne Bedeutung des Festes in ihr erweckte, ganz zu verbergen. Immer war es ihr als die heiligste Zeit des Jahres, als eine große Aufforderung zu festem Vertrauen auf Gottes Liebe erschienen und ihr kindlicher Sinn gab sich jetzt um so geneigter diesem Vertrauen hin, da sie in ihrer Lage eines himmlischen Beistandes so sehr bedurfte. Sie ließ den Vogt und Virginien einander in Scherzreden überbieten, sie schien eine wohlwollende Zuhörerin, während ihre Behaglichkeit auf ganz andern, der Gegenwart fremden Dingen beruhete.

Zur Bedienung bei dem festlichen Mahle, das alle Leckereien, welche die Kochkunst jener Zeit aus den einfachen Erzeugnissen des Landes zu bereiten wußte, enthielt, erschienen nur zwei Personen: jenes bleiche Mädchen, an dessen Unglück Margaretha so innigen Theil nahm, und ein häßlicher, höhnisch blickender Mann, der frech und anmaßend austrat und selbst gegen den Vogt oft eine Vertraulichkeit darlegte, die eine besondere Berechtigung aussprach. Es war der schwarze Henz. Margaretha, der Annens Erzählung noch lebhaft im Sinne lag, bebte zusammen, als sie ihn nennen hörte. Sie glaubte das Gepräge seines tückischen Gemüths in seinen Zügen zu erkennen. Er sah oft boshaft lächelnd zu ihr hin, er wechselte Blicke des Einverständnisses mit dem Vogte, er schien diesem andeuten zu wollen: daß er die schöne Gefangene für gewonnen, daß er ihren Widerstand für überwältigt halte.

Nicht lange währte es, so überließ sich Nils Westgöthe ohne Rückhalt der Lustigkeit, welche die Aussicht auf Erfüllung seiner Wünsche, welche der reichliche Genuß des Meths und des Weines in ihm hervorbrachte. Margaretha verharrte in ihrem Schweigen bei seinen Scherzen, Frau Virginia aber erwiederte sie mit der ihr eigenthümlichen Leichtfertigkeit und das lebhafte Gespräch, das sich nun zwischen Beiden entspann, führte Stunden rasch wie Minuten an ihnen vorüber. So nahete die Mitternacht und Nils Westgöthe, leidenschaftlicher und kühner gestimmt durch die Macht des Augenblicks, gereizt durch bedeutungsvolle Blicke, welche Frau Minderhout auf die ruhig dasitzende Margaretha warf, schlang jetzt vertraulich einen Arm um diese und rief, seinen Becher erhebend:

»Euer Vaterland soll leben, Jungfrau Margaretha, da es Blumen erzeugt, wie Euch, die unserm Norden einen Reiz verleihen, der das Herz erhebt und die Seele mit süßen Empfindungen erfüllt! Sträubt Euch nicht in meinem Arme, denn, bei Sanct Olaf, dieser Arm ist bestimmt, Euch durch das Leben zu führen! Was zürnt Ihr mir, was strebt Ihr, Euch mir zu entwinden? Ihr seyd in meiner Gewalt und nichts kann Euch mir wieder entreißen. Haltet Ihr es denn für so etwas Entsetzliches, die Gattin des königlichen Vogtes von Dalarne zu werden?«

Mit Gewalt riß sich Margaretha aus der unerwarteten, überraschenden Umarmung des Vogtes los. Sie sprang auf und entfernte sich von ihm, sie entgegnete im Tone der höchsten Entrüstung:

»Ihr mißbraucht meine schutzlose Lage auf eine niedrige Weise. Glaubt mir, es wird eine Zeit kommen und sie liegt nicht fern, in der man Euch zur Rechenschaft wegen Eures gewaltthätigen Verfahrens gegen mich ziehn wird. Wer hat Euch Macht über meine Person gegeben, wie durftet Ihr es wagen, mich aus dem Hause meines Oheims zu locken, um mich gewaltsam in Eure Kerker zu schleppen? Ja, Nils Westgöthe, Ihr behandelt mich wie eine Verbrecherin, Ihr haltet mich gefangen, als ruhe eine schwere Schuld auf mir! Laßt von diesem Unrechte, denn es führt Euch doch nie zum Ziele. Nimmer kann ich Eure Neigung erwiedern, nie würde ich es, wenn auch meine Hand nicht versagt, wenn mein Herz noch frei wäre. Der Mann, der mit roher Gewalt gegen ein schwaches Weib verfährt, derjenige, der ein Verbrechen nicht scheut, um seine Zwecke zu erreichen, steht ewig fern von mir, wie ein Geist des Abgrunds. Jede Mühe, die Ihr an mich verschwendet, ist verloren. Wählt einen andern Gegenstand Eurer Neigung, ein Wesen, das Euch in Gesinnungen und Gefühlen ähnlich ist.«

Bezeichnend fiel ihr Blick bei diesen Worten auf Virginien. Eine dunkle Glut des Zornes war auf dem Angesichte des Vogtes aufgestiegen. Er wollte rasch auf Margarethen zuschreiten, er hatte die Rechte erhoben, um sich wieder ihrer zu bemächtigen und drohende Worte schwebten auf seinen Lippen, als die listige Flammländerin sich traulich an ihn herandrängte, ihre Hand zurückhaltend auf seinen Arm legte und mit schmeichelndem Tone sagte:

»Wie schön sie ist in ihrem Zorne! Seht nur das Feuer in ihren Augen, die Purpurrose auf ihren Wangen. Ihr könnt Ihr nicht grollen, wenn sie, mit diesen Reizen geschmückt, vor Euch erscheint. Vergeltet ihren Haß mit Liebe, sucht Euch den Besitz dieser Schönheit so bald zu sichern als möglich.«

»Bei meinem Leben, das soll geschehen!« erwiederte gereizter der Vogt. »Ich herrsche in diesen Thälern im Namen des Königs und spotte jeder Widersetzlichkeit gegen meinen Willen. Ja, schöne Margaretha, wie Ihr auch auf den Beistand Eures großsprecherischen Rolands von Bremen rechnen, wie Ihr auch denjenigen, der Euch in treuer Liebe ergeben ist, hassen mögt, nichts soll mich abhalten, Euch noch in Laufe dieser Nacht durch das Wort der Kirche mir fest und unverbrüchlich zu eigen zu machen. Dieser Julafton soll mir zu einem Feste des Triumphs über Euch, über den Hochverräther Wasa und über jenen Roland werden, der es wagte, der Erfüllung meiner Wünsche in den Weg zu treten. Wenn diese Beiden in Ketten vor mich geführt werden, wenn Euer elender Verführer sein Todesurtheil aus meinem Munde vernimmt, dann mag mehr als Todesqual sein Herz durchzucken, denn er wird Euch als meine angetraute Gattin an meiner Seite erblicken.«

Die Heftigkeit des Vogts, der Sinn seiner Worte, hatten Margarethen erschreckt, sie hielt sich zitternd an der Lehne des Sessels, hinter dem sie stand. Hohnlächelnd blickte Virginia nach ihr hin und sagte:

»Wahrhaftig, nur eine Hochzeit fehlte noch zu diesem Feste, um seine Freuden vollständig zu machen. Laßt Euch Glück wünschen, Jungfrau Böchower! Wie schnell und wider Euer Verhoffen seyd Ihr doch zu einer fröhlichen Braut geworden und wie bald werdet Ihr nun eine glückliche Frau seyn! Ihr habt ja den Kaplan im Hause, Herr Bergvogt, und nichts verhindert Euch, den Augenblick dieser erwünschten Verbindung zu beschleunigen.«

»Die Sonne des jungen Tages soll unsere Vermählung begrüßen;« versetzte Nils Westgöthe. »Der erste Tag des Julafton sey auch der erste meines Glücks.«

Während Margaretha Böchower sich auf diese Weise bedrängt und beängstigt sah, nahete schon ein finstrer Geist der Rache, den Nils Westgöthe durch frühere Unthat an seine Fersen gefesselt hatte. Vom Ufer des Siljan schritt eine dunkle Mannesgestalt den Weg nach Falun heran, ihr Gang war hastig, ihre Haltung fest und drohend. Der Schein des Mondes, welcher auf den Weg des nächtlichen Wanderers fiel, begünstigte sein rasches Fortschreiten. Ueberdem schien ihm jeder Stein im Wege bekannt, zwischen Schlakenhaufen und Einzäunungen fand er immer den kürzesten, am nächsten zum Ziele führenden Pfad. Als er schon nahe an Falun war und die Weihnachtslichter aus dem Orte ihm entgegenglänzten, kamen zwei Mägdlein herab, die wahrscheinlich in dieser mitternächtigen Stunde irgend einem abergläubischen Gebrauche nachgingen.

»Nichts Neues in der Bergstadt?« rief er ihnen mit rauhem Tone zu. »Kein Sterbefall, keine Hochzeit?«

»Das erste nicht, aber das letzte;« antwortete eins der Mädchen. »Die Anne aus der Frohnveste ist Braut vom schwarzen Henz.«

Die Mädchen gingen vorüber. Der Mann blieb stehen, eine Verwünschung hallte ihnen nach, sie hätten das Knirschen seiner Zähne vernehmen können, wenn sie weiter auf ihn geachtet hätten.

»Als ist Lüge auf dieser Welt,« sprach bitter der Mann für sich hin, indem er seinen Weg fortsetzte, »der Schwur eines Weibes aber die ärgste. Kein Sterbefall, sagten sie, habe neuerdings in Falun sich ereignet? Nun, wenn sie wieder heimkehren, so werden sie eine schaurige Mähr vom blutigen Tode des Mächtigsten vernehmen, wie dieser mitten in seinen Freuden vom Weihnachtsmale hinweg, aus dem Rausche der Lust und des Weines in das finstre Reich hinabsteigen müssen, das seine Bewohner nie wieder zurückgibt. Aber Anne! Auch sie der Sünde heimgefallen, sie eine Treulose, eine Verworfene, die dem Genossen des entsetzlichen Verbrechens, das sie kennt, ihre Schwüre, ihr Daseyn opfert! Hat Alles sich verwandelt in dem kurzen Fluge weniger Tage, ist Redlichkeit zum Betruge, Tugend zum Laster geworden, daß dieses geschehen konnte? In den alten Sagen wird viel erzählt von dunkelm, mächtigem Zauber, der die Herzen bethört, der sie wider ihren Willen selbst einem verhaften Gegenstande zuwendet, von Loke, dem bösen Geiste, der seine Lust an Täuschung und Verderben findet – arme Anne, wenn du in den Banden einer solchen zauberischen Beschwörung lägst? Aber nein! Noch glaube ich nicht, was jene Mädchen sagten. Ich selbst will sehen, ich selbst will prüfen, ob auch dieses letzte Gift, das mein Schicksal mir aufbewahren konnte, gemischt wurde.«

Vor den Blicken des Mannes, in welchem wir den ruhelosen, rachebrütenden Einsiedler vom Styggforsen, Rasmus Jute, erkennen, erhob sich jetzt in dunkeln Umrissen das burgähnliche Haus des königlichen Vogtes. In den Straßen von Falun war es still, aber durch alle Fenster glänzte fröhlicher Lichterschein, lautes, freudiges Leben tönte aus dem Innern der Wohnungen. Rasmus Jute stand neben dem hohen Festbaume, der vor dem Hause des Bergvogts aufgerichtet war. Hier ließ sich kein Geräusch vernehmen, das eine fröhliche Feier des Tages verrathen hätte; auch strahlte kein Licht aus den Fenstern hernieder, Alles schien wie ausgestorben. Der nächtliche Wandrer überzeugte sich bald, das er, um zu seinem blutigen Ziele zu gelangen, einen andern Weg einschlagen, daß er an einer andern Stelle Eingang in das weiträumige Gebäude suchen müsse. Vorsichtig schlüpfte er im Schatten der hohen Mauern nach einem Thore, das den an das Haus stoßenden Garten schloß. Mit einer Kraft und Gewandtheit, die in der Besiegung größerer Hindernisse, wie sie nur die gewaltige Natur in den Weg des Menschen zu schleudern vermag, geübt worden, schwang er sich über das Thor. Er sah sich jetzt an einem Seitenbau des Hauses, aus dem er fernher Stimmen und Becherklang zu vernehmen glaubte. Er horchte aufmerksam in die Nacht, er schlich leise diesem Geräusche nach und stand nach kurzer Zeit einem großen, hellerleuchteten Fenster gegenüber, das ihm den Anblick der Küche, mit dem hier zur geselligen Freude versammelten Hausgesinde bot. Er näherte sich vorsichtig und überlief mit forschenden Blicken die Anwesenden. Henz und Anne befanden sich nicht unter ihnen.

»Sie werden sich in der Stille eines abgelegenen Gemaches mit einander ergötzen;« sprach Jute dumpf in sich hinein. »Zittre, Henz, dein schwarzer Augenblick ist gekommen! Warst du nicht ein Genosse jenes entsetzlichen Mordes, sollte der Würgengel straflos an dir vorübergehn? Dein Blut soll vor den Augen der Treulosen fließen, das mag ihre Strafe seyn! Eine nagende Schlange des Vorwurfs lebt doch fort in ihrer Brust.«

Er nahm die Armbrust zur Hand, die er bisher über der Schulter getragen hatte, er spannte sie und legte einen schweren, scharfgespitzten Bolzen in die Rinne. Sein ganzes Gemüth war von tödtlichem Haß, von Rachedurst, von Mordsucht erfüllt. Es trieb ihn weiter. An einer langen Reihe von Fenstern kam er vorüber, ohne daß ein Lichtschimmer, ein menschlicher Laut ihm die Nähe seiner dem Tode geweihten Opfer verrathen hatte. Da umschritt er einen thurmartigen Vorsprung des Gebäudes, da sah er sich plötzlich dicht vor einem weitgeöffneten Fenster, durch das er eine Scene erblickte, die sein Herz krampfhaft zusammenzog und, ehe er seine Gedanken sammeln konnte, den Arm mit der gespannten Armbrust erhob.

Anne saß bleich und mit dem Gepräge die tiefsten Seelenschmerzes auf dem geliebten Angesichte in einem Winkel des Gemachs. Vor ihr stand der schwarze Henz, die Arme begehrlich nach ihr erhebend, erglühend in Weinrausch und leidenschaftlicher Wallung.

»Sperre dich nicht, Täublein,« rief er mit einem höllischen Gelächter, »vor den Krallen des Habichts, der die Beute, die er sich einmal gewonnen, nicht wieder fahren läßt! Glück auf, ist des Bergmanns Gruß und ich habe drinn bei dem Herrn ein Wörtlein erlauscht, das mit wie ein solches fröhliches Glückauf erklungen ist! In wenigen Stunden gibt es Hochzeit zwischen ihm und dem deutschen Mädchen und da wird dann auch unsre Hochzeit glücklich mit drein gehn. Mir schlägt der gestrenge Vogt nichts ab, mir darf er nichts abschlagen. Glaube mir, Kind, wenn ich hundert Goldgulden auf einem Brette von ihm verlange, so muß er sie mir zahlen, wenn er nicht Leib und Leben wagen will. Deßhalb werden wir auch ein frohes Leben mitsammen führen und nie kann es uns fehlen im Haushalte.«

Anne bebte sichtbar zusammen, als Henz mit den geöffneten Armen sich ihr näherte. Aber, wie ein Lamm, das sich duldend dem Messer des Opfrers preis gibt, erlitt sie die Liebkosung, zu der sich Henz ermächtigt glaubte und erwiederte dann mit einem tiefen Seufzer:

»Es mag wohl ein festes und schreckliches Band seyn, das Euch und den Vogt aneinanderknüpft. Thut mir den Gefallen und sprecht nicht mehr davon. Wenn Ihr dieser Verbindung erwähnt, so dünkt es mich immer, ich höre eine klagende Stimme vom Siljan herauf, einen kreischenden Ruf nach Hilfe und Rettung.«

»Das sind leere, tolle Träumereien, die du dir abgewöhnen mußt;« sagte Henz, zurücktretend und seine Gesichtszüge widrig verzerrend. »Die Vergangenheit ist stumm, wie das Grab, und wer aus ihr noch einen Jammer oder eine Lust zu hören vermeint, den neckt seine eigene Schwäche. Es ist eine Krankheit, für die es Mittel gering gibt: Wein, Muth und lustiges Leben. Mein Ohr vernimmt das leiseste Geräusch, den Fall eines Tropfens im fernen Bergschacht, aber aus der Zeit, die hinter mir liegt, lauscht es nichts heraus, als was ihm an fröhlichen Erinnerungen behagt. Trink einmal, Anne! Des Herrn Wein ist gut, süß, um dem Gaumen zu schmeicheln, feurig, um die Lebensgeister zu erquicken.«

»Laßt mich!« erwiederte Anne. »Ich kann mich nicht beruhigen, bis ich weiß, daß Ihr Euer Wort gelöst und den Rasmus Jute frei gegeben habt. Ich habe Euch schon hundertmal wiederholt, daß ich Euch nie lieben, daß ich nie Empfindungen für Euch hegen könne, wie sie einer Ehefrau gegen ihren Gatten geziemen. Aber dennoch will ich Euch meine Hand vor dem Altare reichen, ich will Eure Magd, Eure Sklavin seyn, wenn Ihr den Unglücklichen, den Ihr in Eurer Gewalt habt, frei und ungekränkt entlasset.«

»Er ist schon so gut, wie frei;« versetzte in einem zweideutigen Tone Henz, »da du entschlossen hast, deine Zukunft mit der meinigen zu vereinigen. Was die eheliche Zärtlichkeit betrifft, so findet sich diese von selbst. Haben wir nur erst einmal acht Tage mit einander gehaust, so bist du so an mich gewöhnt, daß du nicht von mir lassen kannst. Bei allen Tücken der Berggeiste, die in Wässern aus der Tiefe brechen, in erstickenden Dünsten aus dem Gestein fahren! Du wirst ein glückliches Weib, dessen Loos alle Ochsen in Falun beneiden werden.«

Ein furchtbares Licht stieg aus dieser Unterredung in Jute's Seele auf. Darum also hatte Anne ihre Eide gebrochen, darum das entsetzlichste Opfer gebracht, daß er, den sie im Kerker des Vogtes, dessen Leben sie bedroht vermeinte, dem Tode entrinne und der Freiheit wiedergegeben werde! Welches grausame Spiel trieb man mit dem Herzen des armen Mädchens! Jute's Hand zuckte an der Armbrust, sie war auf das Herz des schwarzen Henz gerichtet, wie Flammen stieg es vor den Augen des Schützen empor, aber in der flammenden Gluth erblickte er unwandelbar, wie einen Dämon der Hölle, den schwarzen Henz. Sein Gehirn brannte fieberhaft, halb wahnsinnig, nur unvollkommen seiner Gedanken mächtig, starrte er auf das unglückliche Mädchen, auf den ruchlosen Betrüger: aber das stand fest in seiner Seele, das er hergekommen sey zum Morde, zum Gerichte der Rache über Henz und den Vogt.

»Freilich,« fuhr indessen Annen's Bedränger fort, »wird der stille Rasmus, der seine höchste Lust daran findet, frei in Wald und Bergen auf der Jagd des Großvaters und des Goldfußes umherzustreifen, den Julafton nicht so fröhlich begehen, wie sein glücklicher Mitbewerber Henz, denn das harte Steinlager des Kerkers mag ihm wenig behagen, trocknes Brod und Wasser werden ihm die Weihnachtsgrütze und den süßen Meth schlecht ersetzen; aber du wirst es einst noch erfahren, Anne, daß er es dir Dank weiß, sein Leben durch einen raschen Entschluß, der mich glücklich macht, erkauft zu haben. Glaube mir, er denkt ohnehin wenig mehr an dich! Diese Kriegsmänner halten nicht Wort und Treue und eine andre hat gewiß schon deine Stelle in seinem Herzen eingenommen, denn in seinem Kerker verlangte er nie nach Kunde von dir.«

»Lügner!« donnerte in diesem Augenblicke Jute's Stimme aus der Nacht, die ihn umgab. Zugleich stürzte Henz starr und lautlos zu Annens Füßen nieder. Der Bolzen des Schützen hatte sich tief in sein schwarzes Herz gegraben. Anne sah dunkles Blut ans der Wunde hervorquellen, sie sah eine finstre Gestalt, deren Züge sie nicht sogleich erkannte, in dem offenen Fenster erscheinen: mit einem Schrei des Entsetzens sank sie besinnungslos neben dem todten Bergmanne nieder. Düstre Blicke auf diese Gruppe heftend, trat Jute in die Mitte des Zimmers. Er hatte die Armbrust weggeworfen, ein breites Schwert glänzte in seiner Rechten. Als er Annen todtenblaß und ohnmächtig am Boden liegen sah, erwachten sanfte, zärtliche Empfindungen in seiner Seele. Er beugte sich über sie hin, er faßte ihre kalte Hand und sagte mit milder, schwermüthiger Stimme:

»Erhole dich, Anne! Zur Hälfte ist mein Werk gethan, einen der Verbrecher hat die Rache getroffen, den andern ereilt sie im nächsten Augenblicke. Oeffne die Augen und sieh mich liebevoll an, wie ehemals! Du bist nun frei von dem schrecklichen Bräutigam. Der Betrug ist entlarvt, deine Fessel gesprengt.«

Aber Anne gab kein Zeichen des Lebens. Sie lag da, wie eine geknickte Lilie, das Entsetzen hatte sich lähmend ihrer bemächtigt. Da vernahm Jute ein Geräusch in seinem Rücken. Er erhob sich rasch, er sah aus einer Seitenthüre den Vogt, den Annen's Schrei von den Freuden der Tafel, von der Seite Margarethen's hinweggerufen, heraustreten. Alle Furien der Rache, die der Anblick Annen's in ihrem todtähnlichen Zustande, für Momente aus seiner Seele verscheucht, kehrten, ihr altes Recht fordernd, wieder in diese zurück. Ein schreckliches Bild trat vor seinen Geist: die todte Schwester, das ungeborne Kindlein in ihren Armen. Wie ein Tiger, der die erlauerte Beute jetzt sicher in seiner Macht weiß, stürzte er auf Nils Westgöthe los und vertrat ihm den Weg zur Rückkehr.

Jetzt erkannte ihn der Vogt. Er stand zitternd, ein bleiches Gespenst, dem rachedürstenden Manne gegenüber, von dem er kein Erbarmen hoffen konnte. Er war unbewaffnet, er hatte sich für die Freude des Festes in ein prunkvolles Hausgewand gekleidet. Jute's Schwert blitzte vor seinen Augen.

»Ihr werdet keinen Wehrlosen tödten;« stammelte er. »Ich bin erbötig, Euch zum ritterlichen Kampfe zu stehen.«

»Hast du der wehrlosen Schwester, hast du des Kindes unter dem Herzen der Mutter geschont?« wüthete Rasmus. »Ich bin nicht gekommen, dich den ehrlichen Tod eines Soldaten sterben zu lassen, ich stehe da, als der Henker mit dem Richtschwerte, berufen, den grausamsten Mörder, den entsetzlichsten aller Verbrecher von der Erde zu vertilgen.«

Schon zuckte sein Schwert nach dem Herzen des Vogtes, der Augenblick schien gekommen, in welchem die lange verhaltene Rache ihre Sättigung finden sollte. Da ermannte sich noch einmal Nils Westgöthe. Mit einer Gewandtheit und Kraft, welche ihm nur die Verzweiflung, nur die Ueberzeugung, daß jeder menschliche Beistand zu fern sey, um ihn noch zur rechten Zeit von seinem Todfeinde zu befreien, verleihen konnte, unterlief er den racheschnaubenden Gegner, drängte ihn zur Seite und sprang in das Gemach zurück, wo Margaretha Büchower und Virginia Minderhout, in ängstlicher Besorgniß über das Getöse, das sie vernahmen, verweilten. Aber auf den Fersen folgte dem Flüchtlinge derjenige, dessen Rache er durch ungeheuern Frevel auf sein Haupt gerufen. In einer letzten Anstrengung schleuderte er mit gewaltigem Wurfe einen der schweren silbernen Armleuchter, den er hastig von der festlich geschmückten Tafel riß, nach dem Kopfe des Gegners. Er verfehlte ihn und im nächsten Augenblicke durchbohrte Jute's Schwert seine Brust und warf ihn mit der Tafel, an der er sich zu halten suchte, mit aller festlichen Herrlichkeit, die hier prunkte, zur Erde nieder. Alles war über den fallenden Vogt zusammengestürzt. Man sah ihn nicht, man vernahm nur ein dumpfes Schmerzgeheul, hierauf ein schweres Röcheln, dann wurde Alles still. Zu Marmorbildern erstarrt standen die beiden Frauen, Rasmus sandte wilde Blicke im Zimmer umher, ein Strahl der Besonnenheit schien dann in seine Seele zu fallen. Er stürzte hinaus aus dem Zimmer in das Vorgemach, wo eben Anne, aus ihrer Ohnmacht erwachend, sich halb aufgerichtet hatte und mit starren Blicken auf die blutende Leiche des schwarzen Henz sah.

»Anne, Anne,« rief Jute, »komm mit mir! Der Weg zur Flucht steht offen. Ich führe dich zu Freunden und ein neues glückliches Leben soll beginnen.«

»Hinweg von mir, hinweg!« schrie jammernd und die Hände gegen ihn erhebend das Mädchen. »Ich kenne dich nicht. Du bist ein Geist der Hölle. Die Mutter Gottes und die Heiligen mögen mir beistehn gegen deine Gewalt.«

Rasmus trat ihr entsetzt näher. Da erkannte er den Geist des Wahnsinns in den rollenden Augen, da grinste ihn in dem verzerrten Angesichte die Zerstörung eines zarten Gemüthes an, das dem verderblichen Eindrucke des Schrecks, der Erschütterung durch das einbrechende Entsetzen nicht widerstehn können.

»Schone mein, schone mein!,« flehete sie in herzzerschneidenden Klagetönen, indem sie sich zu Jute's Füßen wand. »Warum willst du auch mich tödten, da ich dir doch nichts gethan habe? Ich bin noch so jung, ich mag noch nicht sterben, ich bin ja eine Braut und eine Braut tritt erst ein in ein glückliches, freudiges Leben. Mein Bräutigam schläft, störe ihn nicht!« fuhr sie leise fort und legte, wie zur Vorsicht mahnend, den Finger auf die Lippen. »Er hat einen Schlaftrunk genommen, er schläft tief, er wird so bald nicht erwachen. Nein, nein!« schrie sie plötzlich auf. »Er erwacht nimmermehr, er ist todt und du bist sein Mörder.«

Sie sprang auf und flüchtete in einen Winkel des Gemaches. Tausend Schmerzen zuckten durch Jute's Seele. Seine übereilte That hatte diejenige schlimmer, als zum Tode getroffen, die er unsäglich liebte, seine Rache war erfüllt, aber um welchen Preiß?

In diesem Augenblicke eilte Frau Virginia durch das Gemach nach den Gängen, die zu dem Aufenthalte des Hausgesindes führten, und erfüllte mit ihrem Geschrei: »Mord, Mord! zu Hülfe! Ergreift den Mörder!« die weiten Räume des Gebäudes.

»Noch einmal, Anne,« rief außer sich Rasmus, »folge mir! Jeder Augenblick des Zögerns kann mir Verderben bringen. Findet man mich hier, so bin ich verloren.«

Mit einem wahnsinnigen Lächeln starrte ihn das Mädchen an. Dann ließ sie sich langsam an der Seite des todten Henz nieder, legte die Hand auf seine blutende Brust und begann in einer seltsamen, schaurigen Melodie ein Wiegelied:

»Schlaf, Kindlein, fest beim Sternenschein,
Hüll dich in ein Gebetchen ein,
Dann können Troll und Elfe dir
Nicht Schaden bringen für und für.«

Da vernahm Jute das Getöse einer herandringenden Menge von den äußern Gängen her. Wilde Drohungen, Flüche gegen den Mörder wurden laut. Noch einen verzweiflungsvollen Blick warf er auf Annen. Seine Hand zuckte, als habe er hier einen ungeheuern Schmerz zu bekämpfen, nach dem Herzen. Dann schwang er sich mit einer raschen Bewegung durch das Fenster, welches ihm Eingang gestattet, in das Freie und eilte, in seiner Rache wenig befriedigt, von Verzweiflung gefoltert, hinaus in die rauhe Winternacht. Auf demselben Wege, den er gekommen, verließ er den Bezirk des Hauses. Bald lag die Bergstadt hinter ihm, mit der ersten Dämmerung des Morgens erreichte er das Ufer des Siljan, der ruhig unter seiner Eisdecke schlummerte, und sank hier, erschöpft von der stürmischen Flucht, auf einen Steinblock nieder. Gräßliche Bilder durchkreuzten sein Gehirn. Die Gestalt des sterbenden Henz krümmte sich zu seinen Füßen, Nils Westgöthe stand ihm mit dem starren, brechenden Auge gegenüber, Anne sah mit jenem wahnsinnigen Lächeln zu ihm auf und das Wiegelied, das sie an des Bergmannes Leiche gesungen, tönte fort und fort in seinem Ohr und wollte nicht endigen. Wie lange hatte er nicht nach der Befriedigung seiner Rache geschmachtet, welchen Entbehrungen, welchen Mühseligkeiten hatte er sich nicht unterworfen, um sie zu erreichen, und nun, da er an dem lang ersehnten Ziele stand, ward ihm hier eine gräßliche Mitgabe von Wahnsinn der Geliebten, von schlimmerer Qual in der eigenen Brust! Hatte er darum in der eisesstarren Oede der Fjälln mit den Raubthieren um ein Lager gekämpft, darum die Gesellschaft der Menschen gemieden, darum sein Leben unzählichemale auf das Spiel gesetzt? Armseliges Ergebniß aller menschlichen Berechnungen! Elend für Freude, endloser Jammer für Liebe. Mit einem bittern Lächeln sah Rasmus zum dämmernden Himmel, dann fiel sein Blick düster auf das Eis des Siljan. Der nagende Schmerz seines Innern wich einer sanften Schwermuth. »Ich konnte nicht anders handeln;« sprach er ruhig für sich hin. »Der mahnende Geist der Schwester ist nun versöhnt, Blut ist geflossen für Blut und niemand mag mich darum tadeln. Was sonst noch geschehn, daran trage ich nicht Schuld und ich muß mich drein ergeben als in eine unabänderliche Sache. Wer weiß, wie bald mich der Tod eines ehrlichen Kriegsmannes ereilt und dann ist Alles gut, dann frißt keine Pein über die unglückliche Anne mehr an dem erstarrten Herzen.«

Er erhob sich um weiter zu gehn. Da fesselte seinen Schritt ein rasch herannahender Waffenlärm, ein Schreien und Toben vieler Stimmen in dänischer Sprache. Zugleich hörte er die Sturmglocke in Mora über den Siljan herüberschallen, der nach wenigen Augenblicken die Glocken der Nachbardörfer antworteten. Er stutzte. Nach einem flüchtigen Bedenken war er über die Bedeutung dieser Glockenschläge mit sich einig.

»Das ist Wasa's Ruf!« sagte er neu belebt zu sich selbst. »Die Dalekarlen sind erwacht aus ihrer dumpfen Trägheit. Die Freiheit ward dem Schwedenlande geboren am Julafton, wie einst vor tausend Jahren das Heil der Welt. Jetzt gilt es einen heißen Kampf. Jeder Schmerz, jedes Weh des Lebens verstummt vor diesem Rufe. Kampf und Sieg – so heißt die Zukunft! die Vergangenheit sey todt!«

Hinter einem Felsenstücke harrte Jute, bis die Dänen, welche eilig sich näherten, vorüber seyn würden. Es war Erasmus Fontanus mit seiner Schaar, die in ungeordneter Flucht sich nach Falun zurückzog. In seinem Versteck vernahm Jute aus einzelnen Ausrufungen, was sich indessen in Mora begeben. Er sah seine Vermuthungen bestätigt, seine Hoffnungen gestärkt. Als die Dänen hinter der vertretenden Spitze eines Föhrenwäldchens verschwunden waren, verließ er die Stelle, die ihn verborgen hatte. Mit beschleunigten Schritten setzte er den Weg nach Mora fort. Schon war die Sonne hinter den Berggipfeln aufgestiegen und hüllte die Schneehäupter in ein rosiges Licht, als er auf einem freien Platz vor diesem Hauptorte des Thallandes anlangte. Da sah er in bunter Bewegung viele Haufen bewaffneter Männer versammelt, da vernahm er im Jubelrufe den Namen Gustav Wasa, da strömte aus der Hauptstraße des Dorfes eine wohlgeordnete bewaffnete Schaar, an deren Spitze er den königlichen Helden und seinen Kampfgefährten Roland Doneldey erkannte.

»Nach Falun! Nach Falun! Nieder mit dem Vogte des Königs, nieder mit den Dänen!« so erklang es aus Aller Munde.

»Der Vogt ist todt;« sprach da mit starker, weithin schallender Stimme Rasmus Jute, der zu dem edlen Anführer getreten war. »Dieses Schwert hat Schweden von einem Verräther, die Erde von einem Verbrecher befreit.«

Mit Frohlocken ward diese Nachricht aufgenommen. Niemand fand sich unter der Menge, der nicht den Vogt als einen Feind des Landes, als einen treu ergebenen Anhänger des Dänenkönigs verachtet und verabscheut hätte. Man pries Jute's Heldenmuth, man verglich ihn mit kühnen Männern der alten Sagenzeit, man zog aus diesem Ereignisse die günstigsten Schlüsse für den Erfolg des Unternehmens. Gustav Wasa aber nahm den alten Waffengenossen bei Seite und sprach lange heimlich mit ihm. Dann befahl er den schleunigen Aufbruch nach der Bergstadt.



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