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Zehntes Kapitel.


Hinaus in diese Nacht? Ich gehe mit.
Des Fremden Rede ist bedeutungsvoll;
Doch täuschen kann sie auch. Du willst es wagen,
Im Wagstück bleibt die Freundin dir zur Seite,
Doch weh! Zu schützen nicht vermag sie dich,
Die Bosheit siegt, der Tugend Stern erblich.

Im Hause Jacob Pehrson's war schon am nächsten Tage Frau Barbara so eingewohnt, daß man sie wie eine liebe, längst vertraute Genossin ansah. Am frühen Morgen bereits hatte sie unter dem Siegel der Beichte dem greisen Geistlichen ist Herz geöffnet, durch seine Billigung ihrer Handlungsweise, die Zweifel, die sie selbst nicht ganz zu bekämpfen vermochte, beruhigt gefunden, an seinem wohlwollenden Sinne sich erwärmt und erhoben. Die feine Geistesbildung, welche sie in ihrer klösterlichen Erziehung erhalten, stellte sie der Tochter des Lübecker Rathsherrn, die, selbst unter sorglicher Pflege der Seelenkräfte emporgeblüht, solche Vorzüge zu schätzen wußte, nahe. Lille schien durch ihre Anwesenheit ganz umgewandelt. Das sonst tiefsinnige und schwermüthige Mädchen blickte heiter, fast verklärt um sich. Oft stand sie, von Frau Barbara und Margarethen unbemerkt, in einem düstern Winkel des Zimmers und ihre Augen ruheten unverwandt auf der edeln Frau, die in ihrer Milde und ruhigen Frömmigkeit sie eine Heilige dünkte: gekommen, von ihr die Last eines Verhängnisses zu nehmen, die so schwer auf ihr lag und sie so tief niederbeugte. Frau Barbara hatte theils durch Margaretha's Eröffnungen, theils durch Lille's eigene Geständnisse alle jene unseligen Wahngefühle, jene tief eingewurzelten Vorurtheile kennen gelernt, welche die Seele der armen Lille stürmisch zerrissen. Sie nahm die kindliche Jungfrau oft mit sich in die stille Einsamkeit ihres Zimmers, sie erzählte ihr von dem Heilande, der gekommen, die Menschheit versöhnend zu erlösen, wie er die Versuchungen des gefallenen Geistes besiegt, von der alles beseligenden Liebe der heiligen Jungfrau, von so vielen heiligen Männern, die den Lockungen, den Angriffen einer dämonischen Welt selbst mit Aufopfrung ihres Lebens widerstanden. Je öfter und länger Lille ihr zuhörte, desto freier fühlte sie sich von den Banden, die sie gefesselt, desto leiser tönten die wunderlichen Stimmen, die ihr graulich und unheimlich zuflüsterten, desto seltener ließen sie sich vernehmen. Bald wich sie nur dann von der Seite der Frau Barbara, wenn diese sie ermahnte, auch einer häuslichen Thätigkeit sich zu widmen, die, neben den Uebungen der Frömmigkeit, ein sichres Mittel sey, dem Leben befreundet, den Menschen anhänglich zu werden, sich selbst für das Verhältniß, in das uns Gott gesetzt, nützlich und nothwendig zu glauben.

Roland Doneldey's plötzliche Entfernung hatte Anfangs Margarethen mit grosser Besorgniß erfüllt; als sie aber bedachte, daß er sich einem kriegerischen Leben gewidmet, das von Abentheuern und Seltsamkeiten nicht frei bleiben könne, als sie sich der Gerüchte über Gustav Wasa's Herumstreifen und wahrscheinlicher Pläne erinnerte, als sie so manche Stunde in ihr Gedächtniß zurückrief, in der Roland von Bremen mit Begeistrung des jungen Helden und der Zeiten gedacht, als er unter seiner Anführung gefochten, in der er einzelne Hindeutungen auf eine Zukunft laut werden lassen, die ihn wieder zum ehrenvollen Kampfe an Gustav's Seite rufen könne; da glaubte sie die Ursache dieser unerwarteten Entfernung zu erkennen, da ahnete sie ein nahes Kämpfen für schwedisches Land und schwedische Freiheit, das sich jetzt im geheimnißvollen Dunkel vorbereite. Sie fühlte sich, als ihr dieses deutlich geworden, gestärkt und beruhigt. War es doch eben Roland's kriegerische Heiterkeit, sein ritterliches Wesen, der Ruhm, den er sich bereits in Waffenwerken erworben, die ihr Herz ihm zuwandten! Frau Barbara entdeckte sie in einer traulichen Stunde ihre Neigung. Die Edelfrau erinnerte sich den Namen Rolands in frühern Zeiten vernommen zu haben, sie wünschte Margarethen Glück, einen Freund des königlichen Flüchtlings, auf den sie selbst, wie sie gestand, die letzte Hoffnung für Schwedens Befreiung setzte, zum Gefährten ihres Lebens gewählt zu haben.

Eines Abends, als der Pfarrer und der alte Huskurer nach einer entlegenen Bergwohnung der Gemeine Mora gegangen waren, um dort einem Kranken leibliche und geistige Erquickung zu spenden, wurde plötzlich, ohne daß ein geziemendes Klopfen die Ankunft eines Fremden gemeldet hätte, die Thüre des Wohnzimmers im Pfarrhause heftig aufgerissen, in dem sich grade, da Lille sonst im Hause beschäftigt war, nur Frau Barbara und Margaretha Böchower anwesend befanden. Mit Befremden sahen sie in der Dämmerung, die sich bereits auf das Thal herabneigte, einen Unbekannten eintreten, der sich tief in einen Mantel verhüllte und einen weit über das Angesicht herabgekrempten Hut trug. Er sah sich scheu im Zimmer um, als er aber zu bemerken schien, das die Frauen allein waren, trat er ihnen mit einer höflichen Verneigung näher und verrieth eine gewisse Unentschlossenheit, welche von beiden er anredete solle. Margaretha, beunruhigt durch die überraschende Erscheinung eines Fremdlings, dessen ganzes Aeußeres bekundete, daß er kein Bewohner von Dalarne sey, daß er nicht zu den schwedischen Landleuten gehöre, die sonst nur das abgelegene Thalland zu besuchen pflegten, stand schon im Begriff, nach den Dienern des Hauses zu rufen, als das Benehmen des Fremden ihr die Ueberzeugung einflößte, daß er in einer friedlichen Absicht komme. Indem sie die Thüre des großen Ofens öffnete und die Lampe anzündete, fragte sie in einem wohlwollenden Tone nach seinem Begehren, fügte aber zugleich hinzu, daß, da wahrscheinlich dieser Besuch ihrem Oheim gelte, sie den Unbekannten bitten müsse, einige Zeit zu verweilen, bis der Pfarrherr von seiner Wandrung nach einem entlegenen Hofe zurückkehre. »Nicht ihn, sondern Euch wünsche ich zu sprechen, edle Jungfrau;« entgegnete der Unbekannte in einem Tone, der die Absicht, einen gewinnenden Eindruck zu machen, an den Tag legte, dennoch aber etwas Widriges, Falsches enthielt. »Ich irre sicherlich nicht, wenn ich vermuthe, in Euch die Tochter des hochachtbaren Raths- und Handelsherrn Bernhard Böchower in Lübeck vor mir zu sehn. Nein! Diese edle Gestalt, diese anmuthige Gesichtsbildung, diese sanfte Güte, mit der Ihr den Fremdling aufnehmt, entsprechen ganz der Beschreibung, die man mir von Euch gemacht hat.«

»Ich weiß nicht,« versetzte erröthend Margaretha, »wer sich bewogen finden konnte, ein so günstiges Urtheil über mich zu fällen. Nennt mir seinen Namen, nennt mir den Eurigen und laßt mich den Gegenstand wissen, über den Ihr Auskunft begehrt. Allem Anscheine nach seyd Ihr ein Fremdling in diesem Lande; vielleicht kommt Ihr aus Deutschland und bringt mir eine Botschaft meines Vaters!«

Von dieser Hoffnung ergriffen, trat Margaretha dem Unbekannten näher, der indessen den breitrandigen Hut abgelegt hatte und ein Angesicht zeigte, in welchem Frau Barbara's menschenkundiger Blick sogleich die Spuren eines wüsten, verwilderten Lebenswandels, den Ausdruck eines unstäten, zu allem Bösen geneigten Gemüthes erkannte. Sie erhob sich, um den verdächtigen Fremdling genauer zu beobachten, sie hielt sich bereit, irgend eine Unbesonnenheit ihrer jungen Freundin zu verhüten.

»Es ist schon lange her, daß ich Deutschland verlassen habe,« sagte indessen der Unbekannte, »und ob ich gleich in Lübeck mich eingeschifft zu der Fahrt in diese nordischen Reiche, so ist mir doch das Glück nicht zu Theil geworden, Herrn Bernhard Böchower von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Uebrigens vernahm ich allenthalben nur Rühmliches von dem würdigen Manne und die Bürger der edlen Hansestadt priesen sich glücklich, ihn noch rüstig und kräftig mit am Ruder des Staatsschiffes zu sehen, dessen Führung in diesen verwirrten Zeiten nur erfahrne und starke Hände zu vollbringen vermögen. Was jenen Freund betrifft, dessen Mittheilungen mich schon mit Eurer Persönlichkeit und den Vorzügen bekannt gemacht, die ich jetzt in Eurer Nähe bestätigt finde, so müßt Ihr mir erlauben, seinen Namen, wie den meinigen, vor der Hand geheim zu halten. Was ich Euch zu hinterbringen habe, möge für die Redlichkeit unsrer Absichten sprechen. Ein einziges Wort von mir und Euer Vertrauen ist mir sicher. Das Wort heißt: Roland Doneldey, mein Gewerbe besteht in der Bitte, Euch mit mir zu einer Dame, die Euch wohl will, zu begeben, um aus ihrem Munde wichtige Eröffnungen über Euern jungen Verwandten zu vernehmen.«

Wie ein Blitz durchzuckte Margarethen der Gedanke, Roland könne sich in irgend einer Gefahr befinden und nicht anders, als auf diesem wunderlichen Wege eine Kunde von sich geben. Jede Bedenklichkeit wurde vergessen, jeder Argwohn, den des Fremdlings seltsame Erscheinung, seine kecke Selbsteinführung erzeugen konnten, beseitigt.

»Warum sehe ich diese unbekannte Freundin nicht selber hier?« versetzte in einem hastigen Tone Margaretha. »Was hält sie ab, das Pfarrhaus von Mora zu betreten, dessen Pforten niemanden ungastlich verschlossen werden?«

»Es mag Euch seltsam scheinen,« erwiederte der Unbekannte, »daß wir genöthigt sind, unsre Personen, unsre Handlungen mit einem Schleier des Geheimnisses zu umgeben, der sie sogar denen verhüllt, die der Gegenstand unsrer Besorgniß, unsres Wohlwollens sind. Aber wir leben in einem Lande und in Zeiten, wo die Edelsten und Geehrtesten nur in tiefer Verborgenheit Schutz finden, wo eine grausame Verfolgung über alle Freunde Schwedens verhängt ist, wo der Fürst oft unter dem elenden Kleide eines Bettlers wandelt. Denkt nur,« setzte er leiser und von Frau Barbara abgewandt hinzu, »an Gustav Wasa, den erhabenen Freund Roland Doneldey's. Irrt nicht auch er ungekannt und in entstellender Verkleidung in Dalarne umher? Würde nicht sein Haupt dem Beile des Henkers verfallen seyn, wenn ein strenges Geheimniß, die tiefste Verborgenheit ihn nicht allen Nachstellungen entzögen?«

Wenn Margaretha bisher noch geschwankt hatte, ihr Vertrauen dem Unbekannten zu schenken, so waren jetzt ihre Zweifel zu dessen Gunsten entschieden, da sie einsah, daß derjenige, dem Roland sein Verhältniß zu Gustav Wasa entdeckt habe, sein bewährter Freund seyn müsse. Einige Augenblicke waltete der Gedanke in ihr vor, es möchte der königliche Flüchtling selbst seyn, der vor ihr stehe, allein ein rascher Blick auf den Fremdling belehrte sie, daß hier doch jene Anmuth, jene Würde und Hoheit fehlten, welche nach Roland's Beschreibung, dem Prinzen in hohem Grade eigen seyn mußten. Aber ihre Begierde, jene Kunde von Roland Doneldey zu vernehmen, welche die unbekannte Freundin ihr überbringen wollte, überwog jetzt jede andre Empfindung. Sie hatte schon den Pelzmantel zur Hand genommen, sie stand schon im Begriff, sich in die zum Schutze gegen die Winterkälte nothwendigen Kleidungsstücke zu hüllen, als es ihr einfiel, den Mann, der ihr zum Begleiter und Führer dienen wollte, zu fragen:

»Und wo finden wir jene wohlwollende Dame, deren Eröffnungen mich hoffentlich über manche Befürchtungen, die mir eine plötzliche unerklärliche Entfernung meines Vetters einflössen mußte, beruhigen werden? Ohne Zweifel weilt sie in der Nähe und die Unterredung mit ihr wird mich nicht hindern, bis zu der Heimkehr meines Oheim wieder zurück zu seyn.«

»Sie harrt Eurer in der Kapelle des heiligen Olaf auf dem Wege nach Rättwyck;« antwortete der Fremde, indem er sich eifrig bemühete, Margarethen beim Anlegen ihres Mantels behülflich zu seyn. »In kurzer Zeit ist Alles vollbracht und Ihr werdet Euch Glück wünschen, Eröffnungen zu erhalten, die Eure heiligsten Empfindungen berühren. Seyd unbesorgt, fürchtet nichts, obschon der Abend eingebrochen ist und allerlei verdächtiges Gesindel sich jetzt im Thallande umtreiben soll. Mein Schutz gewährt Euch alle Sicherheit, die Ihr wünschen könnt.«

»Margaretha,« erhob in diesem Augenblicke Frau Barbara Ornflykt, die indessen in aller Stille ihr Tuch von Wadmal umgeworfen hatte und nun an die Seite des Mädchens trat, ihre Stimme: »Ihr mögt diesem Manne folgen, wenn Euch ein Gebot Eures Herzens dazu veranlaßt, aber Ihr geht nicht ohne mich. Wer bürgt uns, daß dieser Fremdling, der nur in Räthseln spricht und sich selbst als ein Räthsel darstellt, in lautrer Absicht hierherkommt? Er selbst gesteht, daß verdächtige Leute das Thalland unsicher mache. Warum sollen wir in dieser Eröffnung nicht einen Grund zur Vorsicht finden, zu besorglicher Ueberlegung, ob wir dem Worte eines gänzlich Unbekannten vertrauen, ob wir seiner Leitung uns rücksichtslos überlassen können. Ich will diesen Mann nicht verdächtigen. Wenn er aber selbst mit Ruhe die ganze Lage der Verhältnisse bedenkt, so kann er Maßregeln, die ja nur im schlimmen Falle ihn nachtheilig träfen, nicht übel deuten. Ich rathe Euch also, außer meiner Begleitung noch einige Knechte mitzunehmen, die uns in einer geringen Entfernung folgen und in der Nähe jener Kapelle unsrer harren können. Dieser Fremde wagt nichts dabei, wenn seine Absichten, woran ich nicht zweifeln will, redlich sind und wir wissen uns sichrer unter dem vermehrten Schutze, den uns der Rückhalt der Diener gewährt.«

Die Worte der Frau Barbara schienen Eindruck auf Margarethen zu machen. Sie stand unentschlossen, sie blickte den Fremdling ängstlich forschend an. Dieser aber legte in unwilliger Geberde seine Entrüstung an den Tag, drückte trotzig den breitkrempigen Hut tief in die Stirn und wandte sich nach der Thüre, indem er in einem unwilligen Tone sprach:

»Ich bin nicht hergekommen, um für wohlgemeinte Dienstanerbietungen Beleidigungen zu erndten. Ich habe Worte zu Jungfrau Büchower gesprochen, ich habe ihr Namen genannt, die jede Besorgniß, wenn sie deren hegen konnte, aus ihrer Brust verbannen mußten. Sie weiß, daß in dieser Angelegenheit die Freiheit, das Leben eines Mannes in Gefahr schweben, den Herr Roland Doneldey mehr liebt, als sich selbst, dem er ergeben ist bis in den Tod. Deßhalb kann keine andre männliche Begleitung hier stattfinden, als die meinige und Alles, was ich gestatten darf, ist, daß sich diese, Eure Freundin, uns zugeselle, ohne jedoch Zeuge der Unterredung in der Kapelle zu seyn. Findet Ihr Euch hiermit befriedigt, so laßt uns nicht zögern, unsre Wandrung anzutreten; dünkt Euch aber Alles, was ich gesagt habe, was ich nur aus Roland's Munde selbst vernommen haben kann, keine hinlängliche Bürgschaft für die Sicherheit Eurer Person, so kehre ich unverrichteter Sache zu der, die mich gesandt, zurück, und Ihr mögt immerhin mein Gewerbe für ungeschehen ansehn.«

Er schob tiefer den Hut ins Antlitz, er hatte schon die Thüre des Zimmers halb geöffnet, um dieses zu verlassen, als Margaretha rasch vortrat, ihn zurückhielt und, zu ihrer Freundin gewandt, in einem versichernden Tone sagte:

»Es ist wahr, daß er mir Dinge entdeckt, die mich von seinem vertrauten Umgange mit Roland Doneldey überzeugen müssen. Dinge, welche Roland kaum mir offenbart, welche er so hoch und wichtig hält, das ich sie mehr errathen mußte, als von ihm selbst erfahren konnte! Wir können uns unbedenklich seiner Führung überlassen. Wir müssen es, denn um keinen Preis möchte ich in der Unruhe, in der ich um Roland's gegenwärtiges Schicksal schwebe, eine Kunde zurückweisen, wie ich sie aus dem Munde jener Unbekannten erwarte.«

Frau Barbara sah ihre junge Freundin entschlossen, das räthselhafte Abentheuer zu bestehen, sie erkannte, daß jede fernere Warnung überflüssig seyn würde. Es blieb ihr nun nichts übrig, als in ihrer Begleitung Margarethen eine Stütze zu leihen, die, so schwach sie auch war, doch im Augenblicke einer möglichen Gefahr von Nutzen seyn konnte. Ehe sie das Haus verließen, bewaffnete sie sich schweigend und unbemerkt mit einem kleinen Dolche, der mit mehrern, Roland Doneldey zugehörigen Wehrstücken, in einem Winkel des Zimmers an der Wand hing.

Ahnungsvoll folgte nun Margaretha, aufmerksam und jede Bewegung des Fremdlings beobachtend Frau Barbara diesem. Der Abend war rauh, auf dem gefrornen Schneegrunde knatterten ihre Schritte und ein schneidender Wind wehete ihnen vom Siljan entgegen. Ueber dem untern Theile des See's, hinter den Berggipfeln von Falun hervortretend, zeigte sich die Scheibe des Mondes in dem ganzen vollen Glanze, mit dem sie die langen nordischen Winternächte zu erhellen pflegt. Der Weg, den die abendlichen Wandrer einschlugen, bot ihnen keine Schwierigkeiten dar, denn er war durch die vielfachen Verbindungen, in denen alle Bewohner des Thallandes mit einander standen, besonders durch die Reisen im Schlitten, welche die winterliche Jahreszeit begünstigte, vollkommen gebahnt und geebnet.

Der Fremdling, der, seine Schritte nach denen der beiden Frauen mäßigend, ihnen zur Seite blieb, bemühete sich, ihnen die Zeit der Wandrung durch allerlei Berichte und Erzählungen aus Deutschland, wunderlichen Inhalts, zu verkürzen. Er sprach von der neuen Glaubenslehre, die anfange, sich von Wittenberg aus zu verbreiten, er rühmte dagegen sehr die römische Kirche, in der sich Männer hervorgethan, wie der weise Bischof Albertus Magnus, der so tief eingeweiht gewesen in die geheimnisvolle Wissenschaft der Magie, das er die Helden der Vorzeit, wie Cicero und Julius Cäsar, aus ihren Gräbern zu beschwören vermocht, daß er in der kältesten Winterzeit einen Garten mit blühenden und zugleich fruchttragenden Bäumen hervorgezaubert, in welchem er den Kaiser und seinen Hofstaat mit den köstlichsten Leckerbissen aller Jahreszeiten und aller Länder bewirthet, daß er endlich, wie einst der englische Mönch Baco, einen metallenen Kopf gebildet bade, der alle Fragen, welche man ihm vorlegte, beantwortete, und selbst die Zukunft voraussagte.

Margarethe, nur mit Gedanken an den Freund ihrer Seele beschäftigt, widmete diesen Reden keine Aufmerksamkeit; Frau Barbara aber glaubte, indem sie ihnen eine eifrige Theilnahme zu schenken schien, in ihnen nur das Bestreben, die Zuhörerinnen zu zerstreuen und sie von einem etwaigen Nachdenken über den Schritt, den sie unternommen, zurückzuhalten, zu erkennen. Ihr Argwohn gegen den fremden Begleiter wuchs von Augenblick zu Augenblick. Sein ganzes Benehmen dünkte sie großthuerisch und dünkelhaft, sein Wesen ohne Sitte und edle Bildung. Sie fühlte sich immer mehr in dem Vorsatze bestärkt, mit der größten Vorsicht zu Werk zu gehen, scharf zu beobachten und im Nothfalle rasch zu handeln.

So gelangten sie in die Nähe der Kapelle des heiligen Olaf's, die seitwärts von dem Dorfe Rättwick, am Saume eines Tannenwaldes lag. Es war ein ansehnliches Gebäude, das, aus dem Vermächtnisse eines reichen Bewohners von Dalarne gegründet, aus mehreren Gemächern bestand, in die man durch verschiedene Thüren Eingang fand, und welche sämmtlich an das Allerheiligste stießen, wo auf reich geschmücktem Hochaltare das Bild des Heiligen verehrt wurde. Nach dem Dorfe Rättwick und nach der Seite hin, von der die Wandrer kamen, zeigte sich nur die größere, zierlich gebaute Hauptpforte; die übrigen Eingänge gränzten an den Wald und einen benachbarten Hügel.

Frau Barbara besuchte diese Stelle zum erstenmale und kannte also die innern Verhältnisse des Gebäudes nicht. Sie hielt die Hauptthüre für den einzigen Eingang, der in das Innere führe, sie glaubte genug zu thun, wenn sie diesen, während Margarethens Abwesenheit, genau bewache, sie nahm sich vor, Auge und Ohr zu schärfen, damit ihr nichts entginge, was etwa eine Gefahr für ihre Freundin anzeigen könne. Ehe die junge Deutsche ihren Fuß auf die Schwelle der Kapelle setzte, näherte sich ihr noch einmal Frau Barbara, umarmte sie und flüsterte ihr ins Ohr: bei dem geringsten Anscheine einer unredlichen Absicht, einer Gewaltthat auf ihre Person, nach Hülfe zu rufen, ihren Beistand laut aufzufordern. Margaretha drückte ihr unter einem freundlichen Lächeln, das ein Gefühl vollkommener Sicherheit aussprach, die Hand, und folgte dann dem Winke des Unbekannten, der bereits die Thüre der Kapelle geöffnet hatte, und die Jungfrau, in welcher eine Hoffnung, Roland vielleicht selbst zu finden, sich freudig regte, voranschreiten ließ.

Der kühne, männliche Geist der Frau Barbara, den wir schon aus der Art und Weise kennen, womit sie Gustav Wasa vor der, durch den eigenen Gatten drohenden Gefangenschaft rettete, die den jungen Helden gewiß auf das Blutgerüst geführt haben würde, erhob und erkräftigte sich in der Ahnung eines Mißgeschicks, das ihre von Liebe und unbesorgtem Vertrauen hingerissene junge Freundin treffen könne.

Die muthige, der Beschwerden, welche ein nordischer Winterabend bieten konnte, gewohnte Frau schritt rüstig vor der Kapelle auf und nieder, von dem festen Entschlusse beseelt, die Gefahren, welche die Zukunft offenbaren würde, mit Margaretha zu theilen, entweder mit ihr Uebles zu ertragen, oder, wenn es ihre schwache Kraft gestatte, dieses von dem Haupte der Freundin abzuwenden. In einem unklaren Gefühle hatte sie sich des Dolches bemächtigt, den sie unter ihrem Gewande verborgen trug. Bei aller Stärke ihrer Seele, die durch mannigfache traurige und herbe Erfahrungen gestählt worden war, besaß sie zu viel Sanftmuth und Frömmigkeit, um selbst zur Nothwehr eine Waffe auf das Leben eines Menschen zu zücken. Sie lächelte jetzt über die thörigte Vorsicht, ein so nutzloses Ding, wie diesen Dolch, mitgenommen zu haben. Sie vertraute nur auf Gott, der, wie sie hoffte, Menschen vorüber führen werde, die sie im Falle der Noth um Hülfe und Beistand anrufen könne. Mit ängstlicher Spannung horchte sie nach der Kapelle hin. Endlich, des erstarrenden Frostes nicht achtend, setzte sie sich auf die Schwellen des Eingangs nieder, und lauschte besorgnißvoll, ob sich nicht ein leiser Ton vernehmen lasse, der ihr gelte, der ihre Gegenwart verlange. Aus der Kirche von Rättwick trug der Wind die Klänge der Abendglocke herauf, welche die sechste Stunde verkündigten. Sie wußte, daß um diese Stunde Herr Jacob Pehrson und der Huskurer Bragi Ingemund heimzukehren beabsichtigten, sie konnte nach der Lage des Ortes, nach dem sie gegangen, schließen, daß der Weg, welchen die beiden Wandrer einzuschlagen hatten, sich nicht fern von diesem Gebäude nach Mora hinabziehn müsse. Die Erwartung, in der sie die vorübergehenden Minuten zählte, lag drückend auf ihrer Seele. Ihre nächste Vergangenheit deckte ein dunkler Schatten, der sich auch in die Gegenwart hereindrängte, selbst in die Zukunft ausdehnte. Was Wunder, daß quälende Zweifel in ihr aufstiegen, die oft ihre Hoffnungen erbleichen machten, die sie dem Erlöschen nahe brachten!

Indessen hatte Margaretha, von dem Fremden geführt, eins der von dem Haupteingange abgelegenen Vorgemächer der Kapelle betreten, wo sie zu ihrem Befremden ein ihr gänzlich unbekanntes junges Frauenzimmer fand, dessen stattlicher Pelzanzug durch seine Feinheit sowohl für den höhern Stand, wie durch seinen fremdartigen Zuschnitt für die ausländische Herkunft der Dame zu zeugen schien. Sie trat Margarethen sogleich mit freundlicher Gebehrde näher, reichte ihr lächelnd die Hand, welche diese zögernd nahm, und gab dann dem bisherigen Begleiter der jungen Deutschen einen Wink, sich durch die Thüre eines Nebengemaches zu entfernen. Kaum sah sie sich nun mit Margarethen allein, so fiel sie dieser, in Thränen ausbrechend, um den Hals, küßte die Ueberraschte aufs Innigste und versuchte zu sprechen, ohne jedoch vor Schluchzen dazu kommen zu können. Margaretha vermochte sich diesen wunderlichen Uebergang von Heiterkeit zu laut hervortretendem Seelenschmerz nicht zu erklären, so wie sie überhaupt durch die ganze Erscheinung, durch das seltsame Wesen der Fremden sich in einen Zustand der Verwirrung versetzt fühlte, der an Betäubung grenzte.

Endlich schien die weinende Dame wieder ihre Fassung zu erlangen. Sie führte Margarethen zu einer steinernen Bank, setzte sich neben sie und begann, noch immer des Mädchens Hand haltend, in einem schwermüthigen Tone:

»Du wähnst dich glücklich, Margaretha Böchower, aber du bist es nicht! Du glaubst dein Herz einem würdigen, einem wahrheitsliebenden Freunde geschenkt zu haben, aber er ist ein Treuloser, ein Verräther! Ja, hier in der Nähe des Heiligthums, an dieser Stelle, wo die Unschuld Schutz, wo die Frömmigkeit Trost sucht, wo jedes Herz sich wahrheitsvoll und offen im Gebete darlegt, rufe ich laut: Roland Doneldey ist ein Elender, der dich betrügt, der deine Unerfahrenheit mißbraucht, um dich an sich zu locken, damit ihm einst das reiche Erbe deines Vaters werde, der hundert andern Frauen schon Treue geschworen und eben so vielen sie schon gebrochen!«

Sie schwieg und schien den Eindruck beobachten zu wollen, den diese Anklage, während der sie in einen höchst pathetischen Ton übergegangen war, auf die Zuhörerin hervorbringen würde. Sie hatte Margarethen ihre Besinnung wiedergegeben. Das Mädchen sah die Fremde mit einem höchst durchdringenden Blicke, vor dem jene die Augen niederschlagen mußte, an, und versetzte dann mit einem Ausdrucke der Ruhe und Würde, der eine feste Entschlossenheit, Alles genau zu prüfen, an den Tag legte:

»Eure Worte sind von schwerem Gewichte, und verdienen um so ernster überlegt zu werden, da der Angeklagte fern ist und nicht selbst seine Vertheidigung führen kann. Ich kenne Roland Doneldey als einen Ehrenmann und seine Freunde, deren Anzahl nicht gering ist, kennen ihn nicht anders. Ihr müßt mir Beweise geben, damit ich Euern Worten vertrauen kann, Ihr dürft mich nicht länger in Unwissenheit über Eure eigene Person lassen, wenn Ihr nicht wollt, daß ich mich im Augenblicke entferne, und der unverlangten übeln Nachrede einer Namenlosen keine weitre Beachtung schenke.«

Diese Bestimmtheit in Margarethens Erwiedrung schien die Unbekannte in Verlegenheit zu setzen. Sie sah einige Augenblicke sinnend vor sich nieder, sie erhob schüchtern das Auge nach der jungen Deutschen, die sie fortwährend ernst anblickte, und sagte dann leise, aber nach und nach einen festern, zuverlässigen Ton gewinnend:

»Nichts soll dir verschwiegen bleiben, getäuschtes Mädchen, denn uns beiden ist eine und dieselbe Beleidigung widerfahren. Wie Roland dich durch Betrug verderben will, so wollte er mich durch schändliche Verführung auf den Pfad der Sünde und des Verbrechens leiten. Ja, Margaretha, ich sollte ein Opfer dieses Bösewichts werden, und als ich ihm widerstand, als ich seinem verächtlichen Ansinnen die Kraft und den Muth der Tugend entgegenstellte, da wurde er mein unversöhnlicher Feind, da suchte er mich durch entsetzliche Verläumdung, durch die schändlichste Erfindung einer falschen Anklage aus dem Wege zu räumen. Wer weiß, was er auch dir von mir erzählt, mit welchem Geifer er die Erinnerung an mich befleckt haben mag; aber im Gefühle meiner Unschuld scheue ich nicht, mich dir zu erkennen zu geben, meinen Namen öffentlich vor der Welt zu nennen: ich bin ein hülfloses, einsam stehendes Weib, mein Name ist Virginia Minderhout.«

»Virginia Minderhout!« rief entsetzt Margaretha, indem sie aufsprang und sich mit Abscheu von ihrer Gefährtin wandte. »Die Wittwe des unglücklichen Holländers, der auf dem Schiffe Concordia –«

»Dieselbe!« fiel ruhig Frau Virginia ein. »Nimm ohne Scheu die Stelle neben mir wieder ein, und glaube nicht, daß ich eine giftige Schlange sey, die dich verwunden könne. Ich ahne, daß man auch dir das Märchen glaubhaft zu machen gewußt, das mich zu einer Verrätherin an den heiligsten Pflichten, zu einem Abschaum der Menschheit, zur Mörderin meines eigenen Gatten stempelt. Das ist Roland Doneldey's rachsüchtige Erfindung, das ist das Werk eines Niederträchtigen, der verläumdet, weil er verschmäht wurde. Ja, Mädchen,« fuhr sie heftiger fort, »Roland Doneldey wagte es, als wir kaum auf jenem Schiffe, das mich und meinen Gatten nach Drontheim bringen sollte, uns gefunden, mir ehrlose Anträge zu machen, welche ich mit der verdienten Verachtung zurückwies! Da wurde aus dem Bewerber um meine Gunst mein geschworner Widersacher, und als nun das Schicksal wollte, daß der arme Mynheer Jonas Minderhout –« hier vergoß Frau Virginia einige Thränen – »auf dem fremden Elemente, fern von seiner Heimath, sein seliges Ende finden sollte, als hierauf ein Sturm unser Schiff verschlug, weit hinauf gegen die ewigen Eisgefilde des Nordpols hin, trat Roland plötzlich als Ankläger gegen mich und den edeln Mann, der dich hierher geleitet, auf, und beschuldigte uns, Herrn Jonas ermordet zu haben, weil wir in unerlaubter Verbindung gestanden, weil uns Herrn Jonas Anwesenheit und Leben eine unerträgliche Last gedünkt, weil uns nach dem vereinten Besitze seiner Reichthümer gelüstet. Die Anklage war so entsetzlich, das wir in Abscheu verstummten. Dieses Schweigen ward sogleich von dem Capitän, einem innigen Freunde Rolands, als ein Geständniß ausgelegt. O man wußte wohl, warum man so verfuhr! Man wollte unserer los seyn, um mit unserm Eigenthum nach Belieben zu verfahren. Diese Männer hatten kein Gefühl für die Gerechtigkeit unsrer Sache, kein Herz für das Flehen eines schwachen Weibes. Wir wurden auf eine schneebedeckte einsame Insel ausgesetzt. Man rechnete darauf, daß wir hier im Elende untergehn sollten, daß mit unserm Verderben diese Schandthat in ewige Vergessenheit begraben würde. Aber unser guter Stern war noch nicht untergegangen. Wir wurden gerettet. Auf eine wunderbare Weise gelangten wir endlich über Eisberge und durch Schneewüsten hier an, wo das Schicksal dich mir entgegenführt, um dich zu warnen, Margaretha Böchower, um dich zurückzuhalten von dem Bündniß mit einem Manne, dem keine Tugend heilig erscheint, der vor keinem Verbrechen zurückbebt. Fliehe, da es noch Zeit ist! Meide seine Nähe, denn seine Rede schmeichelt dem schwachen Herzen, und sein Aeußeres ist gemacht, die Sinne zu bestechen. So lange du mit ihm unter einem Dache wohnst, so lange du seinen gewinnenden Bewerbungen ausgesetzt bist, so lange kannst du nicht auf dich selbst, auf deine Festigkeit in dem Entschlusse, ihn zu meiden, rechnen.«

»Meinet Ihr, daß dieser schon so fest in mir stehe?« fragte Margarethe Böchower. »Und wenn ich nun Euern Aussagen Glauben schenkte,« fuhr sie bedeutungsvoll fort, »wenn wirklich Eure Entdeckung mich in Roland von Bremen den verabscheuungswürdigen Bösewicht erkennen ließe, vor dem sich jede ehrbare Jungfrau mit Unwillen und Verachtung abwenden müßte, was riethet Ihr mir dann zu thun, was sollte ich unternehmen, um mich aus jeder Gemeinschaft mit ihm zu bringen?«

Eine Frage dieser Art schien Frau Virginia gewünscht zu haben. Sie rückte näher an Margaretha, sie versetzte in einem freundlichen, vertraulichen Tone, indem sie das bisherige leidenschaftliche du mit dem sittegemäßen Ihr vertauschte:

»An Eurer Stelle würde ich mich in den Schutz eines wohlwollenden Mannes begeben, der Ansehen und Macht besäße, mich gegen jedwede Anmaßung, selbst der eigenen Verwandten sicher zu stellen. Glaubt mir, Ihr besitzt in diesem Lande einen Freund, der es besser mit Euch meint, als irgend jemand, und auch Mittel und Gewalt aufzubieten vermag, jeden, der sich in Eure Angelegenheiten mischen wollte, verstummen zu machen. Er harrt nur Eures Winkes, um Euch zu beweisen, wie sehr Ihr ihm werth, wie sehr Ihr ihm theuer seyd. Sprecht ein Wort, Margaretha Böchower, und der mächtigste Mann im Thallande steht Euch hülfreich und schützend zur Seite. Niemand wagt es, ein Wort gegen ihn laut werden zu lassen, eine Klage gegen ihn zu erheben. «

Margaretha fühltet sich von Verachtung gegen die Verläumderin, von Unwillen gegen die ränkevolle Unterhändlerin ergriffen. Sie ahnete wohl, wer diese zu dem Versuche, ihre Treue an Roland zu erschüttern, bewogen haben mochte, doch verbarg sie noch ihre wahren Gesinnungen, um ihre Vermuthungen zur Gewißheit erhoben zu sehn.

»Der mächtigste Mann in Dalarne?« versetzte sie mit dem Anscheine des Erstaunens. »Ihr überrascht mich durch Entdeckungen, die ich nicht zu deuten verstehe. Mein Leben war still und einsam im Hause meines Oheims, ich habe dort niemand gesehn, niemand kennen gelernt, den Eure Rede bezeichnen könnte. Nennt mir den Mann, der sich so uneigennützig eines Wesens annehmen will, das er betrogen, verwaist und schutzlos glaubt?«

»Er gebietet hier im Namen des Königs,« sagte mit einem triumphirenden Blicke Virginia. »Solltet Ihr der Bewerbungen des Herrn Nils Westgöthe so ganz vergessen haben, daß Ihr nicht überzeugt wäret, einen treuen Freund in jeder Noth an ihm zu besitzen?«

Sie glaubte ihre Sache gewonnen, sie betrachtete mit einem listigen Lächeln Margarethen. Aber ihr Triumph sollte nur wenige Augenblicke dauern. Mit dem Ausdrucke schwer beleidigter Würde erhob sich Margaretha und entgegnete, indem sie einen Blick der tiefsten Verachtung auf die schöne Flammländerin warf:

»Ihr wolltet mich bereden, Ihr wäret die schuldlose Taube, die eine kecke Lüge für ein giftiges Ungeheuer ausgegeben; aber glaubt mir, ich habe keinen Augenblick in der Meinung geschwankt, die Schlange vor mir zu sehn, die ihren tödtlichen Zahn in das Herz des eigenen Gatten schlug. Ja, Virginia Minderhout, ich halte Euch für eine Treu- und Ehrlose, ich bin überzeugt, daß Ihr und Euer verworfener Gefährte Fontanus die entsetzliche Gräuelthat begangen habt! Wie konntet Ihr es wagen, vor mir den redlichen Roland von Bremen eines Verbrechens zu beschuldigen, das ihm so fremd ist, wie es Euch vertraut seyn mag! Er ist mein Freund und Verwandter, er war der treue Gefährte meiner Kindheit und meiner Jugendjahre. Ich kenne sein Herz, ich kenne seine Handlungen. Jenes ist rein und offen, diese sind gradaus, wacker und untadelhaft. Ich habe Euch ruhig angehört, ich habe Euch Zeit gelassen, bis Ihr Euch selbst entlarvtet. Ja, Virginia Minderhout, indem ihr den Namen Westgöthe's nanntet, warft Ihr die Taubenlarve ab, und zeigtet mir die Schlange, die sich darunter verborgen. Ich verlasse Euch mit dem Wunsche, daß wir nie wieder einander begegnen mögen. Demjenigen, der Euch zu dieses Schritte überredete, sagt, daß ich meine Freunde wohl zu unterscheiden wisse, daß ein Geist der aus den Bergwerken von Falun emporgestiegen, mich über seine Gesinnungen aufgeklärt, mich in seines Herzens Tiefe habe blicken lassen. Und nun gehabt Euch wohl! Unsere Pfade trennen sich, um nie wieder zusammenzukommen.«

»Ihr irrt Euch!« versetzte mit einem übermüthigen Lächeln Virginia, indem sie leise in die Hände klatschte. »Für einige Zeit müßt Ihr schon mit meiner Gesellschaft vorlieb nehmen, obschon sie Euch nicht behagen mag.«

Ehe noch diese Worte ausgesprochen waren, fiel plötzlich von hinten ein verhüllendes Tuch über Margarethens Haupt. Sie wollte nach Hülfe rufen, allein unter dem Tuche verhallte ihr Ruf zum dumpfen, unverständlichen Laut. Sie wurde emporgehoben, sie vernahm leise Schritte um sich, ein unverständlichen Flüstern, aus dem sie die Stimme des Bergvogts von Falun zu erkennen glaubte. Dann fühlte sie sich fortgetragen, und die scharfe Luft, die sie nach wenigen Augenblicken anwehete, überzeugte sie, daß sie sich im Freien befand. Sie hörte Waffengeräusch, sie bemerkte, daß ihre Begleitung, außer Frau Minderhout, noch in einigen Männern bestehe, deren dumpfes Gespräch manchmal durch ein lautes höhnisches Gelächter unterbrochen wurde. Ihr blieb nichts übrig, als sich ihrem Schicksal zu unterwerfen, als in Ruhe zu erwarten, wie sich dieses Abentheuer, in das sie Liebe und Unbesonnenheit verleitet, entscheiden werde.

Während dieses Ereigniß, still und geheimnisvoll, im Innern der Kapelle vorging, harrte Frau Barbara Ornflykt in ängstlicher Spannung am Haupteingange, und lauschte bald nach dem Innern, ob sie nicht hier Margarethens Beistand verlangende Stimme vernehme, bald nach dem Gebirg hin, aus dem Jacob Pehrson und Bragi Ingemund herabsteigen mußten. Alles blieb still und keine der tödtlich langen Minuten brachte eine Veränderung in der Lage der Dinge hervor. Schon war Frau Barbara entschlossen, auf das Geradewohl das Innere der Kapelle zu betreten, als sie endlich in zwei, den Gebirgspfad herabkommenden dunkeln Gestalten den Pfarrer von Mora und den alten Huskurer erkannte. Mit flüchtigen Worten gab sie ihnen einen kurzen Bericht dessen, was sich seit ihrer Entfernung aus dem Pfarrhause ereignet, dann forderte sie die Männer auf, sie in die Kapelle zu begleiten.

»Das ist ein Streich des Bergvogts von Falun,« sprach kopfschüttelnd Bragi Ingemund, »und ich fürchte, wir kommen zu spät, ihn zu vereiteln.«

Schon war Frau Barbara den Männern in die Kapelle vorausgeeilt, schon hatte sie mit flüchtigem Fuße alle Gemächer durchschritten, mit forschendem Blicke nach der Freundin gespäht. Alles war still und öde, nirgends eine Spur Margarethens. Vergebens erfüllte ihr Ruf nach der Verlorenen die gewölbten Räume; keine Antwort kam zurück, Grabesstille waltete in dem einsam gelegenen Heiligthum. Da trat Bragi Ingemund in die nach dem Walde hin geöffnete Thüre eines Seitengemachs und sagte, indem er eine blaue Schleife, die Margaretha den Tag über getragen, vom Boden aufhob, nach dem bestürzten Pfarrer hingewandt:

»Da hinaus sind sie! Durch den Wald nach Falun! Im Hause des Bergvogts müßt Ihr sie suchen.«


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