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Drittes Kapitel.


Wunderliches Volk im Schiffe –
Wird mir unter ihnen bang.
Den führt Liebe, den Gewinnsucht,
Den des Wahnsinn's dunkler Drang.

Nichts ereignete sich in den ersten Tagen der Fahrt, was die Hoffnung auf eine glückliche Beendigung derselben hätte schwankend machen können. Ohne von dänischen Schiffen beunruhigt zu werden, ließ das schnellsegelnde Schiff die Meerengen zwischen den Küsten hinter sich und erreichte die Gewässer der Nordsee, die in mächtigern Wellenbewegungen, von einem kräftigern Winde belebt, dem jungen Deutschen ein wohlthuendes Gefühl mittheilten, indem er schon jene stärkende Luft einzuathmen glaubte, die in Dalarne, wo sein liebes Mädchen weilte, heimisch war.

Auf dem Schiffe des Capitäns Harslö fanden sich einige wunderliche Reisegefährten. Roland lernte sie am ersten Tage bei'm Mittagstische des Capitäns kennen. Mynheer Jonas Minderhout von Leuwarden in Westfrießland war ein angehender Fünfziger von ungewöhnlichem Körperumfange, von breitem, aufgedunsenem Antlitze, dessen Züge Lebensüberdruß und Schwermuth an den Tag legten, auf dem sich nie ein Lächeln zeigte, das nur Schlaffheit, Unbehagen und ewige Langeweile kund gab. Kein Wort kam während der Mahlzeit über seine Lippen, er seufzte nur oft tief auf, während er mit unzerstörbarem Gleichmuthe eine Quantität von Speisen zu sich nahm, die drei der hungrigsten Seeleute hätte sättigen können. Man sah ihm an, daß er recht eigentlich nichts dachte, daß ihn jeder Anlaß, der ihn zum Denken nöthigte, auf's Höchste verhaßt war, daß eben der Unmuth über die Nothwendigkeit, bei dieser und jener Gelegenheit denken zu müssen, ihm das Leben als einen qualvollen, unerträglichen Zustand erscheinen ließ. Den einzigen Trost in diesen Leiden gewährte ihm die Tafel, die doch nur den sinnlichen Theil des Menschen anregte, indem sie keinen Anspruch auf irgend eine Bemühung, auf irgend ein Aufgebot der Geisteskräfte machte. Selten ließ er sich auf dem Verdecke seyn, nur wenn ihn seine Lebensgefährtin, die den vollständigsten Gegensatz zu seinen körperlichen und geistigen Eigenschaften abgab, um die Mittagsstunde zu einem Spaziergange nöthigte, der, wie sie behauptete, durchaus für die Erhaltung seiner Gesundheit nothwendig sey. Dann schritt er schwermüthig und gedrückt an ihrer Seite auf und nieder, während ihn die schwankende Bewegung des Schiffes oft aus dem Gleichgewichte brachte. Er seufzte und stöhnte, daß die Schiffleute unwillige Blicke auf ihn warfen, weil sie glaubten, ein so trauriger und unbehaglicher Passagier könne unmöglich ihrer Fahrt Glück bringen. Gern sahen sie dagegen sein junges Frauchen auf dem Verdecke, wenn es sich mit lebendiger Anmuth, mit zierlicher und leichter Haltung, mit einem Augen und Geberdenspiele, das schalkhaft und lockend zugleich war, das Manchem vielversprechend und bedeutungsvoll erschien, hin und herbewegte. Mevrouw Virginia Minderhout war eine junge Flammländerin von ungefähr vierundzwanzig Jahren, deren Fesseln den wohlhabenden Handelsherr sich in einer schwachen Stunde unterworfen, um ihren Druck bis an das Ende seines Lebens schwer zu empfinden. Ihrem Willen mußte er unbedingt gehorchen, ihren oft seltsamen Launen ohne Widerspruch Folge leisten, seine Bequemlichkeit, seine Ruhe ihnen zum Opfer bringen. In der ersten Zeit ihrer Vereinigung hatte er wohl zu dem Versuche sich erkräftigt, der jungen Hausfrau das Szepter, dessen sie sich kühn bemächtigt, wieder zu entwinden; allein dann war es gar um jeden Moment der Ruhe und Ungestörtheit gethan gewesen, Frau Virginia hatte bis spät in die Nacht keifend und lärmend das Haus durchzogen und um nur Einiges zu erhalten, sah der Mynheer sich genöthigt, im Allgemeinen die Oberherrschaft der jungen Frau zu überlassen. Dieses Verhältniß, in das er sich unbedachtsam in jener schwachen Stunde begeben, war eigentlich der Wurm, der an seiner Seele nagte, der stets die Erinnerung an die glückliche ungestörte Junggesellenzeit in ihm erweckte und ihn zu Reue und Schwermuth stimmte. Außer diesem ungleichen Paare erschienen an der Tafel des Capitäns noch zwei junge Männer, von ebenfalls sehr auffallendem und verschiedenartigem Wesen. Den einen bezeichneten sein blondes Haar, sein blaues Auge als einen Nordländer. Er war finster und schweigsam, nahm keinen Theil an der Unterhaltung und zog sich immer in die abgelegensten, dunkelsten Winkel des Schiffes zurück. Roland, dessen Lager von dem seinigen nur durch eine dünne Bretterwand geschieden war, hörte ihn oft in der Nacht weinen und schluchzen, dann in laute Verwünschungen, in eine an Wahnsinn gränzende Wuth gegen irgend ein von seiner Phantasie erzeugtes Bild ausbrechen, dem er Verrath, Mord und alle scheußlichen Verbrechen, welche die Menschheit entwürdigen können, vorwarf. Der Capitän bewahrte über seinen Namen und Stand ein tiefes Geheimniß. Er sagte, man solle ihn nur Ignotus nennen: das würde er am Liebsten hören. Uebrigens verrieth bei aller Vernachlässigung seines Aeußern sein ganzes Benehmen eine edle Abkunft und eine ritterliche Erziehung. Pedantisch, roh und anmaßend zeigte sich dagegen das letzte Individuum, welches die Reihe der wenigen Reisegenossen auf dem Nordfahrer Concordia schloß. Es war ein Student oder sogenannter fahrender Schüler, wie diese, nach altem Gebrauche, noch in jenen Zeiten die Welt durchzogen, sich bald mit Unterricht geben auf den Dörfern, mit Täuschungen abergläubischer Leute, als Schatzgraben, Wahrsagen und dergleichen oder im Nothfalle auch mit Betteln und Stehlen ernährten, zu welchen letztern Beschäftigungen sie ihre minderjährigen Begleiter, die sogenannten Pennale, abzurichten pflegten. Er nannte sich Erasmus Fontanus, hatte, wie er sagte, in Padua und Prag nun schon seit länger, als zehn Jahren, studirt, um recht in das Innere der Wissenschaft zu dringen, sprach sehr geheimnisvoll, von den Absichten, die er im hohen Norden, wo noch das Heidenthum herrsche und mit Hülfe der Götzen wunderbare Zauberkunst getrieben werde, zu erreichen hoffe, und gab sich immer das Ansehn, als sey er berufen, die Gesellschaft zu belehren und zu hofmeistern. Seine schwarze Kleidung zeigte in Allem die Spuren eines mehrjährigen Dienstes, der Rand seines Mantels, die Umfassung seines Barett's waren mit allerlei kabbalistischen Characteren bezeichnet, im Gürtel hatte er eine Pergamentrolle stecken, an der rechten Seite hingen die Zeichen seines Standes, Dintenfaß und Schreibfeder, an der linken ein gewaltiger Raufdegen, der, wenn er ging, geräuschvoll hinter ihm nachschleifte. Roland hatte schon oft durch kecken Spott, selbst durch ein gebieterisches Wort den Anmaßungen des Studenten ein Ziel gesetzt; was ihm aber am Meisten an diesem mißfiel, war dessen rohes, sogar grausames Betragen gegen seinen Begleiter, einen siebenzehnjährigen artigen Knaben, Namens Claudianus. Dieser mußte die gemeinsten Dienste verrichten, hatte bei dem geringsten Versehn die grobsten Schimpfreden, selbst thätliche Mißhandlungen zu gewärtigen und war von seinem strengen Gebieter in den untern Schiffsraum verwiesen, den er nur auf dessen Ruf verlassen durfte. Sein Lager fand er bei den Schiffsjungen, seine Kost erhielt er von mitleidigen Matrosen, da sich der Student in dieser Hinsicht gar nicht um ihn bekümmerte. Dennoch blieb der Knabe ihm immer treu zugethan. Freude strahlte aus seinem Angesichte, wenn Erasmus Fontanus sich milder, als gewöhnlich, zu ihm wandte, wenn er von diesem, was freilich selten genug geschah und wobei es nie ohne Schläge abging, eine Lection im Lateinischen oder Griechischen erhielt. Der Knabe war eine Waise, ohne Freunde, ohne Anverwandte und hatte aus reiner Wißbegierde sich dem Studenten, den er für einen großen Gelehrten hielt, angeschlossen.

Diese bunt gemischte Gesellschaft gab unserm jungen Abentheurer Stoff zu mancherlei Betrachtungen. Er erkannte bald, wie Mevrouw Virginia Minderhout ihn ausersehen, ihr die Langeweile der Reise zu verkürzen, wie sie, da alle vielverkündenden Blicke, alle süßen Anreden bei ihm verloren schienen, dann diese – der finstre Ignotus blieb ebenfalls für jede Annäherung unempfindlich – dem fahrenden Schüler zuwandte, der, minder spröde, nun der hübschen Frau eine Aufmerksamkeit erwies, welche er für Courtoisie hielt, die aber in der That den Character der plumpsten Zudringlichkeit trug. Ueberdem machte ihn diese Eroberung so hoffährtig, daß er jetzt seinen Anmaßungen ein noch größeres Gewicht gab und, wie ein Herr auf seine Diener, auf die andern Reisegenossen herabsah. Herr Jonas Minderhout war ganz zufrieden mit dieser Gestaltung eines Nebenverhältnisses, das ihn mancher persönlichen Bemühung, mancher von der Gattin sonst streng erheischten Dienstleistung überhob. Roland aber beschloß, bei der ersten Gelegenheit den Studenten zu demüthigen und in die Schranken eines geziemenden Anstandes zurückzuweisen.

Ehe sich jedoch diese zeigte, begegneten ihm andre Abentheuer, deren eins ihn dem seltsamen Ignotus näher brachte und einiges Licht auf dessen traurige Lebensverhältnisse warf. Als er eines Nachts vergebens auf seinem Lager die gewohnte Ruhe suchte und dann gar in ein beängstigendes Treiben der Phantasie gerieth, die ihm bald das liebe Bäschen in Dalekarlien, bald den in Lübeck zurückgelassenen Gustav in großer Bedrängniß sehen ließ, entriß er sich mit einemmale diesem tollen Spiele der Einbildungskraft, sprang auf, warf den Mantel um und begab sich auf das Verdeck. Der klare Sternhimmel des Nordens lag über dem weiten Meere ausgebreitet, ein Nordlicht schoß seine glühende Strahlen, wie aufzuckende Blitze in die Nacht empor. Nur das leise Anschlagen der ruhigen Wellen an die Wände des Schiffes war hörbar, sonst herrschte eine ununterbrochene Stille in der Natur.

Roland war einigemale auf- und niedergeschritten und empfand wohlthätig den Eindruck des großen Schauspieles. Er fühlte sich ruhiger, seine Seele war beschäftigt und die Phantasie mit ihren thörichten Bildern in den Hintergrund getreten. Er bemerkte niemand auf dem Verdeck, als den Steuermann, der, in seinen nordländischen Bärenpelz gehüllt, still am Ruder saß und seinem Geschäfte mit gewohnter Aufmerksamkeit oblag. Auf Rolands Frage verkündigte er heiteres Wetter für den nächsten Tag und überhaupt, wenn sich der Wind so günstig erhielt, wie bisher, ein baldiges Ende der Fahrt. Vergnügt über diesen Bescheid berechnete schon der junge Abentheurer die Tage, die noch bis zum Wiedersehen der schönen Margaretha vorübergehen würden, die Zeit, welche seine kühn entworfene Reise über die mächtigen Grenzgebirge, welche Norwegen von Schweden trennen, erfordern dürfte; als ein schmerzlicher Klagelaut, ein Ton der Verzweiflung vom Vorderdeck her an sein Ohr drang. Er lauschte aufmerksamer: der Ton wiederholte sich. Er erklang, wie in abgesetzter, oft unterbrochener, leidenschaftlicher Rede. Behutsam näherte sich Roland dem Sprechenden. Diesen entdeckte er endlich am Rande des Schiffes, neben der hochemporstehenden Tafel, welche die Aufschrift » Concordia« trug und ihren dunkeln Schatten auf den Klagenden warf. Roland stand hinter ihm, ohne von ihm bemerkt worden zu seyn. Es war Ignotus, der düstre Fremdling. Den einen Fuß hatte er erhoben und auf den Rand des Bordes gestellt, der andere heftete noch am Boden, mit dem Oberleibe und den beiden ausgestreckten Armen schwebte er über den Wellen, auf der die Sternennacht und das Nordlicht wiederspiegelnden Wasserfläche erschien sein Haar wild emporgerichtet, irgend ein Gegenstand, den ihm unten seine entflammte Einbildungskraft darstellte, mochte alle seine Seelenkräfte an sich ziehen. Seine Lage war höchst gefährlich, eine plötzliche ungefähre Bewegung des Schiffes konnte ihn hinabstürzen. Rolands kraftvolle Hand schwebte über ihm, bereit bei der leisesten Drohung eines Unheils ihn zu ergreifen und zu retten.

»Die Hölle hat mich auf diese Zinne gebracht;« sagte er in einem hastigen, gepreßten Tone. »Da unten ist der Richtplatz. Bald werden sie kommen. Die Trabanten des Wütrichs haben schon ihren Kreis um das Schaffot geschlossen – das Volk drängt sich – aber es ist still, still wie in tiefer Trauer, denn es weiß, daß ein edler Mann gemordet werden soll. – O Vater, Vater! – Horch! Ist das nicht dumpfer Trommelwirbel in der Ferne? Es lacht aber auch dazwischen – höhnisch, teuflisch! Willkommen, Herr König, willkommen mit deiner Begleiterin, der satanischen Furie, die sich von Blut nährt! Meinst du, ich sehe Euch nicht lauschen hinter den Vorhängen jenes Erkers? Mord ist eine Lust, eine Hinrichtung ein Fest für Euch. Wehe! da bewegt sich der düstre Zug um die Straßenecke heran. Ein ernster, großer Blick fliegt zu mir auf – Mann auf dem Richtkarrn, warum trägst du die Gestalt meines Vaters? Ach du bist es ja selbst und dieser Blick war dein letzter Abschiedsgruß! Da hält der Richtkarrn, da betritt der Mann fest und ruhig die Stufen des Schaffots – er steigt hinaus – er hebt die Blicke zum Himmel – der Henker schwingt das Beil. Halt, halt! der Unschuldige darf nicht gemordet werden, ich werfe mich zwischen dich und ihn!«

Seine Rede hatte sich in diesen Worten zu verzweiflungsvoller Gewalt gesteigert, die entfesselte Phantasie riß ihn hin, das schreckliche Wahnbild bemächtigte sich seiner Sinne, er stand im Begriff, sich hinab in die Wellen zu stürzen. Da ergriff ihn Roland's Riesenfaust beim Kragen und schwang ihn leicht, wie ein Kind bis auf die Mitte des Verdecks zurück.

»Wacht auf! Ihr träumt!« sagte mit halblauter Stimme der junge Deutsche. »Gesellen wie Ihr müssen sich still und heimlich halten auf den Schiffen, denn aus ihrer düstern Gegenwart prophezeiht der Seemann Gefahr für seine Reise. Welcher Dämon hatte sich Eurer bemächtigt, welches höllische Gaukelspiel konnte Euch so verblenden, daß, hätte mich nicht der Zufall in Eure Nähe geführt, Ihr Euch den Unthieren des Abgrundes zur Beute hingeben wolltet? Frisch auf, Gesell! Das Leben besitzt tausend heitre Seiten, die ihm seine Reize verleihen. Laßt der Vergangenheit das Unglück, pflückt jedes Blümchen, das Euch die Gegenwart bietet. Blickt auf zum Sternenhimmel, blickt in jenes Licht, das tausend feuerige Garben zu uns herübersendet – sind das nicht Boten einer höhern Macht, die durch sie in unsre Seele spricht: Verzage nicht! Mein Schutz bleibt dir für alle Zeit! Ich bin ein wilder, leichtsinniger Bursch, aber ich trage doch ein festes Vertrauen in mir auf eine Leitung von oben und dieses Vertrauen macht mich eben kühn, froh und sorgenlos.«

Langsam erhob sich Ignotus von dem Boden des Verdecks, auf den er zusammenbrechend niedergesunken war. Er schob das volle blonde Haar von der Stirn, er richtete das bleiche Angesicht, das matte blaue Auge zu Roland empor und versetzte tonlos:

»Ihr sprecht mir da von Dingen, die wie schöne Erinnerungen aus meiner Kindheit tönen. Auch ich war einmal wie Ihr, auch ich vertraute und glaubte fest zu stehn in diesem Vertrauen. Aber es kam ein Tag – Hölle!« schrie er auf: »da war es, als du deine Macht in meine Seele senktest, als du alle Himmelslichter die in meinem Innern glänzten, verlöschtest!«

»Ruhig!« ermahnte ihn wiederum Roland. »Entdeckt mir, was Euch quält. Mittheilung erleichtert das Herz und bei Gott! kann Euch der Roland von Bremen helfen in einer rechtlichen Sache, so ist ihm Blut und Leben nicht zu theuer dazu. Freiheit und Gerechtigkeit! dafür lebe ich, dafür sterbe ich.«

»Ihr seyd ein Deutscher;« antwortete nach einigem Nachdenken beruhigter, aber in einem immerwährend schmerzlichen Tone Ignotus. »Ihr sahet mich in einem Augenblicke entsetzlicher Verzweiflung, die Vergangenheit hatte mich ergriffen mit ihrer furchtbaren Gewalt, sie wollte mich hinabreißen in ihre Vernichtung – da errettetet Ihr mich und wenn ich noch einen Schutzengel habe auf dieser Welt, so ist er in Eurer Gestalt zu mir getreten. O, versichert mich noch einmal, daß Ihr ein Deutscher, daß Ihr kein Däne seyd, und dann will ich die Qualen, die meine Seele zerrütten, die niemand kennt, vor Euch zum erstenmale enthüllen?«

»Wer mich einen Dänen schimpft,« entgegnete mit leichtem Unwillen Roland, »der muß einen Gang mit mir machen auf Schwert und Dolch. Schmach einer Heerde von Sklaven, die sich willenlos von einem blutdürstigen Tyrannen führen läßt nach seinem Gelüst!«

»Wehe mir und meinem Vaterlande, daß ich Euch nicht widersprechen kann!« klagte Ignotus. »Aber ist denn Dänemark mein Vaterland noch?« fuhr er fort: »habe ich nicht jedes Band gelös't, das mich an die Scholle Erde, die mich gebar, fesselte. Ich habe keine Heimath, keinen Namen mehr: Ignotus wandert als ein Fremdling rastlos umher, nur ein Ziel seiner düstern Fahrt gibt es, wo er in der Rache, in der Vergeltung die Heilung seiner Qualen findet.«

»Glaubt das nun und nimmermehr!« wandte mißbilligend Roland ein. »Rache ist ein Glied, das neue Verbrechen an die Kette der alten knüpft; Gerechtigkeit nur gibt dem Leben seine Heiterkeit und seinen freudigen Muth.«

»Hört mich und wer weiß, ob Ihr dann die Rache, zu der es mich treibt, nicht auch für eine heilige Pflicht anseht!« sprach Ignotus.

»Ich vertraue Euch, wie einem bewährten, verschwiegenen Freunde. Habt Ihr nie von Torbern Oxe, dem frühem Günstling König Christian's gehört?«

Die Stimme des jungen Mannes zitterte bei diesen Worten; er preßte krampfhaft Rolands Hand an seine Brust.

»Wie sollte ich nicht?« erwiederte dieser. »Er starb den Tod durch Henkers Hand. Christian ließ ihn in einer seiner blutdürstigen Launen hinrichten.«

»Todt! Todt!« jammerte Ignotus. »Sein ehrwürdiges Haupt gefallen unter dem Beile, sein edles Blut vergossen auf der Richtstätte der Verbrecher! Und ich – ich athme, ich lebe noch! Ewige Himmelsmacht, warum lässest du mich noch leben, wenn es nicht für die Rache ist? Ihr starrt mich an, Ihr vermuthet seltsame Dinge hinter mir. Wißt denn: ich bin Arwed Oxe, des unglücklichen Torbern einziger Sohn.«

Er verhüllte sein Antlitz in beide Hände, er weinte und schluchzte laut. Roland fühlte sie von der innigsten Theilnahme ergriffen, allein vergebens suchte er nach Gründen des Trostes, die in diesen Augenblicken den Bedauernswürdigen hätten beruhigen können.

»Es ist eine schreckliche und wunderliche Geschichte, die meinem Vater das Leben kostete,« fuhr nach einigem Schweigen Ignotus im dumpfen Tone fort: »entstanden in der Seele eines buhlerischen Weibes, genährt durch giftige Ränke, zu Ende geführt von dem Argwohn und dem Blutdurste eines Tyrannen. Ihr wißt, welche seltsame Fügungen des Schicksals die Holländerin Dyweke aus dem Stande eines Schenkmädchens in einem Wirthshause zu Bergen zu der Geliebten Christians erhoben, wie dann die schlaue und ränkevolle Sigbrit, der Dyweke Mutter, alle Macht an sich riß und den schwachen Tyrannen ganz nach ihrem Willen zu lenken verstand. Dyweke starb plötzlich, den König ergriff Schmerz und Verzweiflung bei diesem Verluste. Er verschloß sich in seine Zimmer, er verschmähete Speise und Trank, er wollte sterben, bis es endlich Sigbriten gelang zu ihm durchzudringen und ihn seiner Verzweiflung zu entreißen. Sie erlangte noch mehr Ansehn über ihn als bisher, sie fand ihn zu allem Schändlichen noch gefügiger, denn diejenige war todt, in der er allein die Menschheit geliebt hatte. Ein tief angelegter, lang genährter Plan, meinen unglücklichen Vater zu verderben, gelangte nun zur Reife. Einst hatte er, ein rüstiger und stattlicher Wittwer, die Gunst Sigbrit's verschmäht. Das konnte sie nicht verzeihen, das nagte an ihrer Seele, das hatte ihren Stolz zu tief gebeugt, als daß sie nicht nach dem Blute des Beleidigers dürsten sollte. Der Geist der Lüge mußte dem Höllengeiste in ihr dienen. Die todte Tochter wurde als Anklägerin meines Vaters aus ihrer Gruft heraufbeschworen. Er, der sie verabscheuete, sollte sich ihr mit verbotener Liebe genähert, sollte, nachdem er von ihr zurückgewiesen worden, um sie verstummen zu machen, um sich an ihr zu rächen, durch Gift ihren Tod herbeigeführt haben. Himmel und Erde! Mein edler Vater ein Bettler um die Gunst einer Buhlerin, ein Giftmischer, weil ihm diese nicht geworden! Der Unsinn konnte nur Glauben bei dem schwachsinnigen Könige finden, der in seinem ungemessenen Schmerze um die Dyweke lieber mit Menschen, als mit dem Himmel hadern wollte. Jene konnte er seine Wuth empfinden lassen, diesem mußte er sich unterwerfen. Das sah die ränkevolle Sigbrit wohl ein. Sie häufte Beschuldigungen auf Beschuldigungen, sie klagte meinen Vater noch des Hochverraths, der Veruntreuung königlicher Gelder an, sie verfälschte seine Papiere, sie suchte endlich theils durch Versprechungen, theils durch Drohungen die Richter zu bewegen, das ungerechteste Todesurtheil auszusprechen. Doch diese edlen Männer widerstanden ihren Anerbietungen, wie ihren Drohungen und erklärten meinen Vater für schuldlos. Da rief Christian in seiner blutdürstigen Wuth: ›so werde ich unverdächtige Richter zu finden wissen.‹ Er ließ zwölf Bauern aus dem nächsten Dorfe kommen, sie mit Trabanten, die ihre Spieße drohend auf sie richteten, umgeben und ernannte sie dann zu Richtern über Torbern Oxe. Da thaten sie den zweideutigen Ausspruch: ›wir fällen kein Urtheil über Torbern, aber seine eignen Thaten verdammen ihn.‹ Vergebens bat der päpstliche Legat, der gesammte Reichsrath, die Königin selbst fußfällig um das Leben des Verurtheilten, um Mildrung des Urtheils. Sigbrit ließ sich ihren Triumph nicht entreißen, Christian fand Wohllust in dem Gedanken, das Blut eines Nebenbuhlers bei der Dyweke vom Richtbeile herabträufeln zu sehen, endlich jemanden gefunden zu haben, an dem er ihren Tod rächen konnte. Es war ein finstrer, häßlicher Novembertag – der Himmel verbarg sich, um die frevelhafte Entweihung der Macht, die er in die Hand eines Sterblichen gelegt, nicht zu schauen – als Torbern Oxe mit dem Muthe eines redlichen, schuldlosen Mannes zum Tode ging. Tausende vergossen Thränen bei dem traurigen Schauspiele, tausend andre standen in starrer, bittrer Wuth, aber sie wagten nicht zu handeln, denn die Tyrannenknechte lauschten auf jedes Wort, auf jede Bewegung, um sich neuer Schlachtopfer des königlichen Blutdurstes zu bemächtigen. Glaubt Ihr aber, ich, Arwed Oxe, des Verurtheilten Sohn, sey unthätig geblieben? Mit dem Schwert in der Hand durchbrach ich die Reihen der Trabanten und stürzte auf die Henkersknechte, die meinen edlen Vater umringt hatten. Da fühlte ich mich von hinten ergriffen, entwaffnet und fortgeschleppt. Wohlmeinende Freunde hatten sich meiner bemächtigt. Sie brachten mich glücklich hinweg in ein abgelegenes Versteck. Ich war in einen bewußtlosen Zustand verfallen. Als ich wieder zu mir kam, war Alles geschehn, ich besaß keinen Vater mehr, mich selbst hatte der Tyrann, aus Gnade nur, auf ewige Zeiten aus dem Vaterlande verbannen lassen. So bin ich denn nun kein Däne mehr, so irre ich umher, als ein Ausgestoßener, als ein Heimathloser. Aber Etwas aus Dänemark habe ich doch mit mir genommen,« setzte er leise und verbissen hinzu, »einen guten dänischen Dolch, um einmal Christians Herz damit zu treffen.«

»Ihr tragt doch keinen Meuchelmord im Sinne?« sprach finster der junge Deutsche. »Glaubt Ihr, eine Unthat durch eine andre zu versöhnen?«

»Die Rache wählt nicht in ihren Wegen;« versetzte Ignotus: »sie stürzt sich auf ihr Opfer, wo sie es erreichen kann.«

»Nur die Gerechtigkeit straft; die Rache fodert zu neuer Strafe auf;« sagte Roland. »Greift Euren Feind offen an, stellt Euch ihm im Felde gegenüber. Geht nach Schweden. Dort kämpft ein wackres Volk gegen Christians Tyrannei. Auch in Dänemark regt sich's. Die Galgen auf allen Märkten, die Schaffote in den Städten machen die grausam Unterdrückten nicht mehr fürchten; denn vor der Verzweiflung verstummt die Furcht. Die ewige Gerechtigkeit schreitet unwandelbar ihren Gang, wie die Weltgeschichte. Wenn einst diesem Christian das Szepter, das er zum Richtbeile erniedrigt, entwunden ist, wenn er auf schmählicher Flucht, als ein Bettler in fremde Länder entweichen muß – und das wird geschehn, denn die Grausamkeit gewinnt keine Freunde – dann seyd Ihr gerächt und wenn Ihr selbst mitgewirkt habt zu dem großen Werke, dann bewährtet Ihr Euch als einen guten Dänen, als einen wackern Sohn, der das Andenken eines edlen Vaters würdig zu ehren wußte.«

Roland hatte mit ungewöhnlichem Ernste gesprochen. Sein redliches Herz bebte vor dem Gedanken eines Meuchelmordes, selbst an dem ärgsten Feinde, zurück. Ignotus blickte düster vor sich nieder in die Wellen. Eine schmerzliche Empfindung bemächtigte sich seiner.

»Ach,« sagte er mit einem tiefen Seufzer, – »kann ich denn, wie ich will? Bin ich denn frei in meinen Entschlüssen, bin ich Herr meiner Handlungen? Ihr habt mich gesehen in einer furchtbaren Stunde. Oft kommen solche Stunden über mich. Dann weiß ich nichts von dem, was ich thue, dann bin ich einer dunkeln, Verzweiflung und Entsetzen dringenden Macht verfallen, dann lebt in mir ein fremdes Wesen und höhnt mich oder spiegelt mir gräßliche Dinge vor, die mit einemmale als Wirklichkeit auf mich einstürmen. Hört, mein deutscher Freund,« sagte er leiser, indem er sich eng an Roland drängte, »das ist der Wahnsinn, der mir seine Kette überwerfen will! Wer rettet mich vor dem, wer hält ihn zurück, daß er nicht seine glühende Krallen in mein Gehirn schlägt?«

Roland schauderte unwillkürlich zusammen. Dann nahm er seine gewohnte Kraft, seinen frischen Jünglingsmuth zusammen und sprach: »Ich will Euch einen Vorschlag machen, mein wunderlicher Gesell! Man sagt mir nach, ich besitze ein leichtes Blut und ein fröhliches Gemüth. So viel ist gewiß, daß die Sorgen des Lebens mir wenig anhaben können, daß ich keine Furcht vor Menschen kenne, daß ich heiter und lustig meines Weges wandle und auch mit jener dämonischen Macht, die Euch, wie Ihr sagt, zum Oeftern überfällt, wohl fertig zu werden gedenke. Kommt mit mir, werdet mein Reisegefährte! Das Ziel meiner Reise liegt weit, jenseits der ungeheuern Berge, die Norwegen von Schweden trennen. Da hat der Mensch seine ganze Kraft, seinen ganzen Muth, alle Aufmerksamkeit und Thätigkeit seines Geistes aufzubieten. Unter diesem Ringen werdet Ihr vergessen lernen, vor der Macht der Natur in ihren gewaltigen Erscheinungen wird die Macht Eurer bösen Geister erliegen und wenn wir erst drüben sind im schönen Thalgrunde, den der reizende Dal-Elf Elfen heißen in Schweden die Flüsse und Ströme. durchströmt, im heitern Lande Dalarne, wo die blonden, rothwangigen Mädchen mit den treuen blauen Augen wohnen, da werdet Ihr Euch hoffentlich verlieben und die Liebe ist das beste Heilmittel für Kranke Eurer Art.«

 

Ignotus antwortete nichts auf den wohlgemeinten Antrag des jungen Deutschen. Er drückte dessen Hand, die er noch immer gefaßt hielt, dann wandte er sich ab, hüllte sich tief in seinen Mantel und zog sich in das Innere des Schiffes zurück.

»Armer Junge!« sprach Roland ihm nachsehend. »Das Schicksal hat dir hart mitgespielt, aber für alle Wunden, die das Leben schlägt, besitzt es auch Arzneien und es kommt nur darauf an, die rechte, die deinem Uebel entspricht, aufzufinden.«



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