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Fünftes Kapitel.


Männerbosheit stellt dir Schlingen,
Frauenhuld hilft dir heraus.

Die Begebenheiten des jungen Helden, den die Vorsehung bestimmt hatte, Schweden von der blutigen Tyrannei des Nero im Norden – wie gleichzeitige Geschichtschreiber Christian den Zweiten von Dänemark nennen – zu befreien, fangen jetzt an, zu eng sich in unsre Geschichte zu verflechten, als daß wir nicht auch ihnen eine besondere Aufmerksamkeit widmen müßten. Wir wissen, daß er sich von seinen Freunden Roland Doneldey und Rasmus Jute in der Absicht getrennt hatte, den Beistand eines schwedischen Ritters, der früher unter seinem Commando sich ausgezeichnet, aufzufordern. Die strenge Jahreszeit begünstigte seine Wanderung. Leichte Skyen trugen ihn über die Schneeflächen, so wie über die Eisdecken der Ströme. Bald befand er sich in der Nähe von Ornäs und es galt nur noch einen Fluß zu überschreiten, der im tiefen Felsenbette lag und von dem es dem königlichen Flüchtling zweifelhaft schien, ob sein Eis stark genug sey, ihn zu tragen.

Vorsichtig klimmte Gustav Wasa zwischen den Zacken der sehr steilen Felsenwand hinab. Die Skyen waren auf seinem Rücken befestigt, die Axt, welche er mit sich führte, in seinem Gürtel. Mit äußerster Vorsicht mußte er seine Schritte lenken. Jeder Fehltritt konnte ihm augenblickliches tödtliches Verderben bringen. Fernher aus dem Hintergrunde der Schlucht hörte er einen Wassersturz rauschen, dessen Getöse ihm die Gewißheit gab, daß nicht weit von der Stelle, wo er sich befand, erst der Fluß angefangen habe, eine Oberfläche von Eis anzusetzen und daß dieses bei der raschen Strömung seiner Wogen, auch hier erst eine unbedeutende Stärke erlangt haben könne. Er stand am Uferrande und schaute bedenklich hinüber. Allein das Werk mußte gewagt seyn, wenn er nicht auf dem Wege, den er gekommen, zurück kehren sollte, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, den dänischen Schergen, die jetzt wahrscheinlich von Falun aus seine Spur verfolgten, in die Hände zu laufen. Er nahm seine Axt zur Hand und öffnete mit ihrer Hülfe das Eis am Ufer. Es zeigte sich stärker, als er vermuthete. Jetzt wagte er selbst die Eisdecke zu betreten. Sie bog sich unter seinem Schritte, allein sie brach nicht. Unerschrocken setzte er seinen Weg fort. Lag doch vor seinem Geiste das Bild einer großen Zukunft, das jede Furcht vor einer zweifelhaften, gering scheinenden Gefahr verbannte! Schon hatte er die Mitte der mehr und mehr schwankenden Eisdecke überschritten, schon war er dem jenseitigen Ufer nahe, von dem ein herabneigender alter Weidenstamm seine Hülfe bot, als sich plötzlich das Eis unter ihm öffnete und er mit einer Geschwindigkeit in die Tiefe des Stroms hinabfuhr, die ihn fast aller seiner Besonnenheit beraubte. Das Heil Schwedens, seine glückliche Zukunft schien einige Augenblicke für immer unter die Eishülle eines sonst unbedeutenden, namenlosen Bergstroms begraben zu seyn. Aber Wasa's Stern leuchtete noch. Der junge Held tauchte wieder empor, es gelang ihm, mit der Hand einen Zweig jener alten Weide zu ergreifen, der freilich bei dem Versuche, sich an ihm emporzuschwingen, gebrochen seyn würde, allein mit der andern Hand trieb er mit einem mächtigen Schlage die Axt so tief in den Stamm selbst ein, daß er nun an dieser einen festen Halt gewann und sich dann mit Hülfe des Baumes an das rettende Ufer schwingen konnte.

Gustav Wasa's an Ungemächlichkeiten aller Art gewöhnter Körper, empfand keine nachtheiligen Folgen von diesem kalten Bade, in das er unerwartet tauchen mußte. Mit raschen, belebtern Schritten eilte der junge Mann weiter, immer nur sein großes Ziel vor Augen, das er, wie eine Prophetenstimme in seiner Brust verkündete, trotz aller Hindernisse, trotz der Verlassenheit, in der er jetzt umherirrte, trotz aller Feinde, welche seine Pfade umlagerten, erreichen würde. –

Der Edelhof Ornäs, den Ritter Arndt Ornflykt mit seiner Hausfrau Barbara bewohnte, war ein einsam am Fuße der Hochgebirge gelegenes Haus, dessen ganze Bauart noch von der Einfachheit der damaligen Zeit und von den wenigen Bedürfnissen, welche selbst die angesehenern Männer des Thallandes in Beziehung auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt empfanden, zeugte. Es bestand aus aufeinandergefügten rohen Baumstämmen, die bis unter das weit überhängende Schindeldach hinaufreichten. Diesem nahe lief ein offener Umgang um das ganze Haus, in dem hochangehenden Dache selbst waren noch Gemächer angebracht, deren Fenster weit bis zum Rande hervortraten. Das Haus selbst stand vereinzelt, die Stallungen und Scheuern, welche dazu gehörten, lagen in einiger Entfernung. Man schien wenig auf die Erhaltung des Ganzen zu verwenden, das an manchen Stellen schon Spuren des beginnenden Verfalls, des Erliegens unter den Einflüssen der Zeit und der Witterung zeigte.

Arndt Ornflykt war ein Mann in schon vorgerückten Jahren. Er hatte unter Sten Sture gegen die Dänen gekämpft, mit Gustav Wasa, der damals das Reichspanner führte, in mancher Schlacht gefochten. Sein Aeußeres entsprach den Andeutungen, welche wir bereits aus Jute's Munde vernommen. Er hatte röthliches Haar, ein listiges Auge und eine Geschmeidigkeit in seinem Benehmen, die ihm leicht das Wohlwollen eines arglosen Menschen gewinnen konnte. In der That aber war er zweizüngig, ein Haustyrann und mit seinem Schicksale, das ihm nur ein unbedeutendes Vermögen zugewiesen hatte, im höchsten Grade unzufrieden. Sein Kopf war beständig mit Projekten angefüllt, welche die Verbesserung seiner Lage betrafen, deren Ausführung ihm helfen sollte, den alten Glanz seines Hauses herzustellen. Je öfter er sich in der Verwirklichung jener Projekte täuschte, desto mehr mußte es seine junge Hausfrau, eine in der Welt vereinzelt stehende Waise, empfinden. Er behandelte sie mürrisch, mehr als eine Untergebene, denn als eine ihm in Liebe und Treue nahestehende Lebensgefährtin. Sie ertrug Alles geduldig, sie war immer bemüht, jeden Anlaß, der ihren Eheherrn mit neuem Unmuthe erfüllen konnte, zu entfernen, sie übte die genaueste Sparsamkeit und suchte jedes Uebel, welches ihr Mann, durch seine Entwürfe verleitet, andern zufügte, in der Stille wieder gut zu machen.

Wir finden Beide in einem kleinen Gemache, dessen Wände mit Holz getäfelt sind, welches durch die Zeit braun gebeizt worden, dessen Fenster auf den Umgang des Hauses hinausgehn, so wie auch eine Thüre, der eine andre in das Innere der Wohnung führende gegenüber liegt. Die Wände sind mit einigen Geweihen von Elenthieren geschmückt; sonst zeigt das Gemach nur wenige, aus Holz plump verfertigte Geräthschaften. Eine schmale Treppe führt in den obern Theil des Hauses.

Frau Barbara war an einem Webestuhle beschäftigt, ein Zeug zu bereiten, das für ihren eigenen, wie für den Bedarf ihrer wenigen weiblichen Hausgenossen diente; Arndt stand an einem Fenster und trommelte brütend auf die kleinen Hornscheiben, durch welche nur ein spärliches und dämmeriges Licht in das Innere des Zimmers fiel. Er lächelte vor sich hin, wie jemand, der eine willkommene Erscheinung hat oder den irgend ein freudiger Gedanke erheitert. In diesem Lächeln lag aber auch etwas Tückisches, Hinterlistiges, ein häßlicher Ausdruck, den die Regung eines bösen Gedankens im Innern des Mannes verrieth.

»Wenn dieser Gustav Wasa,« unterbrach er plötzlich die herrschende Stille, »der jetzt flüchtig in den Wäldern von Dalarne umherirren soll, auf dessen Einliefrung ein so hoher Preis steht, sich meiner, seines ehemaligen Waffengefährten und Untergebenen erinnern, wenn er, einem läppischen Gefühle vertrauend, in Ornäs eine Zuflucht suchen sollte – Weib, dann wäre unser Glück gemacht, dann müßte mir nach Jahr und Tag dieser Edelsitz mit steinernen Mauern und Thürmen prangen, dann sollten so viele Nachbarn, die sich jetzt des Umganges mit dem herabgekommenen Rittersmanne schämen, wieder neidisch herüberblicken nach uns, die Pforten unseres Hauses suchen, aber verschlossen finden, wie treulose Hunde, denen man den verschlossenen Stall nicht wieder öffnet.«

»Gewiß,« sagte ruhig, ohne den wahren Sinn dieser Worte zu ahnen, Barbara, »würde dir die Erscheinung deines ehemaligen Hauptmanns, des ruhmvollen Helden von Brän und Stäke willkommen seyn! Wenn ihn jetzt das Unglück heimsucht, so ist dieses für jeden edlen Schweden ein Grund mehr, ihm in seinem Hause ein Asyl zu öffnen, ihm jeden ritterlichen Beistand zu leisten und Alles zu thun, den tapfern Königssprößling mit seinem Mißgeschicke zu versöhnen.«

»Willkommener sollte mir niemand seyn, als er!« versetzte, sich im Vorgefühle dieser Möglichkeit froh die Hände reibend, mit einem zweideutigen Blicke Arndt Ornflykt. »Nichts sollte mir zu kostbar seyn, ihn zu fesseln, und sein Mißgeschick müßte bald, ehe er es selbst dächte, ein Ende nehmen. Auf einen solchen Gast wäre ich schon eingerichtet, die Freunde habe ich mir bereits erwählt, die ich einladen würde, ihn festzuhalten, und, wie schon gesagt, die gute Zeit der Vorfahren müßte wieder einziehn auf Burg Ornäs.«

Barbara hatte unter diesen Aeußerungen ihres Mannes die Augen von ihrer Arbeit erhoben und ihn forschend angeblickt. Sie erkannte in seinen Zügen jenen Ausdruck von Falschheit, der ihm eigen war, wenn sich sein Gewissen über einen bösen Streich, den er gegen irgend jemand im Sinne führte, beruhigt, wenn er eine seinen Ansichten über Recht und Unrecht entsprechende Ueberzeugung gewonnen hatte, die ihn zur Ausführung seines entworfenen Planes bevollmächtigte. Sie erschrack, mit Entsetzen erfüllte sie der Gedanke, daß ihr Mann niedrig genug seyn könne, den alten Waffengenossen, einen der edelsten Helden Schwedens, auf den sie noch eine stille Hoffnung für die Befreiung des Vaterlandes setzte, wenn dieser vertrauungsvoll die Schwelle seines Hauses beträte, zu verrathen.

»Um Gott, Arndt,« sagte sie unruhig und betreten, »du wärest doch nicht fähig, um eines schmachvollen, fluchbeladenen Sündengeldes willen, ihn seinen Feinden auszuliefern! Nein, nein, Arndt! Ein solcher Gedanke kann nicht in die Seele eines schwedischen Ritters kommen. Man würde den unglücklichen Helden auf das Blutgerüst bringen, wie es nach einem dumpfen Gerüchte schon seinem Vater ergangen ist, nur sein Tod vermöchte der Furcht des Dänenkönigs, der in ihm, obgleich er allein und hülflos dasteht, seinen gefährlichsten Gegner sucht, ein Ende zu machen.«

»Thörin!« erwiederte lachend Ornflykt. »Hätten wir ihn nur erst hier, das Uebrige sollte sich dann zu deinem und meinem Wohlergehn schon finden. Im Uebrigen,« fuhr er finsterer fort, »steht einem Weibe, das seine Pflicht kennt, keine Stimme in solchen Dingen zu. In Rath und That ist sie auf das innere Hauswesen angewiesen, auf dessen Erhaltung und Gedeihen. Die Spindel und der Webstuhl sind die Waffen, die sie zu führen hat, die Küche und der Hof sind ihre Turnierplätze. Was begreift sie von ritterlichem Sinne, von ritterlichem Werke? Die Zeiten der chevaleresken Thorheiten sind vorüber. Man zieht nicht mehr auf Abentheuer gegen Riesen und Kobolde aus, man ist klug genug geworden, einem Danke aus weiblichen Händen zu Gefallen nicht mehr das Leben auf die Spitze des Schwertes oder der Lanze zu setzen. Jetzt ist die Zeit des Erwerbens, des Gewinnens gekommen. Was die Vorfahren bei'm Aufwande solcher zwecklosen, ritterlichen Spiele verschwendet, das müssen wir jetzt auf tausend Wegen wieder zu erlangen suchen. Schlimm genug, daß es so ist! Unsre Väter hätten uns wohl ein besseres Erbe hinterlassen können.«

»Schmähe nicht die Vorfahren und die gute alte Zeit!« sagte bedeutungsvoll Barbara. »Als die Frauen noch auf solche Weise geehrt wurden, herrschte noch Treue und Glaube, und, um in ihren Augen achtungswerth zu erscheinen, mußte mancher sich dazu bekennen, der sonst um eines schnöden Vortheils willen leicht einer Versuchung zum Bösen erlegen wäre. Auch damals waren die Frauen fleißig und sorgsam wie jetzt, sie versäumten keine Pflicht, die ihnen ihre Stellung auferlegte, allein sie genossen auch wieder einer Freiheit, die ihr Leben erheiterte, eines Einflusses auf die Männer, der ihnen wohlthat, da sie ihn zum Guten verwenden konnten. Noch besitzen die Weiber unsrer Landleute diese Vorzüge, während wir, die edeln Ehehälften der Ritter, in einer trüben Sklaverei schmachten.«

»Eben weil Ihr Ritterfrauen und keine Bauerweiber seyd!« gab hohnlachend Arndt Ornflykt zur Antwort. »Ein Bauernweib hat nichts zu beherrschen, sie ist Herrin und Dienerin zugleich und muß selbst die Geschäfte verrichten, zu deren Uebung sie die Nothwendigkeit zwingt. Was hat der Bauer von Dalarne groß zu thun und zu berathen, wozu nicht selbst ein thörigtes Weib seine Stimme, seine Hülfe leihen könnte? In unsern Edelsitzen ist es anders. Da waltet die Hausfrau durch ihre Dienerinnen und indem sie diese beherrscht, findet sie Befriedigung ihres Stolzes und ihres Ehrgeizes. Mehr aber muß sie nicht verlangen. An der Schwelle des Hauses, an der Grenze des Hofes, bei ihrer obersten Zofe hört ihr Regiment auf. Was sonst zu thun ist, gehört dem Manne an. Er überlegt, er beschließt und entscheidet. Ein Thor, der sich den Einflüstrungen eines Weibes, das von tausend Schwächen, von tausend Launen geleitet wird, unterwirft! Was versteht sie von Welthändeln, was von einem Benehmen, das zu diesen gut und tauglich ist? Männliche Thaten sind ein Anderes, als ein Spiel mit der Spindel oder am Webstuhle!«

Ornflykts Benehmen gegen seine Frau würde sich bei einer Fortsetzung des Gesprächs wie es gewöhnlich in solchen Fällen geschah, zu roher Härte gestaltet haben, wenn nicht beide durch den Eintritt eines Dieners unterbrochen worden wären, welcher einen Fremdling meldete, der durchaus den Herrn des Edelsitzes zu sprechen verlange. Er harre unten im Gange des Hauses, sein Anzug sey schmutzig und zerrissen, und so oft man ihn bedeutet habe, er solle sein Anliegen nennen, damit man es Herrn Arndt hinterbringt, so bestehe er doch hartnäckig darauf, Eingang bei diesem selbst zu finden. Ein wunderlicher Gedanke, veranlaßt durch die Unterhaltung, welche er eben mit Barbara gehabt, keimte in dem Ritter auf. Er fragte hastig nach Gestalt und Gesichtsbildung des Fremdlings und nachdem ihm hierüber der Diener, so gut er vermochte, Nachricht gegeben, sagte er bewegt:

»Führe ihn sogleich herauf! Ich will allein mit ihm reden; niemand soll uns stören.«

Eine seltsame Unruhe zeigte sich in seinem ganzem Wesen. Er lehnte sich, eine gleichgültige Stellung annehmen wollend, in eine Fenstervertiefung, allein seine Wangen färbte eine dunkle Röthe, die Adern seiner Stirn traten ausgezeichneter hervor, seine Blicke, die sonst unstät umherirrten, weilten mit dem Ausdruck der gespanntesten Erwartung an dem Eingange: in Allem was er that, trat eine ungewöhnliche, in ihrem hergebrachten Gange beunruhigte Gemüthsstimmung an den Tag.

Barbara hatte wenig auf die Bothschaft des Dieners, auf die Unterredung ihres Mannes mit diesen, so wie auf Arndts Antwort gehört. Sie überließ sich den trüben Gedanken, welche die letzten Aeußerungen Ornflykts über die gänzliche Entwürdigung ihres Geschlechtes in ihr erregen mußten. Sie war, da sie schon in früher Kindheit ihre Eltern verloren hatte, in einem Kloster in Upsala erzogen worden, das vor mehr als hundert Jahren eine Dame aus dem Hause Wasa gegründet. Hier fand sie in der würdigen Aebtissin eine liebevolle Mutter, hier nahm ihre Seele die Weihe einer wahren Frömmigkeit in sich auf, hier erhielt sie eine für jene Zeit ausgezeichnete Erziehung. Indem sie so an Geist und Gemüth ihrem Manne weit vorstand, mußte sie dessen Mangel an jeder erhebenden, religiösen Ueberzeugung, dessen leichtsinniges Spiel mit den heiligsten Dingen, dessen Wankelmuth in jeder würdigen Lebensbeziehung, dessen ganz gemüthloses, alle Rücksichten höhnendes Streben nach Bereicherung, um so tiefer und schmerzlicher empfinden. Die Geschmeidigkeit, die er bei der ersten Annäherung gezeigt, hatte sie getäuscht; Verwandte, welche müde waren, das Kostgeld für sie im Kloster zu bezahlen, drängten sie zu einer Verbindung, die sie eingehn mußte, ohne den Mann, dem sie für die Lebenszeit ihr Schicksal anvertraute, zu prüfen und genau kennen zu lernen. Bald fiel die Larve, unter der Ornflykt sich wohlgefällig zu zeigen gewußt, bald sah sie ein, daß sie sich einem Despoten geopfert, dessen ganzes Streben, dessen Gesinnungen sich nie mit den ihrigen friedlich vereinigen konnten. Sie trug still und gelassen das Unabänderliche, sie übte Gutes, wo sie vermochte, sie duldete schmerzlich bei der Erkenntniß des Bösen, das sie nicht zu verhindern, dessen Folgen sie nicht zu lindern vermochte.

Erst als der Fremdling, den der Ritter erwartete, das Zimmer betrat, fühlte sie sich von den trüben Empfindungen befreit, mit welchen ein Rückblick in die traurige Vergangenheit sie erfüllt hatte. Mit Erstaunen betrachtete sie die edle Gestalt, die sich hier in niedre Kleidung gehüllt, dem Mangel und der Heimathlosigkeit, wie es schien, preisgegeben, ihr zeigte. Mit noch größerem Befremden aber sah sie ihren Mann plötzlich in ungemeiner Bewegung seine Stelle verlassen, mit erhobenen Armen auf den Fremden rasch zuschreiten – dann aber mit einemmal ihn ruhig stehen bleiben, einen bedeutungsvollen Blick dem Eintretenden zuwerfen und sich hierauf kalt zu ihr werden, indem er sagte:

»Verlasse uns, Barbara! Ich habe mit diesem Manne Dinge zu besprechen, die sonst keines Sterblichen Ohr vernehmen darf. Achte wohl darauf, daß wir nicht gestört werden! Besorge eine Erquickung an Speise und Trank, aber Alles du selbst, laß keinen von den Dienern dieses Gemach betreten!«

Indem er dieses sprach, glänzten seine Blicke, Frau Barbara erkannte jenen unheimlichen, nichts Gutes verkündigenden Ausdruck in ihnen, dessen wir früher schon gedachten. Die Erscheinung des Fremdlings, dessen ritterliche Haltung, ohngeachtet der elenden Kleidung, mit der er bedeckt war, ihrem feinen Blicke nicht entging, erfüllte sie mit düsterer Ahnung und Besorgniß. Sie erinnerte sich dessen, was Ornflykt von Gustav Wasa, von seinem Mißgeschicke, von seinem Umherirren in diesen Bergen, von dem Preise, der auf seinem Kopfe stand, erzählt hatte. Wie, mußte sie, während sie im Hinausgehn den Fremdling noch einmal rasch betrachtete, zu sich selbst sagen: wenn in diesem Manne, der wohl das Gepräge eines Verfolgten, eines Geächteten trägt, der königliche Sprößling der Wasa bei einem alten Waffenbruder ein Asyl gesucht, wenn er sein Vertrauen kühn und edel gewagt hätte, um vielleicht – dieses vielleicht schien der wackern Frau nur zu gewiß – Verrath statt der gehofften Freundschaft, Verderben statt des erwünschten Beistandes zu finden, was bliebe ihr zu thun dann übrig, was konnte sie unternehmen, den edeln Helden, den sie verehrte, dem Untergange zu entreißen? Sie beschloß, sich Gewißheit über diese Vermuthung zu verschaffen, sie wollte dann, wie es die Umstände erheischten, Alles wagen, um die Beruhigung zu gewinnen, Alles von ihrer Seite gethan zu haben, eine Untreue an dem alten Kampfgefährten, ein Verbrechen an dem vertrauenden Gastfreunde zu verhindern.

Kaum sah sich Arndt Ornflykt mit dem seltsamen Fremdling allein, so eilte er in großer Bewegung, mit den Anzeichen einer Freude, die sein ganzes Wesen ergriffen zu haben schien, auf diesen zu, nahm seine Hand, drückte sie fest an seine Brust, und rief in einem Tone, der nur Wahrheit und Innigkeit der Gefühle darlegen sollte:

»Gesegnet sey dieses Gemach, daß Euer Fuß es betritt, gesegnet dieses Dach, das Ihr es erwählt, darunter zu weilen! Welche Freude für mich, daß Ihr Arndt Ornflykt, Euern treuen Arndt Ornflykt, der stets bereit war, Blut und Leben für Euch zu opfern, nicht vergessen habt! Aber diese niedrige Kleidung, dieses elende Gewand eines armen Tagelöhners sollen nicht länger die edle Gestalt Gustav Wasa's entstellen! Erlaubt, daß ich Euch meine ritterliche Kleidung, daß ich Euch einen Anzug hole, so gut ihn ein armer schwedischer Edelmann zu geben vermag!«

»Laßt das!« sagte ihn zurückhaltend Gustav Wasa. »Noch ist die Zeit nicht gekommen, wo ich mich vor der Welt wieder nennen, wo ich anders, als ein unbedeutender, keinen Argwohn erregender Landmann erscheinen darf. Du kennst vielleicht nicht mein Schicksal. Ich bin verfolgt und geächtet. Allenthalben lauert der Verrath auf meinen Schritten. Ein hoher Preis steht auf meinem Haupte. Nimmst du den Geächteten auf in deinem Hause, Ornflykt?«

»Mit Freuden!« versicherte hastig der Edelmann. »Haben wir nicht zusammen gefochten gegen die dänische Tyrannei, sind wir nicht von gleichen Gesinnungen für das Vaterland beseelt? Mag König Christian seine Schergen schicken. Sein Hausrecht wird Arndt Ornflykt mit dem Schwerte in der Hand zu behaupten wissen, und in wenigen Stunden rufen die Hörner unsrer Hirten Freunde und Nachbarn in hinlänglicher Anzahl zusammen, um einige hundert Dänen mit blutigen Köpfen heim zu denen zurückzuschicken, die sie gesandt.«

»So habe ich mich nicht in Euch geirrt, als ich vertrauungsvoll den Weg zu Eurer Wohnung nahm, mein wackrer Arndt!« versetzte Gustav Wasa, indem er nun tiefer in das Zimmer trat und sich hier neben dem großen eichenen Tische niederließ. »Die alten Tage der Freiheitskämpfe blühen noch mit jugendlicher Frische in Eurer Seele und Ihr werdet nicht anstehn, wenn es gilt, aufs Neue die Waffen für das Vaterland zu ergreifen. Und es gilt, mein tapfrer Freund! Die Noth wächst von Augenblick zu Augenblick, die Wellen ihren Stromes dringen immer höher, ihre blutige Fluth droht über ganz Schweden sich zu verbreiten. Laßt uns kühn das Zeichen zum Kampfe gegen das einbrechende Verderben geben! Bewaffnet Eure Diener, Eure Knechte, Eure Hirten! Mitten unter ihnen will ich das Reichspanier erheben, tausende werden, wenn einmal der große Wurf gewagt ist, sich mit uns vereinigen, und dem dänischen Blutstrome entgegen wird der starke Damm sich stellen, hinter dem die Freiheit, die Vaterlandsliebe ihre Triumphe vorbereitet. Euer Name, mein tapferer Ornflykt, wird nach Jahrhunderten noch von späten Enkeln genannt und gepriesen werden, als der eines ritterlichen Mannes, der zuerst mit Gustav Wasa die Größe des Vaterlandes wieder begründet.«

Diese Aufforderung des königlichen Flüchtlings trat zu mächtig und überraschend auf Arndt, der ganz andre Dinge brütete, ein, als daß er sogleich gefaßt genug gewesen wäre, seinem Gaste eine bestimmte Antwort zu geben. Er war verwirrt, er suchte vergebens nach Worten, welche der Meinung Wasa's von ihm entsprachen, ohne zugleich den Anschein einer völligen Uebereinstimmung zu haben. Aus dieser Verlegenheit befreite ihn Frau Barbara, welche in diesem Augenblicke das Gemach betrat, um dem Gaste einige Erfrischungen zu bieten. Sie war nun ihrer Sache gewiß, ihre Vermuthung hatte sich zur Ueberzeugung erhoben, da sie bei dieser Gelegenheit, wo die Noth und die Redlichkeit ihrer Absichten sie vor sich selbst rechtfertigten, nicht verschmäht, dem Gespräche Ornflykts mit dem Gaste so weit ihre geheime Aufmerksamkeit zu leihen, bis jeder Zweifel gehoben. Arndt bemerkte trotz der Zerstreuung, in der er sich befand, daß seine Hausfrau die Wahrheit erkenne, oder ihr wenigstens nahe komme. Sie brachte die erlesensten Speisen, welche ihre Vorrathskammer bewahrte, in silbernen Geschirren, den Wein, der nur für seltene Gelegenheiten aufgehoben wurde, in dem alten Familienpokale, der mit jenem Silberzeuge mühesam aus dem Schiffbruche des Hauses Ornflykt gerettet worden. Ihr ganzes Wesen zeigte eine feierliche Haltung. Als bediene sie einen König, näherte sie sich dem Manne im Bettlerkleide und bot ihm mit sittiger Verneigung Speise und Trank. Wohlwollend blickte Gustav Wasa auf die edle Frau, deren ganzes Aeußeres das Gepräge der Tugend und Sittsamkeit trug.

Als sie das Zimmer verließ, weilte sein Auge noch auf der Stelle, wo sie verschwunden war, und er sprach theilnehmend zu seinem Wirthe:

»Ihr seyd ein glücklicher Mann, Ornflykt! Aus dem edlen und bescheidenen Wesen Euerer Hausfrau läßt sich auf Zufriedenheit im ehelichen Leben, auf einen großen Gewinn, den Ihr in Eurem Weibe gemacht habt, schließen. Niemand achte ein solches Gut gering! Die Liebe einer edlen Frau, ihre Sorge für die Ehre des Hauses, für Wohl und Ruhe des Gatten, können durch nichts ersetzt, durch nichts in ihrer beglückenden Wirkung überwogen werden.«

»Ich kann zufrieden mit ihr seyn,« versetzte leichthin der Edelmann. »Immer ist es nöthig, den Frauen keine zu große Herrschaft einzuräumen, da sie doch das eigentliche Treiben und Leben der Welt nie recht erkennen und verstehen lernen. Aber ich habe indessen über Eure Vorschläge, Eure Entwürfe nachgedacht. Freilich scheint die giftige Frucht der Tyrannei überreif zu seyn und ihre Vertilgung duldet keinen Aufschub. Das Reichspanier werde aufgerichtet, jeder wackre Schwede zum Kampfe für das Vaterland aufgerufen! Doch gilt auch hier einige Vorsicht, Vorbereitungen müssen getroffen werden, das Unternehmen in seinem Beginne zu sichern. Erlaubt mir, daß ich Euch auf einige Stunden verlasse, edler Herr! Viele Edelhöfe liegen in diesen Gebirgen zerstreut, auf denen Männer wohnen, denen der Ruhm Eurer Thaten nicht unbekannt ist, denen gewiß der schmachvolle Gedanke der Unterdrückung schmerzlich an der Seele nagt. Ich will sie ausforschen, ich will ihre Gesinnungen prüfen. Ich glaube schon mit Ueberzeugung versichern zu können, daß der Klang Eures Namens hinreicht, sie um Euch zu sammeln, sie zur kühnsten Theilnahme an Euren Entwürfen zu begeistern. Nur wenige Stunden und ich kehre im Geleite von hundert streitbaren Männern zurück!«

Die Art und Weise, in der Ornflykt seinen Rath aussprach, ließ keinen Zweifel an der Wahrheit seiner Worte zu. Auch nicht der entfernteste Argwohn regte sich in Wasa's Innerm. Er glaubte ganz den biedern Waffengenossen wiedergefunden zu haben, für den er Arndt immer gehalten, Jute's Warnungen waren vergessen, überzeugt von seines Wirthes Anhänglichkeit und treuer Meinung, pflichtete er dem Vorschlage, welcher der Lage der Dinge angemessen schien, bei.

»Seht mit Gott, mein wackerer Freund!« sprach er zu dem Heuchler, der im Stillen über das Gelingen seines Betrugs triumphirte. »Bei'm Himmel, mein Glücksstern hat mich gut geleitet, als er mir den Weg zu Euerm Hause zeigte! In Dalarne blühen noch die alten schwedischen Tugenden: Treue an dem Gastfreunde, Liebe bis in den Tod zum Vaterlande. Führt Eure Freunde herbei, gewiß sind auch unter ihnen noch Waffengenossen aus den guten Zeiten Sten Sture's! Aus diesem Hause wird die Freiheit Schwedens, der Untergang von Christians blutiger Tyrannei ausgehn. Sind die Freunde um uns versammelt, dann laßt Feuerzeichen auf allen Bergen aufflammen, die Hörner der Hirten durch die Thäler schallen, die Glocken der Kirchspiele den Sturmruf durch das Land tragen. Es fehlt auch tiefer unten in Schweden nicht an treuen Männern, die dieses Rufes harren und ihn zu deuten wissen. Von den Bergen strömt die belebende Freiheitslust und wird zum Sturme und wirft Alles nieder, was sich ihr feindlich entgegenstellt. Auf, mein treuer, kühner Ornflykt! Heil und Segen mit Euch! Meine Empfindungen überwältigen mich, die lang ersehnte Stunde ist gekommen. Freiheit und Vaterland! Was gilt das Leben gegen einen solchen Preiß?«

Heftig ergriffen von der hoffnungsvollen Aussicht, die sich eröffnete, hatte sich Wasa erhoben und führte den Ritter zum Ausgange des Gemaches. Hier zauderte dieser einige Augenblicke. Das Gewissen behauptete sein Recht, es schlug mahnend an das Herz des Sünders. Dann gedachte er des lockenden Gewinnes, des hohen Lohnes, der dem Verräther gesichert war. Die Habsucht siegte über die Regung edler Gefühle, und mit niedriger Falschheit Gustavs Hand wiederholt au seine Brust drückend, sagte er:

»Verlaßt Euch ganz auf mich, edler Herr! Haltet Euch still und heimlich in diesem Gemache, die Hausleute mögen wähnen, daß Ihr Euch unbemerkt entfernt. Ihr sollt sehen, wann ich zurückkehre, so zeigt sich Alles in einer andern Gestalt. Allein ziehe ich aus, mit treuen Anhängern der gerechten Sache sehet Ihr mich wieder. Blickt freudig in die Zukunft, schmückt sie Euch mit tausend herrlichen Bildern aus. Diese Träume werden sich verwirklichen, Euer Mißgeschick hat sein Ziel gefunden. Lebt wohl, mein edler Herr, ich lasse Euch nicht lange harren.«

Gustav Wasa hörte ihn noch aus dem äußern Gange lebhaft doch unverständlich zu seinen Hausgenossen sprechen. Dann vernahm er bald den Schall eines rasch forttrabenden Pferdes und stand eben im Begriffe, sich in jene schönen Hoffnungen, deren Erfüllung ihm Ornflykt verbürgen wollte, hineinzuträumen, als sich rasch die Thüre öffnete, und in dieser Frau Barbara mit allen Zeichen der höchsten Aufregung, der lebendigsten Besorgniß erschien. Zu Gustavs Erstaunen eilte sie, ohne ein Wort zu sprechen, an ihm vorüber, erstieg hastig jene kleine Treppe, die zu den Dachgemächern des Hauses führte, und verschwand eben so seltsam, wie sie gekommen war.

Während der junge Mann noch überlegte, welche Ursache ein so wunderliches Benehmen veranlassen könne, zeigte sich seine schöne Wirthin schon wieder auf den obern Stufen der Treppe. Mit ängstlicher Eile stieg sie herab, rasch trat sie ihm näher, und die bebenden Hände zu ihm erhebend, sprach sie im Tone der innigsten Theilnahme:

»O, mein edler Herr, warum habt Ihr die Schwelle dieses Hauses betreten, wo nicht die Freundschaft Euer Vertrauen ehrt, wo das heilige Gastrecht ohne Bedeutung, der Verrath käuflich, die Habsucht Beherrscherin aller Handlungen ist? Seht mich nicht an, als sey ich eine Irrsinnige, eine Geistesverwirrte! Laßt uns auf Mittel denken, Euch zu retten, durch eine schleunige Flucht Eure Freiheit zu sichern. Ehe wenige Stunden vergehen, kehrt Ornflykt zurück mit dänischen Häschern, und dann schützt Euch nichts mehr vor der blutigen Grausamkeit des Dänenkönigs.«

Sie befand sich in einem allgemeinen Aufruhre ihrer Seelenkräfte. Die höchste Angst sprach aus ihren Blicken, die edlen Züge des Angesichtes waren entstellt, ein Fieberfrost durchbebte ihre Glieder. Gustav fühlte sich sehr geneigt, diesen Zustand für das Symptom einer ausbrechenden Krankheit zu nehmen, er konnte sich nicht entschließen, an Ornflykts Treue zu zweifeln.

»Ihr irrt Euch, edle Frau!« versetzte er, indem er Barbara's Hand ergriff, um sie nach einem Sitze zu führen. »Beruhigt Euch! Nichts ist geschehn, das Eure Besorgniß um mich rechtfertigen könnte. Euer Eheherr und ich sind im besten Einverständnisse geschieden, um seine Freunde zu erforschen und zum Beistande der gerechten Sache aufzufordern.«

»Mehr mir,« erwiederte die Edelfrau, »daß ich selbst den Gatten anklagen muß, will ich nicht den Fluch einer verruchten That ihn treffen lassen, soll nicht das Geschlecht der Ornflykt ewig als ehrlos im Schwedenlande gelten, soll mich nicht die Theilnahme an dieser Schuld vor Gott und allen Heiligen zur Sünderin machen! Ich weiß, daß Ihr der Prinz Gustav Wasa, daß Ihr geächtet, daß Ihr ein Verfolgter seyd. Ihr glaubtet, bei einem alten Waffenfreunde Schutz und Beistand zu finden. Ihr kennt denjenigen nicht, dem Ihr vertrautet. Nicht die Freunde will er um sich versammeln, er ist zum Vogte nach Falun geeilt, um Dänen herbeizuholen, die Euch gefangen nehmen, um das Blutgeld, das auf Euerm Haupte steht, zu gewinnen. Glaubt mir, mein Prinz, vertraut dem Geständnisse der Warnerin, das ihr so schwer und peinlich fällt. Auch mir gedachte Arndt jenes Märchen von einem Besuche bei den Nachbarn aufzuheften, allein ich bemerkte sein heimliches Geflüster mit den Knechten, die ihm ganz ergeben sind, ich sah, daß sich diese bewaffneten, um ohne Zweifel Euere Entfernung zu hindern. Dennoch wollte ich mich erst ganz überzeugen, ehe ich ihn richtete. Der Weg zu den Freunden führt in das Gebirge, der nach Falun in's Thal. Ihr sahet, wie ich durch dieses Zimmer eilte, wie ich den Söller des Hauses erstieg. Von dort konnte ich die Stelle, wo beide Wege sich trennen, erblicken. O, mein Prinz, welche Beschämung für mich, daß ich gestehn muß, mein Gatte wandelte den Weg des Unrechts, nicht den der Treue und Redlichkeit! Ich konnte es vorauswissen, er hatte schon der Möglichkeit gedacht, Euch hier zu sehn, strafbare Entwürfe keimten in seiner Seele – doch genug von ihm! Es geziemt der Hausfrau nicht, die Schmach des Gatten mehr zu offenbaren, als nöthig. Was ich zu thun habe, liegt klar und bestimmt vor mir: auf jede Gefahr hin muß ich Euch retten!«

»Frau Barbara,« sagte ernst und sich achtungsvoll vor ihr verneigend Gustav Wasa, »man hat mich vor Euerm Gatten gewarnt, man rühmte Euch zugleich als eine tugendhafte, treffliche Frau. Mehr im Vertrauen auf Euch, als auf Ornflykt kam ich hierher; denn wo das Auge eines frommen Weibes über die Ehre des Hauses wacht, da kann der Gast unbesorgt eintreten und wären alle Schätze der Welt zum Lohne eines Verrathes an ihm ausgesetzt. Um Euretwillen mag ich die That Ornflykts nicht verdammen, um Euretwillen werde ich mich bemühen, ihre Erinnerung aus meinem Gedächtniß zu verbannen, so viel das geht, wenn ich Eurer dankbar gedenke. Lebt wohl, Frau Barbara! Ihr seyd eine wackre Schwedin, und ich hoffe, daß die Zeit nicht fern ist, wo Ihr Euch wieder Eueres Vaterlandes und seiner Freiheit erfreuen werdet. Mich trägt mein Fuß wieder in das Dickigt der Wälder, unter Wölfen und Bären habe ich sichrer gelebt, als unter Menschen.«

Mit einem schwermüthigen Blicke wandte er sich ab und schritt der Thüre zu. Frau Barbara aber trat ihm in den Weg und sprach ängstlich:

»Auf dem gewöhnlichen Wege könnt Ihr dieses Haus nicht mehr verlassen! Blicket hinab! Ueberzeugt Euch selbst, wie Ornflykt Sorge getragen, daß ihm das Opfer seiner Treulosigkeit und Habsucht nicht entgehe!«

Sie hatte leise die Thüre geöffnet. Als Wasa hinaussah, bemerkte er im untern Hausgange, am Fuße der Treppe, mehrere wild aussehende Männer, die mit Spießen und Schwertern bewaffnet waren. Er hörte sie über den Landstreicher scherzen, der ihrer Bewachung übergeben sey, er vernahm die Rede eines der rohesten Gesellen, der da meinte, der Gefangene sammt seinen Kleidern sey das Glas Branntwein nicht werth, das der Edelherr jedem von ihnen zum Lohne der ungewöhnlichen Dienstleistung versprochen.

Vorsichtig verschloß Frau Barbara wieder den Eingang. Sie schob, um jede Ueberraschung zu verhindern, den innern Riegel vor. Dann wandte sie sich wieder zu Wasa und sagte:

»Ihr seht, daß man wohl bedacht gewesen ist, euch den Weg zur Flucht zu versperren, aber Gott verläßt die Seinigen nicht und sein hoher Wille kann nicht seyn, daß das Blut des letzten Wasa durch die Schergen des Tyrannen vergossen werde.«

Unter diesen Worten näherte sie sich der Thüre, welche nach dem äußern Umgange des Hauses führte. Sie hatte diese nur wenig geöffnet, als sie sie sogleich wieder verschloß.

»Auch hier kein Ausweg!« fuhr sie fort. »Allenthalben stehen Wachen, rohe Knechte, nur zu sehr dem Willen Ornflykts unterworfen. Ich sehe nur ein Mittel, Euch zu retten!« sprach sie nach einem kurzen Nachdenken weiter. »Vor Nacht kann derjenige, in dessen unselige Gewalt mich das Schicksal gegeben, nicht von Falun zurück seyn. Wenn es dämmerig geworden ist, so müßt Ihr Euch vom obern Boden des Hauses herablassen. Mittel hierzu werde ich aufzufinden wissen. Gott und seine Heiligen werden Euch auf dem gefährlichen Rettungswege unter ihre Obhut nehmen! Bis dahin bürge ich Euch für jedes Haar auf Euerm Haupte! So lange ich lebe, soll keine Gewaltthat gegen Euch geübt werden.«

Gustav Wasa erkannte die große Anstrengung, mit welcher die edle Frau sich in diesen Stürmen besonnen und aufrecht zu erhalten suchte. Er sah sie in einer Wallung, die sie erschöpfen, welche die nachtheiligsten Folgen haben mußte. Er ergriff ihre Hand und sagte in einem gütigen beruhigenden Tone:

»Ich danke Euch für Eure Theilnahme, für diese Sorge um mein Wohl, die aus einer reinen, tugendhaften Seele hervorgeht. Aber Ihr vergeßt Euch selbst, Ihr bringt Euer eigenes Glück zum Opfer, indem Ihr einem Fremden zu helfen strebt. Was habt Ihr von einem Gatten, der seinen Waffengenossen und Gastfreund verräth, zu erwarten, wenn er heimkehrt, und durch Euch denjenigen seinem Netze entrissen sieht, den er schon fest zu halten glaubte, dessen Gefangenschaft ihm den ersehnten großen Gewinn verbürgte? Ihr sollt nicht leiden, Ihr sollt nicht einer Mißhandlung preisgegeben seyn um meinetwillen. Laßt mich hinabgehn zu diesen Leuten und die Macht der Rede auf sie versuchen! Wenn sie gute Schweden sind, so werden sie der Stimme der Wahrheit nicht ihr Ohr, nicht der Erinnerung an bessere Zeiten ihr Herz verschliessen. Zum wenigsten hoffe ich, daß sie mich frei entlassen und Ihr, edle Frau, steht dann außer aller Verantwortung.«

»Nein, nein!« rief heftig Frau Barbara, und nahm voll Besorgniß den Platz zwischen ihm und dem Ausgange ein. »Ihr kennt die Leute nicht, in welche Ihr eine solche Hoffnung setzt. Es sind keine Schweden, sie haben kein Vaterland, keine Heimath, sie ehren das Unglück nicht, sie folgen blos dem Gebote desjenigen, der ihnen Lohn und Nahrung gibt. Es sind Landstreicher von der norwegischen Grenze, die gegen das Ende des Sommers aus den Fjälln herabkommen, um Arbeit und Obdach für den Winter auf den Edelhöfen zu finden. Naht sich der Frühling, so ziehen sie wieder hinaus und nähren sich dort, wie das Gerücht sagt, von Räubereien, von Betrug und Gewaltthat gegen die armen, wehrlosen Lappen. Sie sollen Nachkommen der Schotten seyn, die unter dem berüchtigten Seeräuber Nadock am norwegischen Strande landeten, und von den wehrhaften Einwohnern angegriffen, sich in die Gebirge zerstreueten. Nein, nein, mein Prinz, gegen diese Menschen dürft Ihr nichts wagen! Kommt mit mir! Wir wollen Alles vorbereiten zu jenem Rettungsversuche, von dem wir allein einen günstigen Ausgang erwarten dürfen. Ich zittre, daß Euch ein Mißgeschick auf Burg Ornäs treffen könnte. Die Ehre meines Hauses muß unbefleckt erhalten werden.«

Der schwer bedrängte Flüchtling konnte den Bitten der wackern Frau nicht länger widerstehn. Er schritt ihr voran auf der Treppe zum obern Theile des Hauses, er sah sich hier in einem weiten Raume, der über die ganze Wohnung hinlief und viele Schränke und Kisten enthielt, in welchen mancherlei Vorräthe und andre Dinge zum Bedarfe des Hauses aufbewahrt wurden. Frau Barbara führte ihn zu einem Fenster, das, in der hintern Band des Gebäudes angebracht, die Aussicht nach dem nahen Waldgebirge hatte. Der Raum zwischen dem Edelhofe und der Waldung, dehnte sich in einer leichten Anhöhe hinan, die mit Gesträuchen von mehr als Mannshöhe bedeckt war. Zwischen diesen Gesträuchen zeigte sich das Bett eines Bächleins, jetzt mit Schnee und Eis bedeckt.

»Blickt in diese Tiefe,« hob die Edelfrau an, »und macht Euch mit dem Gedanken, daß sie die einzige Möglichkeit zur Flucht bietet, vertraut. Der Weg ist gefährlich, das Unternehmen kühn. Aber was sage ich das Euch, der keine Gefahr scheut, der sie gewiß oft unter noch drohenderer Gestalt gesehen hat? Eure Freiheit seyd ihr dem Vaterlande schuldig, das seine letzte Hoffnung auf Euch setzt. Mag eine noch so trübe Zukunft, ein noch so tiefes Elend über Barbara Stygsdotter – der Name Ornflykt klingt schmerzlich nach in meiner Seele – verhängt werden, so wird sie, wenn sie von Euern Siegen, von der Befreiung, die Ihr dem Vaterlande bringt, freudige Kunde vernimmt, sich glücklich preisen, ein schwaches Werkzeug gewesen zu seyn, das Gott erwählte, dem Schwedenlande seinen Retter, seinen Beglücker zu erhalten.«

Gustav Wasa fühlte sich tief gerührt. Die Gefahr, der er sich auszusetzen entschlossen war, schreckte ihn nicht; er hatte jetzt nur eine Empfindung: die der Besorgniß über die Zukunft einer Frau, welche von den edelsten Gesinnungen beseelt, ihres eigenen Wohles nicht achtete, um das seinige zu fördern. Er kämpfte mit sich, ob er dieses Opfer annehmen sollte, aber das größere Gefühl für das Vaterland trug den Sieg davon. Er von allen Edlen Schwedens, auf welche das Volk vertraute, war allein noch übrig, sein Leben gehörte diesem Volke, Tausend hatten ein Recht daran, das er nicht aus eigner Willkür beeinträchtigen durfte.

Indessen hatte die Edelfrau eine der größten Truhen, die sich in dem Bodenraume befanden, aufgeschlossen und war bemüht, lange Leinentücher zusammenzuknüpfen, mit deren Hülfe Gustav Wasa den gefährlichen Weg vom Gipfel des Hauses bis zum Boden zurücklegen sollte. Als ihr Gast sie in dieser Beschäftigung erblickte, eilte er, seine Thätigkeit mit der ihrigen zu vereinigen. Während dieser Arbeit ging die Sonne unter und die Schatten der Dämmerung lagerten sich auf das Thal. Noch war das Werk erst zur Hälfte vollbracht und die Angst der Hausfrau, Ornflykt möge mit dänischen Soldaten zurückkehren, nahm von Augenblick zu Augenblick zu. Man verdoppelte die Bemühungen, man arbeitete mit einer Hast, welche alle Kräfte in Anspruch nahm. Endlich war das Werk vollendet. Die Knoten hielten fest ineinander, man hatte nicht zu fürchten, daß diese wunderliche Leiter nicht bis zum Boden reichen werde. Gustav schlug das eine Ende um einen Balken im Innern des Hauses, er ließ das andere durch das Fenster hinab, er prüfte der Sache Festigkeit: er fühlte sich überzeugt, daß der Versuch gelingen werde.

In diesem Augenblicke vernahm man Pferdestampfen von der andern Seite, aus dem Thale herauf.

»Fort, fort!« rief außer sich Frau Barbara. »Er kommt und mit ihm nahen die Henkersknechte des Tyrannen. Da ist ein Schwert, das nehmt mit Euch. Und nun hinab im Namen Gottes und seiner Heiligen! Jene Menschen kennen kein Erbarmen. Gott ist allgegenwärtig und gnädig!«

»Er möge meiner vergessen, wenn ich Euer je vergesse!« versetzte der bedrängte Flüchtling. Zugleich schwang er sich kühn an dem Bande der Leintücher zum Fenster hinaus. Mit einem Gebet auf den Lippen sah die Edelfrau ihm nach. Er erreichte mit Blitzesschnelle den Boden, er sprang dann sogleich in den Graben des Baches, von dessen Seitenwänden verborgen er dem nahen Walde zueilte. Bald verschwand er in die Dämmerung, die mit jedem Augenblicke zunahm.

»Er ist gerettet!« sprach tiefaufathmend Frau Barbara. »Sein Leben steht unter dem Schutze einer höhern Macht, die ihn seiner großen Bestimmung erhält.«

Hastig raffte sie nun die Leintücher, welche die einzige Hülfe in der höchsten Noth geboten, zusammen und verbarg sie wieder in die Truhe. Dann begab sie sich ruhig in dem Bewußtseyn, ein Verbrechen verhindert, eine gute That geübt zu haben, in das Wohngemach zurück. Sie fühlte keine Furcht vor dem ersten Zusammentreffen mit Ornflykt, sie war stark, wie eine Heldin, die überzeugt ist, den Angriff des Feindes durch Muth, Kraft und Würde zu lähmen. Das Geräusch vieler Herannahenden, das Getöse ihrer Waffen ließ sich von der Treppe her vernehmen. Frau Barbara schob den Riegel zurück und öffnete selbst die Thüre, wie eine heilige Märtyrerin, die sich willig einer Sache, welche ihr Inneres begeistert, zum Opfer bringt.



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