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Achtes Kapitel.


Wo der Himmel blickt hernieder
Finden sich auch Freunde wieder.

Roland hatte, ob er gleich am frühen Morgen Mora verlassen, auf dem beschwerlichen Wege zum Styggforsen mehrere Stunden zugebracht, so daß er erst, als die Mittagsstunde schon vorüber war, vor Jute's Wohnung erschien. Unter den nöthigen Besprechungen, unter der Erzählung des schrecklichen Geschickes, das den einsamen Bewohner der Fjälln betroffen, verlief die Zeit sehr schnell und der Abend nahete, als der junge Deutsche den Entschluß faßte, dessen wir so eben gedachten. Er sah ein, daß es zu spät sey, diesen noch heute auszuführen. Zwar konnte die Helligkeit der langen nordischen Nacht seine Wandrungen begünstigen und er war sicher, nicht so leicht von dänischen Spähern belauscht zu werden; allein er fühlte, daß er der Ruhe bedürfe, daß nach der Beschwerde des heutigen Tages selbst sein kräftiger Körper erliegen würde, wollte er noch in dieser Nacht den gefährlichen Rückweg aus den Bergen, in welchen der Styggforsen tos'te, antreten und dann einen Weg fortsetzen, der ihm noch unbekannt war, auf dem sich ihm schwerlich ein andrer Ruhepunkt bot. Indem er sich mit diesen Gedanken beschäftigte, kehrte Rasmus Jute in die Hütte zurück und sprach:

»Ihr müßt Euch gefallen lassen, die Nacht zwischen diesen Felsenstücken, unter diesem rohen Holzdache hinzubringen. Hört Ihr das Brausen des Nordwindes und den Donner der Schneestürze in den Fjälln? Seht dort auf die Schneespitze, die eben der letzte Sonnenstrahl rosenroth färbt? Eben kräuselte es sich, wie ein leichtes weißes Staubwölkchen, jetzt ist es schon zur furchtbaren Schneelast geworden und gleich werdet Ihr den Donner vernehmen, mit dem sie es in den Abgrund stürzt. Es ist nicht gut, in den Gebirgen wandern unter solchen Anzeigen. Bleibt bei mir und versucht, wie es sich auf dem Pelze des Großvaters und unter den Fellen des Goldfußes schlafen läßt. Freilich habe ich zum Nachtessen wiederum nichts, als Bärenfleisch, und zum Nachttrunke nur gesalzenes Schneewasser; aber ich kenne Euch ja, im Felde habt Ihr Euch nicht an leckere Tafeln gewöhnt und Ihr begnügt Euch mit dem, wovon in einem alten Liede die Rede ist:

    Wer in die Berge wandern geht,
Wo frisch der wilde Nordwind weht,
Dess' Lager ist gar oft ein Stein,
Dess' Trank wird Eiseswasser seyn.

    Wer in die Berge wandern geht,
Der Berg- und Waldkost nicht verschmäht:
Sein Leckerbissen wird ein Bein
Vom Bären oder Rennthier seyn.

Seht Euch als Mitherrn meines Feldlagers an. Zwei Leute, die für eine Sache gefochten, vertragen sich auch unter einem Dache mit einander. Morgen früh wollen wir noch ein Weiteres mit einander berathen, ob wir ausziehn gen Ornäs oder hier warten, bis unser edler Freund uns selbst seinen Besuch schenkt. Macht's Euch so behaglich, wie Ihr könnt. Das Wenige, was diese Hütte enthält, betrachtet als Euer Eigenthum.«

Rasmus Jute bemühete sich, durch seine erzwungene heitre Laune, seinem Gast, den er durch die Mittheilung seines Mißgeschickes trübe gestimmt zu haben glaubte, wieder zu beleben. Er scherzte über den Reichthum, den seine Wohnung offenbare, über den Schatz von Edelsteinen, der ihn umgebe und den ihm die Sonne, sobald sie die Eisgipfel träfe, in einem Glanze zeige, der auf Erden von nichts übertroffen werden könne. Weit behaglicher aber fühlten sich die beiden Männer, als sie Abends, nachdem der Eingang der Hütte verschlossen und Alles wohl verwahrt worden, am wärmenden Feuer saßen und von ihrem frühern Kriegsleben, von mancher gemeinsam vollbrachten Waffenthat, von wackern Freunden, die im Kampfe gefallen, sich unterhielten.

Es war schon spät, als sie ihr rauhes Lager suchten. Durch den Rauch, der in der Oeffnung des Daches seinen Ausgang fand, blickten oft einzelne Sterne hernieder und die Dämmerung der langen Winternacht drang auch in das Innere der Hütte. Selten noch hörte man den Donner der Schneestürze, die am Tage, wo die warmen Sonnenstrahlen den Schnee an den Gipfeln schmolzen, häufiger waren. Der Sturm tobte heftig und unter seinem eintönigen Getöse entschlief endlich der junge Deutsche, dessen letzte Gedanken in Mora bei dem schönen Bäschen aus Lübeck weilten.

Durch eine heftige Erschütterung fühlte er sich erweckt. Rasmus Jute stand vor ihm und hatte ihn aus dem Schlafe aufgerüttelt.

»Hört Ihr das Heulen meiner Dogge?« sprach der einsame Bewohner der Wüste. »Das muß ein wunderlicher Besuch seyn, den sie um diese Stunde ankündigt. Wäre es Gustav Wasa, so würde sie nicht so wüthend toben, sie würde nur durch einzelne Laute seine Ankunft bemerklich machen; denn das kluge Thier kennt ihn und weiß, daß er zu meinen Freunden gehört. Es müssen Fremde seyn, vielleicht Dänen, Söldlinge des Vogts, welchen ein höllischer Geist meinen Aufenthalt verrathen hat! Kommt mit, Junker Doneldey! Hier sind zwei Armbrüste, hier sind Bolzen genug, um ihrer Hundert das Lebenslicht auszublasen, ehe sie in die Schlucht dringen. Sie sollen sehn, daß wir das Treffen nicht verlernt haben seit Sten Stures Zeiten. Und kommen wir Mann an Mann, so stehn wir zwei wohl gegen ein halbes Dutzend rother Feldbinden, und hätte sie die scheusliche Sigbrit mit eigner Hand verfertigt.«

Gleich bei den ersten Worten Jutes war Roland von Bremen, sich ermunternd, aufgesprungen. Er griff zu seinem Speere, warf rasch Armbrust und Bolzenack über den Rücken und stand fertig, seinen alten Kriegsgefährten zu begleiten.

»Wenn es nur zu einem Strauß kommt, der auch etwas bedeuten will!« sagte er, während sie rasch zwischen den Felsentrümmern nach dem Eingange des Thales hinschritten. »Seit lange fällt mir das Müssiggehn zur Last und es wird mir wohlthun, wenn ich die Glieder einmal ausrecke in einem tüchtigen Scharmützel. Freilich werden wir, wenn es ihrer Viele sind, mit der Armbrust unser Bestes thun müssen, aber wir können uns, wenn die Bursche nicht allzuflüchtig auf den Beinen sind, einige übrig lassen zum Kampfe mit Schwert und Dolch.«

Obgleich der Mond nicht schien, so war es doch so hell, daß man die Formen aller Gegenstände, welche sich in dem wüsten Thalkessel dem Auge boten, genau unterscheiden konnte. Der öde Grund hatte das Ansehn eines weiten Begräbnißplatzes, dessen Denkmale die Zeit verwittern gemacht und in ihrer ursprünglichen Gestaltung gestört hatte. Die einzelnen Hügel, mit den mächtigen Felsblöcken auf ihren Höhen, erinnerten an die Riesengräber, die man in den Nordländern oft findet und welche damals noch der Glaube der Bewohner heilig hielt. Der schwache Saum eines Nordscheines brach über die Gipfel der Fjälln in das Thal herein und hüllte Alles in ein wunderliches, unsicher schimmerndes Licht.

Die beiden Männer achteten wenig auf diese Dinge. Der eine von ihnen war ihrer zu sehr gewöhnt, um sie noch auffallend zu finden, der andre hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf das gerichtet, was die nahe Zukunft bringen möchte. Er prüfte, während sie ihren Weg immer fortsetzten, die Schärfe seines Schwertes, die Spitze seines Dolches. Er spannte die Sehne der Armbrust straffer, weil sie in ihrem frühern Zustande seiner Kraft nicht genügte, er versuchte dann einen Bolzen und fand zu seiner Zufriedenheit, daß das nächtliche Licht hinreichend sey, jedes Ziel in einem Grade erkennen zu lassen, der ihn zum Herrn seines Schusses mache.

So erreichten sie den Eingang der Schlucht, in der die Dogge nun, als sie ihre Annäherung wahrnahm, noch heftiger tobte.

»Haltet Euch hinter mir,« sagte Jute zu seinem Gefährten, »damit ich das wüthende Thier von Euch abwehren und es beruhigen kann. Dem Feinde gegenüber müssen wir durch Zeichen sprechen, denn der Styggforsen verschlingt jeden Laut der menschlichen Rede.«

Eine undurchdringliche Finsterniß umgab sie. Näher rollte schon der Donner des Wasserfalles und nur dumpf ertönte manchmal dazwischen das Heulen des Hundes. Roland griff sich mit der einen Hand an der Felsenwand hin, während er mit der andern den Saum des Bärenfelles hielt, das Jute übergeworfen hatte. Dieser legte, als sie bei dem Hunde anlangten, dem gereizten Thiere nur die Hand auf den Kopf, worauf es sogleich verstummte und unbeweglich stehen blieb. Hier, bei dem Wachtposten der Dogge, öffnete sich die Schlucht und man konnte, von der Helligkeit der nordischen Nacht und des Nordscheins begünstigt, aus dem tiefen Dunkel, in dem man sich selbst befand, unbemerkt den Thalgrund überblicken, in den sich der Styggforsen niederstürzte und von allen Seiten schneebedeckte Bergwände herabstiegen.

Sie hatten diesen Standpunkt kaum eingenommen, als Jute seines Gefährten Hand ergriff und sie nach einer Stelle hinrichtete, wo Roland sogleich zwei tief verhüllte Gestalten erblickte. Nur eine geringe Entfernung lag zwischen beiden Parteien. Der junge Deutsche fühlte sich überzeugt, beide Fremdlinge von hier aus mit sicherm Schusse der Armbrust erlegen zu können, aber es schien ihm schmachvoll, hier, wo es gleichen Kampf galt, aus dem Hinterhalte anzugreifen. Er zog sein Schwert, er riß Rasmus Jute mit vorwärts. Indem er mit raschen Schritten sich den Unbekannten näherte, sah er, daß einer von diesen ebenfalls sein Schwert entblößte, daß der andre aber mit einer friedlichen, ruhigen Bewegung ihm andeutete, die Waffe an ihre Stelle zurückkehren zu lassen und nichts Feindliches zu besorgen. Jetzt standen die vier Männer sich auch wirklich so nahe, daß der besonnene Jute in dem einen den Jüngling Claudianus erkannte und nun wohl denken konnte, daß derjenige, der in dessen Gesellschaft komme, keine gefahrdrohenden Absichten hege. Er faste mit Heftigkeit Roland's Arm, er schrie ihm so gewaltig den Namen Claudianus ins Ohr, daß selbst durch das Donnergetöse des Styggforsen hindurch dieser Schall von dem Waffengefährten vernommen wurde. Befremdet blickte Roland auf den Jüngling und seinen Begleiter. Dieser hatte einen breitgekrempten Hut tief in das Gesicht gedrückt und sich, nachdem er das Schwert zurück in die Scheide gebracht, wieder tief in seinen Mantel gehüllt. Er trat sehr rasch auf Roland zu, drückte ihm kräftig die Hand, wandte sich von Jute ab und ließ nun den jungen Deutschen sein Angesicht erschauen, der mit vermehrtem Erstaunen seinen alten Reisegefährten von der Concordia, Arwed Oxe, genannt Ignotus, erkannte.

Ignotus drängte ihn, ohne ein Wort zu sprechen, das an dieser Stelle doch verloren gewesen seyn würde, nach der Schlucht zurück, in der er ihn und seinen Gefährten Rasmus erscheinen gesehn. Jute, der das freundschaftliche Verhältniß, welches zwischen beiden herrschte, wahrnahm, folgte ihnen mit Claudianus. Bald aber eilte er voran, um die wieder in lautes, wüthendes Heulen ausbrechende Dogge zu beschwichtigen. Sie gelangten durch die Schlucht in den wüsten Thalgrund, sie betraten die kleine Felsenhütte, deren einsamer Bewohner sogleich einige trockene Stücke Kienholz in das niedergebrannte Feuer warf, um es wieder zu beleben.

»Diesen Besuch habt Ihr gewiß nicht erwartet, Meister Roland!« hob indessen Claudianus an. »Wie gut, daß ich wußte, wo Ihr zu finden wart, denn Ritter Ignotus hat Wichtiges mit Euch zu besprechen und ist weit hergereist nach Dalarne, um Euch in Dingen, worüber Ihr, wie er hofft, ihm Auskunft geben könnt, zu Rathe zu ziehn. Kommt, Rasmus Jute, laßt uns eine kleine Wandrung durch Euer Gebiet machen! Euer Feuer lodert lustig und der Rauch zieht leicht zum Dache hinaus. Meister Roland und Herr Ignotus bedürfen unsrer nicht mehr. Sie haben allein mit einander zu reden über Angelegenheiten, die uns nichts angehn. Wer weiß,« setzte er mit einem muthwilligen Blick auf Ignotus hinzu, »ob nicht eine Sache zur Sprache kommt, deren erste Fäden in der Kathedrale zu Drontheim angeknüpft, auf dem Ringplatze daselbst im Kampfe mit einem nordischen Recken fester geschlungen wurden und nun vielleicht noch immer einen Vogel halten, der an ihnen bis in das schwedische Thalland geflogen ist. Kommt, Jute, Ihr mögt mir indessen Allerlei von den alten Gewohnheiten dieses Landes, von den Thaten der alten Nordlandshelden, von ihren Kriegen und seltsamen Verbrüderungen, von denen man mir schon wunderliche, aber unklare Dinge berichtet, erzählen.«

Rasmus Jute kannte die Pflichten eines Wirthes gegen seine Gäste zu gut, um nicht der Aufforderung des Claudianus sogleich beizustimmen. Er warf das Bärenfell wieder über, das er schon abgelegt hatte, er verließ mit dem jungen Menschen, dessen offenes Wesen, dessen jugendlicher Muth sein ganzes Wohlgefallen besaßen, die Hütte.

»Dort hinten,« sagte er, nachdem sie sich einige Schritte entfernt hatten, »wo sich jene mächtige Felsenwand steil zum Himmel erhebt, liegt eine sonderbare Stelle, welche die Hirten von den Fjälln den Zaubergrund nennen. Dort soll einst der listige, Böses brütende Loke, als noch die Götter die Erde heimsuchten, gehaust und mit falschem Rathe die Menschen getäuscht haben, bis zwei Königssöhne im Blutbunde sich verpflichtet, ihn zu vertreiben und diesen auch, unter dem Beistande Thor's und der Freia, der kühne Versuch gelungen. Aber nach diesem Siege traf sie in Allem, was sie unternahmen, Mißgeschick. Beide wurden von Liebe zu dem nämlichen Weibe, der Tochter eines mächtigen Jarl's ergriffen und als sie dem einen von ihnen den Vorzug schenkte, tödtete sich in Verzweiflung der andre und der zurückgebliebene glückliche Liebhaber mußte diesem Beispiele folgen, weil er mit jenem den unauflösbaren Blutbund errichtet.«

Während Rasmus Jute mit seinem jungen Freunde dem Hintergrunde des Thales, wo die mächtige Felsenwand emporragte, zuschritt, war Ignotus, sobald er sich allein mit Roland gesehen, hastig zu diesem getreten, hatte seine Hand ergriffen und das Gespräch mit den Worten eröffnet:

»Wünschet mir Glück, mein Freund, denn Ihr seht mich als den begünstigten Bewerber der herrlichen Clara Norby wieder. Ja, bester Roland, es ist mir gelungen, das Herz dieses Engels zu gewinnen, ihr Vater will mir wohl, ich bin sein Vertrauter, ein Oberster auf seiner Flotte und wenn Alles, was der große, weithinsehende Severin Norby geheimnißvoll entworfen, erreicht ist, dann krönt sein väterlicher Segen den Bund unsrer Liebe.«

Dasselbe Feuer glühete noch in Ignotus, das ihn beim ersten Anblicke Clara's im Dome zu Drontheim ergriffen. Sein Auge glänzte begeistrungsvoll, wenn er ihren Namen nannte, sein ganzes Wesen belebte sich, seine Stimme klang voller, ein Ton aus tiefster Seele heraus. Keine Spur jener Schwermuth, die er gezeigt, als Roland ihn zum ersten Male auf dem Schiffe des Capitäns Harslö gesehen, war mehr übrig. Auf seiner Stirn thronte Heiterkeit, ein sanftes Roth deckte seine Wangen, eine frische Lebensluft gab sich in seinem ganzen Benehmen kund. Roland erwiederte den Druck seiner Hand nicht. Finster blickte der junge Deutsche auf die rothe Schärpe, welche Ignotus trug, und entgegnete:

»Ihr habt Euch dem Dänenkönige unterworfen und führt seine Farbe. Wohl wünschte ich, daß ein großes Gefühl, wie die Liebe zu einem edlen Weibe Euch ergreifen möchte, um den finstern Geist, der über Euch gekommen, zu verbannen, um Euch dem Leben und seinen Freuden wiederzugeben; aber wie es scheint, so habt Ihr Euer Herz nicht allein den Dänen geschenkt, sondern auch es wieder der dänischen Sache zugewandt. Wir können dann nicht Freunde ferner seyn, Arwed Oxe! So lange ich ein Schwert führe, erhebt es sich gegen Christian von Dänemark und ich möchte dann nicht gern einen Freund auf meinen Kampfeswegen finden.«

»Ich ein Freund des Dänenkönigs?« fuhr Ignotus empor, indem eine dunkle Röthe sein ganzes Angesicht bedeckte. »Der Fürst der Hölle mag sein Freund seyn, aber nimmer der Sohn eines schändlich, ungerecht gemordeten Vaters. Ihr urtheilt nach dem Scheine, Freund Roland, und der täuscht Euch. Ich bin der Sache des blutigen Dänenkönigs in demselben Grade ergeben, wie der große Seeheld Severin Norby, und was die rothe Schärpe, die auch er trägt, was den dänischen Admiralstitel, den er führt, zu bedeuten haben: das wird die Zukunft zeigen, das wird zu seinem Schrecken Christian selbst dereinst erkennen.«

»Räthsel können mir nicht genügen;« versetzte in einem noch immer zweifelhaften Tone Roland von Bremen. »Wie soll ich mich aus diesen wunderlichen Andeutungen überzeugen, daß Severin Norby, der Christian's Flotte befehligt, der für ihn gegen die Schweden gefochten, der jeden Augenblick bereit ist, die Waffen wieder im Dienste des Tyrannen zu erheben, eigentlich sein Gegner ist und sich für die Zukunft bereitet, dieses öffentlich zu beweisen? Ich fürchte sehr, Arwed Oxe, man mißbraucht Eure Liebe zu der schönen Clara, um Euch, unter einem Vorwande, von dem man glaubt, daß er Euch wohlgefällig sey, an die Sache des Unrechts und der Unterdrückung zu fesseln.«

»Nennt mich nicht Arwed Oxe,« erwiederte finster der Däne, »denn ich will noch Ignotus heißen, bis Christian's Sterne untergegangen sind. Der Name Oxe ist verschollen auf dem Richtplatze, begraben am abgelegenen Orte, wo man die Verbrecher verscharrt. Wenn meines Vaters Gedächtniß gerechtfertigt, wenn seine Leiche ehrenvoll in die Gruft seiner Vorfahren bestattet ist, dann lebt auch Arwed wieder auf. Bis dahin geht noch Ignotus einsam durch das Leben und fühlt sich nur beglückt in der Ueberzeugung, in der Hoffnung einer freudigen Zukunft.«

Das Wölkchen auf seiner Stirne war verschwunden, heiter und offen blickte er Roland an.

»Ihr haltet,« fuhr er vertraulich fort, »Severin Norby für einen blind ergebenen Diener des grausamen Christian? Erwägt Alles, was geschehen ist und dann entscheidet! Die Wittwe Sten Sture's, des Reichsstatthalters, sollte auf Christian's Befehl, nach ihrer eignen Wahl, verbrannt, ersäuft oder lebendig begraben werden. Severin Norby wußte sie ihrem Gefängnisse zu entziehn, er führte sie auf seine Flotte, er widerstand jedem Ansinnen, die unglückliche Frau den Henkersknechten des Tyrannen zurückzuliefern. Auf seinem eigenen Schiffe lebt sie, wie eine Fürstin; ich fand sie dort, als ich mit Clara Norby und ihrem Großvater, der mich seines besondern Schutzes würdigt, an dem prächtigen Kriegsfahrzeuge, der Meister von Gothland, anlangte. War diese Handlung dänisch oder schwedisch? Liegt es in dem Wesen eines treuen Anhängers des Schwedenkönigs, daß er alle flüchtige, geächtete schwedische Edeln auf seiner Flotte aufnimmt, ihnen Schutz und Beistand gewährt und sie ehrt, wie sie einst in ihrem eigenen Lande geehrt wurden, als dieses noch nicht in Sklaverei und Ohnmacht versunken war. Glaubt mir, Roland, die Pläne Norby's sind nicht auf den nächsten Tag, sie sind in eine weite Zukunft hinaus berechnet. Sein Hauptschiff führt nicht umsonst den Namen eines Meisters der schönen Insel, die schon für sich ein fürstliches Reich bildet! Unsre alten Sagen erzählen von Seekönigen, die nur auf einem kleinen Eilande gehaust, von dort aber auf schnellsegelnden Schiffen den Sieg ihrer Waffen in alle Welttheile getragen. Wenn nun Severin Norby von diesen alten Sagen träumte, wenn es seinem großen Geiste gefiele, die Vergangenheit zur Gegenwart, die Sage zur Wirklichkeit zu machen? Müßte da nicht erst Christian's Macht gebrochen seyn, Dänemark selbst nicht erst seine Furchtbarkeit verloren haben?«

»Ignotus« versetzte überrascht Roland Doneldey, »Ihr laßt mich da in ein Gewebe von Entwürfen blicken, das ich selbst für ein Märchen halten würde, wenn ein Anderer es erzählte. Ihr scheint tief eingeweiht in das Vertrauen Norby's, er muß Euch kennen, er muß Eure Mißgeschicke kennen und dieses mag ihm als eine Bürgschaft gelten, Euch Dinge zu entdecken, deren Kenntniß Christian mit Golde schwer belohnen dürfte.«

»Er kannte meinen Vater, er kennt mich;« sagte Ignotus. »Er weiß auch meine Neigung zu Clara und mißbilligt sie nicht. Ihr, Roland, seyd der einzige Mensch auf Erden, dem ich meine Seele eröffne, dem ich meine tiefsten Geheimnisse entdecke; denn als ich in der Nacht des quälendsten Seelenleidens, in einer verzweiflungsvollen Stunde des Wahnsinns schon den Fuß gehoben hatte, um mich und den Fluch, der, wie ich wähnte, auf mir ruhte, in den Wellen der Nordsee zu begraben, da tratet Ihr als ein Schutzengel zu mir und habt Euch seitdem als einen ächten Freund bewährt. Ich würde mich der Undankbarkeit schuldig machen, wollte ich ein Geheimniß, das auch Euch wichtig seyn muß, vor Euch bewahren. Ich vermag nicht kalt und verschlossen vor einem Manne zu stehen, den ich liebe, der mir Wohlwollen und Freundschaft schenkt. Darum sollt Ihr Alles wissen. Ich komme im Auftrage Norby's hierher, um Gustav Wasa aufzusuchen. Es ist uns bekannt, daß er in den Wäldern und Bergen Dalekarlien's umherirrt. Christian's Späher lauern auf allen Straßen, auf allen Pfaden. Er ist geächtet, der Habsucht eines Verräthers ist das edelste Leben Preiß gegeben. Der Admiral bietet ihm ein Asyl auf seiner Flotte. Dort findet er Verwandte und Freunde, das Ehrenwort Norby's und das meinige verbürgt ihm Schutz und Sicherheit. Ihr, mein Freund, fochtet einst unter Wasa, ich bin überzeugt, Ihr kennt seinen Aufenthalt. Führt mich zu ihm, laßt auch mich dazu beitragen, das Leben dieses edlen Helden zu retten!«

Roland blickte nachdenklich zu Boden. Es lag in diesem Vorschlage Etwas, das ihm widerstand, das, wie er fest glaubte, auch nicht mit Gustav's Entwürfen sich vereinigen lasse. Dieses Zögern, diese Ueberlegung schien Ignotus zu befremden. Er hatte darauf gerechnet, Roland werde, als ein treuer Anhänger Gustav Wasa's, mit Freuden einen Antrag vernehmen, der den geächteten Flüchtling mit einemmale außer Gefahr setzte, ihn den Verfolgungen seiner Feinde entzog. Der junge Deutsche bemerkte sein Erstaunen.

»Nehmt es mir nicht übel, aber Euer Norby gefällt mir nicht,« sagte er: »obschon ich den Vater Eurer Geliebten in ihm ehre, wie ich es, als Freund Euch schuldig bin. Der Dänenkönig ist schlecht, ein Meineidiger, ein blutdürstiger Tyrann. Aber das berechtigt niemand, falsch gegen ihn zu verfahren, Unterwürfigkeit und Treue zu zeigen, wenn man auf Verrath sinnt, die Macht, die Christian selbst verliehen, undankbar gegen ihn zu mißbrauchen. Und diese Herrlichkeit eines Seekönigs, die so hoch klingt und nichts hinter sich trägt, als Raub am Eigenthume andrer, als rechtswidrige Habsucht! Ja, Ignotus, so finster Ihr mich auch anblicken mögt, so ist es doch nicht anders! Der hochfahrende Name eines nordischen Seekönigs bezeichnete einen Mann von einem sehr weiten Gewissen, der mit einem Haufen ebenso gewissenloser Dienstmänner, wie er, zur See ging, bald an einer Küste landete, wo er reiche Beute hoffen konnte, und dort Alles verhehrte, was er und die Seinigen nicht fortschleppen konnten, bald ein wehrloses Kaufmannsschiff angriff, Besitzer und Schiffsvolk zu Sklaven machte oder tödtete, und Alles, was er darauf vorfand, für sein Eigenthum erklärte.«

»Ihr irrt,« versetzte mit einem leichten Lächeln Ignotus, der sich wieder gefaßt hatte. »Der große Severin Norby hat andre Ansicht von dem Wesen und Wirken eines Seekönigs. Erhaben und unangreifbar wird er auf seiner Insel herrschen, durch Güte und Gerechtigkeit seine Unterthanen beglücken. Wo er hört, daß die Unschuld unterdrückt, daß ein Recht durch Uebermacht, daß ein Land mit ungerechtem Kriege bedroht wird, da soll sein flüchtiger Kiel ihn hintragen, da soll der ritterliche Geist des Seekönigs die Unschuld vertheidigen, das Recht vom Zwange befreien.«

»Schöne, wohlklingende Worte!« sprach in einem ungläubigen Tone Roland. »Das klingt lieblich, erhebend, wie ein altes Märchen aus den Zeiten der Tafelrunde. Lancelot und Parcival waren solche Helden, die der Unschuld und Tugend zu Ehren bis an das Ende der Welt auf Abentheuer ausgezogen wären, Riesen erlegt, bezauberte Schlösser gestürmt hätten, um nach vollbrachten großen Werken, mit einem Gott lohn's zu Frieden gestellt, wieder auf ihre Ehrenplätze neben König Artus und Königin Genievra zurückzukehren. Ein dänischer Admiral aber, in Christian's Schule gereift, weiß besser, was sein Vortheil erheischt, was die Wirklichkeit demjenigen in reichen Quellen beut, der mit Umsicht daraus zu schöpfen versteht. Doch das Alles mag dahingestellt seyn! Was aber soll Gustav Wasa auf Norby's Schiffen? Meint Ihr, er sey gekommen, um gelassen Schwedens Elend zu sehn, seine Unterdrückung, seine Sklaverei zu dulden? Wahrlich, nein, Ignotus, darum hat Gustav nicht den sichern Boden von Deutschland verlassen, darum nicht, von tausend Gefahren umgeben, die schwedischen Wälder durchirrt, wochenlang in ihren Wildnissen, von allen Menschen fern, seine Lagerstätte gefunden, mit den Thieren der Einöde gerungen, um sich Nahrung zu verschaffen, die Felsen der Fjälln, wo sonst nur das wilde Elenn, der Bär und der Wolf hausen, erklettert, damit er sich vor den Nachstellungen, welche den Geächteten umgaben, sicher stellte und sein Leben für die große Sache des Vaterlandes erhalte. Euer Norby ist ein Fuchs, der da ahnt, daß dieser Flüchtling dermaleinst seinen Seekönigsplanen im Wege stehen werde, der sich bei Zeiten des jungen königlichen Adlers versichern möchte, um ihm die Flügel zu binden und die Krallen zu stumpfen. Ihr seyd ein redlicher, offen und ritterlich gesinnter Mann, Ignotus, sagt mir selbst, ob nicht hinter dem Anerbieten des Admirals ein Gedanke solcher Ränke verborgen seyn möchte?«

»Ich glaube es nicht;« erwiederte freimüthig der Däne. »Auch geziemt es mir nicht, von einem Manne Uebles zu denken, der mir sein Vertrauen schenkt, der mir schon so vieles Gute erwiesen hat und von dessen Gunst ich das höchste Glück meines Lebens erwarte. Mir ist Severin Norby wie ein Held aus den alten wunderbaren Zeiten erschienen und die Großmuth, die er gegen Christian's Schlachtopfer übt, die Zartheit, die Hochachtung, welche er der unglücklichen Wittwe Sten Sture's zeigt, haben mich mit Bewundrung erfüllt.«

»Norby ist selbst Wittwer und Frau Christina Sture hat noch nicht alle Reize der Jugend verloren;« sagte nachdenklich Roland von Bremen. »Sie genießt eines großen Ansehens in Schweden, ihre kühne und kräftige Vertheidigung der Hauptstadt hat sie bei allem Volke beliebt gemacht. Wer weiß, welcher schlaue, große und weitausgreifende Plan Eures Seekönigs da im Hintergrunde lauert! Doch mag sich das verhalten, wie es wolle! Ich sehe ein, daß ich nicht berechtigt bin, ein Anerbieten, welches Gustav Wasa persönlich betrifft, zurückzuweisen. Wir müssen ihn aufsuchen und dazu bedürfen wir des Beistandes unseres Wirthes, des Bewohners dieser Einöde. Noch einmal, Ignotus! Ich vertraue in dieser Sache ganz auf Eure Ritterlichkeit, auf den Edelmuth, den ich an Euch kennen gelernt, als wir die nordischen Meere durchschifften, der selbst dann erfreulich hervortrat, wenn Euch ein fürchterlicher Wahn, eine schreckliche Erinnerung umnachteten. Die Zeit ist kostbar, Wasa's Schritte geschehen rasch, unerwartet. Noch finden wir vielleicht seine Spur, wenn wir aber zögern, so möchte sie bald aus unserm Bereiche liegen. Kommt mit! Wir wollen Rasmus Jute, unsern Wirth, aufsuchen.«

Sie verließen die Hütte, sie standen im öden Thalraume, dessen Felsentrümmer jetzt in der hellen Beleuchtung des Vollmonds, der indessen hinter den Fjälln hervorgetreten war, allerlei wunderliche Bilder zeigten. Die einen erhoben sich, gleich seltsamen, fabelhaften Thiergestalten, die andern schienen zertrümmerte Denkmäler, wieder andre glichen verfallenen Gebäuden mit Zäunen und Thürmen. Roland bestieg ein Felsstück von ansehnlicher Größe, um nach Jute und Claudianus umzuschauen. Weder der eine noch der andre war zu erblicken. Aus dem Hintergrunde des Thales aber vernahm der junge Deutsche einen sonderbaren, einförmigen Gesang, traurig und dumpf, einer Todtenklage ähnlich. Mit dem fernen Rauschen des Styggforsen bildete dieser Gesang eine seltsame Musik, die in einzelnen Zwischenräumen von dem Donner der Schneestürze unterbrochen wurde.

Roland und Ignotus folgten dem Schalle der dumpfen Töne, die aus einer abgelegenen Vertiefung des Thales drangen, über welche ein dunkler, mächtiger Felsen sein Gewölbe hinbrütete. Ihr Weg nach diesem Grunde war beschwerlich. Sie mußten Felsblöcke überklettern, die mit spiegelglattem Eise bedeckt waren, sie würden sich zwischen den Steinkolossen verirrt haben, wenn nicht das wunderliche Lied sie in der Richtung nach ihrem Ziele erhalten hätte. Endlich befanden sie sich auf einem Felsenvorsprunge, von dem sie in einen kleinen, kreisförmigen Raum blickten, wo sich ihnen die seltsamste Szene von der Welt zeigte.

Um einen in der Mitte des Raumes stehenden Eichbaum, dessen gewaltiger Stamm, dessen weitausgreifende, knorrigen Reste ein mehrhundertjähriges Alter bekundeten, bewegten sich Rasmus Jute und der Jüngling Claudianus in einem seltsamen, langsamen Tanze. Sie hatten den rechten Arm entblößt, sie schwangen die blanken Schwerter in drohenden Kreisen über ihre Häupter, sie blieben immer in einer gleichmäßigen Entfernung von einander und von dem Eichbaume. Das volle Licht des Mondes drang in den Grund und ließ auf den bloßen Armen Blutspuren erblicken. Zu dem wunderlichen Tanze sang Jute, mit schwermüthiger, hohler Stimme das Lied, das Roland und Ignotus zum Mittel geworden, die zwei Vermißten aufzufinden. Was sie noch vernahmen, lautete folgendermaßen:

» Wintergatan Die Milchstraße., Himmelsstraße,
Schlange, die die Erd umschlinget,
Odins tausend Augen tragend
An dem weißen Schuppenleibe,
Blicke nieder auf die Mannen,
Die den Blutbund hier geschlossen
Die, ein jeglicher des Andern,
Heißes Blut in sich gesogen,
Daß sie, sterben einst selbander,
Nicht einander überleben,
Ob der eine gleich noch Blüthe,
Frucht der andre, reif zum Falle:
Wintergatan blick hernieder,
Zeuge sey des blutigen Bundes!«

Bei den legten Worten hatte sich Jute von der einen Seite, Claudianus von der andern dem Eichenstamme genähert, und beide stiessen zugleich ihre Schwerter kräftig in das Holz.

»So thue es jeder dem Feinde des andern!« rief mit gewaltiger Stimme Jute. »Der Bund ist geschlossen. Odin blicke gnädig herab! Schenk ihm deine Weihe, deinen Segen!«

»Blicke gnädig herab, Odin!« hallte es aus Claudianus Munde nach. Von dem wunderlichen Ereignisse, an dem er Theil genommen, begeistert, erhob der Jüngling die verschlungenen Hände zum Himmel und blickte, wie von einer Verzückung ergriffen, in das erbleichende Sternenheer.

»Was soll das tolle, heidnische Treiben?« erhob sich da plötzlich im Tone des Unwillens Rolands Stimme. »Du bist ein kindischer Thor, Claudianus, und von Euch, Rasmus Jute, hätte ich dergleichen abergläubische Verirrungen wahrlich nicht erwartet! Steigt herauf, wir haben wichtigere Dinge vor. Laßt diese Possen den geistesarmen Thalleuten, die nicht Lust und Kraft haben, sich von ihnen loszumachen.«

»Possen!« sagte mit einem düstern Lächeln Rasmus Jute. »Die alten Helden Inguiomar und Ingebald waren keine Schalksnarren, als sie den Blutbund mit einander beschworen. Hundert Helden das Alterthums haben das Gleiche gethan und die Nachwelt hat sie bewundert wegen der Treue, mit dem sie ihren Bund gehalten. Die Blutbrüder leben mit einander, sie sterben mit einander. Stirbt der eine, ehe er eine Schuld getilgt, ein Gelübde erfüllt hat, so geht Schuld und Gelübde auf den andern über, der die Schuld berichtigen, das Gelübde erfüllen und dann dem vorangegangenen Blutbruder im Tode folgen muß. So steht es nun zwischen mir und Claudianus. Mein heißester Wunsch ist erfüllt, und ich kann nun kühner, freier durch das Leben schreiten. Gehe ich unter in diesem kühnen Gange, so erbt Claudianus die Blutrache an meinem ärgsten Feinde, Martha wird nicht ungerächt bleiben, ich darf nun nicht mehr ängstlich besorgt seyn um ein Leben, das sein Hauptwerk wohl aufgehoben weiß.«

»Ihr seyd wahnsinnig, Jute!« rief entrüstet Roland. »Was verflechtet Ihr den Knabe, den ein verwegener Unsinn hingerissen, in Euer schwarzes Geschick? Das ist weder edel noch ritterlich, das ist treulos gehandelt an der Unerfahrenheit.«

»Ich bin weder ein Edelmann, noch ein Ritter,« versetzte mit finsterm Blicke Jute, »aber mein Schwert weiß ich so gut zu führen, wie einer, der unter Sten Sture mitgekämpft. Niemand hat über meine Handlungen zu richten, als mein eigenes Gewissen. Das will Gerechtigkeit, das verlangt sie unerbittlich gegen den Bösewicht, der die Ehre meines Namens geschändet, der ein schuldloses Mädchen – Ihr wißt, es war meine Schwester – entehrt und gemordet, der meine Eltern vor der Zeit in's Grab gebracht. Stört mich nicht in meinen Angelegenheiten, maße ich mir doch kein Recht über die Eurigen an.«

Roland erglühete, sein Zorn wallte gegen den trotzigen Dänen auf. Allein er mäßigte sich, er sah ein, daß die bisherige Eintracht bewahrt werden müsse, wenn nicht die wichtigere Sache, Gustav Wasa's große Entwürfe, darunter leiden sollten. Ohne auf Jute's erbitterte Rede etwas zu erwiedern, sagte er zu Claudianus:

»Du bist nicht in dem finstern Aberglauben, der die Leute von Dalarne beherrscht, erzogen worden, du hast schon einmal die Täuschungen einer grausamen Sclaverei, in der du lebtest, erkannt, du bist nur von der Macht des Augenblickes hingerissen worden, du kannst dich unmöglich durch eine Fessel gebunden, durch ein Wort verpflichtet halten, das du in einer Aufregung deiner Sinne, in einer geistigen Bewußtlosigkeit gegeben. Siehe das Ganze als einen tollen Spuk an, der dich geneckt, als einen bethörenden Traum, den du eine kurze Zeit für Wirklichkeit genommen. Denke an die christlichen Lehren des Pfarrers von Mora. Denke an Lille und bald wird dieser Unsinn vergessen seyn.«

»Nimmermehr!« versetzte stolz Claudianus. »Ihr nennt mich einen Knaben, aber ich will Euch beweisen, daß ich es nicht mehr bin, ich will mich als Mann bewähren dadurch, daß ich ein Gelübde halte, dessen Bedeutung mir groß und herrlich erscheint. O, es muß eine schöne Zeit gewesen seyn, jene Zeit der alten Helden, in der sie mit den Göttern verkehrten, in der sie durch gewaltige Thaten, durch große Opfer sich selbst den Göttern ähnlich machten! Hat man damals in ihren Schlachten nicht oft in den Reihen derer, die das Recht verfechten, den gewaltigen Thor, den mächtigen Odin erscheinen und den Sieg mit erkämpfen sehen? Erzählt man nicht, daß die reizende Freia, der Inbegriff aller irdischen und himmlischen Schönheit, bei den fröhlichen Waldfesten plötzlich in die Reigen der Tanzenden trat und mit dem kühnsten Jünglinge, mit dem mächtigsten Helden anmuthig dahin schwebte, unter dem entzückenden Liede Baldur's, der sich indessen auch unbemerkt bei dem Feste eingefunden? Damals war Menschliches und Göttliches nur Eins, und was jene Zeiten geboren, das kann nicht verwerflich, nicht verdammungswürdig, das muß groß und herrlich seyn.«

»Du bist ein unverbesserlicher Schwärmer, Claudianus!« sprach mit einem Anfluge von Bitterkeit Roland. »Als ich dich kennen lernte, war dein Geist von den pedantischen Träumereien des Fontanus befangen, dann schwärmtest du für Waffenruhm und Waffenehre, dann mit der armen Lille in ihren spukhaften Träumereien, und jetzt in den abentheuerlichen Heldensagen, mit denen Bragi Ingemund deinen Kopf angefüllt. Ich gebe dich auf, ich verzichte auf die Hoffnung, einen tüchtigen, lebenskräftigen Menschen aus dir zu machen. Du bleibst ein Laub, von jedem Winde bewegt, was dir heute lieb und theuer erscheint, kann dir morgen hassenswürdig und verächtlich dünken.«

»Ihr irrt Euch doch in mir,« versetzte der Jüngling, der indessen sein Schwert wieder an sich genommen und auf den Rand der Vertiefung zu Roland getreten war. »Ihr werdet doch dereinst noch sagen, daß der Claudianus ein treues Blut war, das fest an Euch gehangen bis zum Tode, vielleicht auch aus Schwärmerei – doch aus keinem schlechten Gefühle.«

Roland schwankte zwischen Unwillen und Neigung zu dem Jünglinge. Doch hielt er es diesem Augenblicke angemessener, die letzte zu unterdrücken und den erstern noch in seinem Benehmen vorwalten zu lassen. Er wandte sich von ihm ab zu Rasmus Jute, der noch immer mit untergeschlagenen Armen vor dem Eichstamme stand, und das von dem gewaltigen Stoße fortzitternde Schwert betrachtete. Gedanken der Rache zogen durch seine Seele. In dem schwarzen Herzen Nils Westgöthe's, über dem Grabe seiner gemordeten Schwester den Stahl zu erblicken, wie er ihn jetzt in der Brust der Eiche erblickte, das schien ihm ein Wunsch, dessen Erfüllung alle Schwermuth in seiner Seele lösen, ihn wieder mit der Welt versöhnen, die Liebe zu Annen, die unter dem Brüten der Rache zu ersterben drohete, neu wieder anfachen würde. Er riß das Schwert aus dem Stamme, er warf es klirrend in die Scheite und trat Roland entgegen, der von der tiefen Trauer in seinem ganzen Wesen ergriffen, allen Groll vergaß und ihm gutmüthig die Hand reichte.

»Wir wollen Freunde bleiben, Rasmus Jute!« sagte der junge Bremer. »Was mir an Euch mißfällt, wird wohl die Zeit ausgleichen, und eigentlich war ich ein Thor, es so hoch aufzunehmen, da ich als frommer Kriegsmann auf einen höhern, als Euern Odin und Thor, das Vertrauen haben soll, er werde Alles in der Zukunft wohl regeln. Jetzt nehmen Pflichten gegen einen Freund unsere Thätigkeit in Anspruch, dem wir zwar nicht durch Blut, aber auf Blut und Leben verbunden sind. Gedenkt unsers Eides im Föhrenwäldchen am Siljansee! Wir müssen Gustav Wasa aufsuchen. Hier ist ein Mann, der mit wichtiger Botschaft an ihn beauftragt ist. Es kommt viel darauf an, das er ihn so bald als möglich spricht, es gilt eine große Sache, in der Gustav Wasa allein die Entscheidung zukommt.«

Zum erstenmale betrachtete Jute den unbekannten Ankömmling mit Aufmerksamkeit. Er sah die dänische Feldbinde und erwiederte mit finsterm Befremden nach Roland hin:

»Ich zweifle, daß dem Prinzen der Anblick dieses Feldzeichens angenehm seyn dürfte. Ihr wißt, er liebt die rothe Farbe nicht: sie erinnert ihn an das Blutbad in Stockholm.«

»Für diesen Mann und seine Redlichkeit leiste ich Bürgschaft!« entgegnete in einem festen und entscheidenden Tone Roland von Bremen. »Ich kenne ihn als einen Rittersmann ohne Tadel, auf sein Wort hin würde ich unbedenklich Gustavs Leben ihm anvertrauen. Laßt uns nicht zögern! Die Dauer unserer Wanderung ist unbestimmt, wer weiß, wenn wir auf unsern königlichen Freund stoßen, ob wir ihn in Ornäs selbst oder in dessen Nähe noch finden, ob ihn nicht ein neues Mißgeschick in die Wälder und Berge getrieben hat!«

»Ich fürchte das letztere;« sagte Rasmus Jute, indem er sich mit seinen Gefährten auf den Weg nach der Hütte in Bewegung setzte. »Er hätte dem Rothkopfe nicht vertrauen sollen. Ornflykt steht mit allen dänischen Vögten der Gegend im guten Vernehmen, und um eines Gewinns willen ist er im Stande, wie Judas Ischariot, seinen Herrn und Meister zu verrathen. Aber für jeden Fall ist's gut, wenn wir in die Thäler hinabsteigen, und seine Fußstapfen aufsuchen. Ist er ein Opfer von Ornflykts Schlechtigkeit geworden, so soll's der Edeljunker schwer büßen, oder begegnen wir ihm als einem Gefangenen der Dänen, so hauen wir ihn heraus, und wenn fünf der Schurken gegen einen von uns ständen. Schon dämmert der Morgen, es gibt einen heitern Wintertag und wir werden gute Wanderung haben hinab in's Thalland.«

Sie betraten noch einmal die Hütte, wo Rasmus Jute sich vollständig bewaffnete und seine Gäste zu einem Frühstücke einladete, wozu freilich wiederum nur der erlegte Bär die Bestandtheile liefern konnte. Dann verließen sie das Thal, das im Glanze der Morgensonne, im rosigen Wiederscheine der Fjälln einen freundlichern Anblick bot, als es gestern gezeigt hatte. Sie erreichten die Schlucht, wo die heulende Dogge sie empfing, die aber, nachdem Jute sie unter einigen Liebkosungen losgekettet, friedlich und freundlich sich den Wandrern zugesellte.

»Du sollst auch einmal wieder das Thalland besuchen, wackrer Tristan!« sagte der Bewohner der Einöde zu dem einzigen Gefährten, der ihn nie verließ. »Du kannst auch die Dänen nicht leiden, und wenn es an ein Scharmützel geht, so sind deine Zähne wohl so gut, wie ihre Schwerter. Komm mit, Tristan! Wir müssen uns nun wieder an die Welt gewöhnen. Wer weiß, ob wir unsere Einsamkeit, unser allgewohntes Feldlager je wieder betreten!«

Als sie vor dem Falle des Styggforsen standen, als sein donnerndes Getöse sie verstummen machte, bewunderten sie noch einmal die Erhabenheit dieses Schauspiels. Der winterliche Charakter, den es trug, gab ihm einen eigenthümlichen, seltsamen Reiz. Wie künstliche Verzierungen von Krystallen hingen an den Seitenwänden die Eiszapfen nieder, in bunten Lichtern den Glanz der Morgensonne wiederstrahlend. Ein Regenbogen zeigte seinen duftigen, farbenreichen Halbkreis in dem aufschäumenden Wasserstaub, die kleinen sprudelnden Tröpfchen schienen demanten, mit denen der Strömkarl im kühnen Sprunge ein muthwilliges Spiel trieb.

Noch lange, als schon der Styggforsen in weiter Entfernung hinter ihnen lag, schwebte vor der Seele Rolands und des Ignotus sein majestätisches Bild. Während diese Beide, manche Erinnerungen belebend, manche neue Erfahrung einander mittheilend, voranschritten, hielt sich Claudianus treu an Rasmus Jute, zu dem er sich, seit dem geschlossenen Blutbunde, auf eine überspannte Weise hingezogen fühlte. So schritten die vier Wandrer nach Dalarne hinab, um nach demjenigen zu forschen, der jetzt noch als ein gerichteter Verbrecher nirgends eine bleibende Stätte fand, von der Vorsehung aber ausersehen war, die alte Größe Schwedens wieder herzustellen.



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