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Viertes Kapitel.


Fort, fort! Hin über Thal und Höhn!
Dort unten liegen die silbernen Seen –
Horch, Schätzchen, horch! Die Eule schreit; –
Das Haus ist eng, der Weg ist weit.

Wir haben Margaretha Böchower in einer Bestürzung zurückgelassen, die ihr für den Augenblick Besinnung und Sprache raubte. Nicht eher erlangte sie den Gebrauch ihrer geistigen Kräfte wieder, als bis Frau Minderhout unter Heulen und Klagen zurückkehrte, gefolgt von den Dienern des Hauses und einer Anzahl von Gästen, die mit diesen die Freuden der Julnacht getheilt. Schreck und Entsetzen hatten sich Aller bei der Kunde von der furchtbaren Begebenheit bemächtigt und niemand vermochte die Person des Unbekannten zu errathen, der mit beispielloser Verwegenheit das Haus des königlichen Beamten betreten, um hier einen Doppelmord zu begehen. Was Virginia darüber zu sagen wußte, blieb unklar, auch an Margarethen war das ganze Ereigniß so rasch und überwältigend vorübergegangen, daß sie durchaus keine Bezeichnung der Person des Mörders zu geben vermochte. Die Züge des Wüthenden waren in jenen Augenblicken durch den gewaltigen Aufruhr der Leidenschaften entstellt, er selbst, während der raschen That, nur im Fluge sichtbar gewesen. Margaretha konnte nicht ahnen, daß sie in dieser furchtbaren, nächtlichen Erscheinung einen Gast vor sich sehe, der oft im Pfarrhause zu Mora eingesprochen, den sie als einen geheimen Freund Roland Doneldey's kannte. Während die Diener sich mit dem Wegschaffen der Leichen beschäftigten und viele Bewohner von Falun, durch die schnell sich verbreitende Nachricht von dieser unerklärlichen Frevelthat aus ihrem Freudentaumel emporgerissen, in Menge herbeieilten, um sich von der Wahrheit des Geschehenen zu überzeugen, bedachte Frau Minderhout, daß unter den obwaltenden Umständen nichts Besseres zu thun sey, als sich auf eine geschickte und heimliche Weise in Besitz der Kostbarkeiten zu setzen, die, wie sie wußte, ein starker eiserner Schrein im Schlafgemache des Vogtes bewahrte. Voraussichtig in allen Dingen dieser Art hatte sie sich den Ort gemerkt, wo Nils Westgöthe den Schlüssel zu diesem Gewahrsam seiner Schätze zu verbergen pflegte. Sie zog sich in die Stille jenes entlegenen Gemaches zurück, sie fand hier Alles, wie sie es wünschte, und zeigte sich nun ungemein geschäftig, eine Erbschaft sich anzueignen, die ihr, wie sie es ansah, durch eine besondere Gunst des Glückes anheim fiel. Indessen blieb in den Zimmern, wo die Schreckensthat sich zugetragen, niemand zurück als Margaretha und die unglückliche, von keinem theilnehmenden Wesen beachtete Anne. Margaretha sah sich allein, alle Thüren des Hauses waren geöffnet, niemand beschränkte jetzt ihren Willen, niemand hielt sie zurück von der Freiheit, die ihr ein unerwartetes Zusammentreffen von Umständen einräumte, Gebrauch zu machen. Dieser Gedanke bemächtigte sich mit Blitzesschnelle ihrer Seele. Aber sie zagte vor der Ausführung, sie wagte nicht, allein eine Flucht anzutreten, die sie, bei ihrer Unbekanntschaft mit den Wegen des Landes, bei der rauhen Jahreszeit, bei der Rohheit der umherziehenden dänischen Horden, neuen Gefahren preisgeben konnte. Da fiel ihr das bleiche Mädchen ein, das, wie sie, eine Gefangene dieses Hauses gewesen, das nun auch durch den Tod des Vogtes einer unrechtmäßig geübten Gewaltsamkeit entzogen sey. Sie verließ das Gemach, das noch vor kurzer Zeit im festlichen Prunke gestrahlt hatte und nun ein Bild der Zerstörung zeigte, um Annen aufzusuchen. Da trat ihr diese, noch immer jenes Wiegelied in sich hinein summend, entgegen. Als Anne die sich hastig ihr nähernde Jungfrau bemerkte, verstummte sie, blickte aufmerksam auf und schien in großer Spannung zu erwarten, was diese ihr sagen möchte. Margaretha befand sich in einer Aufregung, die ihr nicht Scharfblick genug ließ, das Verstörte in Annen's Zügen, das Irre ihres Blickes wahrzunehmen. »Komm mit mir, Anne!« sprach sie rasch und drängend. »Wir wollen dieses Haus verlassen, in das der Frevel den Mord gerufen. Hier ist nicht gut seyn, hier ist ein ängstlicher, grauenvoller Aufenthalt. Gehe mit mir nach Mora. Du bist im Thallande geboren und bekannt mit den Pfaden, welche von Ort zu Ort führen. In Mora wirst du wohl aufgehoben seyn im Hause meines Oheims. Laß uns keine Zeit verlieren. Der Augenblick ist günstig. Wer weiß, welches neue Ereigniß, das uns neue Hindernisse schafft, in der nächsten Stunde eintritt.«

In Annens zerstörten Geist mochte ein schwaches Verständniß dieser Aufforderung dringen. Sie legte den Zeigefinger der einen Hand auf den Mund, ergriff mit der andern Margarethen und führte diese mit raschen Schritten durch eine Seitenthüre in einen dunkeln Gang, in dem völlige Stille herrschte. Sie schien ganz vertraut mit seinen Windungen und bewegte sich so eilig vorwärts, daß Margaretha Mühe hatte, ihr zu folgen. Bald stieß Anne eine kleine Pforte auf, die von innen verriegelt gewesen. Die scharfe Luft eines rauhen Wintermorgens wehete sie an. Anne lachte hell auf.

»Sie werden Hochzeit halten ohne uns;« flüsterte sie Margarethen zu. »Eine lustige, festliche Hochzeit, bei der die Bräute fehlen und die Hochzeiter den Todtentanz allein tanzen. Nur fort, nur fort! Wir haben einen weiten Gang zu machen und die Eule schreit schon den nahenden Tag aus und der Kuckuck ruft die Raubvögel herbei. Aber wir verstehn auch zu fliegen. Komm, Schwesterlein, schwinge dich auf! Der Raben Flug geht hoch genug, daß der Habicht nicht auf sie stoßen kann.«

Margaretha blickte Annen erschrocken an. Eine Ahnung des Entsetzlichen, was sich mit dem Mädchen begeben, durchschauerte sie. In diesem Augenblicke traten sie an eine Stelle, wo das erbleichende Licht des sinkenden Mondes auf Annens Gesichtszüge fiel. Da erkannte Margaretha in dem entstellten Antlitze den Ausdruck des Wahnsinns, da sah sie in irre rollende Augen, da trat ihrem Blicke ein entsetzliches Lächeln entgegen, wie es nur Blödsinnigen und Verrückten eigen ist. Sie wollte sich loswinden, sie wollte lieber, auf jede Gefahr hin, in das Todtenhaus zurückkehren, als ihre Schritte denen der Wahnsinnigen gesellen. Diese aber riß sie mit unwiderstehlicher Gewalt im Fluge fort durch ein Seitengäßchen in's Freie, indem sie mit unterdrückter Stimme kichernd sprach:

»Nein, nein, Schwesterlein, so geht es nicht! Du mußt mit mir fliegen über Berg und Thal, über See und Strom. Du hast mich mit dir genommen aus dem Hochzeitshause und nun nehme ich dich mit mir. Du hast mir eine Freistatt versprochen, ein warmes Nest hoch oben über'm See, und ich lasse dich nicht, bevor du mich dahin gebracht. Auf! Auf! Schwinge die Flügel zum lustigen Fluge. Der Morgen graut, die Geister kehren in ihre Gräber zurück, die Elfen lösen den nächtlichen Ringelreigen auf. Das ist die beste Zeit zu einer lustigen Wandrung. Ist es nicht schön, ein Vöglein zu seyn? Die Raben sind schwarz, sagen sie, und sollen prophezeihen können. So sage mir denn, du schwarzes Schwesterlein, wo werden wir Ruhe finden, bei den Geistern in den Gräbern oder bei den Elfen auf der Wiese?«

Margaretha befand sich in der entsetzlichsten Lage. Ueber Stock und Stein, durch den tiefsten Schnee wurde sie von der Wahnsinnigen unaufhaltsam fortgerissen. Vergeblich blieben alle Anstrengungen, sich der Gewalt der Unglücklichen, die von übermenschlicher Kraft belebt schien, zu entziehn. Sie beantwortete jeden Versuch dieser Art mit einem wilden Gelächter. Wie ein Eisenband lag schmerzlich pressend ihre Hand um Margarethens Arm. So ging es fort auf angebahnten Wegen, bis sie endlich mit Anbruch des Tages die Spitze eines Hügels erreichten, auf dem sie die Aussicht über den eisbedeckten Siljan, nach Rättwyck und Mora hinauf, hatten. Glockenläuten tönte aus den Orten, welche den See umgaben, herüber. Margaretha hatte, so viel sie vermochte, auf der schrecklichen stürmischen Wandrung ihre Besinnung bewahrt. Sie erkannte, daß dieses Läuten nicht der gewöhnliche Ruf zur Frühmette sey, nicht blos der Bedeutung des heutigen Tages gelte. Diese rasch auf einander folgenden dumpfen Schläge kündeten Sturm durch das Thalland, riefen die Dalekarlen zusammen zu irgend einem wichtigen Unternehmen. Ohne Margarethen loszulassen, blieb Anne einige Augenblicke stehen, lauschte nach den Glockentönen hin und sprach mit dem schrecklichen Lächeln des Wahnsinns:

»Hörst du sie singen, lockend und lieblich? Ich weiß wohl – dort oben liegt das Nest, wo wir ausruhen werden. Dort flattern tausend Vöglein auf und nieder und wollen auch dem schwarzen Schwesterlein einen fröhlichen Aufenthalt gönnen. Sie rufen und locken. Wir kommen, wir kommen! Immer aufwärts, immer weiter! Unsre Flügel tragen noch. Der frische Morgenwind stärkt sie, der junge Sonnenstrahl erwärmt sie.

Ueber Eis und Schnee,
Durch luft'ge Höh,
Wie sein fröhlich Lied,
Das Vöglein zieht.«

Diese letzten Worte sang sie, dem Sinne ganz widersprechend, in einer traurigen, klagenden Weise. Dann brach sie in ein jammervolles Weinen aus und stürmte in weiten Sprüngen den Hügel herab, dem Siljan zu. Margaretha sah sich auf's Neue im tollen Fluge fortgerissen. Sie mußte alle Vorsicht, alle Aufmerksamkeit aufbieten, um nicht auf dieser entsetzlichen Flucht einen gefährlichen Fall zu thun oder sich an den Steinen im Wege zu verletzen. So langten sie am Ufer des Siljan, auf der großen Fahrstraße an, die das Thalland hinaufführte. Hier wurde Anne ruhiger. Ihr Jammer verstummte, sie schritt still und sinnend an der Seite ihrer geängstigten Gefährtin einher, deren Arm sie jedoch nicht aus der fest umklammernden Hand frei gab. Margareta schöpfte frischen Odem. Der Gedanke, daß dieser Weg sie zu Freunden und Verwandten führe, die Hoffnung jetzt, da bei der vorrückenden Tageszeit die Straße sich beleben mußte, irgend Jemanden zu begegnen, der sie aus den Händen der Wahnsinnigen befreien würde, erweckten aufs Neue ihren Muth und ihr Vertrauen. Den stürmischen Ausbrüchen, denen Anne sich während ihrer gemeinsamen Flucht bisher hingegeben, schien jetzt eine Abspannung zu folgen, bei der sie aber immer noch die strengste Wachsamkeit auf diejenige, die sie als ihre Gefangene ansehn mochte, übte. Bei jeder Bewegung, welche Margaretha unwillkürlich machte, trafen ihre Blicke argwöhnisch auf sie, zuckte ihre Hand pressender um den Arm der Begleiterin. Schwere Seufzer drangen oft aus der Tiefe ihrer Brust hervor. Einmal bebte der Name Rasmus über ihre Lippen. Ein Schauder durchlief bei diesem unwillkürlichen Ausruf ihren ganzen Körper und ein wildes, gellendes Gelächter, das Margaretha wiederum mit Entsetzen erfüllte, folgte dem rasch und nur halblaut ausgesprochenen Worte.

Sie hatten ein kleines Gehölz betreten, das in seiner winterlichen Entlaubung bald die Aussicht auf den Siljan, bald nach den Schneegebirgen im Hintergrunde des Thallandes, bald nach den zur rechten Seite gelegenen dunkeln Föhrenwäldern frei ließ. Der Sturm der Glocken wurde lauter, wie diese sich vermehrten, wie die zwei flüchtigen Mädchen sich den bewohnten Orten näherten. Plötzlich blieb Anne stehen und horchte mit aller Aufmerksamkeit in die Ferne. Margaretha vernahm nichts, aber die feine Reizbarkeit der Sinne, die in manchen Augenblicken den Wahnwitzigen eigen zu seyn pflegt, hatte Annen nicht getäuscht, als sie ein ungewöhnliches Geräusch zu hören glaubte. Bald erkannte auch Margaretha, daß sich Menschen näherten, viele Stimmen sprachen durch einander, Reden, in dänischer Sprache geführt, ließen sich unterscheiden. Margaretha, ein schlimmes Zusammentreffen fürchtend, bemühete sich, ihre Gefährtin vom Wege ab, hinter ein Felsenstück zu führen, das beide verbergen konnte. Anne aber zog sie mit einer Gebehrde des Unwillens auf der großen Straße weiter und rief heftig:

»Was willst du mich ableiten von der Richtung, die gerade in unser Nest führt? Ich glaube gar du fürchtest dich, wie es die albernen Menschen thun, die keine Flügel haben und langsam an der Erde hinkriechen müssen. Wer kann uns verletzen, wer kann uns greifen? Wir schwingen die Flügel und husch! sind wir weit davon, in den Lüften, in der Ferne, wo uns niemand zu erreichen vermag.«

Sie lachte zufrieden für sich hin und riß nun wieder Margarethen in einer so stürmischen Eile mit sich fort, daß dieser sich nur zu bald offenbarte, was ihre gerechte Befürchtung, was Annens Aufmerksamkeit erregt hatte. Es war jener Haufe dänischer Kriegsleute, der, durch den Aufstand der Thalmänner aus Mora vertrieben, unter der Anführung des Erasmus Fontanus nach Falun zurückkehrte, den, wie wir wissen, bereits Jute aus einem Hinterhalte, in dem er unbemerkt geblieben, beobachtet hatte. Das aus allen Gegenden von Dalarne wiederhallende Sturmläuten ließ eine allgemeine Empörung der Thalleute befürchten und veranlaßte die Dänen bald, ihren Rückzug in eine schleunige Flucht zu verwandeln. Ohne Ordnung eilten sie am Ufer des Siljan hinab, von ihrem Anführer, der selbst Alles verloren gab, weder zu einer neuen muthigen Unternehmung, noch zur Behauptung irgend eines festen Punktes angefeuert. Erasmus Fontanus besaß in der That Muth, aber dieser Muth hatte seine Grenzen. Wenn er auch sich stark genug fühlte, gegen jeden Andern sich zum Kampfe zu stellen, so erlahmte doch seine Kraft vor Erscheinung Rolands, bei der Ahnung seiner Nähe. Es war, als begleite diesen der Geist des unglücklichen Minderhout, als sey von einer höhern Macht mit dem Schwerte Gerechtigkeit und Strafe für das an jenem klagenswerthen Opfer verübte Verbrechen ausgerüstet. Dabei haßte er Roland Doneldey, eben weil er ihn fürchtete. Der Tod des Gefürchteten konnte ihn, wie er glaubte, allein vor dessen Verfolgung retten, aber nur in einem Meuchelmorde, bei dem er nichts wagte, erkannte er die Erfüllung seiner Wünsche. Jetzt bot sich freilich weder Zeit noch Gelegenheit, hieran zu denken, jetzt ging sein ganzes Streben dahin, mit seinen Begleitern Falun zu erreichen und dort die Befehle des königlichen Vogtes, den aber schon die Hand einer schrecklich gereizten Rache tödtlich getroffen, zu vernehmen.

Margaretha erbebte, als sie ihn erkannte, als sie die rothen Feldbinden seiner Gefährten wahrnahm. Sie war sich nicht klar bewußt, was sie jetzt noch, da Nils Westgöthe seine Verbrechen im Tode gebüßt, von ihm zu besorgen habe, aber sein Haß gegen Roland von Bremen, die Gewissenlosigkeit, die sie an ihm kennen gelernt, erweckten dunkle Vorstellungen eines Mißgeschickes in ihrer Seele, das sie in der Begegnung mit ihm bedrohe. In der Hoffnung, man habe sie und Annen noch nicht bemerkt, versuchte sie noch einmal, diese auf der Bahn, welche sie gerade den Dänen entgegenbrachte, zu führen; die Wahnsinnige aber riß sie noch gewaltsamer, als früher, an ihre Seite, ergriff sie heftiger und rief mit aufwallendem Zorne: »Was will die Thörin mich von den Freunden zurückhalten? Das sind Kriegsleute und die haben es immer gut gemeint mit mir, als ich noch unter den Menschen wandelte und ehe die Sjöra mich in ein Vögelein verwandelt hatte. Ich besaß damals einen Schatz unter ihnen und der war gar ein treues Blut, treu bis zum Morde. Glaube mir,« setzte sie wunderlich lächelnd hinzu, »die Kriegsleute sind immer besser, als die Bergleute, und einer mit dem Schwerte thut nicht so viel Schlimmes, als einer mit der Erzhacke! Sie leben am Tage und aus der freien Luft nehmen sie ein freies, redliches Gemüth in sich auf, während jene in der Nacht ein dumpfes Daseyn führen und den boshaften Bergtrollen allerlei Tücke und Frevel ablernen. Herbei, ihr Kriegsmänner!« rief sie jetzt laut den Herannahenden zu. »Ist keiner unter Euch, der sich Rasmus Jute nennt? Eine gute, redliche Seele, ein Freund allen Rechtschaffenen, ein Feind den Bösen und Verräthern!«

Margaretha sah kein Mittel mehr, sich den Blicken des Erasmus Fontanus zu entziehn. Annens Ruf hatte die Aufmerksamkeit der ganzen Schaar auf die beiden Mädchen gerichtet, deren Erscheinung auf offenen Landstraße am ersten Julafton, wo die Bewohner von Dalarne in häuslicher Feier und kirchlicher Andacht sich zu vereinigen pflegten, zu gerechtem Befremden Anlaß gab. Man umringte sie, man bestürmte sie mit plumpen Scherzen, vor denen Margaretha erröthete, bis Erasmus Fontanus, der Hauptmann der Schaar, hervortrat und, mit Erstaunen Margarethen erkennend ausrief:

»Bei meinem Schwerte, es ist eine wunderliche Zeit in's Schwedenland gekommen, da sittsame Jungfrauen an so festlichen Tagen, wie der heutige, das friedliche Haus verlassen, um auf Abentheuer auszuziehn. Ihr werdet Euch gefallen lassen, Jungfrau Böchower, mit mir nach Falun zurückzukehren, wo Jemand lebt, der sicherlich seine Einwilligung zu einem solchen Schritte nicht gegeben hat, dem allein das Recht zusteht, über Euere Person und Euere Handlungen zu verfügen.«

»Er lebt nicht mehr;« antwortete ruhig und besonnen Margaretha. »Derjenige, welcher sich dieses Recht angemaßt, ist heimgegangen in seinen Sünden. Das Schwert eines unbekannten Mörders hat ihn getroffen, das Haus der Freude, der Tummelplatz der Ränke und der Frevel ist in eine Stätte der Trauer und Verwirrung verwandelt worden. Laßt mich ungehindert weiter gehn. Nur meinem Oheim in Mora bin ich Gehorsam schuldig. Zu ihm führt mich mein Weg.«

Die Bestimmtheit, mit welcher Margaretha die Kunde von dem Tode des Vogtes aussprach, erschütterte für den Augenblick die Entschlüsse des Erasmus Fontanus. Bald aber glaubte er, nur ein leeres Vorgeben, eine Erfindung, ihn zu täuschen, in dieser Mittheilung zu entdecken und versetzte in einem spöttischen Tone:

»Welche Bürgschaft gebt Ihr mir für die Wahrheit dieser Aussage? Euer Wort, das in Euerer eigenen Sache nicht gelten kann? Die Gesellschaft dieses Mädchens, das, wie mir bekannt ist, nie große Neigung zeigte, das Haus des Vogtes zu bewohnen und seinem Bräutigam, dem schwarzen Henz, die Treue zu bewahren? Ihr müßt selbst einsehn, daß ich als ein redlicher Untergebener des königlichen Vogtes diese Pfänder nicht als hinreichend annehmen darf, um Euch Vertrauen zu schenken. Dann fühle ich mich auch wenig geneigt, dem saubern Roland von Bremen eine Gefälligkeit zu erzeigen, indem ich sein Liebchen, das ein günstiges Geschick mir zuführt, wieder frei gebe. In Falun seyd Ihr jedenfalls besser aufgehoben. Darum zögert nicht länger, mich zu begleiten, wenn Ihr mich nicht nöthigen wollt, Maßregeln, die Euch lästig fallen dürften, zu ergreifen!«

In diesem Augenblicke vernahm man Büchsenschüsse aus der obern Gegend des Thallandes herab. Wahrscheinlich war eine kleine Anzahl dänischer Krieger, welche eine Art von Nachhut bildete, mit den Landleuten in ein Gefecht gerathen.

»Fort, zurück!« rief Erasmus Fontanus und ergriff den Arm Margarethens, welchen Anne frei gelassen. »Euretwegen wollen wir uns nicht der Gefahr aussetzen, uns diese Uebermacht von aufrührerischem Gesindel über den Hals zu laden. Was hat die Närrin, daß sie an Euch zerrt und Euch nicht loslassen will?« fuhr er fort, als er Annens Anstrengungen, Margarethen auf den Weg nach Mora weiter zu ziehen, wahrnahm. »Reißt das Mädchen von ihr hinweg, stoßt es zur Seite und überlaßt es seinem Schicksale, wenn es nicht mit heimkehren will nach Falun. Die Braut des schwarzen Henz zu hüten, fühle ich mich nicht berufen.«

»Schont ihrer!« flehte Margaretha. »Sie ist eine Unglückliche, sie weiß nicht, was sie thut, sie ist wahnsinnig.«

Aber schon hatten einige der Kriegsleute sich des widerstrebenden Mädchens mit roher Gewalt bemächtigt. Noch hielt Anne die eine Hand ihrer Begleiterin, noch bemühete man sich vergebens, die krampfhaft geschlossenen Finger zu lösen, und mit entsetzlichem Geschrei stieß sie die Worte aus:

»Laßt mich, Ihr bösen Geister! Wer hat Euch Macht gegeben über mich und mein Schwesterlein? Wir wollen zur Heimath, wir wollen zum Neste. Laßt die Flügel los, daß wir weiter fliegen können. Mein Schwesterlein muß bei mir bleiben, wir sind eins im Leben und im Tode.«

Da traf, von grausamer Hand geführt, der Schlag einer Hellebarde lähmend den Arm, mit dem sie Margarethen hielt, da traf, von mörderischer Tücke geleitet, ein Kolbenstoß ihre Brust, so daß ein Strom schwarzen Blutes aus ihrem Munde quoll, und sie röchelnd zu Boden sank.

»Unmenschen! Blutdürstige, abscheuliche Ungeheuer!« rief Margaretha und wollte sich auf die Unglückliche stürzen; allein sie sah sich stürmisch fortgerissen auf den Weg, den sie schon einmal im Laufe dieses Morgens in wilder Eile zurückgelegt, sie mußte sich in das Schicksal fügen, das sie zur Gefangenen eines so verächtlichen Menschen, wie Erasmus Fontanus, machte.

Lange Zeit lag Anne auf der offenen Heerstraße, ohne daß jemand des Weges gekommen wäre, der ihr Hülfe geleistet hätte. Sie lag ohne Besinnung, das Blut, das fortwährend über ihre Lippen floß, färbte den Schneeboden purpurroth, die Odemzüge des unglücklichen Mädchens wurden mit jedem Augenblicke schwächer.

Sie war tödtlich getroffen, aber die irdische Kraft, in einzelnen Regungen von Zeit zu Zeit auflebend, gab den Geist noch nicht hin, hielt ihn noch in schmerzlichen Banden gefesselt. Endlich erwachte sie aus ihrer Bewußtlosigkeit. Eine süße Empfindung durchströmte sie, sie fühlte ihre Hand von einer andern ergriffen, und diese Berührung war es, welche einen wohlthätigen, beseligenden Eindruck auf sie übte.

»Anne, Anne!« tönte es mit bekannter geliebter Stimme in ihr Inneres. »Blicke mich noch einmal an. Scheide nicht, ohne einen letzten Gruß von mir!«

Da öffnete sie die Augen und sah in das trauernde, liebe Angesicht des Rasmus Jute. Eine Empfindung der nahenden Himmelsfreude durchzuckte ihr ganzes Wesen, der Wahnsinn wich vor der Klarheit des Jenseits, die sich schon zu der Sterbenden herabneigte.

»Rasmus!« sprach sie mit hinsterbender, erlöschender Stimme. »Ich bin dir treu geblieben bis zum letzten Augenblicke, ich nehme die Treue mit hinauf in den Himmel. Die heilige Jungfrau sey mir gnädig!«

Kaum verständlich traten die letzten Worte über ihre Lippen. Jute fühlte noch einen sanften Druck ihrer Hand, dann erkaltete diese, der Odem stockte, die Augen brachen und schlossen sich langsam. Jute sandte irre, verzweiflungsvolle Blicke rings um sich her. Einige seiner Bekannten waren, während Gustav Wasa mit den freiheitsbegeisterten Dalekarlen weiter gen Falun gezogen, bei ihm zurückgeblieben. Sie suchten ihn zu trösten, sie bemüheten sich seinen Muth aufzurichten. Lange blieb sein Ohr jeder freundlichen Zusprache verschlossen. Quälende Gedanken zogen durch seine Seele. Hatte nicht um seinetwillen, seiner unbezähmbaren Rachsucht wegen, Anne ihre Jugend, ihren Frieden geopfert? War er es nicht gewesen, der den letzten entsetzlichen Schlag geführt, unter dessen Gewalt ihr Geist erlag, als dessen Folge er nun ihren frühen Tod betrachten mußte? Endlich erhob er sich. Mit tonloser Stimme, welche die Oede seines Innern verrieth, sprach er zu seinen Gefährten:

»Helft mir sie begraben. Weiter oben am Siljan ist ein stilles, verstecktes Plätzchen, wo niemand den Frieden der Todten stört, das der Schritt der Wandrer nicht entweiht. Dort ruht schon eine, die meinem Herzen nahe gewesen, dort mag die Erde Alles decken, was Rasmus Jute auf der Welt geliebt.«

Von dürren Zweigen bildeten die Männer eine Bahre und legten den erstarrten Leichnam darauf. Mächtiger erschallte das Glockengeläute aus den Nachbarorten.

»Es fehlt ihr auch an der letzten Ehre nicht, welche den Todten gebührt,« sagte der unglückliche Mann für sich hin. »Die Glocken läuten dem Schwedenlande zur irdischen Freiheit und ihr zu der bessern himmlischen. Und ob auch kein Priester auf ihrem Grabe betet, so werden die Heiligen wohl das Gebet eines Mannes, dessen ganzes Erdenglück mit ihr gestorben, nicht verschmähen.«

Langsam setzte sich der Zug mit der Todten in Bewegung. Der eisbedeckte Siljan, die Schneehäupter der Fjälln waren Zeugen einer Todtenfeier, die eben so sehr in ihrer Einfachheit, wie in der tiefen, schmerzlichen Trauer, die das Herz eines beklagenswerthen Mannes zerriß, sich von den gewöhnlichen Handlungen dieser Art unterschied.

Indessen hatte Erasmus Fontanus mit seiner schönen Gefangenen die Bergstadt Falun erreicht. Er fand hier Alles bestätigt, was Margaretha ausgesagt, überdem den Ort in unruhige Bewegung gesetzt durch die Kunde von dem Aufstande der Thalleute, die ihm schon vorangeeilt war, die Arbeiter aus den Berg- und Hüttenwerken auf öffentlichen Plätzen in zahlreichen Haufen versammelt, ihre Gebehrden drohend, ihren Willen abgeneigt, die königliche Sache zu unterstützen. Leicht sah er ein, daß hier nichts zu hoffen sey, daß er aus dem einbrechenden Sturme retten müsse, was der Zufall, was die Gelegenheit darbiete. Er ließ Margarethen, die vergebens ihr Verlangen, in Freiheit gesetzt zu werden, wiederholte, unter der Obhut einiger Dänen, deren Dienstwilligkeit er durch Versprechungen reichen Lohns erkaufte, und eilte, Frau Virginia aufzusuchen. Noch war diese in den Gemächern des Vogtes mit dem Einpacken werthvoller Gegenstände beschäftigt. Als sie ihren Verbündeten erblickte, hielt sie diesem ein reich mit Edelsteinen besetztes Schmuckstück entgegen, das Nils Westgöthe nur bei außerordentlichen Gelegenheiten getragen, und rief mit verschmitztem Lächeln:

»Hat uns nicht das Schicksal ausersehen, allenthalben glückliche Erben zu seyn? So retteten wir von der Concordia die Hinterlassenschaft des grämlichen Minderhout, so wird uns jetzt ganz unvermuthet der Nachlaß eines königlichen Vogtes von Dalarne zu Theil, der im Leben wohl nie daran dachte, uns zu seinen Erben einzusetzen! Aber man muß behende seyn in solchen Dingen. Ein verlorener Augenblick läßt oft Alles verlieren.«

»Laßt mir das Gedächtniß des heimgegangenen Minderhout aus dem Spiele!« sprach von einer unangenehmen Empfindung ergriffen, der dänische Hauptmann. »Es ist nicht gut, die Todten in ihren Gräbern zu stören. Ihr Geist wird nur zu leicht heraufbeschworen.«

»Narr!« versetzte mit frevelhafter Leichtfertigkeit, die selbst ihren Mitschuldigen anwiderte, die Flammländerin. »Er liegt ja nicht im Grabe, er liegt weit von hier in der fernen Nordsee, und meine Stimme reicht nicht bis dahin. Stört mich nicht in meiner Freude, denn ich erbe gar zu gern, und denke mir auch noch einst die Erbschaft in Drontheim zu holen, die wir ohne den abergläubischen Capitän der Concordia längst schon in Händen hätten.«

»Noch einmal,« rief unwillig Erasmus Fontanus, »schweigt von jener Vergangenheit, wenn Ihr mich nicht in Zorn versetzen wollt. Rafft noch schnell zusammen, was einigen Werth hat. Das Land ist aufgestanden gegen die Dänenherrschaft, und jeder Augenblick längern Verweilens könnte uns nicht allein die Erbschaft, könnte uns auch das Leben kosten. Horch, da läuten sie schon Sturm oben im Bergviertel! Die Dänen schießen, sie sind angegriffen. Hinweg zum Hinterhof! Ein flüchtiger Schlitten trägt uns auf sichern Wegen zur Hauptstadt.«

Diese Eröffnung, so wie das Getöse, das sich jetzt in den Straßen von Falun erhob, erfüllte Frau Minderhout mit ängstlicher Besorgniß. Indem sie und der Gefährte ihres zweideutigen Lebenswandels sich mit Allem belasteten, was ihre Vorsicht aus geheimen Schubfächern, aus bergenden Truhen schon zum Transporte vorbereitet, stieg von Augenblick zu Augenblick das Geschrei, das Lärmen und Toben auf dem vor der Vogtei gelegenen Platze. Erasmus Fontanus drängte die Zitternde durch die Gänge des Hauses nach dem Hofe. Hier stand Margaretha Böchower, von den Dänen bewacht, welche der Hauptmann bei ihr zurückgelassen.

»Sie wird uns begleiten,« raunte er lächelnd Virginien zu, die ihn befremdet und fragend anblickte. »Ihr könnt nicht ahnen, was ich mit ihr vorhabe, aber ich schwöre Euch, diese Gefangene soll uns einen Gewinn bringen, der die Erbschaft des Nils Westgöthe um das Doppelte übersteigt. Auch ich weiß mich der Gunst des Glückes zu bemächtigen, wo sie sich mir bietet. Jedes Ding hat seinen Werth, wenn wir ihn zu erkennen wissen, selbst ein Weib, das uns haßt, das uns sogar auch verachtet. Was kümmert mich ihre Verachtung, wenn die That, durch welche ich diese veranlaßte, mir Vortheil bringt? Der Reiche beherrscht die Welt, und vor ihm beugt sich am Ende doch Alles, das Scheingepräge, das sie Tugend nennen, der erbärmliche Dünkel des Ruhms und kein Genuß des Lebens ist ihm versagt.«

Der dänische Hauptmann sprach diese Worte, indem er Frau Virginien in den Schlitten half, und sie mit wärmenden Pelzen bedeckte. Schon waren zwei kräftige, vor Ungeduld stampfende Rosse eingespannt, die Kriegsleute standen ebenfalls bereit, sich auf die harrenden Reitpferde zu schwingen, als Erasmus Fontanus sich mit gebieterischem Trotze Margarethen näherte und sie aufforderte, den Platz an der Seite der Frau Minderhout einzunehmen. Was konnte das schutzlose Mädchen anders ihm, als sich seinem Willen fügen, um der rohen Gewalt, die sie außerdem bedrohete, zuvorzukommen? Sie kannte die Gewissenhaftigkeit desjenigen zu genau, in dessen Händen sie sich befand, um nicht Alles von ihm zu befürchten, sie empfahl sich im stillen Gebete dem Schutze Gottes, und folgte dann der im drohenden Tone wiederholten Aufforderung, indem sie sich zu einer Frau gesellte, gegen die sie einen tiefen und, wie sie überzeugt war, gerechten Abscheu empfand.

Ein tausendstimmiger Ruf: »Es lebe Gustav Wasa! Nieder mit Christian von Dänemark!« schallte jetzt vom obern Theile der Bergstadt herab und verkündigte die Ankunft der Dalekarlen von Mora. Der junge Held selbst zog an der Spitze der begeisterten und kampflustigen Thalmänner ein. Da erkannte Erasmus Fontanus, daß jetzt nur die schleunigste Flucht ihn retten könne. Er schwang sich auf den vordern Sitz des Schlittens und im Sturmwinde flog nun dieser aus dem Hof, in den schon Pfeile, von den Thalmännern gegen die Dänen gesandt, niederfielen. Die auserwählten Begleiter folgten in wilder Hast, und bald verschwanden Fuhrwerk und Reiter in einer entlegenen Schlucht, die auf den nächsten Weg nach der Hauptstadt führte.

Kurze Zeit nachher unterlagen die dänischen Krieger, die sich noch im Orte zu halten suchten, dem Muthe und der Menge ihrer Gegner. Roland Doneldey hatte Alles niedergeworfen, was sich ihm vor dem Gebäude der Vogtei in den Weg stellte. Aber er kam dennoch zu spät, um sich die Geliebte wieder zu gewinnen. Nur die traurige Gewißheit wurde ihm, daß diejenige, die er einzig liebte, der Willkühr desjenigen, der ihn tödtlich haßte, unterworfen sey.



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