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Sechstes Kapitel.


Stimme aus den Lüften, wem gehörst du?
»Grüß' dich Gott, mein trautes Schwesterlein!
Ach, wie oft hab' ich nach dir gerufen!
Keine Antwort – Schweigen! Todespein!«

Während wir Roland Doneldey in das schwedische Lager begleiteten, setzte Lille ihre seltsame Wandrung fort. Sie brauchte nicht auf den Weg zu achten, alle Hindernisse, alle Beschwerden, die sich ihr entgegenstellten, überwand oder umging sie, nach jener wunderbaren Eingebung, die ihr geworden. Sie war von dem Hügel aus längs einer jener Strömungen, welche die Vereinigung des Mälarsee's mit dem Meere bilden, hingeschritten. An einer Stelle wo üppiges Ufergras und überhangende Weiden eine kleine Bucht bedeckten, stand sie still. Sie prüfte die Festigkeit des Bodens, sie stieg vorsichtig zwischen dem Gestrüpp hinab und fand hier einen kleinen Nachen, der nur leicht an einen der Baumstämme angebunden war. Als eine Eingeborene des wasserreichen Thallandes, verstand sie das Ruder wohl zu führen. Wie wenn Tageshelle sie umgebe, vermied sie die kleinen Sandinseln in der Strömung, wandte sie sich zu einem Platze, wo sie ohne Schwierigkeit landen und an das Ufer gelangen konnte. Hier standen eng zusammengefügt Pallisaden, hinter ihnen erhoben sich die Wälle. Lille's Schritte lenkten sich nach einem Orte, wo die Reihe der Befestigungen eine Spitze bildete. Hier hatten sich, wahrscheinlich vor Kurzem erst, so daß man es noch nicht bemerkt, Steine von den Mauern gelößt und waren mit Schutt vermischt hinabgestürzt. Diese Masse stieg bis zur Höhe der hier befindlichen Pallisaden heran und Lille konnte ohne große Mühe, nachdem sie sich an einem der Pfähle mit der ihr eigenen Gewandtheit hinaufgeschwungen, über die kleine Bresche, wie über eine abhängige Brücke hin, die Hohe des Walls erklimmen. Eine Schildwache schritt hier auf und nieder, aber sie vernahm den leisen Tritt des Mädchens nicht. Hinter ihrem Rücken schwebte diese, leicht wie ein Abendlüftchen, die Wallgänge nieder, die in das Innere der Stadt führten. Sie vermied, eine breite Straße zu betreten, aus der fernher das Geräusch des städtischen Treibens erklang. Durch die engen Gäßchen, über jene Brücken hin, die sie die Sjöra geführt, nahm sie ihren Weg. Ihr Gang war bestimmt, sie kannte das Ziel, zu dem sie wollte. So sahen sie alle Begegnenden für eine Angehörige der Stadt an und beachteten sie wenig. Endlich, nachdem sie über einen entlegenen, öden Platz geschritten, sah sie sich vor jenem düstern, kirchenartigen Gebäude, das sie kannte. Hier hörte ihre Wandrung auf, hier aber stand sie nun auch rathlos über das, was sie weiter beginnen sollte. Die innern Verhältnisse des Hauses lagen klar vor ihrer Seele, wie sie sie damals im wunderbaren Lichte erschaut, aber wer öffnete ihr diese Pforten, die dem wiederholten Drucke ihrer Hand nicht wichen, wie konnte sie unbemerkt Zugang zu der Freundin erlangen?

Sie umschritt das abgeschlossen für sich liegende Gebäude; sie spähete allenthalben nach einer Gelegenheit, welche ihr Eintritt bieten möchte. Tiefe Stille herrschte im Innern, an keinem der hohen Fenster zeigte sich ein Lichtschimmer. So hatte sie das finstre Haus umkreist, ohne eine Entdeckung zu machen, die ihr Unternehmen weiter fördern konnte, und nun stand sie wiederum unter dem hochgewölbten Portale, vor den verschlossenen Pforten. Da vernahm sie plötzliches rohes Gelächter, laute Stimmen und klirrende Schritte von Innen. Sie schlüpfte hinter einen der mächtigen Pfeiler, die das Gewölbe der Halle trugen. Hier konnte sie leicht unbemerkt beobachten, was sich ergeben würde, hier lauerte sie, von Furcht und Hoffnung bewegt.

Die Thüre öffnete sich, ein Mann in Dienerkleidung, eine hell auflodernde Fackel in der Hand tragend, trat heraus und entfernte sich einige Schritte, um Andern, die ihm folgten, vorzuleuchten. Nun unterschied Lille unter den rauhen Stimmen mehrerer Männer, eine feine weibliche, die lachend ihre Scherzreden erwiederte und sich in einem leichtfertigen Sinne über die verlebten frohen Stunden vernehmen ließ. Man schien sich nach einem lustigen Gelage zu trennen. Eine Anzahl gewaffneter Männer erschien unter der Halle, rief noch einmal in geräuschvoller Weise ihren Dank zurück und schloß sich dann dem vorangehenden Fackelträger an. Mit unbedecktem Haupte und in einem leichten Hausgewande hatte derjenige, der sie bewirthet, ihnen das Geleit bis an die Halle gegeben.

»Gute Nacht, Herr Arndt Ornflykt!« rief er dem letzten seiner Gäste nach. »Ein andres Mal erzählt Ihr uns wohl genauer, wie es dem Eiskönig von Dalarne gelang, aus Euerem Schlosse zu entkommen.«

»Gern!« erwiederte jener. »Ihr bleibt uns dagegen die Geschichte von dem königlichen Bergvogt schuldig.«

Die Gäste enteilten. Der Hausherr stand unter dem Portale und sah ihnen nach, während auch jene Frau heraustrat und, vertraulich sich an ihn lehnend, sich zu ihm gesellte. Lille, die aus ihrem Verstecke Alles wohl beobachten konnte, erkannte den Mann. Sie hatte ihn an der Spitze der Dänen gesehen, die einst gegen die Dalekarlen von Mora kämpften, sie hatte ihn später als jenen Erasmus Fontanus bezeichnen hören, von dem sie aus Margarethens und Rolands Mittheilungen nur zu viel Böses vernommen, sie konnte nun auch leicht zu der Ueberzeugung gelangen, daß seine lachende und schäkernde Gefährtin niemand anders sey, als jene Virginia Minderhout, die lange mit ihm im Hause des bösen Vogts zu Falun gelebt. Alles Uebel, alle Bedrängniß, welche ihre liebe Margaretha unter der Gewalt dieser Menschen erlitten haben mochte, kam ihr, Besorgniß und Theilnahme erregend, in den Sinn. Aber sie mußte die Gunst benutzen, die ihr der Augenblick bot. Während Erasmus Fontanus und Frau Minderhout noch außerhalb der Halle mit einander scherzten und kos'ten, schlüpfte sie mit leisem, unhörbarem Tritte durch die offen gebliebene Pforte in das Innere des Hauses. Nirgends brannte ein Licht, aber es zeigte sich wieder Alles vor ihr in wunderbarer Klarheit, wie damals aus der Wandrung mit der Sjöra. Sie trat bei Seite, sie wollte vorsichtig, ehe sie versuchte, zu Margarethen zu gelangen, abwarten, daß die Hausbesitzer sich zurück und zur nächtlichen Ruhe begeben haben würden. Bald traten diese wieder in das Haus. Noch immer sich ihrer frohen Laune überlassend, eilten sie so nahe an Lille vorüber, daß die seidenstoffene Kleidung der Frau Minderhout das Mädchen berührte. Lille stand mit zurückgehaltenem Odem, regungslos, nicht durch das unbedeutendste Geräusch ihre Gegenwart verrathend. Das fröhliche Paar stieg, den Weg auch im Dunkeln wohl findend, die Treppe hinan und sein Gelächter, sein lautes Reden verlor sich in den obern Gängen des Hauses. Lille wagte noch nicht, ihre Stelle zu verlassen. Leicht konnten noch Diener und Mägde im Nachräumen des abendlichen Gelags geschäftig seyn. Erst als ihr leises Gehör auch nicht das mindeste Geräusch mehr vernahm, nachdem die Glocke einer benachbarten Kirche die mitternächtige Stunde angezeigt hatte, begab sie sich ebenso rasch, wie unvernehmbar, in den innern Hof des Gebäudes. Dieser war eng und die hohen Mauern ragten ringsum, wie Felsenwände, empor. Von der wunderbaren Klarheit, die, wie es sie dünkte, aus ihrem eigenen Innern strömte, geleitet, betrat Lille eine schmale Treppe, die hoch auf in einen thurmartigen Vorsprung, bis unter dessen oberste Dachkuppel führte. Hier erblickte sie durch eine Oeffnung im Dache den gestirnten Himmel, ihr gegenüber eine mit Schloß und Riegel fest verwahrte Pforte. Diese Scheidewand hinderte Lilie nicht, Margarethen Böchower in einem kleinen Gemache, bei einer dem Verlöschen nahen Lampe, in derselben Stellung wahrzunehmen, in der einst die Sjöra die Freundin ihr gezeigt. Aber wie zu ihr gelangen, wie diese Thüre öffnen, deren Eisenbande jedes gewaltthätigen Versuches von ihrer Hand spotteten? Ein verwegener Gedanke entkeimte in ihrer Seele. Die Macht, welche ihr die Geister beigelegt, war hier am Ende, das erkannte sie; sie mußte sich auf ihre eigene Kraft verlassen. Sie trat an das Fenster im Dache, sie blickte hinaus. Von einer schwindelnden Höhe sah Lille beim zitternden Scheine des Mondes hinab, auf die Häuser von Stockholm, in ihre Höfe, auf die Silberfäden der Strömungen, welche die Stadt durchschnitten, auf das matt glänzende Meer, auf die seltsam gestalteten Verzierungen eines alten Kirchthurms, der sich jenseits des Raumes befand, welcher das Gebäude umgab. Einst hatte es ihr zum ergötzlichen Spiele gedient, die höchsten Bäume des Waldes zu erklettern, sich von Zweig zu Zweig zu schwingen, in den höchsten Wipfeln sich zu wiegen, die frische Himmelsluft in einer grünen Einsamkeit zu trinken, wo sie niemand zu stören wagte. Sie hielt sich in den Spielen ihrer kindischen, immer wunderbar bewegten Phantasie dann für eine Elfe, deren Aufenthalt das Grün des Waldes, der freie Raum des Aethers sey. Die Gewandtheit, welche sie in solchen verwegenen Spielen erlangt, diente ihr jetzt zur Ausführung ihres kühnen Plans. Leicht schwang sie sich durch die Fensteröffnung auf das Dach; indem sie mit der Spitze eines ihrer Füße auf dem Fensterbalken ruhete, haschte ihre Rechte nach der Thurmspitze mit der Wetterfahne, welche die Kuppel trug. Sie hatte sie erreicht, sie hing jetzt schwebend über einem entsetzlichen Abgrunde, mit beiden Händen an die Eisenstange geklammert, während ihre Füße vergebens einen Haltpunkt auf dem platten Schieferdache suchten. Lange konnte sie in dieser Lage, welche die höchste Anstrengung ihrer Kräfte erheischte, nicht bleiben. Sie wußte, daß jenseits der Stelle, wo sie sich befand, ein Fenster, gerade wie das, durch welches sie hinausgeklettert, lag, das in Margarethens Gemach führte. Dieses zu erreichen, war ihre Absicht. Aber schon zuckte, von dem ungeheuern Aufgebote aller Kräfte erregt, ein Krampf durch ihre Glieder, schon ergriff sie der entsetzliche Gedanke, aus dieser Höhe hinabzustürzen, schon sah sie im Geiste sich als eine furchtbar entstellte Leiche am Fuße des Thurmes liegen. Da schwang sie sich rasch empor zur höchsten Spitze der Kuppel, da saß sie plötzlich auf der obersten Wölbung, die Eisenstange, auf der die Wetterfahne, mit beiden Armen krampfhaft umschlingend. Hier wollte sie ruhen, hier frischen Odem schöpfen, neue Kräfte sammeln.

Eine wunderbare Szene lag zu ihren Füßen. Ihr Auge blieb von dem großen Anblicke gefesselt, während sie sich nicht bergen konnte, daß, je länger sie hinabsah, ein betäubender, sinneverwirrender Schwindel sie mehr und mehr ergriff, an ihr drängte, an ihr zog – in den Abgrund hinab. Das magische Licht des Mondes spielte in wunderlichen Abstufungen mit den Häusermassen, aus denen die dunkeln Riesengebilde der Klöster und Kirchen, des alten Schlosses aus König Birger's Zeiten auftauchten. Auf den Wellen des Meeres zitterte das Spiegelbild des Mondes, einen langen Silberstreifen hinter sich herziehend. Lille glaubte, in der großen Aufregung, welche sich ihrer bemächtigt hatte, den mächtigen Strömkarl in seinem Gewande von Silberschuppen zu erblicken, der sich aus den Wellen zu ihr emporrang, um sich zu ihr aufzuschwingen durch die Lüfte. Alles flirrte, Alles verwirrte sich vor ihren Blicken. Da heftete sie diese starr auf den alten gothischen Kirchthurm ihr gegenüber. Welche neue gräßliche Erscheinung entwickelte sich da sinneverwirrend aus der Nacht! Die alterthümlichen seltsamen Zierrathen, die Spitzen und Schnörkel schienen lebendig zu werden, sich auszudehnen in lange, nach ihr hinreichende Arme, in wunderliche Schlangengebilde die sie umstricken, sie hinüber-, hinabzureißen strebten. Zugleich brauste vom Meere eine Windsbraut heran, die Wetterfahne über ihrem Haupte drehte sich schwirrend, wie Eulengeschrei kreischte eine andre vom Nachbarthurme herüber, losgerissene Ziegeln klirrten in die Tiefe, das leichte Holzgerüst, auf dem Lille sich mühesam erhielt, bebte und schwankte in allen Fugen.

Es war ein entsetzlicher Moment. Unwillkürlich schloß Lille die Augen, und durch die Betäubung, in welche der Eindruck der äußern Welt sie versetzt, drang aus der Tiefe ihres Innern klar und erhebend, ein Gebet um den Beistand der Heiligen, um Verleihung neuer Kraft empor. Sie fühlte sich ruhiger, sie fühlte sich gestärkt. Langsam und noch immer mit geschlossenen Augen wand sie sich, die Eisenstange immer zum festen Haltpunkte nehmend, um die oberste Wölbung der Kuppel, bis sie über dem Fenster, das in Margarethens Gemach führte, zu schweben glaubte. Der Sturm wüthete fort, schmerzlich griff der schneidende Ton der oben schwirrenden Fahne in ihr Gehirn. Sie suchte mit der Spitze des Fußes, sie berührte glücklich das vorspringende Schutzdach des ersehnten Fensters. Jetzt bot sie alle wiedergewonnene Besonnenheit auf. Die Augen öffnend, den Blick aber nur starr auf die Stelle unter ihren Füßen, nicht neben hin, nicht oben hin wendend, betrat sie diese fest, ließ sich, mit den ausgebreiteten Armen an der Kuppel niedergleitend, hier auf beide Kniee nieder, und schwang sich nun, den obern Theil des Fenstervorsprungs ergreifend, leicht und geräuschlos in das Gemach Margarethens, die der mild kühlenden Nachtluft das Fenster weit geöffnet hatte.

Das Wagstück war vollbracht. Lille stand, ohne von der Freundin bemerkt worden zu seyn, hinter dieser. Sie lächelte in der stillen Freude des Siegs über so viele Gefahren und Hindernisse, sie legte leise ihre Hand auf Margarethens Schulter. Wie aus einem schweren Traume erwachend, fuhr diese empor und stieß einen Schrei der Ueberraschung aus. Wer konnte sie in der Einsamkeit ihres Kerkers stören, wer besaß die Macht, ohne das Geleit, ohne die Erlaubniß ihrer Wächter in diesen zu dringen, welche wunderbare Kraft hatte dieses vollbracht, da sie doch mit dem Angesichte nach der Thüre gewendet, diese, wenn auch andre ferne Dinge denkend, stets im Auge behalten hatte?

»Margaretha!« sprach da eine sanfte wohlbekannte Stimme in ihrem Rücken. Zitternd wandte sie das Haupt, beim Dämmerscheine der Lampe vermochte sie nicht gleich die befreundeten Züge zu unterscheiden; nicht ganz frei von den Vorurtheilen jener Zeit glaubte sie, ein überirdisches Wesen zu erblicken. Aber sanfte, schwellende Arme umschlangen sie, ein lebenswarmer Mund berührte den ihrigen, und nach wenigen Augenblicken gewann sie die süße Ueberzeugung, nach so langer Entbehrung irgend eines wohlwollenden, theilnehmenden Geschöpfes, eine Freundin in ihrer Nähe zu besitzen, die, freilich mit wunderbarer Macht ausgerüstet, die Mauern ihres Gefängnisses durchdrungen zu haben schien.

Die beiden Jungfrauen verloren sich bald in ein trauliches Gespräch, in Mittheilungen, welche die seltsamen Schicksale, die sie seit ihrer Trennung betroffen, angingen. Sie gewahrten, dem wohlthuenden Gefühle des lang entbehrten Zusammenseyns hingegeben, nicht den Schritt eines Lauschenden vor dem Gemache, nicht dessen Annäherung an die Thüre.

»Margaretha,« sagte Lille, nachdem sie aus dem Munde der Freundin vernommen, daß diese deshalb von Erasmus Fontanus und der Genossin seiner Ränke, Virginia Minderhout, festgehalten werde, weil, sobald es die kriegerische Zeitläufe erlauben würden, der dänische Hauptmann ein reiches Lösegeld für die Freiheit der Tochter von Herrn Bernhard Böchower zu erpressen hoffe, »du befindest dich in der Gewalt böser Menschen, die kein menschliches Recht, die nicht das heilige Band der Natur achten, das die Liebe einer Tochter an den Vater fesselt. Sie mißbrauchen es, um ihrem schändlichen Eigennutze zu fröhnen. Aber ich hoffe, dich aus ihrer Gewalt befreien, dich in kurzer Zeit aus diesem Kerker führen zu können.«

»Wunderbares Kind,« versetzte ungläubig Margaretha, »hat deine Sjöra, haben die Elfen deiner dalekarlischen Wiesen und Wälder auch zu meinem Beistande dich mit irgend einer geheimnisvollen Kraft ausgestattet? Bringst du Flügel mit, in denen sich einer oder einige deiner Trollen versteckt haben, um mich aus dem Thurme hinab, über die Wälle hin, über Berg und Thal zu dem Oheim in Dalekarle oder gar über das weite Meer in mein väterliches Haus zu Lübeck zu tragen?«

»Gedenke nicht der dunkeln Mächte,« sprach ängstlich und fröstelnd Lille; »erwähne ihrer am Wenigsten im Spotte. Sie sind leicht zu reizen und rachsüchtig. Nie habe ich sie so sehr gefürchtet als jetzt, da sie mir ihre Dienste aufgedrungen; denn sie verschenken sie nicht, sie verkaufen sie um einen hohen, entsetzlichen Preis, den sie selbst bestimmen und zu seiner Zeit einfordern. Meinst du, die Sjöra habe mir umsonst ihren zaubermächtigen Blick geliehen, um den Weg zu dir zu erkennen, das Volk der Elfen mir seine Flüchtigkeit zur weiten Wandrung, der Strömkarl seine Oberherrschaft über die Wellen? Die Zeit wird kommen, wo ich diese Schuld zurückzahlen muß mit dem Theuersten was ich ich habe, und mit dem Opfer, das sie seit dem ersten Augenblicke seines Daseyns verfolgt, mit mir selbst!«

Sie schwieg. Eine dunkle Zukunft hatte sich vor ihr geöffnet, in der sie Untergang und Verderben ahnte, ohne dessen Art und Weise zu erkennen. Margaretha ergriff ihre Hand und sagte in einem besänftigenden Tone:

»Ich will dich nicht mehr an deine wunderlichen Verfolger erinnern. Ich glaube nur nicht an sie, obschon ich gestehen muß, daß in deinem ganzen Leben, daß besonders in deiner Reise hierher, in dem Umstande, daß ich dich bei mir in diesem Gemache sehe, so viel Unbegreifliches liegt, daß jemand, der weniger auf die Hülfe Gottes und seiner Heiligen vertraute, als ich, leicht sich geneigt fühlen könnte, die ganze Welt von Trollen, Sjören, Strömkarlen und Elfen bevölkert zu sehn. Doch nun genug von ihnen für immer. Wie aber, liebes Mädchen, gedenkst du mir die Thüre meines Gefängnisses zu öffnen, die Wachsamkeit des Erasmus Fontanus zu täuschen, und die vielen Hindernisse zu besiegen, die meiner Flucht entgegenstehn?«

»Ich werde nur wenig dazu thun,« antwortete ruhiger Lille. »Du wirst mit deiner Rettung das süße Bewußtseyn hinnehmen, sie dem Freunde deines Herzens, Roland Doneldey, zu verdanken. Ich habe ihn gesprochen, er läßt dich grüßen. Dieser Ring, den er mir übergab, enthält die Macht, Schloß und Riegel deines Kerkers zu sprengen. Er wird dir mitten unter Feinden einen Freund aufrufen, der dich sicher zu Roland geleitet.«

»Dieser Ring?« sprach erstaunt und neugierig den Reif betrachtend Margaretha. »Ich sah ihn nie an Rolands Hand. Welche Bedeutung mag in ihm liegen, wo ist der Freund, der sich hülfreich dieser unterwerfen wird?«

»Roland kennt ihn aus frühern Tagen,« erwiederte das Mädchen aus Dalarne. »Er führt zwei Namen: Arwed Oxe oder Ignotus, und sein Gebot gilt in dieser Stadt als eines der mächtigsten Kriegsobersten.«

Die beiden Mädchen, ganz ihren Hoffnungen sich hingebend, überhörten wiederum ein Geräusch an der Thüre des Gemaches, das ihnen die Nähe eines Lauschers verrathen konnte. Margaretha war aufgestanden und sah, an Lille gelehnt, hinaus in die liebliche Mondnacht. Sie konnte die verschiedenen Holme, auf denen die Stadt lag, unterscheiden, die einzelnen Strömungen erkennen, welche jene Inseln von einander trennte. Jenseits der Wälle und Mauern brannten in einem großen Halbkreise, dessen beide Enden das Meer erreichten, die schwedischen Lagerfeuer. Der Gedanke, einen Freund in der Stadt zu besitzen, der sie, sobald er nur Kunde von ihrer Bedrängniß erhalte, gewiß dem Freunde im Lager zuführen würde, ergriff sie mit belebender Freude.

»Ignotus hier?« rief sie mit bewegter Stimme. »O so kann Alles bald gut werden, so muß dieser unselige Zwang, der mich nun schon so lange von Allen, die ich liebe, fern hält und mich Menschen unterwirft, welche ich verabscheue, aufhören, wenn es dir nur gelingt, wieder herabzukommen, wie du herausgekommen bist, wenn du ihn vermagst aufzufinden, der sich meiner annehmen wird in dieser Noth!«

»Sey deshalb unbesorgt!« versetzte Lille. »Ich konnte wohl beben, als ich mich zu dir begab, als das Dach unter mir schwankte, als der Sturm mich umbrauste, als der Schwindel mich ergriff und die Geister der Tiefe nach mir heraufreichten. Jetzt hat mich dein Anblick gestärkt; der Gedanke, dir zu helfen, mir Ruhe und Besonnenheit zurückgegeben. Ich sah dich so lange nicht, und entbehrte in dir die einzige Freundin, der ich vertrauen konnte, die mich nicht lieblos zurückstieß, wie so viele andre. Nun haben wir uns wiedergesehen, nun habe ich wieder traulich zu dir gesprochen, und die alte Liebe in deinem Herzen wiedergefunden. Aber siehe, der Mond erbleicht und der Morgen dämmert herauf! Ich muß dich verlassen. Sey ruhig, Margaretha, denn ich sage dir, so gewiß mein Untergang auf eine geheimnißvolle Weise mit dem des Claudianus verwebt ist, so gewiß wirst du zu einem glücklichen Bunde mit Roland von Bremen vereinigt werden. Haben mir es nicht die Elfen, hat es mir nicht der Strömkarl offenbaret, und sollte ich denen mißtrauen, die ich bisher in ihrer gräßlichen Wahrheit erkennen mußte? Ach Margaretha,« fügte sie weinend hinzu, indem sie die Freundin in ihre Arme schloß, »es zieht eine düstre Ahnung durch meine Seele, daß wir uns nicht wiedersehn werden! Meine Zeit ist um, ich habe die Dienste der dunkeln Mächte angenommen, und ich bin ihnen dafür verfallen. Traure um mich, wenn ich aus der Reihe der Lebenden verschwunden bin, und wenn dir im Rauschen einer Quelle, im Rieseln eines Baches ein schwermüthiges Lied entgegentönt, dann bete für Lille's Seele, für ihre Erlösung aus dunkelm Geisterreiche.«

Sie preßte noch einmal die Freundin mit einer gewaltsamen Bewegung an ihre Brust. Dann riß sie sich los und schwang sich auf die Fensterbrüstung.

»Kann ich nicht mit dir!« rief, die Arme nach ihr hinbreitend, Margaretha. »Kann ich nicht auf demselben Wege, den du zu wandeln vermagst, in die Freiheit gelangen?«

»Nein, nein!« entgegnete ängstlich abwehrend Lilie. »Was wolltest du um eine Sache dein Leben wagen, die dir dennoch werden wird und werden muß? Vertraue auf mich, vertraue auf meine Thätigkeit! Dich würde eine Gefahr entsetzen, die mich, nun da ich dich gesehen habe, da ich ruhiger geworden bin, erfreut. Die Verwegenheit könnte dich mit deinem Leben dein Glück kosten, ich aber habe nichts zu verlieren, andre gewinnen vielleicht durch meinen Tod. Aber sey nicht bange um meinetwillen! Wie oft habe ich nicht daheim in dem schönen Dalarne mich gewiegt in den Wipfeln hundertjähriger Eichen, und mich ergötzt an dem Brausen des Sturmes, vor dem die Aeste, die mich trugen, sich neigten. Siehe dort den ersten leichten Glanz der Morgenröthe! Fort, fort! Der Tag ist gefährlicher, als dieser kurze Gang! Du erhältst ein Zeichen von mir, wenn ich glücklich wieder im Innern des Thurmes angelangt bin.«

Sie winkte noch lächelnd einen Gruß nach Margarethen hin, dann schwang sie sich hinaus auf das schräg ablaufende Dach, auf den Fenstervorsprung, und, während Margaretha ihr mit ängstlich klopfendem Herzen nachsah, in leichten Bewegungen um die Spitze der Kuppel, hinter der sie nach einigen Augenblicken verschwand. Bald ertönte ein halblauter Ruf an der Thüre des Gemaches, und gab Margarethen die beruhigende Ueberzeugung, daß das kühne Mädchen ohne Unfall den schwierigsten Theil ihres Weges zurückgelegt habe.

Aber diese Gefahr hatte ihrer nur geschont, um sie einer andern, in ihren Folgen nicht minder verderblichen, heimfallen zu lassen. Schon lauerte diese ihres Opfers an einer Stelle, wo es ihr nicht entgehen konnte. Vergebens suchte oft Erasmus Fontanus durch frohe Gesellschaft seiner Waffengenossen, durch berauschende Getränke, die Stimme seines Gewissens verstummen zu machen, die in schlummerlosen Nächten die Erscheinung des todten Minderhout an sein Lager rief. Wie er einst gewandelt auf dem Schiffe Concordia, so trat dann die schwerfällige Gestalt des alten Herrn, mit dem grämlichen und zugleich gutmüthigen Angesichte aus nächtlichem Dunkel hervor, heftete starr und vorwurfsvoll die stechenden Augen auf seinen Mörder, deren Blick mit tödtlichem Froste erkältend in Herz und Gehirn des Beängstigten drang. Alle Verwünschungen, alle Gebete, mit denen Erasmus die Erscheinung zu entfernen suchte, vermochten nichts über sie. Immer stand sie da mit dem leidenden, anklagenden Ausdrucke in den leichenhaften Zügen. Dann konnte es Fontanus nicht länger aushalten. Er sprang auf, er stürmte durch die Gänge des weitläufigen Gebäudes, er suchte allenthalben Ruhe, ohne sie zu finden, denn wenn auch nun die Gestalt verschwand, so wurde die Stimme seines Gewissens doch lauter und erzählte ihm Alles vernehmlich, wie es sich damals an der Küste von Norwegen begeben. So war es ihm auch in dieser Nacht ergangen. Seiner frühern magischen Beschäftigungen eingedenk, hatte er den Himmel, hatte er die Hölle beschworen, das Gespenst zu bannen; aber der Himmel verschmähete die sündliche Annäherung des Ruchlosen, die Hölle wies sie mit Hohn zurück. Es trieb ihn fort, es trieb ihn hinaus. Er warf sein Panzerhemd über, er waffnete sich mit Schwert und Dolch, als vermöge er mit irdischen Waffen einen Feind zu bekämpfen, der der geistigen, nicht der körperlichen Welt angehörte. Als er im Hofe des Hauses stand, wehete ihn die kühle Nachtluft erquickend an. Er gab ihr die fieberhaft brennende Stirn Preis, er trank ihren Odem in langen Zügen Da fiel sein Blick aus die Kuppel des Thurms, in dem Margaretha Böchower gefangen saß. War es ein neuer Betrug der Phantasie, die seiner spottete, war es Wirklichkeit, als er hoch oben in schwindelnder Höhe eine menschliche Gestalt erblickte, die kühn und vorsichtig zugleich den Wetterhahn auf der Spitze umkletterte? Er flog die Treppe hinab, er näherte sich so geräuschlos als möglich der Thüre von Margarethens Gemach. Hier blieb er lauschend stehn, hier gewann er bald eine Gewißheit, welche die Person und die Absicht der nächtlichen Besucherin außer Zweifel setzte. Sein ränkevoller Geist berechnete sogleich, welchen Vortheil er von diesem Ereignisse ziehen könne. Eine glänzende Hoffnung ging in seiner Seele auf, ein Plan, jenen hohen Preis zu erringen, den Christian von Dänemark noch immer demjenigen bestimmte, der ihn von seinem ärgsten Feinde, dem Gründer der schwedischen Freiheit, befreien würde. Freilich war ihm bekannt, daß Severin Norby diese Preißaufgabe, als einer ehrlichen Führung des Krieges unwürdig, verdammte; aber war nicht der Admiral auch ein Diener des Königs, mußte er sich nicht vor dein Willen des Höhern beugen?

Lille war, wie wir wissen, glücklich in das Innere des Thurmes zurückgelangt. Sie eilte leichten Schrittes die Wendeltreppe hinab, ihre Seele beschäftigte sich mit dem Gedanken, wie es ihr glücken möge, dieses Haus wieder still und unbemerkt zu verlassen. Sie erreichte den ebenen Boden, sie stand im Begriffe, den Hofraum zu betreten, als plötzlich eine starke Hand sie im Nacken ergriff, ein Dolch vor ihren Augen blitzte, und eine halblaute aber rauhe Stimme in ihrem Rücken sprach:

»Schweig', oder du bist des Todes!«

Sie fühlte sich fortgedrängt, sie vermochte demjenigen, der sich ihrer bemächtigt, keinen Widerstand zu leisten. Wenn sie auch jener Drohung hätte trotzen und ihre Stimme zum Hülferufe, zu einer Benachrichtigung Margarethens hätte erheben wollen, so fand sie sich dazu ausser Stande. Der Schreck hatte ihre Kräfte gelähmt, die Eisenfaust, welche sie ergriffen, preßte ihr die Gurgel zu, so daß sie kaum Odem schöpfen konnte. Mit raschen Schritten führte sie ihr Bedränger über den Hof in das Innere des Gebäudes, durch lange Gänge, welche die Morgendämmerung nur schwach erleuchtete. Am Ende eines dieser Gänge mußte sie mehrere Stufen hinabsteigen. Dann sah sie sich in einem kleinen kellerartigen Gewölbe, zwischen kahlen schwarzen Mauern, die sie bei dem matten Dämmerlichte, das durch eine schmale Oeffnung von oben hereindrang, nur undeutlich unterscheiden konnte.

»Hier harre, bis deine Geister dich erlösen!« rief höhnisch lachend Erasmus Fontanus, den sie jetzt mit Entsetzen erkannte. Seine Hand hatte sie freigegeben; er verbarg den Dolch, der sie bisher bedroht, in seinem Panzerhemde. »Rufe sie, wenn es dich gelüstet,« fuhr er fort. »Rufe den Strömkarl, deinen Bräutigam, die Sjöra, deine Beschützerin! Sie lehrte dich die Kunst, Mauern zu durchschauen, sie lehrt dich vielleicht auch die, sie zu durchdringen. Aber dieser Ring, dieses köstliche Unterpfand einer Freundschaft, die leicht der Sache des rechtmäßigen Herrn dieses Landes Nachtheil bringen dürfte, gehört mir. Ich werde ihn besser zu gebrauchen wissen, als jener Ignotus, den er zum Verrathe an einem Waffengefährten auffordert.«

Bei diesen Worten zerriß er mit roher Hand das Band, an welchem Lille den Ring auf ihrer Brust verborgen trug, und bemächtigte sich desselben. Sie flüchtete zitternd in einen Winkel. Ohne sich weiter um sie zu bekümmern, verließ Erasmus das Gewölbe, dessen Thüre er sorgfältig hinter sich verschloß. Das arme Mädchen blieb allein mit ihrer Besorgniß um Margarethen, mit dem traurigen Gedanken, diese werde nun mit jedem Augenblicke durch ihre Vermittlung die Freiheit erwarten und sich immer und immer getäuscht sehen in ihrer frohen Hoffnung. Welcher heitre Strahl war doch in die Nacht ihres Lebens gefallen, als Lille sich erwählt glauben durfte, den Kerker der Freundin zu öffnen und sie ihrem Geliebten zurückzugeben; wie schmerzlich empfand sie jetzt die Unmöglichkeit, ihr Wort zu lösen, das Werk zu Stande zu bringen, mit dem sie sich noch ein schönes Andenken in den Herzen der zwei Liebenden zu gründen gedachte!

Indessen berief Erasmus Fontanus mehrere seiner Waffengefährten zu einer geheimen Berathung. Unter diesen befand sich auch Arndt Ornflykt, jener schwedische Edelmann, der an der ehrlosen Handlung, seinen Gast Gustav Wasa den Dänen auszuliefern, nur durch die tugendhafte Gesinnung und Geistesgegenwart seiner Gattin Barbara Stygsdotter verhindert worden war. Als ganz Dalarne sich erhob, dem Rufe der Freiheit zu folgen, als Gustav Wasa mit siegreichem Schwerte die dänischen Vögte vertrieb und von den Bergen und aus den Thälern sein Name, als der eines gottgesandten Befreiers, zum Himmel erschallte, sah jener Verräther, den seine eigene That vogelfrei gemacht, sich genöthigt, die Flucht zu ergreifen. Er schloß sich den Dänen an, er kämpfte mit dem Trotze der Verzweiflung in ihren Reihen, er lebte fort im Verrathe, von dem er allein noch Vortheil und, wie er in seiner Verblendung meinte, auch kriegerischen Ruhm zu erwarten hatte. Daß Gustav Wasa ihm entgangen, daß dessen Flucht die hochfliegenden Entwürfe seiner Habsucht vereitelt, erfüllte ihn mit bitterm, tödtlichem Hasse gegen den Helden. Menschen von einer so verworfenen Denkungsart, wie Arndt Ornflykt und Erasmus Fontanus, finden und erkennen sich leicht. Auch Frau Virginia urtheilte sehr günstig über den schwedischen Ritter, der eine große Geschmeidigkeit der Sitten an den Tag legte und, der eitlen Flammländerin in einer Weise nahend, welche den Eindruck ihrer Reize auf ihn erkennen ließ, bald zu den vertrautesten Hausfreunden des Paares gezählt wurde. Jene Kostbarkeiten, die sie von der Concordia gerettet und mit nach Dalarne gebracht, so wie die Schätze des unglücklichen Nils Westgöthe, deren sich Virginia während der stürmischen, Alles verwirrenden Ereignisse in Falun bemächtigt, setzten sie in den Stand, einen Aufwand zu bestreiten, der bald eine Anzahl ergebener Freunde um sie versammelte. Mit diesen besprach nun Erasmus Fontanus ein Unternehmen, das, wenn es gelang, ihnen großen Vortheil und Ansehn bringen mußte. Der Entwurf war kühn, allein diese Männer hatten nichts zu verlieren und waren gewohnt, ihr Leben täglich im Kampfe auf das Spiel zu setzen. Fiel der Schlag, zu dem sie ihre Kräfte vereinigten, so hallte er durch ganz Schweden wieder, so traf er den neu ergrünenden Stamm der Freiheit in seiner Wurzel und es schien dann ein Leichtes, ihn ganz umzustürzen. Welche Aussicht auf Christian's Dank, auf eine glänzende, an Belohnungen reiche Zukunft! Der weitere Gang dieser Erzählung wird uns lehren, welche Absichten diesem Entwurfe zum Grunde lagen, ob sie erreicht wurden, oder verderblich auf die Häupter der verwegenen Unternehmer zurückfielen.

Lille hatte in ihrem Kellergewölbe den ganzen Tag in ungestörter Einsamkeit hingebracht. Ihr Herz war tief bekümmert, eine allgemeine Niedergeschlagenheit hatte sich ihrer bemächtigt. Sie trauerte um Margarethen, Alle, die ihr lieb waren, schienen ihr von Unglück, von nahem Verderben bedroht. Sie hatte so wenig Freudiges in ihrem Leben erfahren, daß sie auch wenig Gutes mehr hoffte. Dieses Dämmerlicht der Hoffnung galt auch nur den Freunden; was sie selbst anging, so hatte sie, ihrer düstern Befangenheit hingegeben, kein Vertrauen, keine Wünsche mehr für die Zukunft. Sie fühlte sich überzeugt, daß diesen nie Erfüllung werden könne und deßhalb war sie bemüht, sie ganz aus ihrer Seele zu verbannen. Aber die Hoffnung für die Freunde? Konnte Lille nun noch den erlöschenden Ahnungen, die Margarethen und Rolanden ein künftiges Glück versprachen, Glauben schenken? Nein, nein! Im Wirbel des Sturms, im Grauen des Schwindel, als sie in jener gefährlichen Höhe schwebte, als sie die gierige Tiefe mit hundert Armen nach sich herauf reichen sah, leuchtete durch alle Schrecken des Augenblickes die Hoffnung, Margarethen zu retten, sie dem sehnsüchtigen Freunde zuzuführen – hier aber war völlige Nacht, außen in der schweigenden Umgebung, innen im öden Herzen.

Die zehnte Stunde des Abends wurde von den dumpfen Glockenschlägen einer nahen Kirche angezeigt. Ein Lichtschimmer fiel in Lille's Gefängniß. Sie sah die Thüre sich öffnen, doch nur so viel, daß einige Nahrungsmittel, welche eine unsichtbare Hand hereinschob, Eingang fanden. Sie achtete nicht weiter darauf, sie fühlte kein Bedürfniß, das dieser Gabe einigen Werth beigelegt hätte. Aber eine große Ermüdung, die Folge ungewöhnlicher körperlicher Anstrengungen bemächtigte sich ihrer. Sie sank an die feuchte Mauer zurück, der Kopf neigte sich zur Brust und, unter trüben, wunderlichen Phantasiebildern, die jener grauenhaften, ihr vertrauten Geisterwelt angehörig waren, entschlummerte sie. Dieser Schlaf mochte mehrere Stunden gedauert haben, als Lille plötzlich aus einem ängstigenden Traume, in dem sie Margarethen auf der Spitze ihres Kerkerthurms, sich selbst den Weg der Rettung suchend, erblickt hatte, erwachte. Es dünkte sie, daß sie gewaltsam, durch irgend einen lauten Schall, ihrem Schlafe entrissen worden sey. Sie lauschte mit angestrengter Aufmerksamkeit, aber tiefe Stille umgab sie. Da wurde ihr Auge wiederum von einem Lichtschimmer getroffen, da erkannte sie, daß ein schmaler heller Schein von oben herab in ihr Gefängniß drang. Sollte man vergessen haben, die Thüre zu schließen, bot hier vielleicht der Zufall ihr eine günstige Gelegenheit, sich dem Zwange, sich einer ungerechten Gewalt zu entziehn? Leise näherte sie sich dem Eingange, vorsichtig schlich sie die Stufen hinan, welche zu der Thüre führten. Lille's Herz pochte mächtig, sie stand zagend auf der obersten Stufe, allein wie verwandelte sich ihre bisherige Trostlosigkeit plötzlich wieder in ein neu erstehendes Vertrauen, in jene wehmüthige Hoffnung, die sich ihrer für das Wohl der Freunde bemächtigen konnte, als sie in der That die Thür nur angelehnt, als sie bei einem Blicke auf die Spalte den äußern, von einer Lampe erhellten Gang menschenleer erblickte! Sie zauderte, diesen möglichen Weg zur Freiheit zu betreten, sie horchte ängstlich, ob kein Geräusch die Nähe eines Wächters verrathe. Nicht der leiseste Ton, der diese Furcht bestätigen konnte, ließ sich vernehmen. Mit raschen, furchtbelebten Schritten eilte sie durch den Gang, gelangte sie zur Pforte des Hauses. Alles war still im Innern, wie ausgestorben, Ein starker Luftzug strömte ihr entgegen. Neue frohe Ueberraschung! Die Pforte stand weit offen, eine geheimnißvolle Macht schien ihre Schritte zu begünstigen, schien jedes Hinderniß der Flucht im Voraus beseitigt zu haben. Lille fühlte sich durch diesen plötzlichen Wechsel ihrer Lage so verwirrt, daß sie nicht zu überlegen vermochte, wie sie diese Freiheit am Rathsamsten benutze. Sie folgte dem Gebote ihres Herzens, das sie in das schwedische Lager trieb, wo Claudianus weilte, wo Roland, zwischen Furcht und Hoffnung getheilt, Kunde von Margarethen, im glücklichen Falle diese selbst erwartete. Den Weg dahin zeigten ihr die lebendigsten Erinnerungen. Wie konnte sie auch noch denken, Glauben bei jenem Ignotus zu finden, da sie den bedeutungsvollen Ring nicht mehr besaß, und wenn auch dieses der Fall war, so hatte gewiß Erasmus Fontanus, der nun Alles wußte, schon Anstalten getroffen, sich in dieser Beziehung sicher zu stellen. Doch so weit gingen Lille's Berathungen mit sich selbst nicht. Sie eilte nur einem Aufenthalte zu entkommen, wo wiederum die unerträglichste Einsamkeit eines Gefängnisses sie bedrohete, wo sie von der Geisterwelt der Natur, die sie fürchtete und doch liebte, getrennt war.

Dieser Schritt entsprach den Erwartungen des Erasmus Fontanus. Er würde sie gezwungen haben, ihn zu unternehmen, wenn sie nicht die absichtlich erleichterten und dargebotenen Mittel dazu benutzt hätte. Während sie, durch die verödeten Straßen der Stadt eilend, sich unbemerkt wähnte, folgte ihr im Schatten der Gebäude ein tief verhüllter Mann, der sie nicht aus den Augen ließ. In weiterer Entfernung bewegte sich mit leisen Schritten, den Weg des Einzelnen genau beachtend und verfolgend, eine Schaar Bewaffneter heran, unter der ein ernstes Schweigen herrschte. Lille eilte, von der Furcht, daß ihre Flucht entdeckt worden sey und man ihr nachsetze, getrieben, immer hastig vorwärts. So gelangte sie, die Straßen und Brücken hinter sich lassend, auf jenen Wall, wo die Gegenwart einer Schildwache sie mit neuer Gefahr bedrohete. Aber die Schildwache stand fern und schien die Vorüberschlüpfende nicht zu bemerken. Auf dem Fuße folgte ihr jener Verhüllte, diesem die Schaar der Bewaffneten. Der Verhüllte, dem sich die Schildwache näherte, raunte dieser einige Worte zu, dann kletterte er rasch Lille'n nach über jenen eingestürzten Vorsprung des Walles, dessen sich unsre Leser noch erinnern werden, an das Ufer der Strömung, welche hier die Mauern bespülte. Eben stand Lille im Begriff, den Kahn, der noch, wie sie ihn in der gestrigen Nacht befestigt hatte, ruhig an seiner Stelle lag, loszumachen, als die dunkle Gestalt neben sie trat und ihren Arm ergreifend, mit der Stimme des Erasmus Fontanus halblaut, aber furchtbar drohend, sagte:

»Du gehst nicht allein, Mädchen! Es steht einer Dirne deines Alters nicht an, auf nächtlichen Wegen ohne Begleitung zu wandeln. Ich bringe dir Gefährten mit, Freunde, die es so wohl mit dir meinten, daß sie dem Schlaf der Nacht entsagten, um über deine Schritte zu wachen. Doch still! Kein Wort, kein noch so leiser Ton, wenn dir dein Leben lieb ist!«

Der dänische Hauptmann hatte erreicht, was er beabsichtigte. Das Mädchen sollte ihm die verborgenen Wege zeigen, auf denen sie in die Stadt gelangt war. Er wollte den Lohn, den er von seinem verwegenen Anschlage erwartete, nur mit wenigen Freunden theilen, er durfte nicht hoffen, von den Anhängern Norby's, welche in der belagerten Stadt befehligten, in seinem Unternehmen unterstützt zu werden, ja, er mußte, bei dem zweideutigen Benehmen des Admirals, sogar fürchten, man möge ihn daran verhindern, man möge sein eigenmächtiges Verfahren straffällig finden, wenn man es entdecke, ehe es der beabsichtigte Erfolg kröne. Deßhalb sah er sich genöthigt, eine Vorsicht zu üben, die außerdem bei der Ausführung eines gegen den Feind gerichteten Planes überflüssig gewesen wäre.

Lille sah sich mit Entsetzen einer Gewalt wieder unterworfen, der sie kaum entgangen war. Nicht fähig, sich aufrecht zu erhalten, sank sie, als sie den Erasmus Fontanus erkannte, bewußtlos auf den Boden des Kahnes nieder. Dieser füllte sich indessen mit Bewaffneten. Erasmus selbst ergriff das Ruder und führte das leicht zu regierende Fahrzeug an das jenseitige Ufer. Hier ließ er das ohnmächtige Mädchen unter der Obhut seiner Freunde, während er die Fahrt, noch einigemale wiederholte, um Alle herüberzubringen. Es war eine Schaar von etwa dreißig der verwegensten Männer, die er um sich versammelt hatte. Einer von ihnen bemächtigte sich der widerstandlosen Lille und schwang sie, leicht wie ein Kind, auf seinen Arm. Dann setzte sich der Zug aufs Neue in Bewegung, angeführt von Erasmus Fontanus und Arndt Ornflykt, die darauf achteten, sich immer in einer bestimmten Entfernung von den Wachtfeuern des schwedischen Lagers zu halten.

»Eure kurzen Sommernächte mit ihrer Tageshelle« unterbrach nach einiger Zeit Erasmus Fontanus halblaut die herrschende Stille, »sind wenig geeignet für kriegerische Unternehmungen, die Verborgenheit und Geheimniß erheischen. Ehe der Sand eines Stundenglases verrinnt, steigt die Sonne übers Meer auf und weckt die Schläfer im feindlichen Lager.«

»Ihr habt Recht;« erwiederte ebenfalls mit unterdrückter Stimme Ornflykt. »Heute ist es zu spät oder vielmehr zu frühe, noch etwas zu thun. Aber ich weiß hier in der Nähe einen Ort, der uns ein Versteck gewährt den Tag über. Morgen in der Stunde vor Mitternacht, wann die Dunkelheit um diese Jahrszeit am dichtesten zu seyn pflegt, dann wollen wir drauf und dran, dann muß der Hauptschlag gelingen, den mich einst mein Unstern verfehlen ließ, dann wollen wir den Freunden des Reichsvorstehers aus den Schneewüsten eine Fackel anzünden, vor der sein Lebenslicht erbleicht. Bis dahin bleibt uns Zeit, die Sache gehörig vorzubereiten, und vor Allem jenen Roland von Bremen, dessen Begegnung Ihr so sehr fürchtet, aus dem Lager zu locken zum sichern Untergange.«

»Ich führe einen Talisman mit mir, dessen Macht er nicht widersteht;« versetzte mit leisem, boshaften Gelächter der dänische Hauptmann. »Er soll wähnen, seinen besten Freund zu finden, wo ihn das Verderben erwartet. Seyd versichert, daß die Entfernung dieses Roland's aus der Nähe Wasa's durchaus nothwendig ist, wenn unser Werk glücklich zum Ziele gelangen soll. Niemand ist dem Schneehelden treuer ergeben, als er, keiner nimmt es mit ihm auf an körperlicher Kraft und in Führung der Waffen thut er es dem besten Rittersmanne gleich. Ich habe nun einmal einen Widerwillen gegen ihn und ich gestehe Euch offen, daß ich nur die Hälfte meines gewöhnlichen Muthes besitze, daß meine beste Kraft erlahme, wenn ich ihn unter meinen Gegnern vermuthen muß. Es ist eine wunderliche Geschichte, die diesem Umstande zum Grunde liegt, eine schauerliche Begebenheit, deren Erinnerungen ich nicht gern auffrische – genug! Weiß ich diesen Roland fern, weiß ich ihn gar nicht mehr unter den Lebenden, so werde ich ein froherer Mensch, so ist eine meiner schwersten Sorgen mit ihm begraben.«

»Ich werde vier kühne Burschen aus den Grenzlanden auf ihn stellen,« sagte Ornflykt: »stark wie die Bären aus den norwegischen Bergen, blutdürstig wie hungrige Wölfe, erbarmungslos wie gereizte Eber. Auch ich hasse diesen Roland schon deßhalb, weil er ein Freund Wasa's ist. Bei meinem Schwert, ich kann diesen Wasa nicht anders ansehn, als mein Eigenthum, das mir gestohlen worden, und jeder, der es mit ihm hält, soll verdammt seyn, als ein Diebshehler! Doch seht jene Feuerkugeln, die vom Meere aufsteigen in die Morgendämmerung! Was mögen sie zu bedeuten haben?«

»Es sind Signale der Lübecker Schiffe, die bei dem ungünstigen Winde nicht herankommen können;« antwortete nach einigen Augenblicken genauerer Beobachtung Erasmus Fontanus. »Ein wunderlicher Gesell, unser gestrenger Herr Admiral! Sein ganzes Benehmen ist so geheimnißvoll und zweideutig, daß niemand weiß, auf wessen Vortheil er eigentlich sinnt. Warum benutzt er nicht die Gunst, die der Zufall ihm einräumt, warum gibt er diesem Winde nicht seine Segel Preis und stürmt zwischen die Krämerschiffe hinein, daß sie auseinanderstieben, wie eine Schaar wilder Enten, wenn ein Büchsenschuß unter sie fällt?«

»Niemand hat noch die Pläne Norby's durchschaut,« erwiederte bedenklich der schwedische Ritter; »aber wenn mich meine Vermuthungen nicht trügen, so weiß er recht gut, auf wessen Vortheil er vornehmlich zu denken hat und das ist sein eigner. Gelingt es ihm, diesen Gustav Wasa zu demüthigen, so wird er allein die Frucht dieser Kämpfe davon tragen und König Christian hat das Nachsehn und einen gefährlichern Nachbar, als er je einen besessen. Die Hansestädte sind mächtig und reich. Ein kluger Mann, wie der Admiral, verdirbt es mit ihnen nicht gern, ehe sie ihn nicht dazu zwingen. Doch was kümmert uns alles dieses? Er bezahlt uns und darum sind wir ihm verpflichtet. Das Uebrige mag er mit sich selbst und denen, die es betrifft, ausmachen.«

Unter diesen Reden erreichten sie ein Gehölz, das innerhalb einer Vertiefung, welche das schwedische Lager noch umgrenzte, lag. Der Tag war angebrochen, aber ein dichter Nebel begann jetzt, sich auf Land und See herabzulassen. Arndt Ornflykt schritt voran eine Schlucht hinab, die immer nur ein einzelner Mann betreten konnte. So gelangten sie auf einen ringsum von Erdhügeln eingeschlossenen Raum, in dessen Hintergrund sich eine dunkle Baumgruppe zeigte. Diese umschritten sie bald und hinter ihr bot sich nun eine Höhle ihren Blicken, auf welche der schwedische Ritter deutete, indem er sagte:

»Hier ist eine Zufluchtsstätte! Die Natur hat sie gebildet und wer weiß, wie manchem gehetzten Wilde sie schon Schutz gegen die Verfolgung des Jägers gewährt hat. Dieses Gewölbe drängt sich tief in die Erde und hat Raum für mehrere hundert Menschen. Leicht ist der Eingang zu vertheidigen, schwer ist er zu finden. Kommt, meine Freunde, heute wollen wir uns mit einem schlechten Lager auf feuchtem Boden begnügen, um in der Zukunft auf Eiderdaunen und unter Seidenteppichen zu ruhen!«

Vorsichtig wurden einige Wachtposten ausgestellt. Dann begab sich der ganze Haufe in das Innere der Höhle, das in der That geräumig genug war, um eine weit größere Anzahl von Bewohnern aufzunehmen. Lille befand sich noch immer in einer todähnlichen Betäubung. Man legte sie auf einen Haufen dürrer Blätter im Hintergrunde der Höhle nieder und überließ hier das bedauernswürdige Mädchen, ohne sich weiter um sie zu kümmern, ihrem Schicksale.



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