Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.


Verwirrung, Zwietracht draußen – hier Verrath!
Die Grausamkeit verlangt nach tausend Opfern,
Doch ihr entgehst du leichter, als der That
Des Heuchlers, dessen freche Stirn dich täuscht.

Die fröhliche Johanniszeit war vorübergegangen und Wochen und Monate folgten ihr, ohne daß sich eine Veränderung in den Verhältnissen der Bewohner des Pfarrhauses von Mora begab. Der würdige Geistliche hatte es für seine Pflicht gehalten, seinen Schwager, den Rathsherrn, Bernhard Böchower, von Rolands Gegenwart in Dalarne durch ein eigenes Schreiben zu unterrichtet, allein die Gelegenheiten, durch welche man solche Sendungen in jenen Zeiten bestellen konnte, waren so unsicher, daß dieser Brief vielleicht erst nach Jahr und Tag, vielleicht nie in Herrn Böchower's Hände gelangen mochte. Von dem Gange der Welthändel erfuhr man in diesen entlegenen Thälern nur zufällig Etwas. Ein wandernder Krämer hatte vor einiger Zeit die Nachricht mitgebracht, daß König Christian von Dänemark die Hauptstadt Stockholm mit einem mächtigen Heere von der Landseite belagere, während sein Admiral Severin Norby sie von der Seeseite einschließe. Nur Jacob Pehrson und seine Gäste fühlten sich bei dieser Kunde von bittrem Unwillen ergriffen, die übrigen Thalbewohner vernahmen sie mit Gleichgültigkeit, da man sie bis jetzt noch nicht in ihren alten Gerechtsamen gestört, noch ihre Steuern vermehrt hatte. Dieses Völkchen lebte von jeher in einer völligen Unkunde von den weltlichen Vorgängen, war zufrieden in seiner patriarchalischen Einigkeit, obgleich kampfgeübt und stets gerüstet, diese gegen Unterdrückung zu vertheidigen. Die körperliche Stärke der Thalmänner, ihre Waffenfähigkeit, ihre Abhärtung gegen jede Beschwerde, machten sie dem Tyrannen Christian furchtbar genug, um sie nicht zu reizen.

Margaretha und Roland lebten indessen, ihrer gegenseitigen Treue, ihren heitern Hoffnungen fest vertrauend, als glückliche Hausgenossen mit einander. Nichts störte ihren Frieden und der wackre Jacob Pehrson betrachtete sie als seine Kinder. Der ehelose Stand, zu dem ihn seine geistliche Würde verband, hatte ihn, wie das sonst wohl der Fall ist, weder herbe, noch menschenscheu gemacht. Er lebte in dem liebevollsten Vernehmen mit seiner Gemeinde; schon nahe dem siebenzigsten Jahre, dabei aber noch kräftig und rüstig, wie ein Mann in seinem thätigsten Alter, wurde er, als der allgemeine Berather der Thalleute, als der Helfer in jeder Noth angesehen und verehrt. Claudianus, der in den wenigen Monaten seines Hierseyns zum Jüngling herangereift war, erkannte lebendig, wie in einem edeln Gemüthe, gleich dem des Geistlichen, sich die Wissenschaft gestalte zu liebevoller Hingebung an den minder unterrichteten Nebenmenschen, zur Beglückung und Erhebung Andrer. Immer hassenswürdiger und verächtlicher erschien ihm das Treiben solcher Betrüger, wie Erasmus Fontanus, schmählich jene Zeit der Erniedrigung, welcher ihn der Student unterworfen. Dennoch lockte ihn aber die Gelehrsamkeit nicht mehr zurück in ihr ernstes Geleit. Das Leben sprach ihn zu heiter und kräftig in der Uebung der Waffen an, er fühlte sich zu froh und beglückt in der großen, herrlichen Natur, wenn er diese an der Seite der schwermüthigen, ihn wunderbar anziehenden Lille durchwanderte, als daß er sich wieder hätte entschließen können, in der düstern Einsamkeit eines Studierzimmers lateinische und griechische Vokabeln auswendig zu lernen.

Es war am Abende eines düstern Novembertages – Schnee und Regen stöberten gegen die kleinen Hornfenster des Pfarrhauses – als sich die Thüre des Wohnzimmers öffnete und Bragi Ingemund, der alte Huskurer, von seiner weiten Wandrung zurückkehrend, hereintrat. Er schüttelte die Flocken von seiner wunderlichen Bibermütze, legte diese selbst bedächtig zum Trocknen in der Nähe des Ofens nieder und reichte dann mit aller Freundlichkeit und Herzlichkeit dem Pfarrer, der aus seinem Lehnstuhle aufgestanden und ihm entgegengetreten war, die Rechte. Lächelnd und den schlauen Blick von einem Paare zum andern sendend, betrachtete und grüßte er Roland, der in einem Winkel des Gemaches neben Margarethen, und Claudianus, der dieser gegenüber mit Lille im entgegengesetzten Eck saß.

»Es ist arges Wetter hier zwischen Euern Gebirgen,« sagte, nach den gewöhnlichen Begrüßungen, indem er sich auf einen Wink des Pfarrers neben diesen an den Ofen setzte, Bragi Ingemund, »aber ich möchte noch lieber hoch oben in den Schneewüsten der Fjälln wandern, als meinen Schritt wieder zurückwenden in Eure schwedische Hauptstadt. Dort ist nun alle Herrlichkeit des alten Ruhms gesunken, dort erhebt sich das Panier der Tyrannei, dort werden diejenigen, die feige sich unterworfen, bald sehen, daß sie mit der Demüthigung ihres Vaterlandes ihr Leben nicht erkauft.«

Roland sprang auf und näherte sich, betroffen über diese Unglück verkündende Rede und auf ihre weitre Erklärung begierig, dem Huskurer; der greise Pehrson blickte diesen erschrocken an und Ingemund, den Eindruck, den seine Worte hervorgebracht, wahrnehmend, fuhr fort: »Ihr seyd glückliche Leute hier in Dalarne. Draußen toben die Stürme des Krieges und der blutigen Zwietracht, hier aber lebt Ihr in der Unschuld des Friedens und wenn ein Sturm Eure Ruhe stört, so ist es der, den Gott sendet und lenkt, nicht aber der, welcher in den Herzen böser, blutgieriger Menschen entsteht. Wißt denn, daß Stockholm in den Händen der Dänen sich befindet, daß Sture's heldenmüthige Wittwe, die bis zum letzten Odemzuge so kräftig die Stadt vertheidigt haben würde, wie sie es schon Monate lang gethan, durch Feige und Verräther zur Uebergabe genöthigt worden, daß ein dänisches Heer in und um Stockholm lagert, daß König Christian nur schnell nach Dänemark geeilt ist, wo seine Gegenwart nöthig war, um in diesem Monate wieder zurückzukehren, seinen feierlichen Einzug in Stockholm zu halten und sich krönen zu lassen. Ich war in Stockholm, als der gekrönte Tyrann seine kurze Anwesenheit durch eine neue Schandthat bezeichnete. Den tapfern Befehlshaber von Westerähs ließ er lebendig viertheilen, weil er das Schloß gegen die Dänen vertheidigt, bis das letzte Brod aufgezehrt, das letzte Wasser genossen war. Wehe den Edeln dieses Landes, die seinem Heuchelworte trauen und, seine Krönung zu verherrlichen, nach Stockholm gehen. Die Fußtapfen zu des Tiegers Höhle zeigen nach Innen, keiner nach Außen.«

»Wie,« sagte entrüstet der Pfarrer, »er könnte das freie Geleit brechen, das heilige Gastrecht, das in diesem Lande der Vornehme, wie der Geringe ehrt, verletzen?«

»Ich denke,« versetzte spöttisch der Huskurer, »daß er solcher Dinge mehr gewohnt ist, als andrer rechtlicher. Verpfändete er nicht auch sein königliches Wort an Gustav Wasa, an Hemming Gadd und andre schwedische Edle für freies Geleit und ließ sie dennoch gefangen nach Dänemark abführen? Hatten sie nicht von Glück zu sagen, daß ihnen nicht unterwegs auf falsche Anklage hin die Köpfe abgeschlagen wurden? Gebt Acht! die alte Geschichte von dem grausamen Könige Ingiald wird sich wiederholen, der die mächtigen Fylkis-Könige auf sein Schloß nach Upsala einladen ließ und sie dort in der Gasthalle mit vielen andern angesehenen Fürsten lebendig verbrannte.«

Bei der Erwähnung Gustav Wasa's wurden alle schönen Erinnerungen aus seinem frühern Kriegerleben in Rolands Seele wach. Hatten sie einander nicht Wiedersehn gelobt im Lande Schweden? Hatte Roland dem fürstlichen Helden nicht Treue und Beistand zugesagt in jeglicher Gefahr? Und wer konnte jetzt dem bedrängten Lande anders helfen, als eben Gustav Wasa, dessen Name bei denen, die einst mit ihm gefochten, schon als eine Bürgschaft des Sieges galt! Oft hatte Roland, wenn er auf der Gillstuga unter den Dalekarlen bei'm fröhlichen Methtrunke saß, von den Thaten des jungen Helden erzählt und auf ihn als denjenigen hingedeutet, der allein vermöge, ihrem Lande die alte Größe zurückzugeben. Die Thalmänner hörten diesen Reden wohlgefällig zu, allein sie empfanden, wie wir bereits berichteten, in ihrer Abgelegenheit den Druck der dänischen Tyrannei zu wenig, um ihr eigenes behagliches Leben durch einen gewaltsamen Aufstand in seinem Frieden zu stören. Aber in Schweden mußte Rolands fürstlicher Freund jetzt seyn, davon war der junge Deutsche überzeugt. Hatten auch die Lübecker ihn vielleicht kalt und ohne Beistand zurückgewiesen, so konnten ihn doch sein feuriger Geist, seine Liebe zum Vaterlande nicht so lange von diesem entfernt gehalten haben. Aufgeregt trat Roland näher zu dem Huskurer, ergriff dessen Hand und sprach bedeutungsvoll:

»Ihr nanntet den Namen des Siegers von Stäke? Ist er ganz verschollen im Schwedenlande, hört man nichts von Gustav Wasa?«

»Von ihm eigentlich nicht!« erwiederte, einen listigen, forschenden Blick auf Roland werfend, der Alte. »Allein es mag mancher geächtete edle Schwede im Reiche umherirren und Beistand suchen in seiner gerechten Sache. Manche Stimme mag nutzlos verhallen vor dem Ohre der Kleinmüthigen. Als ich durch Smaland und Ostgothland wanderte, gerieth ich einst in einen Wald und kam erst nach langem Umherirren auf ein von der Landstraße abgelegenes Dorf. Hier fand ich vor der Gillstuga eine Menge Leute versammelt und mitten unter ihnen, auf einem hohen Steine stehend, einen jungen Mann, der sich durch seine grobe Kleidung nicht von den übrigen Bauern unterschied, aber mit dem Anstande eines Königs zu ihnen sprach und ihnen das Elend des Landes unter der Dänen Druck schilderte. Seine Rede tönte lieblich und seine Worte waren klug gewählt, als kämen sie aus dem Munde der weisen Barden, Starkotter des Alten oder Thorwald Hialtason des Isländers. Die Leute hörten ihm staunend zu, aber sie waren zu feig und träge, um sich von seinen Ermahnungen ergreifen zu lassen. Da drängte sich ein dänischer Soldat durch die Menge und stieß, ohne daß einer gewagt hätte, ihn zu verhindern, mit seinem Spieße nach dem jungen Mann. Dieser aber wich gewandt dem Stoße aus und unbewaffnet, wie er war, unterlief er den Dänen und warf ihn so gewaltig zu Boden, daß er unbeweglich und starr dalag, wie ein Klotz. Dann eilte er unmuthig fort und mochte wohl bei sich denken, daß die Noth noch höher steigen müsse, um aus den Bauern Männer zu machen. Ich begegnete ihm noch einmal auf eine sonderbare Weise. Ich hatte mich wiederum verirrt, die Nacht war eingebrochen, Karlewagnen und Friggeracken Der kleine Bär und der Orion. standen schon hoch am Himmel und ich mußte mich entschließen, irgend einen hohlen Baum zu meiner Lagerstätte zu erwählen. Als ich nun im Dickicht nach einer solchen Zuflucht suchte, trat mir plötzlich mit ernster Frage, was ich wolle, ein Mann entgegen, den ich in der dämmerigen Nacht und bei'm Sternenlichte als den Redner aus jenem Dorfe erkannte. Ich klagte ihm meine Noth und er führte mich dann in eine schlechte Erdhütte, die er selbst gebaut haben mochte und wo er mich bei'm Lichte eines angezündeten Kienspan's mit gedörrten Fischen bewirthete. Sein Anzug war sehr abgetragen und zerrissen. Er scherzte darüber und meinte, er wolle dem ersten Bären, der ihm begegnen würde, das Fell abjagen zu einer guten Winterkleidung. Ich mußte ihm von den neuesten Ereignissen in Stockholm erzählen. So sehr er auch zu verbergen suchte, was bei dieser Erzählung in ihm vorging, so erkannte ich doch, daß ihn Alles tief ergriff und erschütterte. Er schlief die ganze Nacht nicht, er verließ die Hütte und ich hörte ihn draußen unruhig auf und nieder schreiten. Am Morgen trennten wir uns. Er nahm, nur mit einem starken Knüttel bewaffnet, seinen Weg tiefer in den Wald, ich suchte die bewohntern Gegenden auf. Als ich ihm nachblickte, mußte ich nochmals sein edles, wahrhaft königliches Wesen bewundern. Du bist auch sichrer unter den Thieren des Waldes, als am Hofe des Dänenkönigs; dachte ich, indem ich ihn aus den Augen verlor. Seitdem habe ich ihn nicht wiedergesehn, aber seine mächtige Heldengestalt vergesse ich nie.«

Der irrende Flüchtling war kein andrer, als Gustav Wasa: diese Ueberzeugung stand fest in Rolands Innerm. Noch einmal ließ er sich von Bragi Ingemund eine genaue Beschreibung des beredten Fremdlings entwerfen, er fragte nach allen Einzelnheiten seines Wesens und konnte nun nicht länger an dem kühnen und gefährlichen Unternehmen seines edlen Waffengefährten zweifeln. Während Bragi in den nächsten Wochen das Thalland durchwanderte, um den Kranken Mildrung und Heilung ihrer Leiden zu bringen, dachte Roland nur an Gustav Wasa, sah er ihn im Geiste tausend Entbehrungen ertragen, tausend Gefahren bestehen. Diesem träumerischen Zustande vermochten nur Margarethens Scherze, ihre Liebe ihn von Zeit zu Zeit zu entreißen. Er streifte sehr viel in den benachbarten Bergen und Wäldern umher. Es schien ihm nicht unmöglich, auf einem solchen Wege einmal plötzlich dem irrenden Sprößling der alten schwedischen Könige zu begegnen. Hatte er nicht beim Abschied von Dalarne gesprochen, von seinen kräftigen Bewohnern und daß er auf sie rechne im Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes? In den südlichen Gegenden des Reichs waren seine Versuche, das Volk für die große Sache zu begeistern, gescheitert, konnte ihn nicht eine neue Hoffnung, im Norden kühne Anhänger zu finden, hierher geführt haben? Roland wanderte nun unter dem Vorwande, der Jagdlust nachzugehn, oft ganze Tage in dem Waldgebirge umher. Die Bäche in den Wäldern waren schon gefroren, über den Schnee trugen ihn breite Schneeschuhe: so zog er mit Armbrust und Speer bewaffnet wie ein ächter Nordlandsjäger einher.

Eines Tages traf es sich, daß er auf einer früh begonnenen Wanderung gerade um die Mittagszeit in der Bergstadt Falun anlangte. Der Anblick der von dem unaufhörlichen dunkeln Hüttenrauche schwarz gefärbten Häuser, die großen Schlackenhaufen in den Straßen, der schwarzbestaubte Schneegrund, auf dem er wandelte, hatten nichts Erfreuliches für ihn. Aber das Innere der Gruben, die künstlichen Einrichtungen in diesen zur Förderung des Erzes, zur Hinwegschaffung der Erdgewässer, wünschte er seit lange kennen zu lernen. Als er über den Marktplatz ging, begegnete ihm, an ihrem Krückenstocke daher schleichend, die alte Helle, auf die ihn Margaretha schon in Mora aufmerksam gemacht hatte. Sie schüttelte unzufrieden mit dem Kopfe, als sie ihn erblickte, sie hob – ob warnend oder drohend, das ward dem jungen Manne nicht klar – gegen ihn die Rechte. Indem er im Begriffe stand, die seltsame Alte anzureden, trat jedoch von der andern Seite Herr Nils Westgöthe, der Bergvogt, zu ihm, verzog sein sonst finstres Angesicht zu einem freundlichen Lächeln und sprach mit höflich gesetzten Worten das Vergnügen aus, seinen geschätzten Freund, wie er sagte, in Falun zu seyn.

»Kommt mit und begleitet mich zu den Bergwerken!« fuhr Herr Nils, indem seine Freundlichkeit zunahm und er einen boshaften Blick auf Roland warf, den dieser jedoch nicht bemerkte, fort. »Ich habe in einem der tiefsten Gänge zu thun und Ihr äußertet mir ja schon zu wiederholtenmalen den Wunsch, die Wunder der Natur und der menschlichen Betriebsamkeit, die sich hier tief im Schooße der Erde finden, zu betrachten. Ihr werdet staunen, Junker Roland, über die Werke, welche die Kunst in den nächtlichen Abgrund gesenkt, über den Reichthum an Metallen, welchen die Erde bietet.«

Dieser Vorschlag kam unserm jungen Freunde ganz gelegen. Er schloß seine Schritte denen des Bergvogtes an und beachtete nicht mehr die alte Helle, die ihm unwillig und mit einer Gebehrde des Verdrusses nachsah. Aber ganz von selbst bemächtigte sich ein seltsamer Trübsinn des jungen Mannes, den er nicht zu deuten vermochte, der ihm fremd und unbehaglich in seinem sonst so heitern Gemüth erschien.

Das ganze Thal von Falun, mit düstern Rauchwolken bedeckt, die dunkeln Häuser, die kahlen, waldlosen Anhöhen, die bleichen Weiber und Kinder, die an ihnen vorübergingen, um den Männern, die in den Hütten und in den Gruben arbeiteten, das karge Mittagmahl zu bringen – Alles machte einen peinlichen Eindruck auf ihn und von diesem gedrängt, beschleunigte er seine Schritte nach dem Orte, wo er hoffte, durch anziehendere Gegenstände seinem Mißbehagen entrissen zu werden.

»Ihr habt große Eile, an Euer Ziel zu gelangen;« bemerkte mit seltsamer Betonung Herr Westgöthe. »In Eurem Alter glaubt man freilich jeden Augenblick verloren, den man nicht zum stürmischen Fortschreiten auf der Lebensbahn benutzt, aber bedenkt, Junker Roland, daß man über der Eil oft der nöthigen Vorsicht vergißt und blind in den offenen Abgrund rennt. Der Kluge berechnet jeden Schritt, den er thut, er berechnet die Mittel seines Handels, er berechnet, wie sie ihn zum Zweck führen.«

»Vom Rechnen war ich freilich nie ein großer Freund;« versetzte, sich gewaltsam zur Heiterkeit aufmunternd, Roland. »Nie würde mein Fuß den schwedischen Boden betreten, nie mein Auge das heitere Dalarne und den düstern Grund von Falun erblickt haben, wenn ich zu erlernen vermocht hätte, wie viel Gewinn diese oder jene Handels-Unternehmung zu bringen vermöchte, wenn ich mich hätte entschließen können, in der Schreibstube meines Oheims in Lübeck unter solchen Berechnungen mein Leben hinzubringen.«

»Und dennoch möchte Euch vielleicht ein stilles und ruhiges Leben in der Heimath von größerem Nutzen gewesen seyn, als dieses wandernde, ziellose!« erwiederte in einem zweideutigen Tone der Bergvogt. »Wir seyn oft Dinge für geringfügig und verächtlich an, die uns später die Pforten des Glückes öffnen, während wir froh und begierig nach andern greifen, die uns künftiges Unheil, frühen Untergang bereiten. Deshalb, mein lieber Junker Roland, ist das Vorausberechnen keine so unbedeutende Sache, deshalb sollten wir immer das: Trau, schau, wem? im Sinne und im Herzen tragen.«

»Der Himmel behüte mich vor einem so ängstlichen, engen Daseyn!« rief, hoch aufathmend der junge Deutsche. »Seine freie Lebensluft will ich athmen, das Leben freudig anblicken, wie ein Haus des Vergnügens, wie eine heitre, froh belebte Gillstuga in der schönen Weihnachtszeit. Tausend lustige Lichtpunkte des Glücks flammen uns da entgegen, liebe Geschenke werden uns geboten, fröhliche Menschen schließen sich traulich an uns an und geben dem Herzen die erquickende Nahrung, der Freund der Seele tritt uns entgegen und endlich die theure, heißersehnte Braut, die den Weihnachtsbaum mit allen Gaben der Liebe und des Glückes schmückt. Nein, Herr Westgöthe, Euer kaltes, berechnetes Leben mit seinen Sorgen und Zweifeln ist nichts für den heitern Roland: frei und sorglos muß er in die Welt blicken können, des Guten, wo es kommt, sich erfreuen, dem Bösen, wo es ihm begegnet, kühn die Stirn bieten.«

»Ich wünsche Euch Glück zu diesen Grundsätzen;« versetzte sehr trocken der Vogt. »Die heißersehnte Braut ist wohl schon eines Wagestücks werth und überhaupt kann dem Menschen nur das zum Glück gereichen, was er selbst dafür ansieht. So lehrt uns wenigstens die Gegenwart, aber die Zukunft, das Ende weiß es doch besser und zerstört oft mit einem furchtbaren Schlage das Gewebe der Täuschung, des Selbstbetrugs.«

Unter diesem Gespräche waren die beiden Männer in die Nähe der Gruben und Hüttenwerke gelangt. Kinder und Weiber, in Lumpen gehüllt, Bergleute in ihren schwarzen Grubenkitteln, saßen unter den offenen Gängen der Gebäude und hielten ihre kärgliche Mittagsmahlzeit, aus einem dünnen Grützbrei und hartem, mit Baumrinde vermischtem Haferbrode bestehend. Alle grüßten demüthig den vorübergehenden Vogt, der ihrer Grüße kaum achtete und sie nur selten mit einem stolzen Kopfnicken erwiederte. Als sie an der Mündung des in eine unabsehbare Tiefe hinabreichenden Schachtes standen, kamen noch einige Bergleute, welche die Mittagsstunde am heitern Tageslichte, mit Weib und Kind, verleben wollten, schwer beladen die Leiter herauf.

»Ist der schwarze Henz unten?« fragte barsch Herr Nils Westgöthe. Als die Heraufkommenden bejaheten und hinzufügten, daß sie sonst, bis vielleicht auf noch einen, die letzten seyen, welche die Grube zur Mittagsfreiheit verließen, schien er das zu überhören, verlangte ein Grubenlicht und betrat nun, von Roland gefolgt, die senkrechte, in den Abgrund führende Leiter. Es war kein Gefühl des Grauens, das unsern jungen Freund ergriff, als er in diese Nacht hinabstieg, die das einzige Licht, welches der Bergvogt an seinem Barett befestigt hatte, nur in einem kleinen Umfange in Dämmerung verwandelte, wohl aber eine unbehagliche Empfindung des Entbehrens der erquickenden freien Luft, der Freiheit selbst unter freiem Himmel. Hier herrschte eine dumpfe, beklemmende Wärme, die weder belebte, noch dem, der ihrer ungewohnt war, die Spannkraft seines Geistes ließ. Roland fühlte sich gedrückt, selbst beängstigt, allein er suchte diese Schwächen zu bekämpfen, er schalt im Stillen auf sich selbst, daß er ihnen nur einen Augenblick habe nachgeben können. Sie stiegen viele Leitern hinab, von Absatz zu Absatz. Auf einem dieser Ruhepunkte mußten sie einige Augenblicke verharren, da ihnen hier ein schwerbeladener, aus der Tiefe emporsteigender Bergmann entgegenkam. Sie drängten sich in die Höhlung, die in den Berg eingehauen war, um den Grubenfahrer vorüberzulassen. Dieser blieb Odem schöpfend einen Moment in ihrer Nähe stehen, warf einen Blick auf Beide und betrat dann, den Bergvogt unverständlich grüßend, mit vermehrter Eile die hinaufführende Leiter. Wie ein Gespenst war diese Gestalt, im schmutzigen zerrissenen Kittel, an Roland vorübergeschwebt. Züge hatten ihm entgegengeschaut, die ihn an die erhabenste Zeit seines Lebens erinnerten, ein Blick ihn getroffen, den nur Einer unter Allen, die ihm sein abentheuerliches Leben nahe gebracht, besaß. »Das ist noch ein Neuling;« sagte Westgöthe, indem er dem Bergmanne nachdeutete: »aber es kann etwas Tüchtiges aus ihm werden. Er besitzt die Kraft von dreien und eine Ausdauer, die nicht zu ermüden ist. Doch seht jetzt einmal hinab in die Tiefe, die sich unter uns aufthut! Der schwarze Henz, der heute die Mittagswacht hat, sitzt dort beim lodernden Feuer und bratet sich einen Fisch, den er an einem Fasttage nicht entbehren mag. Er ist sonst ein braver Kerl und scheut weder Teufel noch Hölle, wenn er seinem Vogt einen Dienst leisten kann. Sieht er nicht aus, wie der Fürst der Finsterniß selbst in seinem höllischen Reiche? Und ringsum die sausenden Triebräder, die ungeheuern rastlos beweglichen Arme der mächtigen Hebel – gelt, Junker Roland, es lohnt die Mühe dergleichen zu sehen, ehe das letzte Stündlein kommt, vor dem der Mensch nie sicher ist?«

Er sprach die letzten Worte in einem widerlichen, hämischen Tone, der dem jungen Deutschen gewiß aufgefallen wäre, wenn nicht seine ganze Seele noch von der überraschenden Erscheinung des Bergmanns erfüllt gewesen wäre. Alles schien ihm wie ein Traum, gedankenlos starrte er in den Abgrund, mechanisch folgte er dem tiefer hinabsteigenden Bergvogte. Endlich standen sie unten in der weit gewölbten Halle, wo der alte Bergmann, den Herrn Nils mit dem Namen des schwarzen Henz bezeichnete, an der lodernden Flamme saß und wirklich wie jener es vermuthet, einen Fisch an einem kurzen Spieße briet. Er lachte wild auf, als er den Bergvogt erblickte, und sagte, ohne weiter zu grüßen, in einem rauhen Tone:

»Die Bergtrollen haben über Nacht böse Arbeit gemacht! Hinten im alten Schacht strömt das Wasser aus hundert Quellen hervor und würde die Grube ersäufen, wenn wir nicht Mittel dafür wüßten. Aber ein Paar Pfund Schießpulver stürzt den Eingang zusammen und leitet das Wasser in den bodenlosen Abgrund neben dem Schachte. Befehlt nur, Herr, und die Sache ist in einem Augenblicke gethan!«

Der Vogt gab unbemerkt seinem Untergebenen einen Wink zu schweigen. Dann machte er, mit vieler Redseligkeit, Roland auf alle Merkwürdigkeiten aufmerksam, die sich hier zeigten. Dieser aber, dessen Geist anderwärts beschäftigt war, hörte nur mit halbem Ohre auf seine Reden. Das Sausen der mächtigen Schwungräder, das Knarren der ziehenden und dehnenden Hebel, das ferne Rauschen der Berggewässer, der wunderbare Anblick der hochgewölbten Halle, in deren unzählichen Metalladern sich der Schein des unten lodernden Feuers buntfarbig und glänzend wiederspiegelte – alles dieses hätte ihn in jener Stimmung, in der er den Eingang des Bergwerks betrat, mit Bewunderung von der schaffenden Macht der Natur und der wirkenden der Kunst erfüllt; jetzt aber nahm ein Gedanke sein ganzes Wesen ein: der, jenen Bergmann wiederzufinden, dessen Erscheinung, obgleich flüchtig vorübergehend, einen tiefen, unauslöschlichen und ahnungsvollen Eindruck auf seine Seele gemacht.

Herr Nils Westgöthe betrachtete indessen den plötzlich so still und gedankenvoll gewordenen jungen Mann mit finstern, Unheil brütenden Blicken. Er schien einen Kampf in seinem Innern zu bestehen, er schien unentschieden zwischen dem Entschlusse zu einer raschen That und dem Unterlassen derselben zu schweben. Plötzlich jedoch trat er gefaßt auf Roland zu, ergriff tückisch lächelnd dessen Hand und sagte:

»Ihr habt nun in diesem unterirdischen Bau das Walten guter Geister erkannt; kommt jetzt mit mir, um auch die Zerstörungswuth der bösen Bergtrollen kennen zu lernen. In einem Augenblicke zerstören sie oft ein Werk, das hundertjährige Arbeit gegründet und der Mensch selbst, der sich in diese nächtlichen Grüfte wagt, ist nie vor dem plötzlich einbrechenden Verderben sicher – am wenigsten der, welcher so ungern Gefahren berechnen mag, wie Ihr!«

Den Spott, der in dem Schlusse seiner Rede lag, beachtete Roland nicht. Er folgte ihm in einen schmalen Gang, der im Anfange so niedrig war, daß sie etwa fünfzig Schritte weit nur tief gebückt vorwärts schreiten konnten. Das Gestein schien verwittert, dem Zusammensturze nahe. Als der Gang sich erweiterte, vernahmen sie ein dumpfes Tosen, das den Sturz eines unterirdischen Wasserstromes verkündete.

»Das sind die Berggewässer, deren Schleusen die Kobolde geöffnet haben;« bemerkte der Bergvogt. »Ihre Bosheit ist groß, aber die Menschen sind doch noch klüger, als sie, und verstehen, sich ihrer Angriffe zu erwehren und in manchem Falle diese zu benutzen.«

Er drängte den sinnenden Roland weiter. Bald standen sie am Rande des aus der dunkeln Tiefe immer höher aufsteigenden Wassers; zur Seite, etwas hinter ihnen, gähnte aus einer beträchtlichen, schräg angehenden Höhe herab eine weite Höhlenöffnung, welche, wie Herr Westgöthe versicherte, den Eingang zu jenem Abgrunde bildete, in den er durch Verschüttung des Ganges die Wasser abzuleiten gedächte. Die Ströme brausten näher, das Auge reichte aber nicht so weit, ihr Hervordringen aus den innern Schluchten der Erde zu erkennen. Mit außerordentlicher Geschwindigkeit stieg das Wasser am Boden. Wenn es nicht auf irgend eine Weise gehemmt wurde, so drang es in wenigen Stunden bis zu den Maschinenwerken vor und zerstörte diese.

»Harret mein einen Augenblick!« hob jetzt mit seltsamer, unsichrer Stimme der Bergvogt an. »Ich will eine Kienfackel holen, damit wir das Ganze genauer überschauen können. Haltet Euch ganz unbesorgt und ruhig an dieser Stelle, ich bin sogleich wieder bei Euch.«

Diese Worte erweckten den jungen Mann aus seinen Träumereien. Er hielt Herrn Westgöthe, der schon im Begriff stand, fortzueilen, zurück und sagte:

»Ich werde Euch begleiten, Herr! Hier ist nicht gut seyn im Dunkeln, denn mit aller Eurer Berechnungskunst vermögt Ihr nicht vorauszusehen, wie mit einemmale die Gewalt der Ströme sich vermehren und diesen Aufenthalt höchst gefährlich machen kann.«

»So behaltet das Grubenlicht zurück!« versetzte hastig der Bergvogt, indem er seinem Begleiter die Lampe überreichte. »Ihr seyd des Weges nicht kundig, Ihr würdet mich nur aufhalten in meinem Gange!«

Mit diesen Worten verließ ihn der Bergvogt so eilig, daß seine raschen Schritte bald in weiter Ferne verhallten.

Noch saß der schwarze Henz beim lodernden Feuer in der großen Halle, als mit einemmale Nils Westgöthe mit wild herumrollenden Augen und verzerrter Gebehrde aus dem Seitengange hervorstürzte, den erstaunten Bergmann gewaltsam vom Boden aufriß und mit heisrer, gedämpfter Stimme zu ihm sagte:

»Hast du die Mine gelegt? – Ist sie zum Anzünden bereit?«

»Sie ist's!« antwortete Henz. »Wenn die Andern wieder herabkommen, können wir zünden.«

»Nicht dann erst;« versetzte in höchster Aufregung der Vogt. »Zünde jetzt, Henz! Leg' die Lunte an.«

»Aber der Fant da drinnen?« sprach, unter den buschigen Augenbraunen tückisch hervorschielend, der alte Bergmann. »Soll er mit seinen bunten Bändern, mit dem lustigen Seidenkleide und den silbernen Ketten begraben werden in der nassen Gruft, wie wir einst Martha Jute im Siljan begruben?«

»Die Wellen rauschen über sie und ihr Gedächtniß hin;« erwiederte zusammenzuckend Westgöthe. »Sprich nicht mehr von ihr, Henz! Die Sache ist dein Schade nicht gewesen. – Zünde und du wirst sehen, daß ich noch ebenso großmüthig bin, wie damals!«

»Meinetwegen!« antwortete kalt der Bergmann, indem er nach der Lunte griff und diese an seinem Feuer in Brand setzte. »Was aber erzählen wir droben am Tageslichte von diesem Stückchen? Der bunte Vogel, den wir im Netz halten, ist wohlbekannt in Dalarne, man hat ihn mit Euch in die Grube fahren seyn.«

»Ein Zufall hat gethan, was wir thaten, ein Funken, der sich von deinem Feuer verirrt,« – entgegnete drängend der Bergvogt, »aber zünde! Die Augenblicke sind kostbar, wie leicht könnte es dem Buben einfallen, mir zu folgen.«

Mit einem widrigen Lächeln, die brennende Lunte nach dem Zündgange erhebend, der zu der Mitte führte, näherte sich der schwarze Henz dem Orte, wo diese, Zerstörung brütend, verborgen lag. Das Werg des Zündganges loderte auf, der Bergmann stürzte zurück und riß den Vogt mit sich hinter eine Felsenwand. Einige Augenblicke vergingen in spannender, quälender Erwartung. Dann durchzuckte ein Blitz die Dämmerung, ein dumpfer Donner rollte durch die Gewölbe; man vernahm das Getöse zusammenbrechender und einstürzender Felsenmassen: der Frevel hatte sein Ziel, die Bosheit ihre Befriedigung gefunden.


 << zurück weiter >>