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Erster Theil.


Erstes Kapitel.

Ich bring' dir einen willkomm'nen Gast,
Den halte lieb und werth,
Das Beste gieb ihm, was du hast,
Die Treu', die Freunde ehrt.

An einem heitern Septembermorgen des Jahres fünfzehnhundert und neunzehn sah man vor der Herberge zum Tannenhirsch in der freien Reichs- und Hansestadt Lübeck zwei junge Männer in einem lebhaften Gespräche mit jütländischen Viehhändlern begriffen, deren Knechte eben beschäftigt waren, die stattlichen Thiere, welche sie in reicher Anzahl mitbrachten, in den weit geöffneten Hof des Hauses zu treiben. Der eine der jungen Männer besaß eine hohe, schlanke Gestalt, ein edelgebildetes Angesicht mit lebhaften blauen Augen, ein volles blondes Lockenhaar und eine so leichte und vornehme Haltung, daß die Vorübergehenden, deren Aufmerksamkeit er auf sich lenkte, sich nicht erklären konnten, wie ein Jüngling, dessen ganzes Wesen höhere Ansprüche verkündete, in den niedrigen und unsaubern Anzug eines gemeinen Viehtreibers, der die schöne Gestalt umgab, gerathen seyn mochte. Sein Gefährte war beinahe noch einen Kopf größer als er, aber zugleich auch von einem breitern und kräftigern, obschon höchst regelmäßigen Gliederbaue. Während sich in den Zügen des erstern ein hoher Ernst, ja! selbst ein Ausdruck von Schwermuth offenbarte, trug dieser ein heitres, lächelndes Angesicht zur Schau, dessen Gepräge eine frisch blühende Gesundheit, eine treuherzige Offenheit, ein unerschütterlicher Humor und eine Verwegenheit, die vor keinem noch so kühnen Unternehmen zurückzuschrecken schien, war. Er zeichnete sich in seinem Äußern vor dem andern jungen Manne durch einen reichen, phantastischen Anzug aus. Die starke hohe Stirn bedeckte ein leichtes Barett mit einem weißen Reiherbusche, von den Schultern fiel ein weiter rothseidner Mantel herab, unter dem ein leichter Harnisch sichtbar ward, über die Brust neigte sich von der rechten Schulter eine himmelblaue Schärpe mit den in goldner Stickerei erglänzenden Worten: Freiheit, Gerechtigkeit. An der Seite trug er ein breites, langes Schwert, das für seine riesige Gestalt eigens gefertigt schien und einem andern wohl zur Last gefallen seyn möchte. Seine Fußbekleidung bestand aus einem Paare Sandalen, wie sie unter den Landleuten im hohen Norden gebräuchlich sind.

»So macht der Sache ein Ende!« sagte er mit launiger Ungeduld zu den Viehhändlern, die sich weigerten, von seinem Gefährten einige Geldstücke, die dieser ihnen aufdringen wollte, anzunehmen. »Euer Geschäft erweitert sonst die Gewissen, statt sie zu verengern und ich kann schwören, daß Ihr mit dem Transport meines Freundes mehr auf das Spiel gesetzt habt als alle Rinder von ganz Jütland und Holstein werth sind!«

»Er mag sein Geld behalten und auf andre Dinge verwenden;« antwortete kaltsinnig einer Viehhändler. »Er hat uns gedient, als ein tüchtiger und getreuer Knecht, ohne seine Hülfe und seinen Rath hätten wir die Heerde nie aus den Morästen, in die sie gerathen, herausbekommen. Wir sind ihm Dank schuldig und er nicht uns. Verschmäht er unsern Lohn, so ist das seine Sache und nicht die unsrige, wir aber nehmen nichts an von ihm.«

»Thoren, die Ihr seyd!« erwiederte jener. »Fragt nur die reichen Handelsherrn dieser Stadt, ob selbst nicht sie, wenn es einmal Geld regnete, Alles was sie an Truhen, Körben und Gefäßen besitzen, unterschieben würden, den goldnen Regen aufzufangen? Greift zu, die Gelegenheit kommt so bald nicht wieder!«

»Laß diese guten Leute!« fiel ihm sein Freund in die Rede, indem er eine Pergamenttafel unter seinem Kleide hervornahm, einige Worte auf diese niederschrieb und das Blatt den Viehhändlern darreichte. »Wann einmal Jahr und Tag vorüber ist,« fuhr er fort, »und das Regiment im Reiche Schweden sich verändert hat, wann der blutige Scepter, den Christian von Dänemark über das unglückliche Land schwingt, gebrochen ist, dann laßt Euch von einem, der schwedisch versteht, den Inhalt dieser Zeilen erklären. Fühlt Ihr dann ein Begehren in Euch, mich wiederzusehn, so sucht mich nur auf. Ihr sollt willkommen seyn!«

Er reichte den Viehhändlern seine Rechte, die diese treuherzig schüttelten. Dann betrat er an der Seite seines Gefährten das Innere der Stadt, wo sich noch, mit Ausnahme der Marktweiber und Milchmädchen aus den benachbarten Vierlanden, wenig reges Leben in den düstern, von hohen weit vorgebauten Häusern begrenzten Straßen zeigte. Die zwei jungen Männer schritten schweigend neben einander hin. Sie achteten nicht des Aufsehens, das sie erregten, sie vernahmen nicht manche spöttische und wunderliche Bemerkung, die von Einzelnen unter den Vorübergehenden über den stattlichen Junker in Holzschuhen und seinem standesmäßigen Kameraden, der Viehtreiber, der nachlässig die Peitsche in der Linken schwang, ausgesprochen wurde. Dieser schien in ein ernstes Nachdenken versunken. Ein Wölkchen der Besorgniß zeigte sich auf seiner hohen Stirn, seine Blicke waren zu Boden gerichtet. Der Andre legte indessen alle Unbefangenheit eines sorgenfreien Gemüths an den Tag. Er trällerte ein Liedchen vor sich hin, er sandte die kühnen, offnen Blicke der dunkeln Augen bis unter die Giebel der mächtigen Häusermassen und wenn hinter einem der Fenster eine frühwache Jungfrau mit frisch blühenden Wangen und lauernden Blicken sichtbar wurde, so flog immer ein heitres Lächeln über sein kräftiges Angesicht, das einen freundlichen Morgengruß auszusprechen schien.

So gelangten sie, nach einiger Zeit, zu einem Gebäude, das durch seine Stattlichkeit den Reichthum und das Ansehn seines Besitzers anzeigte:

»Hier sind wir zur Stelle!« sagte der Rothmantel und blieb vor der hohen, von einem mächtigen Portale bedeckten Eichenthüre stehn. »Hier haus't mein würdiger Oheim, Herr Bernhard Böchower, Raths- und Handelsherr dieser achtbaren Hansestadt. Hier stehen wir an dem Eingange eines weiten Grabes, in welchem die lebendigen Leichen der unglücklichen Handlungsdiener des Hanseherrn ihr spukhaftes Wesen treiben, indem sie scheu und schweigend, bleich aber in unaufhörlicher Regsamkeit, die Handlungsbücher führen, die Waaren verpacken und in die weite Welt versenden, von der sie selbst nichts kennen lernen, als was sich ihnen allsonntäglich beim Kirchenbesuche oder bei einem an hohen Feiertagen nur vergönnten Spaziergange im Zwinger darstellt. Viele dieser Unglücklichen, welche die wichtigsten Stellen bekleiden, müssen sogar beim Antritte ihres Amtes geloben, ewig Junggesellen zu bleiben, nie den Dienst ihres hochmögenden Prinzipals mit einem andern zu vertauschen. Himmel und Erde, edler Herr! Auch mich wollte der Oheim Bernhard aus reiner verwandtschaftlicher Liebe in die Zahl dieser elenden Leibeigenen aufnehmen. Der Roland von Bremen ein Stubenhocker, ein Federfuchser! Eher hätte er einen Adler zum Haushahne gemacht, als ihm das gelungen wäre!«

Diese letzten Worte begleitete er mit einem heftigen Klopfen an die Hausthüre. Sie wurde sogleich geöffnet und in ihr erschien ein graubärtiger Diener, der mit zweifelhaften Blicken den jungen Mann betrachtete.

»Lebst du noch, alter Salomo?« rief freundlich der junge Mann und bot dem Alten die Hand. »Du hast dich wacker gehalten und wenn auch das grüne Laub am alten Stamme zum dürren geworden ist, so steht doch der Stamm noch frisch und kräftig aufrecht.«

»Junker Roland Doneldey?« fragte noch immer zweifelnd der Alte, dessen Gesichtszüge sich bei dieser Vermuthung belebten.

»Roland von Bremen!« entgegnete stark und fast unwillig der Jüngling. »Henrich Doneldey, mein Vater, ist heimgegangen zu seinen Vorfahren und hat dem Sohne nichts hinterlassen, als seinen frohen Muth und ein redliches Herz. Diese Güter will er nun frisch und freudig durch die Welt tragen als Roland von Bremen, als ein Streiter für Freiheit und Gerechtigkeit, deren Sinnbild der alte Roland auf der hohen Säule am Markte zu Bremen ist. Jetzt, Alter, gehe hinein und verlange bei meinem Oheim Gehör für mich und meinen Freund. Sage ihm, daß wir wichtige Dinge mit ihm zu besprechen hätten.«

Der Diener warf forschende, zweideutige Blicke auf den seltsamen Begleiter Rolands.

»Was Euch betrifft, Junker Roland,« sagte er dann, »so bedarf es wohl kaum des Anmeldens, allein dieser Fremdling –«

»Alter Salomo, deine Weisheit wandelt auf Irrwegen,« unterbrach ihn der Neffe seines Herrn; »denn wahrlich, ich sage dir, der Mann, den du im schmutzigen Kittel, mit der Ochsentreiberpeitsche in der Hand in dieses Haus eintreten siehst, wird es verlassen im Seidengewande, mit Gold und Edelsteinen geziert. Allein es ist besser, wenn ich zuvor den Oheim allein spreche. Führe mich zu ihm. Ihr habt wohl die Güte,« wandte er sich zu seinem Gefährten, »eine kurze Zeit hier zu verweilen, bis ich Euch abrufe. Beim Himmel, es thut mir leid, aber es mag wohl am Besten seyn, daß ich erst auf Euern Besuch vorbereite!«

»Ich bin Schlimmeres gewohnt;« versetzte mit einem trüben Lächeln der junge Mann. »Geht nur, mein Freund! Jetzt ist es Zeit zu dulden; die des Handelns wird auch kommen.«

Die Erscheinung des jungen Riesen und seine abentheuerliche Tracht vermochte nicht, die Aufmerksamkeit der in den Schreibstuben beschäftigten Handlungsdiener von ihrer Arbeit abzulenken. Sie saßen in einzelnen, mit eisernen Gittern umgebenen Abtheilungen, welche großen Käfichten glichen. Ihr schwarzer Anzug, ihr herabgekämmtes Haar, die Einförmigkeit ihrer Bewegungen, die gewölbartige Umgebung, in der sie sich befanden, erweckte in der Seele des jungen Mannes, den man einst in eine gleiche Laufbahn einführen wollen, eine unangenehme, lästige Empfindung.

»Arme Vögel mit zerbrochenen, gelähmten Flügeln!« sagte er vor sich hin. »Wohl mir, daß ich frei bin, daß kein solcher Kerker mein Loos geworden ist!«

Er durchwanderte eine ansehnliche Reihe von düstern Gemächern, in denen nichts hörbar war, als die schweren Odemzüge der Arbeitenden und das Geräusch der rastlos auf dem Papiere beweglichen Schreibfedern. Endlich stand er vor der Thüre des Kabinets, aus welchem, wie Salomo ihm zuflüsterte, sein Oheim das Ganze regiere. Ein messingener Anker, fast die ganze Länge und Breite der Thüre in eingelegter Arbeit einnehmend, zeugte von der großen Ehrfurcht, welche hier dem Handelstreiben gewidmet wurde, indem dessen Symbol das Allerheiligste verkündete, wo die Spekulation ihre kühnen Entwürfe ersann und die Erfahrung sie ausbildete. Der alte Diener öffnete leise und vorsichtig und zog sich dann scheu zurück, dem Junker Roland selbst die Sorge überlassend, sich dem Oheim weiter bemerkbar zu machen und sich wegen der Störung, die er verursache, zu entschuldigen.

Roland stand vor dem Oheim, allein Herr Bernhard Böchower bemerkte ihn nicht oder wollte sich in der Arbeit, die er eben vorhatte, nicht unterbrechen lassen. Er dictirte einem alten Handlungsdiener, dessen ganze Gestalt das Gepräge der Entbehrung und des tiefsten Kummers trug, ein Verzeichniß von Waaren, die mit der nächsten Schiffssendung abgehen sollten. Roland harrte lange geduldig, daß der Oheim einen Blick zu ihm erheben, eine Frage an ihn richten möge. Endlich konnte der junge Mann seiner natürlichen Lebhaftigkeit nicht länger widerstehen, er gedachte auch des Gefährten, der draußen auf dem Hausgange seine Herbeiberufung erwartete, und fing nun an mit halblauter Stimme vor sich hinzusingen:

»Der Roland auf der Säule
Zu Bremen, in der Stadt,
Der hat nicht solche Eile,
Wie sie sein Pathe hat.«

Wie ein Blitz schien diese plötzlich ertönende Stimme das Gehör des ehrbaren Rathsherrn zu treffen. Noch nie hatte in diesem Raume ein Sterblicher gewagt, ihn auf solche Weise zu beunruhigen; wenn einer seiner Diener, einer nothwendigen Unterredung halber, sich ihm näherte, so mußte dieser oft stundenlang stehend und schweigend erwarten, wenn es dem Prinzipale gefällig seyn dürfte, ihn seiner Aufmerksamkeit zu würdigen. Herr Bernhard schoß einen raschen, finstern und fragenden Blick von seinem Sitze am Schreibtische empor auf den unerwarteten Störenfried; dann, als sey ihm grade keine willkommene Erkenntniß geworden, blickte er wieder verdrießlich auf seine Papiere, fuhr aber doch nun etwas rascher in seiner Beschäftigung fort, so daß er sie bald zu Ende brachte und den alten Handlungsgehülfen mit einer gebieterischen Bewegung der Hand entließ. Er lehnte sich über den Sessel zurück, maß den jungen Mann mit einem langen spöttischen Blicke und sagte dann in einem unentschiedenen, weder Willkomm noch Zurückweisung ausdrückenden Tone:

»Was bringt dich hierher, Junker Hasenfuß? Hast du dich bekehrt, hast du die Bitterkeiten eines fahrenden Lebens hinlänglich geprüft, um nun endlich einzusehn, daß ein ruhiges Plätzchen auf des Oheims Schreibstube wünschenswerther ist, als alle Abentheuer und Tollheiten der Helden von der Tafelrunde?«

»Eure Schwester, meine verewigte Mutter,« erwiederte mit einigem Stolze der junge Mann, »gebahr mich nicht, daß ich in der Kerkerluft Eurer dumpfen Schreibgewölbe zu einer lebendigen Leiche verschrumpfen sollte. Sie wohnte nicht umsonst auf dem Markte zu Bremen, sie hatte nicht umsonst den ganzen Tag über das riesige Rolandsbild aus ihrem Erkerfenster vor Augen. Sie träumte auch in den Nächten davon, wie mir mein Vater oft erzählte. So sah sie es immer und als ich auf die Welt kam, sah jeder leicht ein, wer es mir angethan hatte mit den starken Gliedmaßen, mit der ungewöhnlichen Kindeskraft, mit dem frisch gesunden Angesichte. Meinem Vater, dem kleinen hagern und grämlichen Manne glich ich in nichts. Aber der Roland – doch das wißt Ihr so gut, als ich, auch daß ich auf den Roland getauft bin und nur in der goldnen Freiheit, in ungezwängter lebendiger Thätigkeit mich glücklich fühlen kann.«

»Thorenglück!« murmelte der Rathsherr in sich hinein. »Könnte Weisheit lernen, Schätze sammeln, sich bürgerlich niederlassen und vielleicht einst Senator oder gar Consul werden und läuft dafür lieber heimathlos in der Welt umher! Welcher Wind hat dich denn jetzt hierhergebracht, du Rolandskind? Woher treibt er dein loses, lockeres Lebensschifflein?«

»Aus Norden, Herr Oheim;« versetzte bedeutungsvoll der Neffe. »Gerade herab von dem Lande Skandinavien, wo ich mir einmal die gewaltigen Bergriesen mit ihren Schneehäuptern, die breiten Ströme mit ihren mächtigen Wasserstürzen, die herrlichen Thäler mit ihren gastfreien Landleuten und ihren schönen Mädchen beseh'n habe.«

»Teufelsbraten!« rief, wild aufspringend, im zornigen Tone Herr Bernhard Böchower: »du warst doch nicht gar –«

»In Dalarne!« fiel, die Vermuthung des Alten bestätigend, der Neffe ein. »Eurer seligen Frauen Bruder, der wackere Pfarrer zu Mora, läßt Euch bestens grüßen und Bäschen Margaretha, Euer holdes Töchterlein, thut Euch zu wissen, daß ihr der Aufenthalt in dem schönen Gebirgslande gar wohl anschlage und sie, mit Eurer Erlaubniß, noch einige Zeit im Hause des Herrn Jacob Pehrson's verweilen würde.«

»Und wenn ich sie in die neue Welt schickte,« sprach Herr Bernhard halblaut in sich hinein, »so würde der tolle Junge ihr nachlaufen! Höre, Neffe,« wandte er sich jetzt in einem ernsten Tone zu diesem, »deine Bewerbungen, deine Bemühungen um Margarethen sind und bleiben, was ich dir schon hundertmal gesagt habe, umsonst, so lange du dich nicht entschließest, ein ruhiger, seßhafter Mensch zu werden und dich in das Innere der Handelsgeschäfte einweihen zu lassen. Mit deinem abentheuerlichen Streichen bleibst du ein armer Schelm und der Armuth verheirathe ich mein einziges Kind nun und nimmermehr.«

»Ihr irrt, Oheim,« versetzte lächelnd der junge Mann, »wenn Ihr glaubt, daß man nicht auch mit des Schwertes Spitze nach Gold graben könnte. Mein Säckel ist wohlversehn, ich habe unter den Schweden gegen den Bluthund Christian gefochten und als wir Stäke eroberten und die Dänen aus den Scheeren jagten, nahmen wir ihnen ein gutes Theil von dem wieder ab, was sie aus dem Lande schleppen wollten.«

»So warst du mit dem Sohne meines alten Freundes, meines Gönners, Herzog Erich's von Grypsholm,« fiel eifrig der Rathsherr ein, indem er des Neffen Hand ergriff, »mit Gustav Wasa?«

»Ich hieb ihn in Stäke aus den Dänen heraus,« antwortete gelassen Roland, »ich war bei den Gefechten in den Scheeren an seiner Seite, als er die Reichsfahne führte.«

»Und jetzt schmachtet er als Geisel in dänischer Haft,« sagte schmerzlich ergriffen Bernhard Böchower, »sein eigener Verwandter Erich Banner hält ihn gefangen und das Schwerdt des blutdürstigen Tyrannen schwebet unaufhörlich über dem Haupte dieses edlen Sprößlings des alten Königsstammes!«

Roland drückte die Hand des Rathsherrn so kräftig, daß diese schmerzlich zuckte; dann sagte er, bedeutungsvoll nach der Thüre blickend:

»Ich bin nicht allein gekommen, Oheim! Ich habe einen Viehtreiber aus Jütland mitgebracht, der Euch mancherlei Neues erzählen kann von den dänischen Händeln. Er ist nicht von der gewöhnlichen Art, denn er schien dem Tyrannen Christian wichtig genug, daß er auch ihn verwahren ließ, wie einen schwedischen Herzogssohn; der Viehhändler aber wollte diese Schmach nicht dulden, er sah seinen Tod durch Henkersbeil voraus. Da entzog er sich klug und kühn der Haft und wir sind Reisegefährten gewesen und ich habe dem Viehtreiber mit Mund und Herz gelobt, es treu mit ihm zu halten in jeglicher Noth und Gefahr. Er trägt einige Züge aus dem Hause Wasa auf seinem Angesichte und ich glaube, wenn Ihr ihn seht –«

»Toller Bube,« unterbrach ihn in freudiger Ahnung der Rathsherr, »wenn meine Vermuthung wahr wäre, wenn der Sohn des würdigen Herzogs Erich die Schwelle meines Hauses betreten hätte –«

»Es ist Gustav Wasa;« erwiederte bestimmt der Jüngling. »Er erwartet im Hausgange die Erlaubniß vor Euch zu erscheinen.«

Ohne sein Wort zu entgegnete, verließ Herr Bernhard Böchower sogleich sein Zimmer und eilte in stürmischer Hast durch die Reihen der Schreiber, die, einer solchen geräuschvollen Eilfertigkeit ihres gestrengen Patrons gar nicht gewohnt, ihm scheu und etwas Außerordentliches ahnend, nachblickten. Zu ihrem großen Erstaunen kehrte nach wenigen Augenblicken der sonst so ernste, seine Würde sorgsam wahrende Rathsherr mit freudestrahlendem, lächelndem Antlitze wieder zurück, begleitet von einem jungen Manne in niedriger, befleckter Kleidung, dem er aber mit großer Aufmerksamkeit den Vortritt einräumte und welcher mit dem Anstande eines Königs auf die bleichen, an ihren Arbeitstisch geschmiedeten Gestalten herabblickte.

In seinem Kabinette ergriff er sogleich ehrerbietig die Hand des jungen Mannes, drückte sie an seine Brust und sagte freudig:

»Wahrlich, Ihr seyd ganz das Ebenbild Eures würdigen Vaters. ich sehe ihn wieder vor mir, als er in Eurem Alter stand und als wir, nachdem wir in Upsala zusammen studirt, uns trennten und er in das Getümmel des öffentlichen Lebens sich stürzte, ich aber in das väterliche Haus zurückeilte, um hier im friedlichen, stillen Handelsgeschäfte zu wirken. Er aber ist mein Freund geblieben immerdar und, seiner Fürsprache, seinem Schutze verdanke ich manchen ansehnlichen Gewinn, den ich aus meinem Handel in Schweden gezogen. Seyd mir willkommen in Lübeck, seyd mir willkommen in meinem Hause!«

»Welches Glück, daß ich in Euch den treuen Freund wieder finde, wie ihn mein Vater mir oft geschildert!« versetzte der schwedische Flüchtling. »Ich bedarf des Schutzes, ich bedarf vor allem der Freunde. Man wird mich verfolgen, man wird meine Auslieferung verlangen. Erich Banner, mein Verwandter, hat mit einer großen Summe für mich Bürgschaft geleistet; er selbst wird bald als mein eifrigster Verfolger erscheinen.«

»Mein Haus ist unverletzlich;« antwortete mit stolzer Festigkeit der Senator der freien Hansestadt. »Ihr seyd mein Gast; kein Haar soll auf Euerm Haupte gekrümmt werden.«

»Recht so, Oheim!« erhob Roland beifällig seine Stimme. »Bei Gott, ich fange an zu ahnen, daß etwas von dem Rolands, der in mir lebt, durch meine Mutter von Euch herstammen mag! Welche Freude für den blutdürstigen Dänenkönig, wenn er dieses edle Haupt, vom Rumpfe getrennt, blutig zu seinen Füßen zucken seyn könnte! Das duldet nicht, ihr wackern Väter von Lübeck. Der Däne unterdrückt Euern Handel, der Schwede wird jede Fessel von ihm entfernen. Unterstützt ihn mit Eurer Macht, einigt Euch mit ihm, dem dänischen Tieger die Zähne auszubrechen.«

Seine Blicke strahlten feuriger, seine Hand lag am Griffe des gewaltigen Schwertes. Der Oheim aber warf ihm einen finstern Blick zu und sagte dann spöttisch:

»Freilich, wenn uns eine Heeresmacht solcher Rolande zu Gebote stände, wie du bist, mein heldenmüthiger Neffe, so würde König Christian nicht lange mehr tyrannisch über Land und Meer herrschen und wir würden ihn leicht zwingen, die alten Tractate getreulich zu erfüllen. Doch genug hievon! Ihr werdet der Ruhe, der Erholung bedürfen, edler Herr!«

»Meiner Geschäfte sind viele hier,« antwortete mit Nachdruck Gustav Wasa, »und Euer Neffe hat schon zum Theile ausgesprochen, was ich hier suche und wünsche. Ruhe und Erholung sind mir fremd geworden seit lange. Ich finde sie auch nicht eher wieder, als bis mein Vaterland ruhig und glücklich geworden. Jetzt, Herr Böchower, erlaubt mir, ein gutes Wort für Euern Neffen einzulegen, dem Ihr zu grollen scheint. Er war mein treuer Gefährte in manchem Kampfe, er hat meine Flucht gefördert, er wußte die Verfolger von meinem Spur ab, auf sich hinzulenken.«

»Das war brav von ihm!« sprach verlegen der Rathsherr. »Allein Ihr müßt es mir schon zu Gut halten, daß ich meine eigene Ansichten hierüber hege. Es gibt ein gewisses Verlangen meines lieben Neffen, zu dem ich nun und nimmermehr meine Einwilligung gebe, wenn er sich nicht gänzlich umwandelt. Jetzt laßt Euch gefallen mich zu begleiten. Was mein Haus vermag steht zu Eurem Dienste«.

Mit diesen Worten öffnete er eine Thüre, welche in das Innere des Hauses führte und ließ seinen edeln Gast die breite Treppe voran zu den oberen Prunkgemächern schreiten. Roland folgte ihnen und sang halblaut, so daß es der Oheim vernehmen konnte, vor sich hin:

»Der Roland bleibt dem Gretchen treu,
D'rauf gab er ihr die Hand,
Und sie beschwur mit ihm auf's Neu'
Der alten Liebe Band.«



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