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Fünftes Kapitel.


Gesteh es offen nur, mein Knabe,
Sind Schwert und Dolch nicht gute Habe?
Der Stille lass' die Wissenschaft,
Die Welt erringt nur Muth und Kraft.

Indessen gestaltete sich zwischen dem fahrenden Schüler Erasmus und der Mevrouw Virginia ein so trauliches Verhältniß, daß dieses selbst den Matrosen auffallend wurde und zum Aergerniß diente. Die schöne Flammländerin erschien nur am Arme des fahrenden Schülers auf dem Verdecke, sie lehnte sich zärtlich an ihn, sie blickte mit reizendem Lächeln zu ihm auf, nichts schien mehr Werth und Bedeutung für sie zu haben, als die Nähe des Studenten, der seinerseits auch nur für sie Aufmerksamkeit besaß, niemand mehr grüßte und sich mit dem lächerlichsten Dünkel benahm. Das holländische Ehepaar hatte die Reise in der Absicht unternommen, eine bedeutende Erbschaft in Drontheim, welche ein Bruder der jungen Frau hinterlassen, anzutreten. Dieser Bruder war vor vielen Jahren in die Welt gegangen, und erst nach seinem Tode vernahmen sie, daß er sich in Drontheim als Kaufmann niedergelassen, glücklich spekulirt habe und unverheirathet gestorben sey. Herr Jonas Minderhout wollte das einträgliche Handelsgeschäft des seligen Schwagers nicht in andre Hände übergehen lassen und entschloß sich deshalb, mehr seinem Eigennutze, als seiner Liebe zur Bequemlichkeit nachgebend, es selbst zu übernehmen. Frau Virginia versprach sich von der Reise und von dem Wechsel des Aufenthaltes allerlei Genüsse und Freuden, die das einförmige Leben in Leuwarden und die alleinige, langweilige Gesellschaft ihres Eheherrn ihr nicht gewähren konnten. Ihr ganzes Besitzthum in Holland hatten sie zu Geld gemacht und führten auf diese Weise sehr ansehnliche Summen und viele werthvolle Gegenstände mit sich. Der Mynheer ließ sich, da Virginia die Begleitung des Erasmus Fontanus der seinigen vorzog, gar nicht mehr auf dem Verdecke seyn, sondern zeigte sich nur in der Cajüte des Capitäns Mittags bei Tische. Die übrigen Stunden des Tages verbrütete und verschlief er. Seine Schwermuth nahm von Tage zu Tage zu. Jeder Bissen, den er genoß, war von einigen Seufzern begleitet.

Roland blickte mit tiefer Verachtung auf die Frau, die, ihrer Ehre und Würde vergessend, leichtsinnig ein heiliges Band lockerte und ihre Gunst einem Elenden zuwandte, dem es gewiß nur darum zu thun war, aus diesem Verhältnisse einigen Nutzen zu schöpfen. Wirklich sah man den Studenten jetzt auch mit Kleinodien geschmückt, die wenig zu seinem abgetragenen Anzuge paßten. Sein Barett zierte eine goldne Schnalle, an seiner Hand prangte ein Edelsteinring von bedeutendem Werthe: Niemand zweifelte, daß dieses Geschenke der Mevrouw seyen, durch die sie den fahrenden Schüler, der ihr Wohlgefallen erregte, immer enger an sich zu fesseln beabsichtigte. Wie gern hätte nicht Roland durch ein ernstes, kräftiges Entgegentreten der Oeffentlichkeit dieses verbrecherischen Verständnisses ein Ende gemacht, allein Capitän Harslö, der Rücksichten auf das angesehene Haus in Drontheim zu nehmen hatte, dessen Geschäfte in Zukunft Frau Virginia wahrscheinlich mehr lenken würde, als ihr Gatte, widersetzte sich einem solchen Beginnen. Da trat eines Abends, als grade Erasmus Fontanus und die schöne Virginia auf dem Verdecke lustwandelten, der finstre Ignotus zu dem jungen Deutschen und sprach, auf beide deutend, leise und geheimnißvoll:

»Wie dieses Weib uns jetzt erscheint, so muß die Mutter der Dyweke, die schändliche Sigbrit, in ihrer Jugend ausgesehn haben. Glaubt mir, hinter den dunkeln, glühenden Blicken dieser Augen lauert das Verbrechen, jede ihrer Bewegungen verräth ein lasterhaftes, sündliches Gelüst, dieser leichtfertige Zug um die Lippen spricht der Tugend und Sittsamkeit Hohn, ich bin überzeugt, sie würde einen Mord nicht scheuen, um das Ziel ihrer Wünsche zu erreichen.«

»Euer Unglück verleitet Euch, Alles, in so schwarze Farben getaucht, zu sehen;« versetzte Roland, der sich nicht entschließen konnte, die hübsche Flammländerin für so tief gesunken zu halten. »Eine Verirrte, eine Thörin mag sie seyn – mit kaltem Blicke aber einen Frevel zu begehen, dazu ist sie nicht fähig.«

»Möchtet Ihr nimmer die Erfahrungen machen, die mich gelehrt haben, die äußern Zeichen der Gewissenlosigkeit zu erkennen!« sagte, von schmerzlichen Erinnerungen ergriffen, Ignotus. Dann fuhr er leiser und indem er den jungen Deutschen zur Seite zog, fort: »Als schon das Schafott errichtet war, auf dem das Blut meines unglücklichen Vaters floß, sah ich, von dem königlichen Bluthunde begleitet, die Sigbrit an der Richtstätte vorübergehn. Mordsüchtige Gedanken trug sie im Herzen, Mordlust flammte aus ihren Blicken. Ich wollte hin, ich wollte mich auf sie stürzen – sie vernichten, ihn vernichten, mich selbst dem Untergange weihen. Aber die Freunde hielten mich zurück, sie versicherten, Christian werde gewiß des alten Freundes und Günstlings noch gütig gedenken und vor dem entscheidenden Augenblick das Wort der Gnade aussprechen. Christians Gnade! Er besitzt die Milde des Tigers, dessen Zunge sein Opfer leckt, um sich am Wohlgeschmack des Blutes zu laben. Ich ließ mich beruhigen, aber diese Sigbrit – etwas von ihrem Geiste lebt sicherlich in der schönen Flammländerin, der Gedanke an Mord ist dem jungen Weibe nicht fremd und innerlich brütet sie über einem Verbrechen?«

Er entfernte sich und trat an den Rand des Schiffes, wo er düster in das Spiel der Wellen hinabblickte. Roland jedoch bewahrte seine Stelle in der Nähe des großen Mastes und beobachtete nun, aufgefordert durch die Bemerkungen des Ignotus, aufmerksamer als bisher das lustwandelnde Paar. Beide sprachen leise miteinander, allein was sie beriethen, mußte von Wichtigkeit seyn, denn der Student begleitete mit eifrigen Bewegungen seine Worte, welche die junge Frau erst mit einer bedenklichen, dann mit einer in Billigung und Wohlgefallen übergehenden Miene anhörte. Bald zeigte sie wieder die alte Leichtfertigkeit, ihre Blicke schweiften bedeutsam zu Erasmus empor und auch Roland glaubte nun in der Tiefe dieser Augen etwas Unheimliches, Drohendes zu entdecken. Er wandte sich mit Unwillen ab, trat zum Steuermann und sah hinüber nach jener Gegend, wo das feste Land verschwunden war, wo, jenseits der Wellen, hinter den ungeheuern Felsenmauern des Dofrefield, das stille Thälchen lag, in dem sein liebes Mädchen weilte. Er dachte an Gustav Wasa und dessen zweifelhafte Hoffnungen, an Herrn Bernhard Böchower, der es wohl gut mit ihm meinte, dessen Absichten aber nicht mit Rolands Wünschen übereinstimmen konnten. Er setzte sich zur Seite des Steuermanns nieder und vergaß über den Träumen, denen er sich hingab, der Wirklichkeit. So war es still geworden auf dem Verdecke, die Nacht brach an und die scharfe Luft, die jetzt von Norwegens Küste herüberwehete, ermahnte ihn, auch an seinen Rückzug zu denken. Indem er sich aber der Schiffstreppe näherte, vernahm er von unten herauf ein seltsames Geräusch, einen ängstlichen Ruf, halblaute drohende Reden, Waffenlärm und rasch emporstürmende Schritte. Er trat zur Seite, hinter eine aufrecht stehende Tonne. Die Schiffslaterne warf ihr Licht hell genug auf den Eingang der Treppe, um hier Alles genau bemerken zu lassen.

»Meister, ermordet mich nicht!« stöhnte odemlos der Knabe Claudianus, der in diesem Augenblicke fliehend, verstört und mit wallendem Haare auf dem Verdecke erschien. »Ihr wißt, wie gern ich Euch in Allem Folge leiste, was Ihr gebietet, aber in dieser Sache diene ich Euch nicht, und wenn alle Schätze der Welt darüber mein werden könnten!«

 

Er flüchtete sich auf das Dach der Cajüte, denn ihm auf dem Fuße folgte mit bloßem Degen der Student Erasmus Fontanus, der außer sich schien vor Zorn und in blinder Wuth tolle Kreuzhiebe in die leere Luft führte. Er bemerkte nicht gleich den Knaben, der sich klüglich auf das Cajütendach niedergeworfen hatte, um sich vor dem ersten Angriffe zu sichern oder in der Hoffnung, vielleicht hier ganz und gar den Forschungen seines Bedrängers in Verborgenheit entgehn zu können. Aber der helle Dämmerschein der nordischen Nächte verrieth ihn. Mit schwankendem Schritte – der fahrende Schüler mochte einen reichlichen Abendtrunk von Hyppokras oder Würzwein zu sich genommen haben – näherte er sich der erhöheten Stelle, auf welcher Claudianus sich bis zum äußersten Rande, wo ihn der Degen des Studenten von unten herauf nicht erreichen konnte, zurückgezogen hatte. Er suchte sie zu erklimmen, allein in seinem unsichern Zustande, der ihm nicht gestattete, einen festen Haltpunkt zu finden, gelang ihm dieses nicht.

»Pennal, verruchtes,« lallte er mit gebietrischer Stimme, »kommst du sogleich herab, um dich der verdienten Strafe zu unterwerfen? Hast du schon vergessen, daß ich dich aus einem elenden Bauernthiere zu einer Art von Menschen, zu einem quasi homunculum gemacht? Bist du nicht mehr des Gelöbnisses eingedenk, daß du, als ich dich zu meinem Pennale auf- und angenommen, abgelegt, mir dienstbar und gehorsam zu seyn in allen Dingen?«

»In jeder rechtlichen Sache;« erwiederte zitternd der Knabe, »aber Ihr habt mich schon zum Stehlen verleiten wollen, und dazu gebe ich mich nicht her. Was Ihr jetzt verlangt, mag wohl noch schlimmer seyn –«

»Alberner Tropf!« unterbrach ihn Fontanus: »Hast du es zu verantworten, wenn ich es dir gebiete? Ist der Samen der edlen Lagica, den ich in dein Pennalsgemüth eingestreut, so schlecht gediehen, daß du nicht einsiehst, das Werkzeug trage keine Schuld an dem, wozu es gebraucht wird? Und stehlen? Dummer Junge, das ist ein Wort, welches der Eigennutz erfunden und der Geiz zu einem Verbrechen gestempelt hat. Der Mensch ist frei in allen Beziehungen, deshalb steht ihm auch frei, zu nehmen, was ihm wohlgefällt. Alles ist für Alle geschaffen, ergo ist es Aller Eigenthum. Aber bin ich nicht selbst ein Thor, einem widerspenstigen Pennale noch Anleitung zu philosophischen Schlußfolgen zu geben? Komm herab, Bube, lass' dich prügeln und dann thu', was ich dir geboten!«

»Nimmermehr!« versetzte entschlossen Claudianus. »Ich verehre Euch als einen hochgelahrten Meister, als einen Mann, der im Glanze seiner Wissenschaft mir groß und herrlich erscheint. Was einem Pennale in seiner Demuth gebührt, thue ich mit Freuden, und ob es mir noch so hart fiele, aber mein Gewissen bewahre ich rein und sollte ich darüber zu Grunde gehn.«

»So stirb, Hund!« rief wüthend Erasmus Fontanus, indem er einige Schritte zurücktrat und dann einen Anlauf nahm, das Cajütendach im Sturm zu erobern.

»Gott stehe mir bei!« rief verzweiflungsvoll der Knabe, der nun alle Hoffnung verloren gab, seinem rohen Bedränger eingehen zu können.

Mit einem wüsten Gelächter stürmte der Student gegen die Erhöhung, aber wie eingewurzelt am Boden blieb er plötzlich stehen, denn die mächtige Hand Rolands hatte sich auf seine Schulter gelegt und bannte ihn fest an die Stelle, wo sie ihn ergriff. Sein Gelächter verstummte, er war unentschlossen, welches Benehmen er gegen die athletische Gestalt, die ihm hier als Hinderniß seiner Rache entgegentrat, ergreifen solle. Der trunkene Zustand, in dem er sich befand, erhöhete jedoch auf eine ungewöhnliche Weise seinen Muth, der Dünkel, der ihm den Vorzug, welchen die schöne Flammländerinn ihm vor den übrigen ertheilte, einflößte, ließ ihn die Wichtigkeit seines Gegners vergessen und, im trotzigen Muthe das Schwert erhebend, rief er aus:

»Wer wagt es, mich von der Züchtigung meines strafbaren Dieners zurückzuhalten? Hinweg die Hand oder die Spitze meines Degens soll Euch Sitte lehren!«

»Elender!« sagte im verächtlichsten Tone Roland: »Du, der öffentlich Sitte und Ehrbarkeit verhöhnt, erdreistest dich, andre darauf verweisen zu wollen? Unternimm es nicht, den armen Knaben ferner mit deinen Mißhandlungen zu verfolgen, denn er steht unter meinem Schutze und so du nur ein Haar auf seinem Haupte krümmst, werde ich es schwer zu ahnden wissen.«

»Mit dem Schwerte sollt Ihr mir Euer Recht auf ihn erweisen!« versetzte in toller Wuth der fahrende Schüler. »Heraus mit dem Flamberg, wenn Ihr nicht bei aller Eurer ungeschlachter Tölpelhaftigkeit eine Memme seyd!«

»Das Schwert ist zu edel für deinesgleichen!« erwiederte kalt der junge Deutsche, indem er ihn losließ und einen Knittel ergriff, der am Boden lag. »Heran mit dir und deinen Anmaßungen! Für Schelmen und Narren sind solche Waffen gut genug.«

Erasmus Fontanus unternahm einen wüthenden Ausfall auf Rolands Brust; allein er hatte den weit überlegenen Meister gefunden. Sein Schwert flog, ehe es den Gegner erreichte, weit fort aus der schlaff niedersinkenden Hand, über das Bord des Schiffes, in die Wellen hinab. Er stand beschämt, er zürnte mit sich selbst, daß seine Fechterkunst, die er bisher hoch angeschlagen, vor demjenigen, dem er wohl Kraft, aber keine Geschicklichkeit zugetraut, zu Schanden geworden sey. Giftig sprach er, indem er sich zum Rückzuge nach dem Unterdecke wandte:

»Ihr streitet da freilich mit einer Waffe, in deren Führung Ihr es zur großen Meisterschaft gebracht haben mögt. Erfreuet Euch nur Eures Sieges! Solche Lorbeern wird Euch Niemand beneiden. Was den thörichten Buben betrifft, für den Ihr so ritterlich die Keule ergriffen, so sage ich mich hiermit ganz und gar von ihm los und überlasse ihn Eurer fernern Führung, daß Ihr einen freien und gelehrten Mann, einen Bacalaureus und Magister der freien Künste, aus ihm bildet. Er wahre sich aber wohl, aus der Schule zu schwatzen oder gar auf seinen frühern Meister zu lügen! Ich könnte ihn sonst zu finden wissen, wo weder Schwert noch Knittel zu seinem Schutze vorhanden wären.«

Roland lachte ihm laut nach. Indem aber der Student unter dem Verdeck verschwand, stürzte weinend und jammernd Claudianus von dem Dache der Cajüte herab.

»Nun ist s aus mit meinem Lebensglücke und meinen Hoffnungen;« rief er verzweiflungsvoll. »Ich bin verabschiedet, verstoßen, ich bin nicht mehr das Pennal des großen Erasmus Fontanus! Wo werde ich nun Weisheit trinken, wo in Lateinisch und Griechisch prosperiren, wie nun selbst, gleich ihm, eine Eiche im Haine der Wissenschaft werden?«

»Bekämpfe deinen aberwitzigen Jammer, toller Knabe!« sagte zwischen Mitleid und Neigung zum Spotte getheilt, Roland. »Deine wissenschaftliche ›Eiche‹ ist nichts, als ein dürrer Baum ohne Blüthe und Frucht. Die Paar bunten, glizzernden Lappen, die daran hängen, blenden dich und locken dich herbei, wie einen Vogel in die Schlinge des Vogelstellers, der ihm den Kopf eindrückt. Hast du noch der Mißhandlungen nicht genug erlitten, um endlich einzusehn, daß dein hochverehrter Meister nur einen Sklaven in dir mit sich fortführte, den er zum Bettler abrichtete, statt zur Gelehrsamkeit, dem er Prügel darreichte, statt Unterricht? Verlassen, verloren sollst du nicht seyn! Komm mit mir, ich werde für dich sorgen.«

»Könnt Ihr mein Meister, kann ich Euer Pennal seyn?« versetzte noch immer weinend Claudianus. »Wer zählt Schläge und Fauststöße, Schimpf- und Scheltworte nach, wo Alles so reichlich vergolten wird durch hohe Lehre und mehr noch durch wunderbare, geheimnisvolle Hindeutung auf Dinge, die nur dem Geiste eines göttlich Auserkornen sich offenbaren? Freilich wage ich nicht so hoch zu streben, wie der große Erasmus Fontanus, aber die Wonne, ihn reden zu hören von dem Misterium der Natur, von der Macht, welche dem Philosophen über die Geisterwelt gegeben, von schwarzer und weißer Magie – ach! das Alles ist nun dahin, unwiderbringlich für mich verloren.«

»Unverbesserlicher Thor!« sprach ärgerlich der junge Deutsche, indem ihn jedoch die Begierde des Knaben, sich, selbst auf die Gefahr einer grausamen Behandlung hin, zu unterrichten, nicht mißfallen konnte. »Warum ergabst du dich denn nicht in den Willen deines würdigen Meisters, warum wagtest du, ihm den Gehorsam zu versagen, wenn dir seine Gesellschaft als ein unschätzbares Gut, seine Lehre als mit dem Glücke deines Lebens verbunden erscheint?«

»Das ist ein Andres!« antwortete der Knabe und trocknete seine Thränen. »Nicht um alle Gelehrsamkeit der Griechen und Römer, nicht um alle magische Weisheit der Chaldäer und Aegyptier hatte ich gethan, was er von mir verlangte. Jedes Ding hat seine Grenze, so auch die Pflicht eines Pennals gegen seinen Lehrer und Meister. Betteln muß ich für ihn. Hunger und Kälte, Sturm und Regen ertragen, Schläge hinnehmen mit freundlichem Gesichte und danken für gnädige Strafe, ihm Kurzweil vormachen, Späße reißen, wenn er es verlangt, obschon mir das Weinen näher läge, als das Lachen, aber es gibt Dinge, wo das Gewissen, wo das ewige Seelenheil – doch nein, ich darf nicht plaudern, es wäre schlecht und treulos von mir, wenn ich aussagen wollte, was er in festem Glauben an meine Verschwiegenheit von mir begehrt.«

»Bei'm Himmel, es muß Arges gewesen seyn!« versetzte Roland. »Aber ich will deine Treue nicht in Versuchung führen. Sie ist löblich und verdiente einem würdigern Gegenstande gewidmet zu seyn. Doch rathe ich dir Vorsicht gegen deinen ehemaligen Meister an. Ich halte ihn für sehr rachsüchtig und glaube, daß sein Zorn gegen dich noch nicht erloschen ist. Begleite mich in meine Cajüte. Dort bist du wenigstens für diese Nacht gesichert.«

In großer Niedergeschlagenheit folgte Claudianus. Als er das kleine Schiffsgemach betrat, erhob er scheu die Blicke und ließ sie an den Wänden umherstreifen, wo Rolands Panzerhemd, seine Stahlhaube, die mächtige Streitaxt, welche er in manchem Kampfe verderblich geführt, und andere Waffen des jungen Kriegsmannes hingen. Noch nie hatte der Knabe solche Dinge, wenn er sie an den sogenannten Landsknechten oder andern Kriegsleuten gesehen, einer besondern Aufmerksamkeit gewürdigt. Hier aber, wo sie in einem zierlichen Verhältnisse geordnet erschienen, wo sie in dem hellen Glanze, den Roland sorgsam zu erhalten suchte, von der Wand hernieder leuchteten, traf dieser Anblick mit einemmale wunderlich in seine Seele. Es schien ihm in diesen Dingen jetzt eine Bedeutung zu liegen, die er früher nicht geahnt. Als er sich blöde näherte und mit neugierigen Blicken hinaufsah, trat Roland zu ihm und sprach:

»Gelt, mein Knabe, auch Wehr und Waffen sind neben der Gelehrsamkeit, die du so hoch hältst, nicht ganz zu verachten? Wer schützt das Recht der Weisen, das Gut der Wittwe, die Freiheit der Völker gegen tyrannische Gewalt, als der rechtliche Kriegsmann, der freudig dem drohenden Tode entgegentritt, wenn es gilt, die Sache der Unschuld zu vertheidigen? Was würde aus der Gerechtigkeit, wenn sie nicht muthige Vertreter fände gegen den Mißbrauch der Willkür, gegen die Habsucht der Mächtigen? Ich sage dir, mein Knabe, ein gutes Schwert, dessen Stahl nur gute Thaten, zu denen es gebraucht wird, wiederspiegelt, ist mehr werth, als alle Bücher, alle Beschwörung deiner Magier, mit denen sie den Teufel aus der Hölle hervorrufen wollen. Du bist ein rüstiger, starker Knabe. Wahrlich! hätte mir, als ich in deinem Alter stand, der Schelm Fontanus mit Schlägen zusetzen wollen, er würde gesehn haben, daß ein Degen auch in der Hand eines Knaben geehrt werden muß, wenn er gegen gewaltthätige Anmaßung und Frevel erhoben wird.«

Immer mehr erglüheten die Blicke des Knaben, immer röther färbten sich seine Wangen. In seiner Seele lagen edle Empfindungen, aber aus Mangel an Erfahrung, ergriffen von einer traurigen Täuschung, konnten sie sich bisher nicht entwickeln. Zum erstenmale belebte sich in ihm das Gefühl seiner menschlichen Würde. Seine Haltung wurde fester, er erhob freier das Haupt. Er hatte in Rolands Worten eine unwidersprechliche, ihn mächtig durchdringende Wahrheit gefunden. Es dünkte ihm, als erwache er aus einem bangen, dumpfen Traume. Noch immer erschien ihm die Wissenschaft als das Größte, alles menschlichen Strebens Würdigste, allein die Frage drängte sich ihm jetzt auf: warum ein so heiliges, der ganzen Menschheit angehöriges Gut nur durch niedre Dienstbarkeit, durch sklavisches Ertragen willkürlicher Mißhandlung, durch Verläugnung aller bessern Gefühle errungen werden solle? Sein Ehrgefühl war erwacht, ein edler Stolz fing an, ihn zu beseelen und er schämte sich nun des Verhältnisses, in das er sich bisher muthlos und ohne Widerstand ergeben.

»Schenkt mir ein solches Schwert!« sprach er plötzlich in einem kecken Tone, der Roland wunderlich überraschte, zu diesem. »Ihr sollt sehen, daß auch in mir ein Gefühl für Freiheit und Gerechtigkeit lebt, welches in der Prüfung schon muthig bestehn wird. Die Lehre ist etwas Großes, aber die That auch. Jene gibt mir Macht über die Geister und ihre Eigenschaften, diese über böse Menschen und ihre Handlungen.«

»Brav, mein Knabe!« rief heiter der junge Deutsche. »Du stehst auf dem Punkte, einen guten Anfang zu machen zur wahren Erkenntniß des Lebens, zu selbstständiger Thätigkeit. Sieh nur erst einmal den Glanz des blanken Stahles an einem frischen Morgen, wenn die Sonne sich darin spiegelt, wenn die Trommete zum Kampfe gegen Tyrannei und Unterdrückung auffordert, wenn du aus voller Brust deinen Wahlspruch für Freiheit und Gerechtigkeit rufen kannst. Bei Gott, Knabe, da muß dir der ganze Schultrödel des Studenten Erasmus, sammt seinen aufgeblasenen Reden und seiner Geheimnißkrämerei als ein niedrig und erbärmlich Ding erscheinen. Blut und Leben an Recht und Freiheit – dafür ist der Mann geschaffen, das ehrt, das erhebt ihn. Morgen in aller Frühe sollst du ein Schwert haben, wie es sich für dein Alter und deine Kraft geziemt. Gewiß findet sich in Capitän Harslös Waffenkammer dergleichen vor. Dann halten wir Waffenübungen mit einander und dein ehemaliger Meister soll sehen, daß ich dich in wenigen Tagen weiter in der Handhabung von Schwert und Dolch, von Pfeil und Armbrust bringe, als er dich binnen Jahr und Tag in seiner weißen und schwarzen Magie gebracht hat.«

Claudianus vernahm mit Freude seines neuen Beschützers Antwort. Noch lange stand er vor den Waffen und betrachtete sie mit leuchtenden Blicken. Roland schlief schon fest, als endlich auch der Knabe sein Lager suchte, um vom Waffenrock und ritterlichen Thaten zu träumen.



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