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Neuntes Kapitel.


Es irrt ein armes Weib im Walde,
Wer nimmt des armen Weibs sich an?
Gott sieht auf Berg und Wald hernieder,
Der Retter tritt in ihre Bahn.

Während diese Männer aus dem Hochgebirge herabstiegen, um dem königlichen Flüchtling Unterstützung zu seinem großen Unternehmen zu bringen, irrte auf unwegsamen Pfaden, in Wüsten, wo nur Eis und Schnee dem Blicke des einsamen Wandrers begegneten, wo der hungrige Wolf heulte, und der grimmige Bär nach Opfern seines Blutdurstes suchte, eine zarte Frauengestalt umher, bleich von Antlitz, wankenden Schrittes, den schlanken Leib in ein gewöhnliches Hauskleid gehüllt, mit einem Mantel von grobem Wadmal leicht bedeckt. Es war Frau Barbara Stygsdotter, welche der grausame Arndt Ornflykt, als sie ihm offen und muthig erklärt, daß sie selbst dem Gastfreunde Gustav Wasa Mittel und Weg zur Flucht angegeben, um nicht Theil an einem verabscheuungswürdigen Verbrechen zu nehmen, aus dem Hause gestoßen, und mit dem Hohne allen Schrecknissen, allen Gefahren der rauhen Jahreszeit preisgegeben: »sie möge nun auch, als eine getreue Unterthanin des neuen Schwedenkönigs, dessen Leben sie für den künftigen Glanz einer Krone bewahrt, in sein Reich folgen, in die Oeden der Wälder, in die Eisgefilde, wo er Hof halte, um ihm dort ihre gewiß willkommene Huldigung darzubringen.« Frau Barbara stand auf der Schwelle des Hauses, in dem sie nur Leiden ertragen, aber keine Freude geerntet, und maß den unmenschlichen Gatten mit einem langen Blicke, der ihre tiefste Verachtung aussprach: »Ihr habt Euch von mir geschieden, und ich danke der heiligen Mutter Gottes, daß endlich dieses Band gelöst ist, das mich in meinen eigenen Augen entwürdigte! Besser ist es, unter den Thieren des Waldes zu leben, und dem Schutze des Himmels zu vertrauen, als mit einem Gemahle, dessen Herz sich keinem edeln Gefühle öffnet, dessen Seele sich in Habsucht und Eigenliebe gegen die Pflichten der Dankbarkeit, der Menschenliebe, der Treue und Redlichkeit verhärtet. Ich gehe gern von Euch in den Sturm des Winters, in die Schauer der Nacht; aber dennoch thue ich es mit schwerem Herzen. Ich bedaure Euch, Ornflykt, ich sehe mit Schrecken in Eure Zukunft. Glaubt mir: Verbrechen, wie Ihr sie ersinnt, Verrath, wie Ihr ihn gewissenlos übt, läßt Gott nicht ungestraft hingehn. Dieser Gustav Wasa trage das Gepräge seiner königlichen Abkunft, seines göttlichen Berufs, dieses Land aus tiefer Sklaverei zu befreien, in seinem Wesen. Wehe Euch, wenn Ihr einst vor ihm als Euerm Richter erscheinen müßtet! Er darf Euch nicht verzeihen. Er kämpft für die Gerechtigkeit, er muß sie üben, daß seine Freunde nicht lau werden in dem Eifer für die große Sache des Vaterlandes. Lebt wohl, Ornflykt! Kehrt um auf dem Wege des Verderbens, den Ihr betreten habt, wenn es noch Zeit ist!«

Unter einem schallenden Hohngelächter, in das die dänischen Soldaten und der Troß der verworfenen Diener Ornflykts einstimmten, warf dieser die Pforte des Hauses hinter der verlassenen Frau zu. Sie heftete einen schmerzlichen Blick auf die Wohnung, aus der sie tausend trübe Erinnerungen mit sich nahm. Dann schritt sie, der Leitung des Höchsten sich im innigen Gebete empfehlend, dem benachbarten Walde auf einem Pfade zu, der, wie sie glaubte, zu dem nächstliegenden Bauernhofe in der Umgegend führte.

Es war eine rauhe aber sehr helle Winternacht. Frau Barbara fühlte sich von einer erhebenden Empfindung der Freiheit beseelt, die ihren Muth, die ihre Kräfte steigerte. Sie betrat den Wald, auf dessen Zweigen sich der Schnee wiegte, dessen Boden durch seine Unebenheit ihr manches Hinderniß in den Weg legte, ohne Zagen. Ihre starke Seele, ihre Frömmigkeit erhoben sie über Schwächen, denen manche andere ihres Geschlechtes erlegen seyn würde. Sie wandelte entschlossen und furchtlos weiter. Der Plan ihres Lebens, ihrer Zukunft lag offen vor ihrem Geiste und in dieser Entschlossenheit, in dem Streben nach seiner Ausführung fühlte sie sich getröstet und beruhigt. Sie wollte in das Kloster zurückkehren, in dem sie die Tage ihrer frühen Jugend verlebt, in dem sie noch Hoffnungen für das Leben gehegt, die sie so schmerzlich getäuscht hatten. Dort gedachte sie als Laienschwester das Ziel ihrer Tage zu erwarten, wenn nicht die Aebtissin, die sich immer als ihre mütterliche Freundin erwiesen, ihr etwa die gänzliche Trennung von Arndt Ornflykt durch ihren Einfluß bei dem päbstlichen Stuhle zu bewirken vermöge. Für diesen Fall stand der Entschluß in ihrer Seele fest, auch der letzten Verbindung mit der Welt zu entsagen, den Schleier zu nehmen und in klösterlicher Abgeschiedenheit sich den Uebungen der Frömmigkeit und eines gottgefälligen Klosterlebens zu widmen.

In Gedanken an die Ausführung dieser Entwürfe versunken, gewahrte die edle Frau nicht, daß jede Spur eines gangbaren Fußpfades unter ihren Schritten verschwand, daß der Schein des Mondes immer spärlicher durch die Zweige des dichter werdenden Waldes hereindrang. Endlich riß sie das Brausen eines Bergstromes, der sich zwischen Eiswänden hinabstürzte, aus ihren Träumen empor. Sie blickte auf und erkannte, daß sie vom rechten Weg abgekommen war, daß hier keine Möglichkeit sich zeige, an das jenseitige Ufer des Stromes zu gelangen. Freilich bot er keine abschreckende Breite und die muthige Frau würde wohl gewagt haben, auf einzeln liegenden Steinen ihn zu durchschreiten, allein die Wände zu beiden Seiten des Bergwassers waren so steil, ihre Eiszacken starrten so drohend herauf, daß es Tollkühnheit gewesen seyn würde, an dieser Stelle einen Uebergang zu versuchen. So rege sich Barbara's Seelenkräfte erhielten, so vermochte sie doch nicht die Folgen der bisherigen Anstrengungen zu bezwingen, die sich in einer plötzlichen Erschlaffung der Glieder darlegten und eine baldige völlige Erschöpfung ankündigten. Mühesam schleppte sie sich über wüstes Gestein, welches der Strom im Frühjahre, wenn er, hoch angeschwollen, über seine Ufer ausgetreten, von den höchsten Gegenden des Gebirges herabgeführt hatte. Sie fing an, den Eindruck der Kälte lästig zu empfinden. Ihre Augen brannten, ihre Glieder bebten, wie im Fieber. Dabei bemächtigte sich ihrer eine Neigung zum Schlafe, der sie kaum wiederstehn konnte, obgleich sie wohl einsah, daß jede Nachgiebigkeit an diese sich gewaltsam aufdringende Ermüdung sie zu einer unerrettbaren Beute des Todes machen würde. Sie schwankte am Ufer hinauf, und gewiß würde sie, wenn einer der Bewohner dieser Gegenden sie in dieser mitternächtlichen Stunde, in diesem Aufzuge erblickt hätte, für eine zauberische Sjöra gehalten worden seyn. Nur die Besorgniß, dem Schlafe zu erliegen und dann zur Leiche zu erstarren, beunruhigte sie. Sie erkannte, daß es ihre Pflicht sey, die äußersten Anstrengungen zur Erhaltung ihres Lebens aufzubieten. Das Vertrauen auf Gottes Hülfe in der höchsten Noth lebte dabei mächtig in ihr, und war ein starker Stab, der sie aufrecht erhielt während der müheseligen Wandrung. So vergingen Stunden, ohne daß die Bedauernswürdige einen gebahnten Pfad wiederfand. Jenseits des Bergstroms, dessen Ufer sie verfolgte, vernahm sie das Heulen der Wölfe, den wunderlichen Schrei des Fuchses, das dumpfe Gebrüll der Bären. Dort lag das tiefere Dickigt des Waldes, eine wilde Gegend, die selbst in der guten Jahreszeit selten von Menschen betreten wurde. Auf dem beschwerlichen Wege, den Frau Barbara beschritt, lichtete sich jetzt der Wald und die Strahlen des ungehindert einbrechenden Mondes ließen sie jetzt alle Gegenstände, die sie umgaben, genau unterscheiden. Ihre Ermüdung nahm von Augenblick zu Augenblick zu. Oft sank sie nieder, eine seltsame, nicht unangenehme Betäubung lagerte sich auf ihren Geist, allein sie entriß sich ihr mit Gewalt, sie raffte sich mit aller Anstrengung empor, um ihre Schritte weiter zu setzen, um endlich zu irgend einem Ziele, zu irgend einer Entscheidung zu gelangen.

In diesem Mißgeschicke, aus der Tiefe des Innersten jeden Zweifel beherrschend, durch jene Betäubung sich siegreich emporringend, erhielt sich in ihr die Ueberzeugung einer baldigen hülfreichen Offenbarung des Himmels. Sie sprach leise Gebete hinauf zu seinem erbleichenden Sternenheer, sie lächelte selbst heiter diese an. So gelangte sie nach unendlichen Beschwerden in einen Thalgrund, durch welchen der Strom ruhiger unter einer Eisdecke, die sich hier feststellen können, hinrauschte. Sie war unentschieden, ob sie hier den Versuch wagen sollte, ihn zu überschreiten. Die Decke konnte trügen, sie war vielleicht nur eine leichte, täuschende Hülle, die unter den ersten Schritten ein Grab öffnete. Da fiel das Auge der verlassenen Frau auf eine dunkle, bogenförmige Stelle in einem nahgelegenen Hügel, der den Hintergrund des Thälchens bildete. Sie trat näher und gewahrte nun deutlich den Eingang einer Höhle, welche hier die Natur, vielleicht, wie ihr eine schöne Ahnung sagte, zu ihrem Schutze, zu einer Zuflucht für sie, eingegraben hatte. Sie lauschte nach dem Innern des unterirdischen Aufenthaltes. Alles war still in dem dunkeln Grunde, kein Geräusch verrieth die Gegenwart irgend eines gefahrdrohenden Thieres, eine warme, belebende Luft drang aus der Höhle hervor.

Von dankbarer Frömmigkeit ergriffen, sah Frau Barbara zum Himmel empor.

»Herr, du hilfst mir in der höchsten Noth, du trittst mir nahe in der schweren Bedrängniß des Irdischen!« sprach sie und betrat muthig das Innere der Höhle. Sie mußte sich an den Wänden forttasten, aber der Fußboden war eben und gemächlich. Je tiefer sie in das Innere dieser willkommenen Zufluchtsstätte drang, desto wohlthätiger fühlte sie sich von der hier herrschenden Wärme umfangen, desto freier entwickelten sich wieder ihre Lebensgeister aus der Betäubung, die sie bisher in ihren Fesseln gehalten. Endlich schien es ihr, als habe sie den Hintergrund der Höhle erreicht. Auch wagte sie nicht weiter zu gehn, aus Besorgniß, bei einem solchen Versuche den Rückweg zu verfehlen, vielleicht dann in Seitengänge zu gerathen, die sich in der weitern Tiefe vorfinden konnten. Zu ihrem freudigen Befremden stieß sie hier noch auf einen Haufen trockner Blätter, der eigens zu einem Lager für sie bereitet schien. Sie nahm diese Stelle ein, und da, nach so großen Beschwerden natürlicher Ermüdung erliegend, schlummerte sie, indem sie sich dem Schutze Gottes und seiner Heiligen empfahl, bald ein.

Als sie wieder erwachte, sah sie in der Ferne einzelne Strahlen des Tageslichtes in den Eingang der Höhle dringen. Sie dünkten sie ein Gruß des Himmels, eine hoffnungsreiche Vorbedeutung für die Ereignisse des bevorstehenden Tages. Bis zu der Stelle, wo sie sich befand, erstreckte sich ein mattes Dämmerlicht. In dem weichen, lockern Erdboden, der den Grund der Höhle bildete, erkannte sie jetzt ganz deutlich große, männliche Fußtapfen, deren Spur in die Tiefe des unterirdischen Aufenthaltes leitete. Sie erschrack, sie fürchtete, irgend ein Bösewicht, ein ausgestoßener Verbrecher, wie deren so viele in diesem Grenzlande Schutz und Verborgenheit suchten, habe hierher seine Zuflucht genommen. Von diesem Gedanken ergriffen, verließ sie mit eiligen Schritten die Höhle. Als sie heraustrat, kam ihr eine scharfe, schneidende Luft entgegen. Die Kälte hatte sich während der Nacht vermehrt, Frau Barbara glaubte nun, ohne sich einer Gefahr auszusetzen, der Eishülle des Stromes sich anvertrauen zu können. Sie gelangte glücklich an das jenseitige Ufer, sie betrat nun den dichtern Wald, an dessen Grenze, so viel sie sich dunkel erinnern konnte, der Meierhof, den sie zu erreichen strebte, gelegen war. Die Ruhe von wenigen Stunden, welche sie in der Höhle genossen, hatte sie erquickt, allein das Bedürfniß, die Kräfte, die sie in fortwährenden Anstrengungen, in der Besiegung der Hindernisse, welche ihr Gegend und Jahreszeit in den Weg stellten, aufwandte, durch stärkende Nahrungsmittel zu ersetzen, fing an sich in einem hohen Grade geltend zu machen. Während Frau Barbara ihre müheselige Wandrung fortsetzte, trug sie immer die Legende von der heiligen Genoveva im Sinne, die, ausgestoßen, wie sie, aus dem Hause des Gatten in die unwirthliche Wüste, viele Jahre hindurch im Walde lebte und noch den Schmerz hatte, von aller Welt verlassen, ein Knäblein zu gebären, das mit ihr in der Wüste hausen mußte, bis endlich die Gnade des Herrn sich offenbarte, und die unschuldige Frau nebst ihrem Kinde aus ihrem Elende erlös'te und der Welt wiedergab.

Am lästigsten fiel der einsamen Pilgerin der tiefe Schnee, den sie zu durchschreiten hatte. Nur langsam vermochte sie ihren Weg durch diesen fortzusetzen, indem sie in rastlosen Anstrengungen ihre besten Kräfte opferte. Dabei stieg die Kälte von Augenblick zu Augenblick zu einem kaum erträglichen Grade. Jene gefährliche Müdigkeit, der die edle Frau auf ihrer gestrigen Wandrung schon nahe daran war zu erliegen, fing wieder an, sich zu melden. Es gereuete Frau Barbara fast, die schirmende Höhle verlassen zu haben, allein jetzt sah sie keine Möglichkeit, den Rückweg wieder aufzufinden. Sie ergab sich in ihr Schicksal, sie überließ sich ganz der Führung Gottes. Wilde Stimmen wurden jetzt im Walde laut. In einem häßlichen Heulen verkündigte sich eine Heerde Wölfe, die auf Raub auszog. Frau Barbara vernahm sie nur mit unvollkommener Stimme, jene Betäubung, welche die immer zunehmende Kälte hervorbrachte, bemächtigte sich ihrer unwiderstehlich, so daß sie bald alle Kraft, ihre Gedanken zu sammeln und zu ordnen, verlor, daß ihr die Gegenwart zu einem verdämmernden Traum wurde, und sie bewußtlos auf einen im Wege liegenden Baumstamm niedersank. Ihre letzte Empfindung war ein süßes, seliges Durchschauern, als würde mit einemmale alle Last des Irdischen von ihr genommen, als gehe sie in ein schmerzenfreies, sorgenloses, ewig ungetrübtes und unbewegtes Daseyn ein. Dann erlosch jeder Gedanke, das letzte leiseste Gefühl der Erkenntniß.

Die fromme Frau würde in den Himmel hinübergeschlummert seyn, wenn nicht der Zufall einen Mann an diese entlegene Stelle geführt hätte, der, das Gefährliche ihrer Lage erkennend, auch zugleich geeignet war, die nöthigen Mittel zu ergreifen, welche die Erstarrende wieder in das Leben zurückführen konnten. Es war der alte Huskurer Bragi Ingemund, der hier unter dem Schnee einige heilkräftige Wurzeln aufsuchte, deren er grade zu seinem Gewerbe benöthigt war, und von denen er wußte, daß sie nur in dieser Gegend sich fanden. Welche Ueberraschung für ihn, in dieser entlegnen Wildniß ein zartes Frauenbild zu erblicken, dessen Gestalt, dessen ganzes Aeußeres auf irgend ein wunderliches Abentheuer schließen ließen, daß sie in diesen Aufenthalt, wo sonst nur die Thiere des Waldes hausten, gebracht hatte! Er näherte sich behutsam; die Gestalt blieb unbeweglich. Da sah er die geschlossenen Augen, da sah er ein leichenblasses, ihm bekannt dünkendes Angesicht, aus dem die Erstarren bringende Kälte jeden Blutstropfen verscheucht hatte; da ergriff ihn schreckensvoll die Besorgniß, die Unglückliche möge schon verloren, möge eine unerrettbare Beute des Todes seyn. Er rüttelte sie, er rief ihr mit aller Anstrengung seiner Stimme in die Ohren, aber kein Lebenszeichen gab ihm einige Hoffnung, keine noch so leise Regung ließ sich bemerken. Hastig griff der Alte nun nach den wenigen Mitteln, die ihm zu einer möglichen Wiederbelebung zu Gebote standen. Er rieb Stirn und Schläfe eifrig mit Schnee, er suchte der Verunglückten einige Tropfen eines stärkenden Balsams einzuflösen, den er für jeden Nothfall mit sich zu führen pflegte.

Nach langen Bemühungen, schon als er die letzte Hoffnung aufgab, hatte er die Freude, einen leisen Odemzug aus dem Munde der Erwachenden zu vernehmen, ihre Wange sich wieder lebendig röthen zu sehn. Er verdoppelte seine Bestrebungen, er erkannte jetzt auch, daß diejenige, der er seine Sorgfalt widmete, niemand anders sey, als die edle Frau Barbara Ornflykt von dem Hofe Ornäs, wohin ihn sein Beruf schon zu mehrerenmalen geführt, und wo er Gelegenheit gehabt, die Frömmigkeit und Tugend der Hausfrau kennen zu lernen. Er konnte sich nicht erklären, wie sie hierher komme, aber er verlor auch seine Zeit nicht an ein langes Nachgrübeln über diesen Umstand, sondern fuhr in unablässigen Bemühungen fort, den schwachen Schlag des Lebens, der sich zeigte, zu erkräftigen und zu seiner gewöhnlichen Stimmung zu erheben.

Als endlich Frau Barbara die Augen öffnete und die Hände bewegte, als er sah, daß seine wunderliche, in mancherlei Pelze tief verhüllte Gestalt sie, die dann erst anfing, sich der Betäubung zu entringen, mit Schrecken erfüllte, beeilte er sich, zu ihrer Beruhigung die Worte an sie zu richten:

»Seyd ohne Besorgniß, edle Frau! Es ist ein alter Freund von Euch, den sein guter Stern hierherführt in dieser Stunde, daß er Euch durch seine schwache Hülfsleistung einigermaßen vergelten kann, was Ihr gastfrei an ihm und wohlthätig an der Armuth gethan. Ermuntert Euch ganz und gar, erhebt Euch und setzt Euch in eine rasche Bewegung. Das ist das beste Mittel gegen diesen Frost, der sonst alle Kräfte lähmt. Wir haben eine schlimme Jahreszeit jetzt, denn der heilige Julafton Weihnachten. ist nahe, und, wie die Leute von Dalarne sagen, gehen bis zum Geburtstage des Herrn, der das Heil über die Welt gebracht, die bösen Trollen eifrig und geschäftig umher zum Verderben der Edeln und Tugendhaften. Kommt, edle Frau, und vertraut Euch mir an. Ich bin ja der alte Huskurer Bragi Ingemund, und niemand kann Euch treuer und sichrer nach Schloß Ornäs zurückbringen, als ich, der jede Schlucht, jeden Winkel dieser Waldgebirge so genau kennt, wie der faule Ofenhocker das Innere seiner Wohnung.«

»Nimmermehr kehre ich nach Ornäs zurück,« antwortete bewegt Frau Barbara, indem sie sich, auf Ingemund gestützt, erhob. »Meine Schritte haben mich von dort hinweggetragen, um sich nie wieder nach diesem Aufenthalte des Verrathes und des Verbrechens zu richten. Aber sprecht gegen niemand etwas von dem, was ich Euch, von meinem Gefühle hingerissen, selbst wider meinen Willen offenbaren könnte. Arndt Ornflykt und ich sind auf immer geschieden. Führt mich hinab in das Thalland! Dort wird es noch redliche Menschen geben, die sich einer Verlassenen annehmen, und ihr in ihren Absichten behülflich sind.«

Der Huskurer schüttelte den Kopf und blickte Frau Barbara mitleidig an. Er kannte Arndt Ornflykt, er wußte, daß dieser in seinem verderbten Innern keinen Maßstab für den Werth und die edlen Gesinnungen seiner Gattin trug. Aber es mußte doch ein wichtiges, bedeutungsvolles Ereigniß gewesen seyn, das die wackere Frau hinausdrängen konnte aus der ruhigen, schützenden Heimath in den Sturm und die Eiskälte des Winters. Bragi Ingemund hätte wohl gerne mehr erfahren über die nähern Umstände dieser Begebenheit, allein seine Ehrfurcht vor Frau Barbara war zu groß, als daß er auf eine zudringliche Weise sie zu weitern Mittheilungen bewegen mochte. Indem er sie vorsichtig nach einer Gegend führte, wo ein gebahnter Weg hinab in das Innere von Dalarne führte, sagte er:

»Ich kenne einen Ehrenmann, der Tugend und Frömmigkeit zu schätzen weiß und Euch mit Freuden in seiner Wohnung aufnehmen wird. Es ist Jacob Pehrson, Pfarrherr in Mora, von dessen Redlichkeit und Menschenliebe Ihr sicherlich schon manches Rühmliche vernommen habt. Glaubt mir, auch Ihr seyd ihm nicht unbekannt und der Ruf von Eurer Milde und Herzensgüte ist gewiß schon zu ihm gedrungen! Dort findet Ihr eine weibliche Gesellschaft, wie sie Eurer würdig ist. Seine Nichte aus Deutschland, Jungfrau Margaretha Böchower, lebt bei dem frommen Herrn und erheitert seine alten Tage. Sie besitzt alle Eigenschaften, welche ein Frauenzimmer zieren können. Ihr werdet eine Freundin, ein Wesen, das Euch geistesverwandt ist, in ihr kennen lernen. Ihr werdet in dem stillen gastlichen Hause sicher und ruhig die Stürme abwarten können, die vielleicht in kurzer Zeit schon über dieses Land einbrechen; seine Ketten zertrümmern, seine Bedränger verjagen.«

Frau Barbara Ornflykt sah in ihrer Lage nichts Rathsameres, als den wohlgemeinten Vorschlag des Huskurers anzunehmen. Erquickt durch einige Lebensmittel, mit welchen sich Bragi Ingemund für seine Wandrung versehen hatte, konnte sie bald rüstig an der Seite des Alten fortschreiten. Als dieser vernahm, wie der Zufall sie in die Höhle geführt und wie sie hier eine Zufluchtsstätte für die Nacht gefunden hatte, lächelte er und sprach:

»Ich kenne diese Höhle recht wohl und habe schon oft gegen Wind und Wetter Schutz in ihr gesucht. Eine Nacht früher und Ihr hättet mich als Wirth dieses verborgenen gastlichen Aufenthalts gefunden. Das Lager von Baumblättern, auf welchem Ihr ruhetet, ward noch in der guten Jahrszeit von mir zusammengetragen, die Spur jener Schritte, die in das tiefere Innere der Höhle liefen, ist die der meinigen und leitet zu einem Orte, wo ich für jeden Zufall einen kleinen Vorrath von Lebensmitteln aufbewahrt halte. Wenn man genöthiget ist, ein irrendes Wanderleben zu führen, wie ich, so muß man auf Alles bedacht seyn. Hättet Ihr unter Euerm Lager weiter nachgeforscht, so würdet Ihr auch ein Feuerzeug vorgefunden haben und einige Kienfackeln. Dann konntet Ihr gemächlich die Höhle durchwandeln und mein kleines Speisegewölbe würde Euch kein unwillkommener Fund gewesen seyn.«

Bragi Ingemund war in dieser gebirgigen Waldgegend wie zu Hause. Der wunderliche Alte, dessen seltsames Aeußeres durch die vielen Pelze, in die er sich gehüllt hatte, durch die Mütze mit dem Fuchskopfe, welche er trug, durch die Zeichen seines Gewerbes, Runenstab und Handtrommel, ein Ganzes bildete, das unwillkürlich die Aufmerksamkeit seiner Reisegefährtin erregte, wanderte leicht und rasch über die Schneefläche hin. Bald hatte er Frau Barbara zu einer Stelle geführt, wo der Wald sich lichtete, wo sich ihnen eine erhabene Aussicht auf die Fjälln mit ihren Eisgipfeln bot.

»Sie sehen glänzend und lockend herab,« sagte der Huskurer, indem er auf die Schneeberge deutete, »aber wehe dem, der jetzt seinen Weg in ihre Schluchten, in ihre Gründe richten wollte! Nur dem brummigen Großvater, dem gierigen Goldfuße ist es erlaubt, ungestraft in jenes Reich zu dringen und selbst sie müssen oft seinen Schauern weichen und wagen sich dann hinab in das Gebiet der Menschen, wo der Tod durch Speer und Geschoß auf sie lauert. Blickt dort hinab, edle Frau,« fuhr er fort, indem er nach der entgegengesetzten Seite wies, wo der Wald sich nach dem Thallande hin öffnete, »dort herrscht das fröhliche und heitre Treiben der Menschen, dort schlingt sich ein geselliges Band um Tausende, die in dieser Vereinigung Schutz und Frieden finden. Dorthin führt unser Weg. Im Pfarrhause zu Mora erwartet Euch eine gastliche Aufnahme. Ihr werdet Euch mit innigem Wohlwollen behandelt sehen, wer weiß, Ihr findet dort vielleicht eine neue Heimath, denn Herr Jacob Pehrson ist wahrlich ein Mann, in dessen Nähe man gern verweilt.«

»Mein Ziel liegt ferner;« erwiederte ruhig Frau Barbara. »Für mich gibt es nur eine Stätte, die mir Frieden, die mir Schutz gegen traurige Erinnerungen gewährt. Der würdige Pfarrherr von Mora, dessen frommer Sinn mir wohlbekannt ist, wird mir Rath ertheilen, wird mir Beistand leisten zu diesem wichtigsten Unternehmen meines Lebens. Ich sehe ihn wie einen gütigen Vater an, ich werde als ein vertrauungsvolles Kind mit ihm sprechen.«

»Das könnt Ihr!« fügte bekräftigend der Huskurer hinzu. »Niemand verließ noch des Pfarrherrn Wohnung ohne Trost, ohne Hülfe. Wenn wir so rüstig fortschreiten, wie bisher, so sehn wir noch vor Abend die Dächer von Mora und Ihr seyd dann wohl aufgehoben in dem Hause der Frömmigkeit.«

Ohne irgend einem Hindernisse zu begegnen, setzten sie ihren Weg fort und langten nach kurzer Zeit am Ausgange des Waldes an. Hier lag das Thalland offen vor ihnen da, alles in das eintönige Weiß des Winters gehüllt, aus dem sich nur hier und da eine dunkle Fichtenwaldung ernst erhob oder eine menschliche Wohnung einladend hervorblickte. Sie verweilten eine kurze Frist in einem Pachthofe, wo Bragi Ingemund bekannt war, damit Frau Barbara sich einigermaßen erholte und Kräfte zur weitern Wandrung schöpfte. Dann schritten sie mit vermehrter Eile dem Kirchspiele von Mora zu, das sie der heitre Wintertag schon aus einer bedeutenden Entfernung erblicken ließ. Je näher sie diesem Mittelpunkte von Dalarne kamen, desto belebter zeigte sich der Weg, den sie betraten. Schlitten und Skyenläufer eilten an ihnen vorüber, allenthalben zeigte sich jene Geschäftigkeit, die im Norden durch die zugefrornen Flüsse und Seen zur Winterszeit gefordert wird.

Sie hatten nur noch eine kleine Strecke Weges bis zu den ersten Häusern von Mora zurückzulegen, als ihnen mit hastigen, eiligen Schritten eine weibliche Gestalt entgegenkam, die, in einen Ueberwurf von Wadmal gehüllt, nur auf ihren Weg zu achten und keinen der Vorübergehenden ihrer Aufmerksamkeit zu würdigen schien. Bragi Ingemund betrachtete sie mit aufmerksamen Blicken und rief dann, indem er auf sie zutrat und sie mit kräftiger Hand beim Arm ergriff, in einem Tone des Erstaunen:

»Was fällt dir ein, Lille, daß du jetzt noch, wo der Abend schon über den Siljan herandämmert, den Bergen zuwanderst? Treiben die Elfen und Trollen etwa wieder ein bösliches Spiel mit dir? Der Strömkarl schweigt, denn durch das Eis dringt seine Stimme nicht herauf, die Sjöra hat sich vor der harten Winterkälte in das Innere der Bäume zurückgezogen und nur Neck, der böse Knecht, spottet der Jahreszeit und ihrer Angriffe, und mit ihm die lustigen Elfen und die tückischen Trollen aus den Bergen und aus dem Schooße der Erde. Sie haben große Gewalt jetzt über die Menschen, da das Jahr zu Ende geht und müde ist, sie länger zu bewachen. Kehre um und komm mit heim, du hast nichts zu suchen in der Nähe der Fjälln.«

Unter diesen Worten hielt der Huskurer das Mädchen, das sich vergebens loszuringen strebte, fest ergriffen. Bei diesen Bemühungen sank der Ueberwurf von Wadmal herab und Lille's bleiches, aber edel gebildetes Antlitz wurde sichtbar. Frau Barbara erstaunte über die seltsame Schönheit des Mädchens, das in seiner Leichenblässe, in der ganzen Zartheit seines Baues etwas Geisterhaftes, Ueberirdisches hatte. In ihrem Auge glühete ein unruhiges Feuer, ihr ganzes Wesen sprach Aengstlichkeit, Hast und Besorgniß aus.

»Laßt mich!« sprach sie fast weinend und immer bemüht, sich loszumachen, zu dem Huskurer. »Ich muß fort, dem Claudianus nach. Er ist schon seit gestern verschwunden, man will ihn in der Gesellschaft eines Fremden den Bergen zugehn gesehen haben und meine Ahnungen, meine Träume, die Stimmen der Geister, die zu mir sprechen,« setzte sie leiser hinzu, »sagen mir, daß er in Gefahr schwebt, daß ein wunderbares Verhängniß sich über ihm gestaltet, dem er einst unterliegen, das ihm einen frühen Tod bereiten wird.«

Bragi Ingemund sah sie mit einem langen, nachdenklichen Blicke an. Dann ließ er sie los und versetzte kalt und ernst:

»Thue was du willst, Thörin! Aber bedenke, daß in der Stunde deiner Geburt schon die bösen Geister an deine Fersen gebannt wurden, daß du Unheil und Verderben demjenigen mitbringst, zu dem du dich wendest. Gehe nur hin in deiner Unbesonnenheit und verdirb denjenigen, dem du dein Wohlwollen schenkst. Claudianus ist ein junges, kühnes Blut. Er besitzt ein heitres Gemüth, er glaubt nicht an Trollen und Elfen und deshalb können sie ihm nichts anhaben, wenn nicht seine Seele, durch fremde Bande bestrickt, gewaltsam zu ihnen hingezogen wird. Du aber willst ihn bestricken, du willst auch ihn der unheimlichen Macht unterwerfen, die dich beherrscht. Gehe nur hin, unbesonnenes Kind! Du selbst schlingst das düstre Schicksalsband, das dich hält, immer fester. In dein Wachen, in dein Träumen rufst du die Geister. Gehe hin! Die Ermahnungen erfahrner Leute, die Lehren des Christenthums verrauschen vor deinem Ohre, das nur den grauenhaften Einflüsterungen der Unterwelt geöffnet ist. Hörst du den Sturm brausen von den Fjälln herab? Das sind die Stimmen der Bergtrollen, die über dein unsinniges Beginnen jubeln.«

Frau Barbara war zu sehr vertraut mit den abergläubischen Meinungen und dem Geisterglauben der Einwohner von Dalarne, als daß sie nicht zum Theile den traurigen Gemüthszustand, in dem sich das arme Mädchen befand, erkannt hätte.

Lille stand zitternd, unentschlossen. Mit scheuen, furchtsamen Blicken betrachtete sie bald die ernste, väterliche Gestalt Bragi Ingemunds, der mit dem Ausdrucke des innigsten Bedauern auf sie herabsah, bald die vom Glanze der Sonne gerötheten Schneegipfel der Fjälln. Da trat Frau Barbara ihr näher, da zeigte sich ihr das wohlwollende, schöne und kummervolle Angesicht einer Frau, die, selbst leidend, gewiß auch das Seelenleiden einer andern zu würdigen wußte.

»Du wandelst auf keinem guten Wege,« sprach in einem sanften Tone, der Lille's Herz rührte, die verstoßene Gattin Arndt Ornflykt's, »denn jeder Weg ist böse, der von den Segnungen des christlichen Glaubens abführt. Warum wendest du dich nicht im Gebete zu den Heiligen, zu der unerschöpflichen Gnade der Mutter Gottes, daß sie die dunkeln Gewalten von dir fern halten und dich stärken zu Liebe und Vertrauen auf die göttliche Allmacht? Folge dem Rathe dieses Mannes! Gehe heim zu den Deinigen. Im Kreise derjenigen, die uns lieben, vermag keine feindliche dunkle Macht etwas über die schwache und schwankende Menschenseele.«

Lille antwortete nichts, sie sah aber die Fremde, die so liebevoll zu ihr gesprochen, mit einem Ausdrucke an, der an den Tag legte, daß jene Worte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht, daß ihre Empfindungen sich dieser freundlichen Rednerin, die sie wie eine himmlische Erscheinung anstaunte, unterwarfen, daß sie ihre Vorsätze aufgegeben hatte. Frau Barbara hatte ihre Hand ergriffen. Lille hielt sie fest und wanderte nun, der edlen Frau zur Seite bleibend, still und ruhig dem Pfarrhause von Mora zu. Völlige Finsterniß war eingetreten, als sie die Schwelle der gastlichen Wohnung betraten. Bragi Ingemund öffnete die Thüre des Zimmers, indem er mit lauter Stimme die edle Dame, Frau Barbara Ornflykt, als Gast ankündigte, der sogleich der ehrwürdige Pfarrherr und Margaretha Böchower mit dem freundlichsten Willkomm entgegenschritten.



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