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Dritter Theil.


Erstes Kapitel.

Wo ist noch Sicherheit, wo Friede,
Wenn in des Landmann's Hütte nicht?

Der Bauer Swen Elfsson besaß das ansehnlichste Haus im Dorfe Isala, das, am rechten Ufer des Siljans gelegen, die freie Aussicht nach der Gegend von Falun hinab und nach Mora und den Hochgebirgen hinaus hatte. Man hielt ihn für einen der wohlhabendsten Gutsbesitzer in Dalarne, denn seine Heerden bedeckten im Sommer die nahe gelegenen Hügel, deren Wiesen von uralten Zeiten her in seiner Familie fortgeerbt waren. Trotz dieses Wohlstandes behielt er die schlichte Sitte seiner Vorfahren, die arbeitsame, einfache Lebensweise eines Bauern im Thallande bei. Treuherzig und offen in seinem ganzen Betragen, wohlthätig und gastfrei gegen Alle, die seiner Unterstützung bedurften oder eine freundliche Aufnahme suchten, war er klug genug, in diesen Zeiten, wo die Blicke der dänischen Späher gierig nach den Glücksumständen des Einzelnen forschten, seinen Viehstand zu verringern und sein Hauswesen so sehr zu beschränken, wie es die nothwendigste Erhaltung desselben möglich machte. Er entließ einen Theil seines Dienstgesindes, wußte aber doch den verabschiedeten Leuten im Stillen eine Beschäftigung zu geben, deren Ertrag hinreichte, sie vor Mangel und Entbehrung zu schützen. Seine Seele war von Liebe für sein Vaterland erfüllt und er sah mit tiefern Kummer auf die schmähliche Knechtschaft, unter der es seufzte, auf die Blutgerichte, welche die edelsten Geschlechter Schwedens hinrafften; aber wenn er unter den Thalmännern diese Gefühle laut werden ließ, so fand seine Rede keinen Anklang, seine Erzählung der geschehenen Gräuel oft nicht einmal Glauben. Die Dalekarlen selbst empfanden nichts von dem Drucke, der ringsum auf den übrigen Theilen des Schwedenlandes lastete, denn Christian hatte klüglich es verschoben, die kriegerischen Hirten von Dalarne, die einst seinem Vater schon gefährlich geworden, mit den schweren Steuern zu belegen, mit der Härte heimzusuchen, worunter sonst Alles litt, bis seine Herrschaft durch blutige Schrecken und Grausamkeit fest begründet seyn würde. Jetzt nahete diese Zeit. Das sah der kluge Swen Elfsson wohl ein. Die Ankunft einzelner Haufen dänischer Krieger, die geräuschlos in das Thalland einzogen, ihr keckeres Auftreten nach einiger Zeit des Verweilens, eine strenge Verordnung, den Flüchtling Gustav Wasa lebendig oder todt einzuliefern, Alles deutete auf eine baldige Beschränkung der Vorrechte, deren bisher die Bewohner des Thallandes genossen.

Es war an einem stürmischen Abende zu Anfang des Monats December, als die geschäftige Engeltraud, Hausfrau des Bauern Swen Elfsson, nachdem sie ihre Kindlein zur Ruhe gebracht und alles Nöthige für den morgenden Tag geordnet, endlich selbst einen Ruheplatz am großen Ofen einnehmen konnte, um hier die Heimkehr ihres Mannes, der im Schlitten eine Fahrt nach dem benachbarten Orte Swerdsjö unternommen, zu erwarten. Sie fühlte sich durch die Mühen des Tages angegriffen, denn ihr Hauswesen war immer noch groß genug, um alle Kräfte einer sorgsamen Hausfrau in Thätigkeit zu setzen. Während der Sturm im wilden Getöse den Hof umbrauste, der, nach der Landessitte, wie die übrigen Gebäude des Dorfes für sich abgeschlossen lag, sank ihr müdes Haupt auf die Brust nieder, die Augen schlossen sich und allerlei seltsame Bilder vom Zauberzwerge Tomtegubbe, der durchaus in's Haus wolle, und von Nisse, dem guten Knechte, der jenem den Eingang verwehre, fingen an, ihre Phantasie zu durchziehn. Plötzlich fuhr sie, aus diesem Schlummer emporgerissen, auf. Sie vernahm das Schellengeläute eines nahenden Pferdes, den Ton einer Peitsche und ehe sie noch in schlaftrunkener Zerstreutheit die Thüre des Hauses erreichen konnte, um diese zu entriegeln, hielt bereits Swen Elfsson mit seinem Fuhrwerke am Eingange der abgelegenen Wohnung.

»Gott zum Gruße, Frau!« sprach der wackere Landmann, indem er den Schnee, mit dem Mühe und Pelz bedeckt waren, von sich abschüttelte und auf einen jungen Mann in bäuerischem Anzuge, der ihm folgte, deutete. »Da bring' ich einen neuen Hausgenossen mit, einen Knecht, den ich gedungen habe für den heiligen Julafton. Es gibt immer Allerlei zu thun in dieser Zeit und ein Paar rüstiger Arme mehr können da nicht schaden. Ich denke er soll uns Ehre bringen, wenn die Julgäste bei uns einkehren, denn,« setzte er bedeutungsvoll hinzu, »er besitzt, soviel ich bisher bemerkt, ein feines, höfliches Betragen und scheint wackerer Leute Kind zu seyn.«

Engeltraud war nicht wenig befremdet, ihren Mann auf diese Weise sprechen zu hören. Noch am Morgen dieses Tages hatte er neuer Einschränkungen erwähnt, die er bei den schlimmen Zeiten im Hauswesen zu machen gedenke, und jetzt am Abende brachte er einen Knecht mit heim, dessen Entbehrlichkeit die verständige Hausfrau so gut einsah, wie Swen selbst sie einsehn mußte. Aber sie wußte, daß jede Handlung ihres Mannes auf eine Ueberzeugung begründet war, von der er sich selbst Rechenschaft geben konnte, daß er nichts that, ohne ein besonderes, wohlberechnetes Ziel vor Augen zu haben. So beseitigte sie dann ihr Erstaunen über diese unerwartete Erscheinung bald, hieß den neuen Hausgenossen, einen scharfen forschenden Blick auf ihn werfend, willkommen und eilte in die Küche, um den beiden Männern, die deren wohl bedürfen konnten, eine erquickende Abendmalzeit zu besorgen. Mit jenem Blicke, der den Fremden gemessen, hatte sie leicht erkannt, daß der neue Ankömmling, so viel Mühe er sich auch gab, es zu scheinen, kein Knecht gewöhnlicher Art war. Er stand mit gesenktem Haupte, mit gekrümmtem Rücken vor ihr, aber der Zwang, den ihm diese Stellung kostete, ließ sich leicht erkennen und der kühne Blick, der unter der Pelzmütze hervor dem ihrigen begegnete, war der eines Kriegsmannes, aber nicht der eines bäurischen Knechtes, welcher seine Herrin vor sich sieht. Und welche edle Gesichtsbildung, ganz fremd den rohkräftigen Zügen der hiesigen Landleute, zeigte sich unter der Fülle der zartgeringelten blonden Locken, die zu beiden Seiten des Hauptes und über der Stirn hervordrangen!

»Er ist ein Edler, den die Dänen verfolgen;« sagte Engeltraud zu sich selbst, indem sie das Abendessen um einige Leckerbissen, die sonst nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten auf den Tisch kamen, vermehrte. »Nicht umsonst blickte Swen so bedeutungsvoll mich an, als er sagte, daß der Fremdling feiner Leute Kind sey.«

Bei dieser Voraussetzung konnte es sie nicht aufs Neue befremden, als Elfsson, nachdem sie Speise und Trank ausgetragen, ihr andeutete, sie möge dem jungen Mann seine Schlafstätte nicht im Nebenhause, wo das übrige Gesinde sich aufhielt, anweisen, sondern im Wohngebäude selbst, weil er, wie er hinzusetzte, Ursache habe, den neuen Hausgenossen in seiner Nähe zu wissen. Der junge Mann, der bisher sich nur geschäftig gezeigt, seine, wie es schien, in einem hohen Grad gereizte Eßlust zu befriedigen, blickte bei diesen Worten rasch und betroffen auf. Elfsson aber sah ihn mit einem gutmüthigen, beruhigenden Lächeln an und sagte, mehr nach ihm, wie nach Engeltraud hingewandt:

»Es befindet sich ein und der andere rohe Gesell unter den übrigen, dessen Betragen einem Menschen, der eines bessern Umgangs gewöhnt ist, lästig fallen muß. Wer kann auch für eines Jeden Treue und Rechtlichkeit stehn! Uns bleibt hier keine Wahl unter den Knechten, die wir dingen. Es sind oft norwegische Grenzläufer, die um ein Paar elender Silberstücke ihr Gewissen und ihre Seele feil halten.«

Diese letzten Worte, auf welche Swen eine besondere Betonung legte, schienen den Theilnehmer an seiner Abendmalzeit nachdenklich zu machen. Er unterbrach sich in der bisher so thätig betriebenen Stillung seines Appetits, er verlor sich in ein ernstes Nachsinnen und der Ausdruck einer zunehmenden innern Unruhe trat deutlich in seinen Gesichtszügen hervor. Da nahm der Hausherr aufs Neue das Wort und sagte in einem kräftigen und festen Tone:

»Niemand aber besorge deshalb, daß Swen Elfsson ihm nicht den Schutz und die Sicherheit in seinem Hause verbürgen könne, die ein rechtschaffener Hausherr denen schuldig ist, die er bei sich aufgenommen hat. Bei der heiligen Jungfrau! Erst müßte mein Herzblut fließen, ehe ein Haar auf dem Haupte meines Gastfreundes, er trete unter welcher Gestalt er wolle bei mir ein, gekrümmt würde!«

»Das ist das Wort eines wackern Schweden!« versetzte froh belebt der junge Mann in Knechteskleidung und hob den Methbecher, um mit Swen anzustoßen. »Die alte vaterländische Sitte lebe: kein Verrath im Schwedenlande!«

Es schien, als ob Herr und Knecht mit einander die Rollen getauscht hätten. Dieser sah Swen mit aufforderndem, fast gebieterischem Blicke an, Swen hob mit einer ehrfurchtsvollen Bewegung seinen Becher, um ihn an den des jungen Mannes anklingen zu lassen.

»Kein Verrath im Schwedenlande!« wiederholte nachdrücklich der Thalmann. »Freiheit, altes Recht in alle Zukunft!« fügte er bedeutungsvoll hinzu.

Da begegneten sich die Hände der beiden Männer über dem Tische und sie drückten sie einander, gleich als beseele sie in diesem Augenblicke ein und derselbe große Gedanke. Frau Engeltraud aber schlich leise hinaus und deckte die Lagerstätte des neuen Knechtes mit dem feinsten Leinengeräthe, das sie besaß, das sie selbst in ihrem Brautstande gesponnen und gewebt hatte.

Als sie Abends spät mit ihrem Manne allein und das Stündchen nun da war, in welchem die beiden Eheleute die Ereignisse und Ergebnisse des vergangenen Tages zu besprechen pflegten, sagte Engeltraud mit feinem Lächeln zu Swen:

»Einen schönen Knecht hast du da mit heimgebracht, Vater! Er blickt drein, als ob er wohl gemacht sey, das ganze Thalland als königlicher Vogt zu beherrschen, aber nicht um für Lohn und Kost im Hause des Bauern Swen Elfsson Holz zu spalten, Korn zu dreschen und die Viehställe fein sauber zu erhalten. Mit der Streitaxt mag er gut umzugehen wissen, mit Lanze und Ritterspeer; denn, als er sich erhoben hatte und aufrecht stand, gemahnte er mich grade, wie einer der ritterlichen Kämpfer, die ich in meinen jungen Jahren bei'm Turnier in Upsala gesehen.«

»Ich glaube doch, daß er lieber Knecht bei mir, als Vogt des Dänenkönigs ist;« antwortete ruhig Elfsson. »Wenn du aber sagst, daß Streitaxt und Lanze ihm besser anstehen möchten, als Holzaxt und Dreschflegel, so bin ich ganz deiner Meinung. Ich weiß nicht, wer er ist, aber ich ahne es. Du bist meine Hausfrau, meine wackere Engeltraud, vor der ich kein Geheimniß haben darf, noch haben mag. Du sollst also erfahren, was ich von ihm denke, ich will dir nichts verschweigen von dem, was man mir über ihn entdeckt hat.«

»Halt!« fiel Engeltraud ihm in die Rede. »Ehe du weiter sprichst, mußt du hören, was mein eigener Scharfsinn, mein eigenes Nachdenken herausgebracht hat. Dieser junge Mann in Bauernkleidung, der da bei Sturm und Nacht in unsere Wohnung hineingefallen kommt, wie ein wunderlicher Troll, irrt vielleicht lange schon in den Wäldern und Bergen umher ohne Schutz und ohne Obdach, wo er weilt, bedrohen ihn Verfolger, er, der gewohnt in Sammet und Seide einherzuwandeln, muß sich zu seiner Sicherheit in das Gewand des Elends hüllen, statt köstlicher Speisen auf silbernen Schüsseln, nähren ihn Wurzeln des Waldes, unter Schnee und Eis hervorgegraben, er ist ein Flüchtling in seinem eigenen Vaterlande, das ihn einst unter seinen Edlen nannte –«

Frau Engeltraud war im Zuge, noch eine Weile auf diese Weise fortzufahren, als Swen sie mit dem Rufe unterbrach:

»Bei Sanct Olaf, Weib, dir ist die Wahrsagergabe der Nornen überkommen mit dem Eintritte des Fremdlings in unser Haus! Höre, was mir in Swerdsjö begegnete und wie sich an dieses Begegniß ein anderes reihete, das mir den seltsamen Gast zugeführet;« sprach er gelassener weiter. »Es ist dir bekannt, daß ich dem Pastor in Swerdsjö eine Botschaft auszurichten hatte von Herrn Jacob Pehrson in Mora. Ich fand den geistlichen Herrn in großer Bestürzung und Verwirrung. Dänische Soldaten waren in den Ort gedrungen und hatten unter Schreien und Toben alle Wohnungen vom Keller bis unter das Dach durchsucht nach einem flüchtigen Verbrecher, auf dessen Haupt, wie sie sagten, der König einen hohen Preiß gesetzt. Es muß ein wackerer Mann seyn, welchen dieser König, den die Hölle zum Verderben Schwedens gesandt hat, als einen Verbrecher verfolgen läßt, dachte ich still bei mir. Der Pastor zeigte eine Angst, die mich vermuthen ließ, daß er von dem Flüchtlinge einige Kenntniß haben müsse. Bald zeigte es sich, daß ich nicht irrte. Als ich mich von dem Pastor verabschiedete, um wieder heimzukehren, nahm er mich bei Seite und sprach: ›Nachbar, ich kenne deine Gesinnungen und ich weiß, daß ich nichts wage, wenn ich dir eine geheime Sache von großer Wichtigkeit entdecke, in der ich deines Beistandes bedarf. Der Mann, welchen die Dänen suchen, befand sich noch vor einer Stunde bei mir. Er ist einer der Edelsten des Landes, sein Haupt wäre gefallen in dem Stockholmer Blutbade, hätte nicht seine Vorsicht, seine Klugheit ihn fern gehalten. Er kam zu mir, nachdem er einer großen Gefahr entronnen, die ihm die Treulosigkeit eines alten Waffengefährten bereitet. Wir kannten uns schon einst, wir standen uns als Freunde nahe auf der hohen Schule zu Upsala. Du Die Bewohner von Dalarne duzen sich noch jetzt unter einander ohne Unterschied des Standes. kannst denken, Elfsson, daß ich den Flüchtling aufnahm als meinen Bruder. Aber er hatte kaum die Schwelle meines Hauses betreten, er hatte noch nicht Zeit gehabt, sich an Speise und Trank zu erquicken, als die wilde Rotte der Dänen erschien und gerade auf mein Haus losstürmte. Er mußte aufs Neue sein Heil in der Flucht suchen. Er nahm den Weg in die Wälder nach Isala hin. Suche ihn dort auf, Swen Elfsson, bringe ihn an eine sichere Zufluchtsstätte; denn, müßte er die kalte Winternacht im Freien zubringen, so möchte er leicht von tödlicher Erstarrung befallen werden und mit ihm wäre Schwedens letzte Hoffnung verloren. Ja, Nachbar, ich sage dir, dieser Mann ist der Einzige, der vermag, das Schwedenland aus dem tiefen Elende zu erretten, in das es versunken ist. Seinen Heldenmuth hat er in Schlachten, seine Weisheit in vielfachen Bedrängnissen bewährt. Dich, Elfsson, erwählte vielleicht das Schicksal, dem Vaterlande den größten Dienst zu leisten, der ihm in seiner Noth helfen kann. Gehe mit Gott! Leicht erkennst du den Mann und erwirbst sein Vertrauen, wenn du meinen Namen nennst!‹ Engeltraud, in den Worten des Pastors glaubte ich eine Aufforderung der Vorsehung vernommen zu haben. Der Abend dämmerte, als ich den Wald erreichte. Du weißt, daß mich die Natur mit einem leisen Gehör und einem scharfen Gesichte begabt hat und daß ich diese Eigenschaften auf der Jagd und bei andern Gelegenheiten stets in Uebung erhalten. Ich fuhr rasch die Schneebahn dahin, als ich in einiger Entfernung, wie einen dunkeln Schatten, eine Gestalt wahrnahm, die plötzlich schnell zur Seite sprang, als wolle sie, meine Annäherung bemerkend, ein Versteck suchen. Bei Sanct Olaf, dachte ich, das ist des Pastors Mann, der edle Schwede, den die Dänen gern in ihren Klauen haben möchten. Ich war so bald an dem Orte, wo ich ihn verschwinden sah, daß ihn meine Stimme noch erreichen mußte. ›Gut Freund von Swerdsjö!‹ rief ich so laut ich vermochte. ›Des Pastors treuer Bundesgenosse!‹ Da erhob sich hinter einem Felsstücke am Wege der Flüchtling, der sich verbergen wollte und trat an den Schlitten, in dem ich hielt. Wir betrachteten uns eine Zeitlang, ehe daß einer von uns das Schweigen brach. Endlich sagte er ruhig und in einem ungezwungenen Tone: ›Freund, du bist ohne Zweifel ein Landmann hier aus der Gegend, bedarfst du eines Knechtes und traust du mir guten Willen und rührige Arme zu, so will ich dir dienen.‹ Du hast ihn gesehen, Engeltraud. Er ist ein stattlicher Mann und jede seiner Bewegungen verräth Kraft und Gewandtheit. Aber hierauf kam es nicht an bei der Dingung dieses Knechtes. Ich sah wohl ein, daß der Flüchtling ungekannt bleiben wollte, daß er, einem niedrigen und beschwerlichen Loose sich unterwerfend, dem Verrathe, der Verfolgung zu entgehn hoffte.

Ich stimmte in die Weise ein, die er angegeben hatte. ›Du siehst mir stark und arbeitslustig genug aus, so daß ich es wohl mit dir wagen möchte;‹ antwortete ich. ›Setze dich zu mir in den Schlitten, fahre mit mir heim und wir wollen dann das Weitere bei andrer Gelegenheit schon besprechen.‹ Indem er den Platz neben mir einnahm, erklang hinter uns Waffenlärm und Fluchen und Schelten in dänischer Sprache. Es waren die Soldaten, die von Swerdsjö zurückkamen. Ich ließ den Rappen die Peitsche schmecken und im Galopp flogen wir durch den Wald. So langten wir hier an und so, Frau, sind wir um einen Hausgenossen reicher geworden, auf dessen Sicherheit zu wachen es nun Leib und Leben gilt.«

»Wir haben Unrecht gethan,« sagte nach einigem Nachdenken Engeltraud, »den Fremdling anders zu behandeln, als wir es sonst bei unsern Knechten gewohnt sind. Das kann Verdacht, das kann Neid und Böswilligkeit unter dem übrigen Gesinde hervorbringen. Er selbst glaubt für einen gemeinen Knecht gelten zu können und es mag wohl nicht das erstemal seyn, daß er auf diese Weise sich seinen Feinden zu entziehen sucht. Er dünkt mich klug genug, wo es darauf ankommt, als derjenige zu erscheinen, wofür ihn Andere halten sollen. Morgen in der Frühe müssen wir diesen Fehler wieder gut machen. Gegen das Gesinde können wir ein Wort fallen lassen, daß deine späte Rückkehr uns genöthigt, den neuen Knecht im Wohnhause zu behalten. Mit ihm selbst, Swen, sprich offen und ohne Zurückhaltung. Offenbare ihm deine Gedanken über ihn, so werdet ihr am Besten Alles, was zu seiner Sicherheit nöthig ist, berathen können.«

»Du hast Recht, Frau!« erwiederte Elfsson. »Aber soll ich ihm Alles entdecken, was ich von ihm weiß und vermuthe? Soll ich ihm auch seinen Namen nennen?«

»Seinen Namen?« fragte betroffen und im Tone einer Neugierde, die sie nicht ganz unterdrücken konnte, Frau Engeltraud. »Wie hast du diesen erfahren? Entdeckte dir der geistliche Herr in Swerdsjö mehr von ihm, als du mir bisher mitzutheilen für gut fandest?«

Swen schüttelte lächelnd den Kopf. Dann nahm er eine ruhige, listige Miene an und versetzte:

»Was ich darüber weiß, habe ich durch eigenes Nachdenken aus frühern Erinnerungen herausgebracht und zusammengestellt. Es sind nun zwanzig Jahre her, daß wir zusammen als Brautleute auf Grypsholm, dem Schlosse des unglücklichen Herzogs Erich Wasa, waren. Wir besuchten deine Schwester, die seitdem gestorben ist und damals die Stelle einer Leibdienerin bei der edlen Frau bekleidete. Herzog Erich stand damals in der Blüthe und Kraft seines Lebens. Noch glaube ich ihn vor mir zu sehen und an seiner Seite den kleinen Gustav Wasa mit den hellen blauen Augen und dem schönen blonden Lockenhaar. Bei Sanct Olaf, als ich heute Abend unserm Gaste gegenübersaß, als ich nachdenklich in seine Gesichtszüge blickte, da stieg mit einemmale ungerufen das Bild jener fernen Vergangenheit vor meinem Geiste auf. Ja, Engeltraud, in dem Antlitze des Flüchtlings erkannte ich die Züge des edlen Geschlechtes der Wasa, es war mir, als sey der gemordete Herzog von den Todten wieder auferstanden, als zeige er sich lebend vor mir, wie einst auf dem Schlosse Grypsholm! Frau, es ist Gustav Wasa, den wir beherbergen, dieses theuere Pfand der wiederkehrenden Freiheit Schwedens. Alles, was der Pastor in Swerdsjö sagte, stimmt mit dieser Entdeckung überein. Zu einem großen Werke sind wir berufen und aus diesem Hause, aus der schlichten Wohnung eines Landmanns steigt vielleicht der alte Glücksstern Schwedens wieder auf.«

Die Begeisterung einer schönen Hoffnung lag in des wackern Dalekarlen Blicken, als er diese Worte an seine Hausfrau richtete. Beide, von wohlhabenden Eltern stammend, hatten in Klosterschulen eine bessere Erziehung genossen, als es sonst damals auf dem Lande, wo nur von Zeit zu Zeit einige herumziehende Bettelmönche nothdürftig im Christenthume unterrichteten, der Fall war. Durch das Verhältniß, in welchem die Schwester und Schwägerin zu der Familie Wasa stand, dieser nahe gebracht, fühlten sie sich gegen alle Mitglieder derselben von einer Anhänglichkeit und Verehrung erfüllt, die sich jetzt in ihrem ganzen Umfange auf die Person ihres Gastes übertrug.

»Ich glaube, daß deine Vermuthung dich nicht trügt, Swen;« sagte Engeltraud, nachdem sie einige Zeit in ein stilles Sinnen versunken gewesen. »Dieser junge Mann trägt das Gepräge einer edlen Abkunft in seinem ganzen Wesen und wenn schon jene auf Grypsholm verlebten Tage einer fernen Vergangenheit angehören, die mir wenig mehr erinnerlich ist, so scheint mir doch diese Aehnlichkeit mit Herzog Erich, der am lebhaftesten von allem damals Erschauten in meinem Gedächtnisse steht, gegründet. Aber es ist gleich, ob Gustav Wasa oder sonst ein edler Flüchtling unter unserm Dache weilt. Es ist ein Unglücklicher, ein Verfolgter, der unsres Schutzes, unsres Beistandes bedarf. Kein Bettler ging noch ungetröstet von unsrer Thüre. Glücklich für uns, wenn wir überdem in dem Gastfreunde den Sprossen des edlen, von uns hochverehrten Geschlechtes besitzen!«

Nach einer kurzen Berathung über das Benehmen, welches man in unvorhergesehenen Fällen wegen des gefährdeten Gastes zu beobachten habe, begab sich das wackere Paar zur Ruhe, die sich bei den von den Mühen des Tages Erschöpften im vollen Maße einfand.

Nicht so glücklich war der junge Mann, den Swen Elfsson in der Eigenschaft eines Knechtes in sein Haus eingeführt hatte. Das Ehepaar lag bereits seit langer Zeit im tiefen Schlafe, als Gustav Wasa – in der That war er es selbst, der nach seiner Flucht von Ornäs vergebens ein Asyl bei dem altbefreundeten Pfarrer in Swerdsjö gesucht und dieses nun endlich in Isala gefunden – noch unruhig in dem Gemache, welches man ihm angewiesen, auf und nieder schritt, seine Lage und die des unglücklichen Vaterlandes erwägend. Sein lebhafter Geist, seine kühne Phantasie zeigte ihm noch eine reiche Blüthe von Hoffnungen. Ein kühner Streich, zu dem er sich lange vorbereitet, sollte diese zur Reife bringen. Bald sollte das Geheimniß verschwinden, das ihn umgab, in einer Zeit, die, nach alter Sitte, ganz Schweden freudig erhob, wollte er mit kühner Hand an die Herzen der Vaterlandsfreunde schlagen, wollte er sie erwecken aus der Betäubung der Sklaverei zu muthigem Ringen nach Freiheit, zu ihrer reinen beseligenden Himmelsluft.

Indem er sich heiter dem Gedanken des Gelingens überließ, vernahm er plötzlich unter seinem Fenster ein leises Singen. Die Melodie war ihm bekannt und als er aufmerksamer lauschte, unterschied er die Worte:

»Für Freiheit und Gerechtigkeit
Entblöst sich Roland's Schwert,
Ich suche einen zweiten Mann,
Dem diese Dinge werth.

Ich sucht' ihn auf der Felsenhöh',
Ich such' ihn jetzt im Grund:
Sprich, Nacht, ein einzig Wort von ihm,
Ein Wort aus seinem Mund!«

Schon hatte Gustav Wasa die Stimme des bewährten Freundes erkannt. In Rolands Nähe konnte kein Verrath lauern. Das Zimmer, in dem sich Gustav befand, lag gleicher Erde, nur wenige Fuß über den Boden erhaben. Mit einem raschen Schwunge durch das geöffnete Fenster stand der geächtete Flüchtling vor Roland, der sogleich seine Hand ergriff und ihn eilig von den Gebäuden ab, einem halb zerstörten, einsam liegenden Mauerwerke zuführte. Sie standen in einem kleinen Raume, ringsum von verfallenen Wänden umgeben.

»Hier sind wir sicher;« sagte nun der junge Deutsche. »Hier kann ich Euch ohne Furcht meine Freude ausdrücken, Euch vor dem Verrathe des bübischen Ornflykt, aus der drohenden Gefahr in Swerdsjö gerettet zu sehn. Ich weiß Alles. Der wackere Geistliche in Swerdsjö, zu dem Rasmus Jute, ihn als einen treuen Freund kennend, uns führte, hat uns Alles mitgetheilt. Gebe das Schicksal, daß dieser Ornflykt mir einmal vor das Schwert kommt und der Lohn seines Bubenstücks soll ihm sicher nicht entgehen! hier, bei dem Bauern Swen Elfsson, würden wir vielleicht Euch finden, sagte der geistliche Herr, indem er aber besorgnißvoll hinzusetzte, daß auch die Dänen diesen Weg eingeschlagen hätten. Bei Rolands, meines Taufpathen, Schwert, wäret Ihr in ihre Hände gefallen, wir hätten Euch herausgehauen und möchten ihrer sechsfach so viel gewesen seyn, als wir!«

»Wie viele sind denn Eurer?« fragte, aufmerksamer werdend, Gustav Wasa, »und welche Sache konnte wichtig genug seyn, Euch zu bewegen, mich aufzusuchen? Noch ist die Zeit nicht gekommen, in der ich Eurer bedarf und Eure Nähe kann mir eher Gefahr bringen, als Sicherheit gewähren.«

»Unsere Anzahl ist klein,« versetzte Roland, »aber ich stehe für die gute Absicht eines jeden unter uns mit meinem Leben ein. Rasmus Jute und Claudianus, mein Schüler im Waffenwerke, halten Wache und der Vierte, Euch noch ein Fremdling, aber mir nahe befreundet, harrt nur Eueres Winks, vor Euch zu treten, um sich einer Botschaft zu entledigen, die Euch freilich wunderlich genug erscheinen wird.«

»Wer sendet Boten an mich?« entgegnete erstaunt Gustav Wasa. »Wem mag der geächtete, flüchtige Wasa noch wichtig genug scheinen, daß er sich um sein Daseyn kümmere, wenn nicht dem blutigen Tyrannen Christian, der den Sohn gern auch das Schaffot besteigen ließe, auf dem einst der Vater sein tadelloses Leben endete?«

»Es mag Euch ein gutes Zeichen seyn, daß man auf die Wege, welche Ihr einschlagt, achtet, daß derjenige, auf welchen Schweden seine letzte Hoffnung stellt, nicht allein von Feinden eifrig verfolgt, sondern auch von Freunden ängstlich bewacht wird;« antwortete Roland von Bremen. »Erhebt sich einmal Eure Stimme laut zum Freiheitsrufe, so wird es sich zeigen, daß diese Freunde, die um Euch besorgt gewesen, nicht müßig bleiben. Doch um wieder von unserm Boten zu sprechen, von dem Gesandten, den ein Seekönig in Hoffnung an Euch abgefertigt, so müßt Ihr Euch dadurch nicht irren lassen, daß er die dänische Feldbinde trägt, daß er selbst ein Däne ist. Er liebt den Dänenkönig so wenig, als Ihr, auch sein Vater fiel als ein Opfer von Christian's Grausamkeit, Torbern Oxe war es – «

»Es ist genug!« unterbrach ihn, von schmerzlichen Erinnerungen ergriffen, Gustav. »Ich will den Mann sprechen, ich will hören, welchen Gegenstand seine Sendung betrifft. Aber zuvor mußt du mir das Räthsel lösen, das deine Worte enthalten. Was sprachest du Wunderliches von einem Seekönige, was sollte diese Hindeutung auf die Sagen einer alten, längst in ihren seltsamen Bedeutungen untergegangenen Zeit?«

»Ich meinte nur den dänischen Admiral Vinzenz Norby;« versetzte in einem leicht hinwerfenden Tone der junge Deutsche. »Behauptet er nicht in den nordischen Gewässern eine Herrschaft, die, bis auf die Räubereien, welche sich die alten Seekönige erlaubten, ganz ihrem Treiben gleicht? Er scheint der Gebote seines Herrn, des Dänenkönigs, zu spotten, auf seinen Schiffen wimmelt es von geächteten Schweden, Sten Sture's Wittwe lebt dort in Glan und Ueberfluß –«

»Ich kenne Norby's ehrgeizige Entwürfe;« nahm Gustav Wasa das Wort. »Ich ahne, daß seine Botschaft eine Schlinge enthält, in die er Einen zu locken gedenkt, der sich einst ihrer Ausführung als ein mächtiges Hinderniß in den Weg stellen dürfte. Laß den Boten kommen, Roland, laß mich allein mit ihm sprechen, aber halte dich in unsrer Nähe!«

Der Himmel hatte sich, seitdem Gustav Wasa von Swen Elfsson in dessen Wohnung eingeführt worden war, aufgeheitert und das dichte Schneegewölk, das sich zwischen den Bergen herabneigte, war höher hinauf nach den Fjälln gezogen. Jetzt trat der Mond hinter einem glänzenden Wolkensaume hervor und ließ den fürstlichen Flüchtling die schlanke, zierliche Gestalt des Ignotus, den Roland hinter dem Gemäuer hervorführte, erkennen. Der junge Däne verbeugte sich mit ritterlichem Anstände und Roland zog sich, auf ihn deutend, mit den Worten in einige Entfernung zurück:

»Gestattet ihm eine freundliche Aufnahme, edler Herr, und trennt den Mann von Dem, was Euch unangenehm in seiner Sendung berühren dürfte! Wir lernten uns als Reisegenossen auf einer Fahrt kennen, die von wunderlichen Ereignissen begleitet war, von Dingen, welche die Herzen der Menschen öffneten und einen tiefen Blick in ihr Inneres thun ließen. Das dänische Feldzeichen kann auch die Brust eines wackeren Mannes bedecken und bei meinem Freunde möchte es wohl am Wenigsten eine Anhänglichkeit an König Christian verrathen.«

»Ich stehe im Dienste des Admirals Norby;« sagte, mit einem finstern Blicke dem zurücktretenden Roland nachsehend, Ignotus, »und erkenne keinen andern Herrn.«

Aus der Unterredung, welche der kühne Bewerber um die Hand der Tochter des mächtigen Admirals an dem einsam gelegenen Aufenthaltsorte des Rasmus Jute mit Roland hatte, ist uns bereits die Absicht bekannt, welche ihn bewog, den geächteten Gustav Wasa in den Schneewüsten der Fjälln aufzusuchen. Jetzt stand er vor ihm, jetzt blickte er mit Bewunderung auf die edle, würdevolle Gestalt des jungen Helden, dessen kühne Thaten schon frühe der Ruhm gekrönt, dessen abentheuerliche Wagnisse die Theilnahme einer leicht erregbaren jugendlichen Phantasie gewinnen mußten, dessen bloßes Daseyn den mächtigen Gebieter dreier Reiche auf seinem Throne erzittern machte. Unter der schlechten abgenutzten Kleidung, welche er trug, bewahrte er den Anstand eines Königs und Ignotus vermochte nicht anders, als mit der Ehrfurcht, welche uns unwillkürlich in der Nähe eines grossen Mannes ergreift, sich seines Auftrags zu entledigen.

Gustav Wasa hörte ihn ruhig und ohne Unterbrechung an. Mitunter aber flog, wenn Ignotus der großmüthigen Gesinnungen erwähnte, welche Norby gegen die verfolgten schwedischen Edlen hege, ein leises ironisches Lächeln über sein sonst ernstes Angesicht. Je länger der Däne sprach, desto feuriger, desto dringender wurde seine Rede. Der Eindruck, welchen die Gegenwart Gustav Wasa's auf ihn machte, war von steigender Besorgniß um seine Person, von dringender ängstlicher Berücksichtigung der Gefahren, die den Prinzen umgaben, begleitet. Er beschwor ihn, in seiner Gesellschaft, unter dem Schutze, welchen er, als ein Offizier Norby's, ihm gewähren könne, die Reise nach der Zufluchtsstätte auf Norby's Flotte anzutreten, nicht ferner sich den Zufällen eines unsichern, flüchtigen Lebens auszusetzen, die ihn frühe oder spät in die Gewalt der jetzt allenthalben umherschwärmenden, nach ihm forschenden Dänen bringen müßten.

»Was Eure persönliche Theilnahme an meinem Geschicke betrifft,« antwortete in einem gütigen Tone Gustav, »so bin ich Euch höchst dankbar für diese, obgleich ich Euere Befürchtungen nicht so gegründet glaube, wie Ihr sie anzunehmen scheint. Es ist wahr, ein jeder meiner Schritte ist ein neues Wagestück, der fortgesetzte Kampf mit dieser Ungewißheit über das Schicksal Schwedens und mein eigenes könnte wohl die Standhaftigkeit eines jeden Andern erschüttern, der nicht, wie ich, seit Jahren schon gewohnt ist, auf sich selbst und auf seinen Glücksstern zu vertrauen; aber nahe steht auch die Entscheidung, in wenigen Tagen nehme ich den Kampf mit König Christian auf, den er mir durch seine Söldner täglich bietet.«

»Warum, edler Herr,« fiel bewegt Ignotus ein, »wollt Ihr Euch den Wechselfällen eines Spieles hingeben, das Euch eine so schwache Hoffnung auf Gewinn bietet? Die Kräfte sind ungleich, wer wird es wagen, sich dem Einzelnen, und wenn auch seine Thaten noch so rühmlich, seine Absichten noch so überredend für ihn sprechen, anzuschließen?«

»Ihr kennt dieses Land und seine Bewohner nicht;« versetzte in einem lebhaften Tone der Prinz. »Laßt sie nur zum vollen Bewußtseyn des Unrechts gelangen, das sie erleiden, der Schmach, die man auf sie häuft, des Zwanges, den man jetzt gegen sie rüstet, und – die blutige Herrschaft Christian's hat ihr Ende erreicht. Hier in Dalarne lebt tief in der Brust jedes Einzelnen, von ihm selbst erst in der Zeit der Bedrängniß erkannt, der alte schwedische Geist, der muthige Sinn der Nordländer, der schwer zum Handeln zu erwecken ist, aber, ist er einmal erwacht, unaufhaltsam dahin strömt, wie die Woge eines empörten Flusses, und Alles niederwirft, was sich ihm feindlich entgegenstellt. Schon regt sich, von Christian selbst hervorgerufen, im tiefen Grunde der Strudel, der plötzlich aufwirbeln wird, um in seine allgewaltige Strömung den Thron, den der Dänenkönig im Schwedenlande aufgerichtet, die Krone, die er geraubt, zu begraben. Dieser Augenblick belohnt Alles, was ich ertragen, er ersetzt Alles, was ich entbehrt habe, denn ihm entsproßt des Vaterlandes Befreiung.«

»Erwartet ihn auf der Flotte Norby's;« sprach dringender Ignotus. »Wer würde Euch abhalten, wieder hierher zu eilen, sobald es Eure Sicherheit erlaubte?«

»Norby selbst;« entgegnete mit Bestimmtheit Gustav Wasa. Ignotus fuhr betroffen zurück. Dieser unerwartete Einwurf überraschte und verwirrte ihn. Mit zweifelhaften, fragenden Blicken sah er den Prinzen an, der ruhig fortfuhr:

»Ich bin überzeugt, daß Ihr es offen und ehrlich mit mir meint, denn Ihr seyd ein Freund Roland Doneldey's und von diesem mir besonders empfohlen. Mit Norby aber steht die Sache anders. Glaubt Ihr, daß derjenige, der seinen Herrn, der denjenigen verräth, welcher ihm Ansehn und Ehre verliehen, besser verfahren werde gegen den Fremdling, wenn dieser seinen geheimen Planen im Wege steht? Laßt Euch das Märchen vom Seekönige nicht blenden. Norby hegt ganz andere Absichten. Sein Flug strebt höher, sein Ziel ist ein glänzenderes.«

»Edler Herr, Ihr verwirrt mich;« sagte beunruhigt der junge Däne. »Ich glaubte bisher, Norby's Seele mit allen Geheimnissen läge offen vor mir und ich sähe mit klaren Blicken in den Spiegel seiner Zukunft.«

»Habt Ihr auch die schwedische Krone dort erschaut?« fragte mit Nachdruck der Abkömmling der Wasa. Wie ein Blitz durchzuckten diese Worte den Gesandten Norby's. Sie erhellten mit einemmale manche unbestimmte Ahnung, manche dunkle Vermuthung, sie ließen ihn den Untergang seiner beseligendsten Hoffnungen befürchten; denn, wenn Norby in der That von diesem großen Gedanken beherrscht wurde – und sein hochstrebender Geist war fähig dazu – so mußte er auch für seine einzige Tochter Clara ein höheres Loos im Sinne tragen, als ihr ein bloßer Edelmann, wie Arwed Oxe, bieten konnte, eine Verbindung, die ihm mächtige Freunde und Bundesgenossen sicherte. Von diesem Gedanken ergriffen, stand Ignotus erbleichend vor Gustav Wasa. Nicht seine Liebe allein, auch seine Ehre schien ihm in diesem Falle verletzt. Man hatte dann ein betrügerisches Spiel mit ihm getrieben, man bediente sich seiner als eines Werkzeugs ehrgeiziger Pläne, das man, wenn diese erreicht worden, achtungslos beseitigen würde. Nur sein Vertrauen auf Clara stand fest. Sie wußte nichts von diesem versteckten Spiele Norby's, wenn es überhaupt statt fand, woran Ignotus so gern zweifeln mochte, auch sie war dann getäuscht, betrogen wie er. Diese Besorgnisse reiheten sich im Fluge weniger Augenblicke an Gustav Wasa's inhaltschwere Worte. Sie drückten lähmend auf die Seele des Ignotus, während sein nächtlicher Gefährte, die Wunden nicht ahnend, welche er einem liebenden Herzen schlug, fortfuhr:

»Ihr selbst sagt, daß Sture's Wittwe, die ehemalige Reichsverweserin, in Glanz und Freude auf Norby's Schiffe lebt. Habt Ihr nie bemerkt, daß der Ehrerbietung, welche ihr der Admiral erzeigt, ein Anstrich besondrer Courtoisie, ich darf wohl sagen, einer Bewerbung um Frauengunst beiwohne?«

Ignotus schwieg. Tausend Dinge drängten sich in sein Gedächtniß, welche diese Frage Gustav's bejaheten.

»Die Hand der Wittwe soll ihn auf den schwedischen Thron führen;« begann der Prinz aufs Neue, nachdem er vergebens eine Antwort erwartet hatte. »Die edlen Schweden, geblendet von der Großmuth, welche er ihnen zu erweisen scheint, indem er sie vor dem Blutdurste Christian's sichert, will er sich durch Dankbarkeit verpflichten. Sie sollen dem Wohlthäter einst gewähren, was ihr schwedisches Herz dem Dänen versagen dürfte. Das Volk denkt Norby durch Waffengewalt zu zwingen und wir hätten dann wieder eine dänische Tyrannei, wie bisher, nur einen andern Tyrannen. Deshalb, Herr Arwed Oxe, tauge ich nicht, so lange ich frei und ungebunden dieses Land durchziehe und seine Bewohner für das alte schwedische Recht, für die schwedische Freiheit auffordere, in Norby's Entwürfe. Er mißbraucht Euere Redlichkeit, indem er Euch zu einem Werkzeuge seiner unedlen Absichten auf meine Person macht. Ihr würdet glauben, mich als einen Gast auf Norby's Flotte zu führen, während Ihr einen Gefangenen dorthin brächtet, freilich zu goldenen Fesseln, aber stark genug, daß sie ihn zurückhielten, Schwedens Freiheit gegen Norby's Anmassungen zu schützen.«

Eine Stille von einigen Minuten folgte dieser Erklärung Gustav's, deren unwillkommenen Eindruck Ignotus vergebens zu bekämpfen suchte. Endlich, mehr den Hoffnungen sich hingebend, die seinen Wünschen entsprachen, als der Wahrheit, die drohend vor ihm aufstieg, aber gern entfernt und unterdrückt wurde, nahm er das Wort und sagte mit unsichrer Stimme:

»Vinzenz Norby hat sich bis jetzt als ein Ehrenmann gegen mich bewiesen und ich will Euch nicht bergen, daß ich hoffe, ihm bald durch ein heiliges Band näher zu stehn, als bisher. Mögen Euere Angaben noch so viel Wahrscheinlichkeit für sich haben, ich kann, ich darf ihnen keinen Glauben beimessen. Ihr, edler Herr, seht Alles in dem Lichte, das Eure Wünsche, Eure Absichten, an deren Reinheit ich nicht zweifle, belebt; der Stern, der meine Bahn beleuchtet, ist ein andrer. Denkt nicht schlimm von mir, wenn Euch auch der Vorschlag, dessen Ueberbringer ich war, mißfällt. Meine Absicht war redlich, mein Wunsch war, einem Helden, den ich verehre, in seiner Bedrängniß zu dienen. Ich weiß nicht, ob ich bedauern soll, daß meine Mühe eine verlorene ist; darüber muß die Zukunft entscheiden.«

»Was ich sagte,« versetzte der Prinz, »gilt nur für Euch, nicht für Norby. Ihr solltet die Gründe wissen, die mich bewegen, den Pfad, den ich einmal eingeschlagen, ungestört zu verfolgen. Dem Admiral meldet meinen Dank für seine Aufmerksamkeit, erzählt ihm, wie Ihr mich gefunden und sagt ihm mit schlichten Worten, daß ich es vorziehe, eine glücklichere Zeit auf tüchtiger Wanderung in den Bergen und Wäldern meines Vaterlandes unter tausend Entbehrungen zu erwarten, als auf der Flotte eines dänischen Admirals, wenn auch Ueberfluß an Allem, Sicherheit gegen offene Nachstellungen dort meiner harrten. Ich sehe in Vinzenz Norby nur den Diener König Christian's, den Feind meines Vaterlandes.«

Ignotus, überzeugt, daß er keine Aenderung in dem Entschlusse Gustav Wasa's zu bewirken vermöge, stand eben im Begriffe, sich zu entfernen, als plötzlich die Dogge, welche dem Rasmus Jute auf seinem Wachposten Gesellschaft leistete, in ein lautes Geheul ausbrach, als viele Stimmen, im wilden, verwirrten Rufen laut wurden und Waffengetöse erschallte.

»Hinweg!« rief der herbeieilende Roland, indem er den Ignotus am Arme ergriff und mit sich fortzog. »Wir sind überfallen, die Dänen haben unsere Spur verfolgt und an uns ist es jetzt, sie von dieser Zufluchtsstätte abzuleiten, in die Wälder, in die Gebirge, wo sie dann sehen mögen, wie sie sich wieder herausfinden. Kommt, Ignotus, und laßt uns diese Spürhunde der dänischen Tyrannei auf eine falsche Fährte bringen, auf der sie sich abhetzen mögen, so lange sie wollen. Ihr, edler Herr, zieht Euch in Euer Asyl zurück! Ihr müßt Euch für Grösseres aufbewahren.«

»Am Vorabend des Julafton bin ich in Mora;« sagte mit erhobener Stimme im Scheiden Gustav Wasa zu seinem Freunde und begab sich dann rasch, aber mit widerstrebenden Empfindungen, in das stille Gemach zurück, das Swen Elfsson's Hausfrau ihm zum Aufenthalte angewiesen hatte. Er lauschte noch lange in die Nacht hinaus. Bald überzeugte er sich, daß es wirklich Kriegsleute seyen, zwischen denen und seinen Freunden ein Scharmützel statt fand. Einzelne Schüsse aus den damals erst beym Kriegsvolke neu eingeführten Musketen durchschallten das Thal. Im Hause, in den Wohnungen der Nachbarn wurde es lebendig. Als aber der Waffenlärm sich nach und nach in die Ferne zog, als er bald ganz verhallte, da lagerte sich wieder die frühere Ruhe auf das Dorf und seine Umgebung und der verfolgte Nachkömmling der alten schwedischen Könige konnte sich nun in Sicherheit einem Schlafe hingeben, dessen die erschöpfte Natur in einem hohen Grade bedurfte.



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