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Der König von Österreich
Oder: Der Weltbeglücker

Ein alter Wiener Hofbeamter pflegte zu sagen: »Genau genommen regierte Kaiser Franz Josef bis zum Tod von Johann Strauß.« Historiker mögen das etwas urteilsfrei finden, denn schließlich saß der unglückliche, lebensferne alte Mann noch an die zwanzig Jahre auf dem Thron. Allein, als Johann Strauß starb, ging das erste, im Frühling 1918, da Girardi starb, das zweite Stück jenes frohgemuten Altösterreich dahin, das er mühsam zusammenhielt, und damit das letzte Lächeln einer Gesellschaft, die das Lächeln von Raimund, Lanner und Strauß gelernt hatte.

Der junge Kaiser wählte 1848 einen Wahlspruch; nie verwirklichte er sich harmonischer als im gleichnamigen Walzer von Johann Strauß: »Viribus unitis«. Hier war er nicht offiziöse Lüge, der jeder Sprachenstreit, jeder Parlamentstag ins Gesicht lachte.

Beinahe könnte das Wort dem ganzen Straußwerk Motto sein. Lebten Österreichs Völker nicht immer auseinander? Gegeneinander? War zwischen 1825, da Strauß zur Welt kam, und 1916, da der alte Kaiser sie verließ, ein Wesensunterschied? Grillparzers »König Ottokar« wurde jahrelang verzögert, der Tschechen wegen; Grillparzers »Bruderzwist« der Ungarn, seine »Libussa« der Deutschen wegen. Diese ständige Einrichtung des Bruderzwists durchklang nur eine versöhnende Stimme und von dem schwarzen Geiger ging aus, was keinem der regierenden Grafen gelingen wollte: die rhythmische Bändigung der Nationen.

Wenn es ein Produkt gemeinsamer österreichischer Marke gab, dann wars die Straußmusik. Alle Stämme trugen dazu bei: da klang die Wiener Gemütshelligkeit, das Behaglichkeitsglück, die Lust zu leichtem Gerührtsein; Slawenblut sprang aus der Polka, Ungarnekstatik aus dem tollen Czardas. Man nannte ihn den »Walzerkönig«, ein plattes Wort vorstädtischer Herkunft, jedoch mit einer verschleierten Wahrheit: Strauß herrschte ungekrönt und dauernd, der musikalische Verführer schmolz allen Haß ein. Seine Musik goß Honig ins österreichische Pulverfaß.

Jeder echte Österreicher beschimpfte Österreich und war froh, Schwarzgelbland zu entfliehen, – aber dann im Ausland, stieg irgendwo der erste Dreiklang der »Schönen blauen Donau« auf, so zerfloß man in Tränen, umarmte einander und feierte Österreich in ewigen Treueschwüren.

 

Im Jahr 1884, als Strauß sein Künstlerjubiläum feierte, verlieh der Gemeinderat der Stadt Wien unter dem Bürgermeister Eduard Uhl dem Gefeierten das Bürgerrecht, weil er Geist und Gemüt der Stadt verklärte und seine Kunst sich oft der Armen erinnerte. Nie war eine gutgemeinte Notwendigkeit überflüssiger. Denn wenn es einen Wiener Bürger der geistigen Gebärde nach gab, dann hieß er Johann Strauß, die persönliche Auswirkung einer Gesellschaft, deren Optimismus er adelte.

Strauß sprach einmal von der goldenen Stadt, »die dem Knaben liebevoll auf die Beine half und dem reifen Manne noch immer ihre Sympathie zuwendet«. Nicht aus Zufall heißt ein Straußwalzer, einer von den letzten: »Seid umschlungen, Millionen!« ...

 

»... die Straußischen Walzer mit ihrem feurigen, einem Liebesruf gleichen Melodien haben die Gabe, mich tief traurig zu stimmen«, bekannte Hector Berlioz in seinen Memoiren von Alt-Strauß. Und: »... für mich hat der Straußische Walzer etwas Tragisches«, sagte Felix Weingartner einmal zu einer Künstlerin, womit er deren und vieler anderer Erlebnis traf. Er sah eine Gestalt, die sich mit süßem Lächeln zu Tode tanzt, immer berauschter, bis ihr das Bewußtsein entgleitet. Es war Wien, das er erblickte, und der Wiener Walzer ein Tanz über dem Abgrund.

Haus Österreich ist 1918 klein geworden. Enthält aber einen eingemauerten Schatz, seinen Reichtum in der Armut: Schubert, Raimund, Lanner, Strauß und seine Söhne. Einmal, im Vormärz, sagte Laube: »Was den Franzosen die Napoleonischen Siege, das sind den Wienern die Straußischen Walzer!« In der Tat haben wir Österreicher damit Eroberungen gemacht und waren es nicht Länder, so die Ballsäle und die Menschen, die dazugehören.

Strauß, für Millionen die schöne Rast im Dasein, ist das goldene Lachen seiner Stadt, der Inbegriff eines Temperaments, das den Mut hatte, ein seliges Heute zu leben, und so lebt Wien im Bewußtsein von Europa. Wer lachen und wer tanzen kann, hat Lebenskraft. Mit diesem, seinem Herzschlag hat Wien, »das sterbende«, zuletzt wieder Atem und Glauben an sich selbst gefunden.

Es war ein König von Österreich, der hieß Johann.


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