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Nachlese

Wie man ihm am Ende seines Walzerzeitalters von allen Seiten zurief: »Operette! Operette!«, so rief man am Ende seines Operettenzeitalters: »Ballett! Ballett! Warum schreiben Sie kein Ballett?«

In dem zu seiner Zeit schon stark verarmten Genre – es war nur mehr ein Trippeln zierlicher Fußspitzen vor entzückten Opernhabitués – war für ihn wenig zu holen. Sonne und Erde oder die Puppenfee hießen die großen Ausstattungs- und Favoritballetts der Hofoper und man meinte, Strauß werde auch hier neue Wege finden.

Allein so wenig wie bei den Operetten fand sich die neue Dichtung beim Ballett. Eine Wiener Zeitschrift, »Die Wage«, erließ ein Preisausschreiben; 700 Entwürfe liefen ein und als Ergebnis kam das Tanzpoem vom »Aschenbrödel« heraus, das in seiner Urform nicht brauchbar war und schon vorher umgearbeitet werden mußte wie die Operetten nachher.

Der ungenannte Verfasser übertrug das alte Volksmärchen in die Welt des modernen Warenhauses und machte das Laufmädchen Grete zum Aschenputtel, den Chef Gustav zum Prinzen. Gustav übersendet Grete zwei Kostüme, für sie und ihre Mutter – beide sollen damit einen Ball besuchen –, doch die Mama ist die böse Stiefmutter und verwendet die Kostüme für ihre eigenen Töchter Fanchon und Yvette. Da kommt Franz, der Bruder Gustavs, und schickt an Grete ebenfalls ein Kostüm, den gleichen blauen Domino: nun fliegt sie auf den Ball, wird aber in ihren goldenen Schulen erkannt. Gustav gesteht ihr seine Liebe. Eifersuchts- und Verleumdungsszene: Grete entflieht, allein Franz gesteht, daß nur der Domino, nicht die goldenen Schuhe von ihm herrühren, und so ist die Ehre gerettet; es kommt zur Verlobung: Gustav erhält seine Grete. Er kann sie leicht und billig ausstatten ...

Aschenbrödel wurde am 4. Oktober 1908 im Hofoperntheater aufgeführt. (»Aschenbrödel, Ballett nach einem Vorwurf des A. Kollmann von H. Regel. Musik von Johann Strauß. Musikalische Einrichtung von Josef Bayer.«)

»Ob man Strauß nicht lieber gleich das liebe, gemütvolle Originalmärchen hätte in die Hände geben sollen?« fragte der liebevoll urteilende Julius Korngold. »Seine Musik hätte sich Gehör verschafft, trotz der beträchtlichen Zahl der den Stoff behandelnden Ballette und Opern, deren letzte noch von Massenet und Wolf-Ferrari stammen. ›Aschenbrödel‹ bewegt sich zwischen Modeatelier und Warenhaus; man tanzt einen Konfektioneusen-, einen Trousseauwalzer; die Phantasie des Dichters scheint der Konfektions- und Bekleidungsbranche verfallen ... Erst in der Aufführung des Hofoperntheaters ist etwas Wiener Lokalfarbe aufgepinselt, daneben in Kostüme und Dekorationen ort- und zeitlose Ballettphantastik getragen worden. Nur zum Vorteil des Werkes, wenn auch im offenbaren Widerspruch zur ›modernen‹ Handlung ... Aschenbrödel tanzt ganz reizend in dem goldenen Schuh Straußische Rhythmen. Selbst eine fabelhafte Erfindung gleich der Strauß' mußte nachzulassen beginnen, nachdem er jahrzehntelang der Freudenspender der Welt gewesen. Trotzdem sind uns in den besten Stücken von ›Aschenbrödel‹ noch immer Blüten geschenkt, wie sie nur im Garten Johann des Einzigen sprießen. Und man darf nicht vergessen: Strauß war es ja nicht vergönnt, sein Werk zu vollenden. In der Form, in der die Musik vorliegt, ist sie nicht aus seiner Hand hervorgegangen. Es bedurfte einer ›musikalischen Einrichtung‹, die Josef Bayer besorgt hat. Wie hübsch, daß dieser treffliche Musiker, Strauß in seinen eigenen Balletten so tief verschuldet, derart dem Meister manches zurückerstatten konnte ... Es scheint, daß Strauß nur einzelne Teile der Musik, das meiste wohl im ersten Akt, zu Ende geformt, zu anderen Partien nur die Skizzen, dann Material ohne Bezeichnung seiner Bestimmung hinterlassen hat. Ja, es ist wahrscheinlich, daß dieses Material nicht ganz hinreichte und unbenutzter älterer Stoff herangezogen werden mußte. So hatte Herr Bayer zu sichten, zu ordnen, zu gliedern, dem so oft veränderten Text ›dramatisch‹ zu folgen, auch viel, recht viel zu instrumentieren. Vielfach ist der bequeme potpourriartige Stil seiner eigenen Ballette zu merken, und vielleicht hätten manche der Straußschen Motive bei sorgfältiger Durcharbeitung mehr Triebkraft erwiesen. Eine Reflexion, die die Verdienste Bayers um ›Aschenbrödel‹ nicht schmälern soll. (Folgt Würdigung der einzelnen Tanznummern.) In Aschenbrödel überwiegen die nachdenklicheren, weicheren, schmachtenderen, lyrischer Anmut zuneigenden Walzer aus Strauß' letzter Zeit. So ist auch der Hauptgedanke des ›Aschenbrödel‹-Walzers im zweiten Akt geartet. Man kann, wenn man will, aus ihm sehnsüchtiges Wünschen und glückliche Erfüllung – ein neuer Forscher nennt ja das Aschenputtelmärchen direkt ein Wunscherfüllungsgebilde – heraushören. Ganz zart gehalten, auch mit einem Tropfen Delibes gefärbt, sind der langsame Walzer in As, der die Liebesszene zwischen Gustav und Grete, dann jener in Des, der die Traumszene im dritten Akte begleitet ... Zu einem Bild – Grete und Gustav, zum erstenmal allein, von Amoretten umgeben, – erklingt eine allerliebste Polka. Wir dürfen sie nicht vergessen, wenn wir derart die Rosinen aus der Partitur zupfen ... Wahrer Strauß in einer Ballettmusik nach so vielem Pseudo-Strauß – das allein hebt ›Aschenbrödel‹ über das Meiste empor, das uns die letzte Zeit auf dem Gebiet des Balletts bescheert hat.« (Neue Freie Presse, 6. Oktober 1908.)

Von den letzten Walzern ist am bedeutendsten der »Kaiserwalzer «. (Werk 437.) Der Titel stammt vom Verleger (Simrock), richtete sich ursprünglich an den deutschen Kaiser, später bezog man ihn auf Franz Josef. Das erste Motiv gibt dem Walzer bei volkhaftem Profil ein seriöses Gesicht – des Alters leiser Anglanz –, wie es Strauß in diesen Jahren liebt. Das zweite ergibt den dionysischen F-dur-Teil.

Den weniger bedeutenden Rathausballtänzen (Werk 438), in deren Einleitung es zum Selbstzitat kommt, folgen zwei Prachtstücke: »Seid umschlungen, Millionen!« (Werk 443) und das »Märchen aus dem Orient« (Werk 444), das er am 27. November 1892 zum erstenmal im Großen Musikvereinssaal aufführte.

In der Nähe des Siebzigers kehrt der Künstler zu seiner Urform, dem Instrumentalwalzer, zurück, als habe er sich an den Operetten müde geschrieben. Befreit vom Textdichtervolk und sich selbst zurückgegeben, bildet er den Typ des noblen Konzertwalzers aus, den man tanzen kann, vor allem aber hören muß; bildet er das Nobilissimo eines Lineaments im Kaiserwalzer und im Millionenwalzer, der sich in Einfall und Haltung seiner Widmung – an Brahms – bewußt bleibt.

Zur Hochzeit seiner Stieftochter Alice schreibt Strauß ein Hochzeitspräludium, das in der Deutschen Ritterordenskirche aufgeführt wird, eines seiner wenigen »untanzbaren« Werke. Seine allerletzte Arbeit ist – ein merkwürdiger Rückgriff in sein Leben – ein Potpourri aus alten Wiener Meistern: die »Klänge aus der Raimundzeit«. Zu seinem Nachlaß gehören die »Ischlerwalzer«, die »Abschiedswalzer« und die beiden »Traumbilder«, die Robert Fuchs nach der Klaviervorlage instrumentiert hat: dankbare Konzertstücke.

 

Außer dem Ballett (Aschenbrödel) gibt es auch eine nachgelassene Operette von Johann Strauß, ein Kuriosum, da er bei Lebzeiten seinen eigenen Nachlaß dazu benützte.

Im Frühjahr 1899 tauchte der Gedanke auf, eine Operette von Johann Strauß für das Carltheater zu gewinnen, für das er seit Methusalem keine geschrieben hatte und dessen Direktor damals Jauner war. Damit der betagte Meister nicht übermäßig Arbeit habe, zumal der Aufführungstermin bereits für den Herbst des gleichen Jahres angesetzt war, schlug Victor Léon vor, die Musik völlig aus bereits vorhandenen Straußischen Tanzmelodien zu bestreiten. Strauß nahm den Vorschlag an.

Nachdem er die Themen, die er hauptsächlich verwendet wissen wollte – eine Unzahl! – angegeben hatte (wobei ihm immer mehr einfielen) und der Verleger Weinberger diese in verschiedenen Verlagen erschienenen Stücke glücklich unter einen Hut gebracht hatte, erschien eine große Kiste voll Noten: das musikalische Material.

Populärst Gewordenes lag neben gänzlich Unbekanntem. Walzer, Polkas, Quadrillen, die Strauß im Laufe der Zeit den Ballkomitees und Patronessen aller möglichen Vereine als Festzauber »gewidmet« hatte. Die Sichtung war für Strauß selbst eine Entdeckungsreise, denn außer den Sachen, die er aus dem Gedächtnis angab, kamen ihm auch viele Werke unter die Augen, bei welchen er geschworen hätte, daß sie niemals seiner Feder entflossen seien, darunter die wertvollsten Dinge.

Victor Léon und Leo Stein schrieben inzwischen das Buch fertig – »Wiener Blut« – eine artige Geschichte aus der Kongreßzeit. Die Schauplätze sind die Straußischen: Döbling, Hietzing; der große Festball nimmt die Mitte ein wie in der Fledermaus; und wie in der Fledermaus werden die Personen durcheinandergewirbelt, Gräfin, Tänzerin, Probiermamsell ... Gattin und Geliebte. Werden verkannt, verwechselt, richtiggestellt: – am Schluß »stärkt Wiener Blut den Mut«.

Die musikalische Verschweißung der vielen, fast zu vielen Motive und Motivchen zu Gesangsnummern und größeren Komplexen, wie sie der Text erforderte, erwies sich als Heidenarbeit. Ganz abgesehen von der Qual der Auswahl. Und die Operette sollte im September fix und fertig sein. Natürlich auch instrumentiert. Man fahndete nach einer Hilfskraft, die die Sache zunächst aus dem Gröbsten bringen sollte. So kam der Mai und Strauß erkrankte. Auf seinem letzten Lager willigte er ein, daß der langjährige erste Kapellmeister des Theaters an der Wien, Adolf Müller, derselbe, der den »Hofnarren« komponiert hatte, der Helfer sein solle.

Müller, kein Jüngling mehr, aber ein vollsaftiger Musiker und technischer Könner, übrigens Urwiener – er sprach stets: »Múusi« statt Musik – übernahm die Arbeit. Die große Kiste wanderte zu ihm und er verwendete sie mit Raffinement und bewunderungswürdigem Geschmack, besonders für die Finali, die er, ein Theatermensch bis in die Fingerspitzen, geradezu symphonisch anlegte, ohne die Straußische Eigenart zu beschädigen.

Der Todesengel senkte indes seine Flügel auf den Meister und Müller wurde wirklich Nachlaßverwalter. Das fertige Werk erregte bei den Beteiligten: den Textdichtern, dem Direktor, dem Verleger, den Sängern, große Hoffnung, ja Entzücken. Es wurde mit ersten Kräften besetzt (Spielmann, Treumann, Karl Blasel, Schildkraut, Jules, Betty Stojan, Frau Zielmeyer), die Aufmachung war grandios, wie sie nur bei Jauner sein konnte, die Inszenierung besorgte Victor Léon und die Première war ein – Abfall.

Die Hörer hörten zu viel Bekanntes. Strauß war noch herrschend, sein Klang saß in aller Ohr. Jauner verzweifelte sowohl am Publikum wie an sich selbst: »'s Beste schmeckt ihnen nicht. Ich versteh' die Leut nimmer ... ich kenn' mich net mehr aus ...!« Die Enttäuschung des enthusiastischen Direktors mündete in einen fast physischen Zusammenbruch. Kaum einen Monat hielt sich Wiener Blut im Spielplan.

Zwei Jahre später übernahm das Theater an der Wien die Operette, als es, von Girardi plötzlich verlassen, in einen Notstand kam. Und nun ereignete sich das Wunder: das durchgefallene »Wiener Blut« errang einen unerhörten Erfolg. Wurde entdeckt, wurde bejubelt und steht seitdem fest im Spielplan der österreichischen und deutschen Bühnen, ja ging ins Ausland und wurde ein Welterfolg.

Von den übrigen Belebungs- und Umarbeitungsoperetten kann man solches nicht behaupten. Es gibt deren sechs, von denen keine eine lange Lebensdauer hatte, nicht einmal »Tausendundeine Nacht«. Die übrigen heißen: Gräfin Pepi, Reiche Mädchen, Der blaue Held, Die Faschingshochzeit und die Tänzerin Fanny Elßler.

Sie konnten nichts zum Ton eines Mannes beitragen, der die Welt erfüllte, ja nicht einmal durch schwachen Nachruhm seinen Ruhm verringern.


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