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Flucht vor sich selbst

Sieben Jahre ist Strauß tätig; er zählt 29 Jahre, als ihm das alte einbasteite Wien zu eng wird. Was soll er hier? Sich weiter im Kreis drehen? Sein Ehrgeiz ist die Welt. Erst wagt er einen Ausflug nach Pest, spannt dann den Radius weiter, immer weiter, geht nach Dresden, Leipzig, Berlin, Süddeutschland. In Leipzig erscheint nach dem Konzert ein Unbekannter und bittet sich seine Partituren aus; er stellt sich vor: Felix Mendelssohn ...

Strauß berührt den preußischen Königshof, zieht mit 33 Jahren nach Frankreich, schlägt mit schwächerem Orchester den Pariser Lokalgott Musard, betört die Könige der Musik, Cherubini, Halévy, Meyerbeer, Berlioz, bestrickt Auber, der ihm Veilchensträußchen wirft, und Paganini, der ihm vor dem erstaunten Publikum die Hände schüttelt. Paris, das so viel Verwandtes mit Wien hat, legt sich ihm zu Füßen.

Johann der Eroberer setzt über den Kanal. Er berauscht London, gibt in drei Monaten 72 Konzerte. Moscheles und die junge Teresa Milanollo konzertieren mit ihm; Viktorias Krönung muß von Straußischer Musik begleitet sein. Der straffe Wiener Tanzrhythmus hat Exotenreiz für steile Cockneys.

In Calais, auf einer Scheinrückfahrt, bricht er zusammen. Wird ohnmächtig vom Pult getragen wie später einmal sein zweiter Sohn Josef. Sein Nervensystem versagt. Seine Musiker haben es mit dem Heimweh bekommen, echte Wiener, die das Ausland nicht vertragen. Sie drohen zu meutern. Strauß muß sich fügen.

Aber er denkt innerlich nicht an Umkehr. England ist ein Ausgangspunkt, Amerika die nächste Station. Vielleicht kommt er in den Osten, vielleicht um den ganzen Erdball. Wo endete seine Unruhe, wo sein Fieber, sein Heimweh nach der Ferne?

Nun hat ihn Krankheit besiegt. Wien jubelt seiner Rückkehr, jubelt seiner Gesundung. Wien hat ihn jetzt entdeckt. Der Österreicher muß seine Heimat wie der Reisende im Ballon streifen, dann schauen sie zu ihm auf ... Nur noch ein Mann wird so miterlebt wie Strauß: der Kaiser. Volkstrauer, wenn er krank ist, Rührungstränen, wenn er zum erstenmal ausfährt. König Johann kommt gleich nach dem Kaiser.

Nun wird Strauß der elegante Tanz- und Tonangeber der Gesellschaft. In den Augartenbällen schafft er eine neue Tanzmode; er führt (1839) den unbekannten, aus Paris mitgebrachten Kontertanz, die Quadrille, ein. Die öffentlichen Ankündigungen dieser Bälle atmen den französischen Umgangston der exklusiven Wiener Gesellschaft, die kein 1789 erlebt hatte. Ein biedermeierisches Gartenbild und darunter mit tiefen Bücklingen die einladenden Sätze:

 

Le soussigné à l'honneur de faire à la haute Noblesse
sa très humble invitation pour la Soirée musicale
Dans les Salons J. et R.

 

De L'Augarten
qui aura lieu
tous les jeudis
après midi


La musique sous la direction personelle
de
Mr. Strauss

Commence à trois heures           A. Hess Traiteur J. et R.

 

Die franzisceische Zeit welkt ab, die ferdinandeische, im Stil die gleiche, steigt herauf. Der österreichische Staatsschlaf ist durchzuckt von einer Ekstasis, die, unbestellt, mit zur Regierungskunst Metternichs gehört. Wien war ungefährlich, solang es tanzte. Mit Strauß und Apollo hielt man die Demagogen nieder. Und der wunderliche Strauß, der Wien entfloh, Europa zu seinen Füßen sah, hing mit dem Herzen an der Kaiserstadt, am Thron des Kaisers, am System des Kaisers.

Er war Naturmusiker und suchte nach der künstlerischen Erfüllung. Wollen und Können, verschieden geartet, zerlegten ihn in ungestimmte Teile. Er lebte reisend auf der Flucht vor sich selbst; oder floh vor seiner Familie, vor einer früh geschlossenen, bald zerstrittenen, kinderreichen, glücklosen Ehe. Sein Heim wird der Ballsaal, sein Vaterland liegt dort, wo man tanzt.

Allen am Jahrhundertanfang Geborenen ist die abenteuerliche Krankheit, der Byronsche Weltschmerz eingeboren. Byron selbst, Shelley, Chamisso, Lenau: zerrissene, brausende Menschen, die ins Bunte der Welt, über den Gürtel der Erde stürzen. Einen der Straußischen Freunde, den jüngeren Morelly, schleudert es nach Indien. Ein Wanderfieber schüttelt Europa, von dem es erst die Eisenbahnen erlösen, als sei die Lokomotive mehr von den Nerven als von der Technik der Zeit erfunden worden.

So trägt der Byronsche, zeitkranke Strauß Wiener Tanzfreuden in gräßlichen Postkutschen einem Zeitalter zu, das jeder Betäubung und Berauschung willig ist, heiße sie Liszt, Paganini, Henriette Sontag. Mit Johann Strauß geht Österreich auf Eroberung aus: die Beliebtheit des Wieners in der Welt begann bei der Straußischen Tanzgeige.

Von den Täuberln zu den Tuilerien; vom Döblinger Sammelteller zum Londoner Goldregen, vom »Guten Hirten« zum Glanz von Viktorias Hochzeit reicht seine Linie. Sein Beruf, erst halb Geschäft, halb Gaudé, führt ihn auf die Höhen des Lebens.


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