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Jetty

»Die Lieb' ist eine dramatische Idylle in einem
Aufzug – kurz – aber wunderschön ... Die
Ehe ist auf jeden Fall ein Trauerspiel, weil
der Held oder die Heldin sterben muß, sonst
wird's nicht aus ...«

Nestroy.

 

Seinem lieben Freund und Verleger Karl Haslinger sandte am 26. August 1862 Johann Strauß ein Billett: »Willst Du morgen um 7 Uhr morgens bei mir erscheinen, um – – mein Beistand bei der eine Stunde darauf folgenden Vermälung zu sein? Antworte sogleich, angeschmierter Notentandler!«

Selten hat ein so leichtträllerndes Billett – es klingt wie Polkatakt – zu einem so ungewöhnlichen Ereignis geladen. Johanns Heirat mit Henriette Treffz bildete eine Wiener Sensation ersten Ranges. Süßes Obst für die Wespen des Klatsches. Sensation: daß Johann Strauß heiratete. Dann: daß er »die Treffz« heiratete. Johann Strauß gehörte allen Wienerinnen.

In der Tat ein schwerer Fall. Henriette Treffz war die Mutter der Töchter des Barons Todesco und als die Dame seines Hauses von der Gesellschaft stillschweigend anerkannt. Nun verließ sie ihn, vermählte sich, die jahrelange freiwillige Gefährtin eines exponierten Mannes.

Endlich, da sie heirateten, verzieh man ihnen das Unverzeihliche, denn beide waren Künstler ...

Sie läßt ihn zu einem Hausball bitten. Johann musiziert mit Vieuxtemps, spielt seine »Schallwellen« auf – aber der Abend verläuft ganz programmwidrig. Denn, gibt es unter Künstlern Enttäuscher, so gibt es auch Überwältiger: solche, deren Persönlichkeit ihr bestes Werk überflammt – und dieser Straußischen Bestrickung erliegt die Hausfrau. Johann war in seiner Harmlosigkeit gekommen; am Ende stehen beide, jähe Naturen, in Bränden.

Es kostete die Liebenden schwere Kämpfe. Einander zu besitzen galt mehr, als eine abgewelkte Verbindung aufzulösen – und auch da türmen Eigensinn und Eitelkeit und Nichtgönnenwollen Unmöglichkeiten auf – selbst Haslinger dürfte eher einen fetten Walzerbrocken für den Verlag als eine Vermählungsanzeige erwartet haben. Aber es wurde Ernst: am 27. August traten Braut und Bräutigam in Straßentoilette, nur von den Beiständen begleitet, in die Stephanskirche zu einem heimlichen Fest.

Henriette, genannt Jetty, stand im 45., Jean im 37. Lebensjahr.

Auf dem Bild von Kriehuber sieht sie sylphidenhaft aus; man denkt an die zerbrechliche junge Schumann, an die Binsenrohrzartheit der Jenny Lind.

siehe Bildunterschrift

Eduard Strauß

Sie kam aus dem Wiener Volk und war als Tochter des Silberarbeiters Challupetzky am 1. Juli 1818 in Gumpendorf geboren. Ihre mütterliche Abstammung verflocht sich mit jener Margarete Schwann, die Schillers Laura und später die Frau eines Rechtsanwalts Treffz wurde. Mit vierzehn Jahren, fast noch Kind, kommt Jetty zur Bühne. Sich selbst überlassen, bestimmt sie ihr Schicksal, reift in Bühnenluft, unter ausbildendem Gönnertum. Ihre Zeit ist die Zeit der freien Frauen, der Hanska, d'Agoult, der Caroline Unger, der Maria Rezio. Und sie gewinnt ihren Jean wie jene Balzac, Liszt, Lenau und Berlioz.

siehe Bildunterschrift

Johann Strauß mit seiner ersten Frau Henriette Treffz zur Zeit der Pariser Weltausstellung, 1867

Als Demoiselle Treffz vom Kärntnertor an die Josefstadt kommt und (September 1844) Aubers Sirene singt, nötigt sie dem Kritiker von Bäuerles Theaterzeitung prophezeiende Liebenswürdigkeiten ab: »Gewiß wird dieses freundliche, so schön befähigte Talent sich noch rühmlichst Bahn brechen.« – Das Jahr darauf, als Pokorny, der böhmische Napoleon, sie mit Staudigl und der Mara für seine Oper im Theater a. d. Wien gewinnt, scheint diese Bahn schon gebrochen. Ganz Wien, auch Jean, schwärmt zwar von Jenny Lind, aber Berlioz vergißt der Treffz nicht in seinem Wiener Reisebrief. Ihr Stern geht auf, leuchtet auf deutschen Bühnen, während der Revolution in englischen Konzertsälen; in den Fünfzigerjahren kehrt Henriette Treffz im Glanz der Gefeierten nach Wien zurück, klug genug, sich nicht zu überleben.

Sie zieht sich, wie die Phrase lautet, ins Privatleben zurück. Nach amourösen und theatralischen Erfahrungen eine Dame von Welt geworden, gewinnt sie im letzten Drittel ihres Lebens den Mann, dem sie Wert und Schicksal wurde. Am Tag nach ihrer Hochzeit schrieb sie an Josef, den Bruder ihres Mannes:

 

»Ich fühle mich so überaus glücklich und selig, meinem Jean, den ich mit aller Kraft der Seele und des Herzens liebe, anzugehören, daß ich darüber so manchen bittern Schmerz, den ich in dieser letzten Zeit zu empfinden hatte, überwand und mein Auge vertrauensvoll der Zukunft zuwende ...«

 

Witterung hatte Jean zu dieser Frau geführt. Gustav Mahler sagte mir einmal: »Unter Millionen Frauen gerade die zu finden, die man braucht, ist ein Glück, das dem besten Einfall eines Künstlers gleichkommt ...«

Jetty war dieser Treffer. Sie besaß Weltkenntnis, die ihm fehlte. Ein einziges Wort von ihr über seinen Bruder Josef – »er ist timid« – sagt mehr, als alle Biographen von ihm sagten. Sie besaß schmiegende Elastizitäten, ergänzenden Widerspruchsgeist und besaß, worauf es bei der Künstlerfrau vor allem ankommt: das Talent der Gemeinschaft.

Das Paar zog in die Singerstraße, in die Praterstraße (wo die »Schöne blaue Donau« entstand), dann nach Hietzing, wo Jean eine hübsche Villa (Hetzendorfer Straße) kaufte. Sie richtete sie – nicht für beide – sondern für ihn ein, ihr Geschmack rückte seine Bürgerlichkeit ins Elegante, ja Überelegante, sie schuf die Sphäre für den zum reinen Schaffen Aufgestiegenen. Nach vielen Wohnungen besaß er den Luxus eines Heims, er wird k. k. Hofballmusikdirektor, zieht sich von 1864 an fast ganz vom Dirigieren der Gasthaus- und Gartenkonzerte zurück, überläßt die Kapelle seinen Brüdern und taucht nur noch in Ausnahmsfällen auf: zur Première seiner neuesten Walzer. Er nimmt Jetty mit nach Rußland, sie singt im Petersburger Hofkonzert (ihr letztes Auftreten), er schreibt manches Stück in Rußland für sie, die für ihn lebt.

Als Johann und Josef Strauß 1869 zusammen in Pawlowsk verpflichtet waren, schreibt Josef an seine Frau Lina: »Jetty ist unersetzlich. Sie schreibt alle Rechnungen, sie dupliert alle Stimmen des Orchesters, sie sieht in der Küche nach und wacht über das Ganze mit einer Sorgfalt und Liebenswürdigkeit, die bewunderungswürdig ist ...«

Jetty war nicht Nuance, nicht Abenteuer, sondern ein neues Erlebnis: die umsorgende Frau. Der Chef seiner Gesundheit und Behaglichkeit und – der unauffällige Diener seines neuen Werkes, das nun beginnt.

Diese Ehe dauerte ein halbes Menschenalter und in ihr reift Strauß zum Weltruhm. Frau Jetty ist es, die die typisch wienerische Bescheidenheit ihres Mannes zum Selbstvertrauen erhöht und den Walzerkomponisten zur Operette drängt. In ihre Zeit fallen Indigo, Karneval und – das Meisterwerk seines Lebens – die in sechs Wochen in Hietzing hingeschriebene Fledermaus, an deren Textwahl Jetty gewiß entscheidenden Anteil hatte. Nur wenige Mißgriffe fallen ihr zur Last: die Ablehnung des Textbuches zu Fatinitza, das dann Suppé komponierte; und im Gegensatz dazu die Annahme des Textes von Methusalem, einer Offenbachiade ohne Offenbachschen Esprit. Aber wer irrt nicht bei Textbüchern und sei es der klügste Mensch mit der reichsten Erfahrung? Buchwahl ist noch heikler als Brautwahl.

Jetty ist es, die den Reisescheuen kurzerhand auf Eisenbahn und Dampfschiff setzt und ihn zur großen Amerikafahrt von 1872 überredet, von wo er Lorbeeren und Dollars in reichem Maße heimbringt. Er konnte mit seiner Vittoria Colonna zufrieden sein.

Ob sie es mit ihm war? In den letzten Jahren dürfte sie schmerzlich erfahren haben, daß keine Leidenschaftlichkeit des Herzens über ein natürliches Gesetz triumphieren kann. Jetty suchte die unwillige Jugend auf ihren Wangen festzuhalten – vergebens täuschte blauweiße Schminke einen Mai vor, der ein Spätherbst war – und Johann, dessen Instinkt den Frühling suchte, entwich unter dünnen Vorwänden ins nahe Dommayerkasino zu Spiel und Gesellschaft, zu Freunden und allerhand Freundinnen. »Es ist ein eigner Zauber mit dem Herzen«, sagt der philosophische Nestroy, »man verschenkt's hundertmal und es kommt immer wieder zurück, man glaubt oft, es ist noch fest bei der oder jener, auf einmal sieht man in ein Paar schöne Augen – bum, bum, bum, bum, fängt's zu klopfen an – da ist's schon wieder.«

Bei Jean scheint das Herz sehr oft »Bum-bum-bum« gemacht zu haben. Doch Frau Jetty übersah es mit der Weltklugheit der Alternden, die nicht lächerlich werden und einen aussichtslosen Kampf gegen den Rhythmus der Natur führen will. Am 9. April 1878 starb sie plötzlich und mit ihr starb ihm der Geheimsekretär, Diplomat, Finanzminister, Regisseur, Impresario, das erste Publikum und die beste Hausfrau.


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