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Die Frühlingsstimmen

»Es ist zwar der Walzer, mit dem alle Schülerinnen debütiren, die in den Duncanschulen das kindliche und doch so anspruchsvolle Programmtanzen gelernt haben; aber er ist darum doch der schönste Walzer für ganz junge Mädchen, die noch nicht um des Mannes willen und mit dem Manne tanzen, sondern dabei ganz zärtliche Vorstellungen von elfenhafter Jugend, lichtgrünen Buchenwäldern im Mai und weißen Kleidern haben ...« (Otto Flake, Logbuch.)

Das gibt die poetische Seite der Sache, das unvorhandene Programm des Walzers. Er hat noch ein musikalisches: eine zweiteilige Arabeske rollt über einen dreiteiligen Rhythmus, den sie naiv negiert; gewichtlose Bögen eilen über die Taktstriche empor und bilden bis zum Scheitelpunkt einen großen Gesamtauftakt. Hier besinnt sich die Bewegung, rollt in Halbtönen zurück, zerflattert und das Spiel zwischen der wider den Takt rollenden Figur und dem geordneten Sinken beginnt von neuem.

Wenn die anderen Strauß-Walzer geigengeboren sind, so sind die Frühlingsstimmen klaviergeboren, entsprungen dem alten Wiener Figurenwerk, das Hummel primitiv, Schubert köstlich verwertet. Der Humor der Sache ist: man weiß nicht, wo der Walzer anfängt ... unten oder oben?

 

Gewöhnlich wird ein Walzer nur nach seinem ersten Motiv, d. i. nach seinem Gesicht gewürdigt; wichtiger ist die Schlußbildung, die Ausprofilierung des Linienganzen. Ein mattgeführter Schluß macht den ganzen Walzer matt wie ein schwacher Aktschluß den stärksten Akt wirft. In den Frühlingsstimmen bildet die Zickzacklinie des Schlusses einen genial erfundenen Kontrast zum Figurenrollen des Anfangs. Das Ganze schwingt nur um die harmonischen Schwerpunkte von f (Dominante) und b (Tonika) und wieder zeigt sich Strauß als Meister vom Mozarttyp, der die Reize des Umrisses als primäre Schönheit empfindet und vor allem die delikate Linie zeichnet. Einen andern Gegensatz bildet dazu der dionysische, der As-dur-Teil des Walzers mit seinen leisen Trillern.

 

Die Frühlingsstimmen (Werk 410) haben ihre Geschichte. Zuerst, von der Koloratursängerin Bianca Bianchi in einer Akademie des Theaters an der Wien gesungen, gefielen sie fast gar nicht: man fand sie »mittelmäßig« ... »mit Koloraturen überladen« und »wenig melodiös«. In Rußland, von Strauß 1886 aufgeführt, wurden sie dagegen begeistert aufgenommen, ebenso in Italien angejubelt, eine Auslandsbestätigung, der ähnlich wie bei der Fledermaus die Inlandsbewunderung folgte. Der Walzer wurde eine Domäne der Koloratursängerinnen. Seine Klavierausgabe ist nicht ohne Grund Alfred Grünfeld gewidmet. Und wenn Alfred Grünfeld die Frühlingsstimmen spielte, den Baß wie ein Präzisionswerk, ohne Flucht ins Pedal, dann erlebte man den delikaten Wiener Klaviergeist und hatte davon nie zuviel.

Ins Volk ging dieser Typ des noblen Konzertwalzers nur zögernd. Ein – Kunstpfeifer aus fiakerischen Schrammelkreisen, der »Baron Jean«, hat ihn zuerst in den »enteren Gründen« bekanntgemacht, wie die Volkssängerin Ulke das »Wiener Blut«.

Die Straußische Ekstatik ist hier abgemildert zu einer keuschen Erotik. Wie viele Seelen umschloß die eine Seele Strauß! Mit den Frühlingsstimmen kehrt der Sechzigjährige aus der Schwüle des Operettenwesens zu reinen inneren Regionen heim. Weit aristokratischer als das Kinderstubenduett im Lustigen Krieg mutet der Walzer wie ein unbewußtes Sühnegeschenk des Bühnenhandwerkers an. Der Künstler löst sich vom Allzuirdischen und Ewigbefleckten und einer idyllischen Glücksstimmung, einem besonnten Schweigen entsteigt die freie, raumdurchschwebende Kurve.


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