Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Des Wanderers Lebewohl

»Grüne Donau, deine Wellen
Rauschen mir zum letztenmal,
Muß den Brüdern mich gesellen,
Wandern muß ich bei dem hellen
Trommelklang aus diesem Tal.«

J. v. d. Traun.

 

Als Vater Strauß 1849 nach Heidelberg kommt, defilieren die Studenten, schwarzgelbe Mützen auf den Köpfen, höhnend an ihm und seiner Kapelle vorüber. In Prag denkt man an eine Katzenmusik, worauf er alles »Anstößige« aus dem Programm entfernte. Der Radetzkymarsch galt als Hymne auf den Schergen, den Henker der italienischen Freiheit, sein Komponist als Schranze und Ultrakonservativer. Seine Zeit war vorbei.

Zu müden Triumphen geht er nach Belgien und England. In London spielt er vor Metternich und seiner Familie. Der einstige »Fels der Ordnung« bricht in Tränen aus, als er, ein Heimatloser, Wiens Musik hört. Die Größen von gestern, Ausländer, waren Strauß noch Publikum.

Nach Wien zurückgekehrt, tritt er wieder in Ungers Kasino auf. Treue empfängt, Pietät bewillkommt ihn. Er setzt zum alten Zauber die Geige ans Kinn – da, beim ersten Strich zerbricht der Bogen.

Er ist erst 45 Jahre. Wie doch? Ein Zufall kann kein Zeichen sein. Nie fühlte er sich wohler. Er tritt zum zweiten Male auf, an der gleichen Stelle und nun merkt er: es ist des Wanderers Lebewohl – er kann nicht weiter. Es war der 16. September. Neun Tage später war er tot.

Eines der kleinen Mädchen, die aus der freien Ehe mit Emilie stammten, erkrankte an Scharlach. Ahnungslos herzte er das Kind. Er schrieb an einem Festmarsch für Radetzky, dem zur Heimkehr aus Italien ein Bankett gegeben wurde. Strauß sollte den Marsch nicht vollenden. Mitten in der Partitur mußte er abbrechen, das Werk unvollständig auf dem Klavier liegen lassen. Ärzte kommen – Dr. Innhauser, Dr. Raimann –, sie können nicht helfen. Der Körper ist erschöpft, die Nervenkraft verbraucht; der Tod, dessen Keim der Kranke von den Lippen seines Kindes saugte, hat leichte Arbeit. Am 25. September 1849 nach zwei Uhr morgens war Johann Strauß Vater verschieden.

Was sich in den Stunden nach seinem Tod zutrug, wird immer rätselhaft bleiben. Ein Markthelfer läuft über die Donaubrücke ins Hirschenhaus hinüber und meldet der Gattin, den Söhnen den Tod. Sie gehen in die nahe Kumpfgasse. An den Straßenecken kleben große Plakate, die die persönliche Mitwirkung des k. k. Hofballmusikdirektors Johann Strauß beim Radetzkybankett anzeigten.

Sie betreten die Wohnung im Andräschen Haus, ein finsteres Kabinett mit einem Fenster. Früher stand ein altmodischer Flügel darin, den er als Schreibtisch benützte, Möbel und Käfige – Strauß war ein großer Tierfreund –, jetzt war alles ausgeräumt, der Raum leer, bis auf das Bett. Darin lag, auf bloßen Brettern, der Leichnam des Vaters, des Hofballmusikdirektors, des Ehrenbürgers von Wien und Bezauberers einer Generation. Josef drückte Oblaten auf die offenen Augen.

Emilie Trampusch blieb verschwunden. Angst vor den Verwandten, vor der Zukunft, Eigennutz, verwirrtes dumpfes Gefühl oder alles zusammen mögen das Unerklärbare erklären. Man weiß nur, sie mißhandelte das unschuldige Geschöpf, das den Tod des Geliebten verschuldete, verließ Wien und sank in die sozialen Tiefen zurück, woraus sie gekommen war. Sie nahm alles aus der Wohnung, nur nicht das Bewußtsein, einem großen Künstler gehört zu haben. Johann, der Sohn, unterstützte sie; es war vergeblich: sie endete als Wasserträgerin. Die letzte ihrer Gebärden enthüllte ihre unvornehmen Instinkte: eines Tages waren die Laternen vom Grab des Johann Strauß verschwunden; Emilie, die gerade nichts zu essen hatte, stillte vom Erlös ihren Hunger.

An der Bahre trauerten die Menschen einer Stadt, wie immer den Wert eines Mannes im Verlust erkennend – doch man kann diesen Klischeesatz nicht vollenden. Die pompöse Ausdehnung und Größe der Leichenfeier, die an Beethovens Leichenbegängnis erinnerte, die Beisetzung neben Lanner, dem Freund; die Nachrufe Bauernfelds und L. A. Frankls, das dauernd treue Gedächtnis Wiens, das Lanner mit Strauß, dem Freund, auf einem Doppeldenkmal vereinte (1905), darf uns hier nicht beschäftigen: man findet darüber alles in Fritz Langes zuverlässigen Büchern. Wir haben nach dem Sohn zu fragen, wie er dies Erlebnis litt und trug.

Natürlich, daß die Kapelle, des Führers beraubt, nach dem Erben des Namens und Talents ausschaute. Und nach einigen Musikerbedenken – den einen war er zu flott, andere wußten einen besseren – gab der alte Primarius Amon den Ausschlag, der Jean von den Bubenhosen her kannte. Und so fiel die Wahl auf ihn: am 2. Oktober 1849 dirigierte er im Kolonnadensaal des Volksgartens sein erstes Konzert.

Natürlich, daß er eine Akademie zu Ehren des Vaters gab, worin er dessen Leben aufrollte bis zum letzten abgebrochenen Stück, dem Festmarsch, den er als Erinnerungsgabe verteilen ließ, bis zum Radetzkymarsch, mit dem die Feier schloß. Der Abend fand in den Sophiensälen statt und galt der Enthüllung des Modells zu einem Denkmal. Natürlich aber in einer stets zu Scherbengerichten geneigten Stadt, daß er, mit Unrecht an die Spitze der Kapelle getreten, mit Unrecht Nachfolger spiele. Schwärmerei für den Vater entzündete sich an sich selbst und entlud sich in Gehässigkeit gegen den Sohn.

Wieder sieht er sich mißverstanden und seine Harmlosigkeit zu einem Kampf mit dem Toten gedrängt; und während niemand die Familienwirren schmerzlicher erlebte als er, wird er von der Unkenntnis, die immer flott im Anklagen ist, beschuldigt, sie herbeigeführt zu haben. So veröffentlicht er denn (Dezember 1849) in der kaiserlichen »Wiener Zeitung« eine Abwehr, deren Länge verrät, wie schwer sie ihm fiel, und rechtfertigt als Sklave der Zeit Dinge, die eigentlich niemanden etwas angingen.

Er weist auf eine verlassene Mutter und unmündige Geschwister:

 

»Sie zu unterstützen und zu nähren, wagte ich mein schlichtes Talent anzuwenden. Ein schwacher Hebel – doch er sollte drückende Last heben ... Nicht messen wollte sich der Sohn, im Bewußtsein seiner Schwäche mit der bewährten Stärke seines Vaters! Gott sei mein Zeuge, nein! Doch des 19jährigen Jünglings Pflicht war es geworden, kein unnütz Mitglied in einem Familenschoß zu bleiben, dessen Oberhaupt und natürliche Stütze ein beklagenswertes Geschick moralisch seinem Wirken entrissen ... Mich aber umschwebe der segnende Geist meines theuern Vaters, er führe mich der heitern Muse zu, die jetzt an seinem Grabe weint und lasse mich einst des Vaters würdig zeigen ...«

 

Ein Jahr vorher bestieg ein junger Mann von 18 Jahren – Franz Joseph – den österreichischen Kaiserthron; und Johann Strauß wurde ungerufen, unbewußt, sein Mitregent.


 << zurück weiter >>