Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Methusalem

Im Frühjahr 1920 erschien im Wiener Metropole-Theater und darauf im Raimund-Theater, aus langem Schlaf erwacht, der Prinz Methusalem, die Operette, die am 3. Januar 1877 zum erstenmal im Carltheater aufgeführt worden war.

Wiedererweckt?

Wiedererwecken lassen sich alte Operetten im allgemeinen schwer – sie lassen sich pflegen – und bei Methusalem, der mit dem 969 Jahre alt gewordenen jüdischen Erzvater nur den Namen gemein hat, muß ohne Staubwegblasen, Herzeinsetzung und Ganz-Neu-Machen die Mühe immer vergebens bleiben: wie soll weiterleben, was halbtot zur Welt kam ...?

Bei jenen Versuchen atmete nur noch die Musik, als habe sie eine eigene Vitalität und teile sie mitunter sogar dem unglaublichen Text mit, an dem sie sich zufällig band.

Was den Zeitgenossen daran gefiel, sie bis zum Rausch entzückte, ließ sich sehr gut verstehen. Es waren in erster Linie die Darsteller: der junge Matras, dessen neue Rollen Gespräch der Stadt waren; Knaack, dessen Komik selbst einer Roßhaarmatratze wie dem Cypriano Funken entlockte; die junge Toni Link mit den schönen Beinen in der blitzfeschen Prinzenuniform, das Generalslied trompetend – und dann die Musik, die neue Musik, die den ganzen Textunsinn in eine goldtönende Wolke hüllte.

Und mit einemmal schien der schöne Maiwalzer, den Vulcanio am Anfang singt, um damit für immer zu verschwinden, gar nicht mehr sinnlos. Das Motiv der Einleitung (6/8, F-dur), das auf dem Leitton e abbricht, ist die Sprache des Unerfüllten. Dann der Chopinsche Schwung einer romantischen As-dur-Gebärde. Zuletzt die erinnerungsschwache Kavatine (&#8540;) mit dem dreinflüsternden Chor:

O schöner Mai
Der Liebelei,
Spitzbüberei,
Vorbei, vorbei!

Das ist die Elegie eines Alternden, eines, der im Verzichterlächeln seine Jahre zählt, und das Stück, das in eine schmerzlich-heitere Abschiedswehmut verhallt, wiederholt seufzend die Straußische Lebensweisheit: »Man lebt nur einmal!« Und diese Klage von der scheidenden Jugend hat die Menschen ergriffen seit Raimunds »Brüderlein fein« bis in die Tage der Marie Theres im Rosenkavalier.

Franz von Jauner, damals Direktor des Carltheaters, suchte Strauß von der Wien an seine Bühne zu locken. Victor Wilder und Delacour hatten den Indigo für Paris glücklich bearbeitet; er bestellte bei ihnen hoffnungsvoll ein neues Libretto eigens für Johann Strauß, Pariser Esprit, – das mußte bei ihm verfangen. Es verfing auch – man muß sagen: leider –, denn Strauß unterlag dem Zeitgeschmack.

Man hat Strauß oft genug – wir wissen es – mangelnden Bühneninstinkt seiner Textwahl wegen vorgeworfen. Mit Recht und Unrecht. Ein schlechtes Buch tadeln ist leichter als ein gutes herausfinden. Die feinsten Nasen täuschen sich: Lustigkeiten des Buchs schrumpfen zu Kläglichkeiten, scharmante Menschen fallen ins Unsympathische und Albernheiten, die man streichen wollte, machen den Erfolg einer Szene. Was Strauß fehlte, war die Witterung für Fragen, die die Zeit berührten und befreiten.

Mit köstlicher Kompliziertheit stellte er sich zu den Dingen: bald mit Überängstlichkeit, die nichts berühren will, bald mit kindlichem Enthusiasmus, der nicht warten kann; bald sieht er mit Ironie über die Welt und ihre Librettisten, erkennt im voraus sich anbiedernde Seichtigkeit und fällt ihr schließlich doch hinein. Er schreibt einem Autor, der ihm einen Einakter bietet: warum nur einen Akt? Das Publikum ist gewöhnt, sich bei dreien zu langweilen, es soll nicht so billig davonkommen! Ein andermal will er mit einem Librettisten Bruderschaft trinken, denn »du Esel!« sage sich leichter als »Sie Esel!« Im Simplizius wieder übertraf er arbeitend seine eigene Leichtigkeit und Raschheit, weil der Stoff ihn förmlich in die Komposition jagte:

»Diesen Naturburschen in Musik zu setzen, machte mir wahrlich Vergnügen und es ging aus mir heraus, ohne einen Moment auf ein Thema zu sinnen ...«

Dabei entwickelte er höchst eigenköpfige dramaturgische Meinungen:

»Hildegarde und Armin bleiben die langweiligsten Figuren in dem soi-disant-Werk. Das ganze Interesse absorbiren Simplizius und Tilli. Alles Andre entbehrt einer charakteristischen Zeichnung. Armin ist da, um eine Tenorstimme in der Operette singen zu haben. Wenn er dreinplärrt, ists eigentlich – ein Unsinn, weil er in der Handlung der Herr von Unnütz ist.« (An seinen Freund Priester.)

Und doch hat Strauß den Simplizius komponiert, liebevoller sogar als andere Bücher, und ging sehend in den Durchfall, aus dem keine Musik den geliebten Naturburschen rettete.

Dazu kamen die fatalen Betriebsnotwendigkeiten. Wer eine Operette geschrieben hat, ist ihr verfallen und wird eingeklemmt zwischen die Wettbewerbe von Verlegern und eigenen Ehrgeiz, er ist ein Leibeigener novitätengieriger Direktoren. Seinem Entschluß wird keine Zeit gegönnt und es soll Kniffe findiger Librettisten geben, denen selbst der Abgebrühteste nicht gewachsen ist.

Dazu kommt noch ganz Persönliches. Er lebte abgeschlossen von wertvolleren Kreisen des Schrifttums; verzichtete lieber auf dichterisches als auf weltmännisches Talent. Mehrmals lud er Menschen von Namen und Qualität zu sich; aber der eine aß, schrecklich zu sagen, die Torte mit dem Messer, der andere erschien zur Soirée nicht in Abendtoilette – Strauß, der Hofmann, lud sie nicht mehr ein.

Die Noblesse seines Wesens, so fruchtbar im Bilden edler Linie, im Halten von Niveau und Abstoßen flacher Billigkeiten, zeigte hier ihre unproduktive, ja hemmende Seite. Jeder hat den Umgang, den er schafft, aus Ursachen, die tief in seiner Natur liegen – unsere Freunde sind unser Schicksal! –, und wenn Strauß seinen Genius nicht bis ins Letzte an einer Dichtung befreien konnte, die Gemüts- und literarische Werte band, so ist nicht allein die unfruchtbare Zeit, der widerwillige Zufall, die österreichische Misere daran schuld.

Getrennt von Menschen, die kongenial oder überlegen seiner besonderen Geistigkeit waren, komponierte er die – mehr oder weniger – guten Libretti der protokollierten Buchfirmen und zuletzt die Journalistenbücher mit zumeist schlimmen Erfahrungen. Selbst kein polemischer Künstler, von niemandem dazu gestachelt, ein Bejaher gesellschaftlicher Notwendigkeiten, will er seine Ruhe nicht gestört, seine Produktivität durch Ärger nicht beeinträchtigt sehen, sich's mit Journalisten nicht verderben.

Nun besaß er ja Jetty, sein alter ego, seine Frau, die, vom Theater kommend, Theaterwitterung besaß und sie bei der Fledermaus bewährte, sich aber, im Zeitgeschmack befangen, auch oft täuschte.

Nun haben wir genug schwache Seiten aufgezeigt. Einigermaßen versöhnend schlichtet den Streit um die tragischen Buchqualen sein Hauptlibrettist Richard Genée:

»Man hat dir oft zum Vorwurf gemacht,
Du habest beim Wählen nicht reiflich bedacht,
Ob auch das Libretto gefallen werde!
Meist saß ich da mit auf dem Flügelpferde:
Es trug mich geduldig.
Ward dadurch ich schuldig,
So sei's drum! Zum Worte gabst du Melodie,
Die ist nun unser! Mich reute es nie!«

Das Buch von Methusalem war nach der Fledermaus ein Rückfall in die Offenbachiade, der Strauß auf eigene Weise entkommen war.

Im Methusalem soll der Sohn des einen Königs – erster Operettenschwachkopf – die Tochter des anderen Königs – zweiter Operettenschwachkopf – heiraten; aber bei dem 1. König (von Ricarac) bricht Revolution aus, er fällt vom Thron; der 2. (von Trocadero) will nun nicht mehr. Der Entthronte und seine Frau ergreifen ein ehrliches Gewerbe – Bänkelsänger mit der Harfe – und werden, schon 1877, Bild von Fürstenschicksalen nach beiden Weltkriegen. Methusalem, der Prinz, siegt zuletzt militärisch und erotisch über die Dinge.

Nur ein Genie der Respektlosigkeit wie Offenbach hätte diesen Stoff gemeistert; aber auch Offenbach hielt nach Napoleons Sturz seinen Roi Carotte als unzeitgemäß zurück. In den Händen eines Mannes wie Strauß, dessen Politik die Heiterkeit und Harmlosigkeit und der in keiner Herzensfalte Umstürzler oder Zersetzer war, mußte das Pasquill in Halbheiten verrinnen. Es schillert anfangs noch parodistisch, gerät bald ins Hanswursthafte und bleibt darin stecken. Der alte Bauernfeld machte solche Scherze viel besser – allerdings vor 1848 – und Jauner hätte sich nicht nach Paris wenden müssen.

Die Hauptsache aber: in der Komödie ist nicht ein menschlicher Schatten zu Hause. Man kann gar nicht sagen: Puppen. Es sind in Rokoko gekleidete Destillate aus der Karikaturenschachtel des großen Jacques.

Die Zeitgenossenkritik war diesmal nicht so blind. Sie beugte sich einem Erfolg, den die Musik gegen den Text errang, und bedauerte gleicherweise Publikum wie Komponisten. Und wenn einmal das oft mit Unrecht gefluchte Wort vom »Operettenblödsinn« mit Recht gebraucht war, dann hier.

 

»Man wird bald die Arien aus Methusalem auf der Straße hören, denn eine schöne Melodie bleibt nicht lange ein Geheimnis. Schon am ersten Abend fühlt der Glückliche, der sie gehört hat, das Bedürfnis, sie beim Hinaustreten auf die Straße aller Welt zu verraten. Und bald ist sie die unzertrennliche Begleiterin des Bummlers, der müßig, die Hände in der Tasche, dahinschlendert: es trällert sie der Verliebte, der auf seinen Schatz wartet, es singt sie die Magd, während das Wasser aus dem Brunnen in ihren Krug rinnt, und endlich ist sie Gemeingut sämtlicher Lercherln der Schusterwerkstätte, wenn sie mit den auf dem Rücken baumelnden Stiefeln über das Straßenpflaster dahinfliegen. Was ist Popularität des volkstümlichen Dichters gegen die des Musikers? – – – Es ist aber schade, daß die hüpfenden Melodien unseres Strauß einen so langweiligen Text zu remorkiren haben. Die Operetten sind nur mehr in Musik gesetzte Satiren, gegen die weder die Tonsur, noch das Portepée noch die Krone und selbst nicht die Unsterblichkeit schützt, denn wir haben immer die Schwächen der Priester, Generale, Monarchen und Götter mit dem Fiedelbogen geißeln gesehen oder gehört ... (Jetzt scheinen sich die Librettisten über das Publikum selbst lustig zu machen.) Aber die Naivetät ist glücklicherweise unsrer sonst so klugen Zeit noch nicht verloren gegangen, ich habe in der Schönen Helena Ehemänner, in der Großherzogin von Gerolstein Stabsoffiziere und zu meiner angenehmen Überraschung in Prinz Methusalem sogar ein düpiertes Publikum lachen sehen.« (Daniel Spitzer, Wiener Spaziergänge, 111, S. 122–124.)

 

Im Methusalembuch feiert die musikalische Natur des Künstlers Orgien: es wird seine dickste Partitur. Er komponiert in die Operette einige Operetten und eine Oper hinein. Da ist der sentimentale Einlags- und der schäumende Finalwalzer, die emotionelle Polka, das feingespitzte Couplet, das leiernde Bänkel, die Spielopernlyrik (Duo des zweiten Aktes), das fliegende Rezitativ, das freie Arioso; dazwischen Opernromantik: ein Mondnacht-Nokturno mit Cello-Kantilenen unter Violin-Tremolo, dann die auf dramatisches Schauer-Tremolo gelegten erotischen Synkopen des Prinzen (»Welch ein holdes Bild!«); und neben diesen Opernträumen graziöse Prickelmärsche mit einklingenden Meistersinger-Mittelstimmen (Prinz: »Saperlot, dacht ich, man will mich vermählen«). Endlich die Technik der Imitationen, der Terzenrucke, – ein Wasserfall von Musik über eine Handlung, die ein unbewegbares Mühlrad bleibt.

Der Straußische Spitzbubenhumor, das Wiener Blut zuckt in Rhythmen wie: »Alle Wetter, lieber Vetter«, dann im berühmten I-Tipferl-Couplet, worin Unsinn eine unwiderstehliche Form findet, in der Ausgelassenheit des wortgeborenen Finalwalzers »Wie dem auch sei«, im martialisch-schmetternden, aufpulvernden Generalslied mit seinem Forte- und Pianobluff und im Walzerduett »O du mein Ideal!« Wenn hundert Komponisten Untexte wie »Million-Bomben noch einmal« vorlagen –, außer Offenbach konnte nur Strauß dazu die schleudernde Rhythmik finden, die diesen Worten Flug verlieh.

Strauß schrieb im guten Sinn »Musik für alle«, Melodik, die jeder mit nach Hause nehmen konnte, denn – er äußerte es wiederholt – die Leute auf der Galerie haben nicht Klavierauszüge, geschweige denn Klaviere und das Gedächtnis ist oft ihr einziger musikalischer Besitz. Ein schöner, das Soziale streifender Zug des Künstlers. Nur fragt es sich, ob das Buch nicht gerade deshalb größere Kontrollpflichten verdiente, denn auch das Buch nahmen sie mit nach Haus –, wenn sie es nicht – wie bei Methusalem – draußen liegen ließen ... Methusalem schien mehr für »Gesellschaft« und Habitués geschrieben als für das Volk.

War es der Leichtsinn der Siebzigerjahre, Wut zum Erfolg oder der Druck der Herren Direktoren, der Strauß bestimmte? Mit seinem rhythmischen Luxusbesitz war eine Qualitäts-Operette zu schaffen, die viele Musikdramen überdauerte.

Und doch –! Der Schöne-Mai-Walzer überwältigt und entwaffnet. Man braucht ihn bloß unvermutet zu hören und spürt seine holde Sentimentalität, ohne sich wehren zu können; er löst unsere Versteinerungen in eine unbestimmbare süße Trauer.


 << zurück weiter >>