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Der Liebling der Welt

Im Jahrzehnt 1870-1880 wiederholt sich ein Motiv des väterlichen Lebens in großer Verbreiterung: Johann Strauß durchmißt die Alte Welt und erobert, was dem Vater Traum geblieben war: die Neue. Nicht aus der Byron- und Lenau-Dämonie heraus – der Reisescheue hätte lieber seine kaiserlich wienerische Ruh' gehabt –, aber sein Ruhm zwang, Managertum verführte ihn durch Anträge, deren Hintergründe Gold und Lorbeeren bildeten.

Zunächst Amerika. Der 100-jährigen Gedenkfeier der Unabhängigkeitserklärung der 13 nordamerikanischen Staaten (1776), für die Richard Wagner einen Marsch komponierte, ging eine Art lokaler Feier in Boston (1872) voraus, da Boston als Hauptstadt des Staates Massachusets schon 1772 die Lossagung von England beantragte. Boston plante Konzerte von mammuthaften Ausmaßen, lud dazu Johann Strauß ein und machte eine unwiderstehliche gastliche Gebärde: freie Überfahrt, freie Station während des ganzen Aufenthalts – coute que coute! – für Strauß, seine Frau, seine Dienerschaft und im Vorhinein hunderttausend Dollar, die bei der Anglobank in Wien hinterlegt wurden. Diese gewichtigen Gründe, verstärkt durch das Zureden der klugen Frau Jetty – sie ermaß die Bedeutung der Fahrt –, übertönten alle Gegenargumente und Meister Johann wurde in den Entschluß gedrängt.

Am 1. Juni begann das Abenteuer von Bremerhaven aus. Der ängstlich bebende Neurastheniker war der Seetüchtigste von allen, wie das häufig vorkommt. Er veranstaltete sogar einen Tanz auf Deck – eine preußische Gardekapelle fuhr mit – und da er selbst nicht Tänzer war, mußte sein Diener die Kavaliersrolle bei den Damen übernehmen und zum Walzer antreten.

Amerika empfing ihn mit großzügiger Reklame: an den Straßenecken Bostons lauerten haushohe Anschlagbilder, worauf er sich als einen König erblickte, der auf der Weltkugel thronend über das Universum den Taktstock als Zepter schwang; und dieses Plakat, das ja Wahrheit enthielt, bildete den Auftakt zu einer Reihe grotesker Szenen, deren Held halb belustigt war, halb um sein Leben bangte.

Strauß mußte vertragsmäßig 14 Konzerte abhalten, was leichter zugesichert als getan war. Die Konzerte fanden in einer hölzernen Riesenhalle statt, worin 100 000 Menschen, die Bevölkerung einer europäischen Stadt, Kopf an Kopf saßen. Sechs Konstabler gingen ihm und seinem Diener, der die Geige nachtrug, voran, den Weg zum Dirigentenpult wie Schneepflüge bahnend. Frauen küßten seinen Rocksaum. Männerkehlen donnerten zarte Cheers in seine Ohren, Autogrammjäger fielen ihn wie Hummelschwärme an, Ladies belagerten sein Haus einer schwarzen Locke wegen, und schließlich fürchtete Stefan, der Diener, daß der schöne Neufundländer, dem er die »Straußischen Originallocken« abschnitt, kahl nach Europa zurückkehren werde ...

Den Donauwalzer sangen zwanzigtausend Sänger. Um sie nur halbwegs zu beherrschen, mußte Strauß hundert Unterdirigenten aufstellen, die seinen Takt abnahmen und weitergaben. »Allein ich konnte nur die Allernächsten erkennen, und trotz vorhergegangener Proben war an eine Kunstleistung, an einen Vortrag und dergleichen gar nicht zu denken. Eine Absage hätte ich mit dem Preis meines Lebens bezahlen müssen. Nun denken Sie meine Lage angesichts eines Publikums von 100 000 Amerikanern. Da stand ich auf dem obersten Dirigentenpult – wie wird die Geschichte anfangen, wie wird sie enden? Plötzlich kracht ein Kanonenschuß, ein zarter Wink für uns Zwanzigtausend, daß man das Konzert beginnen müsse ... Ich gebe das Zeichen, meine 100 Subdirigenten folgen mir so rasch und gut sie können, und nun geht ein Heidenspektakel los, den ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Da wir so ziemlich zu gleicher Zeit angefangen hatten, war meine ganze Aufmerksamkeit nur noch darauf gerichtet, daß wir auch – zu gleicher Zeit aufhörten. Gott sei Dank, ich brachte auch das zuwege. Es war das Menschenmöglichste. Die 100 000köpfige Zuhörerschaft brüllte Beifall, und ich athmete auf, als ich mich wieder in freier Luft befand und festen Boden unter meinen Füßen fühlte. Am nächsten Tag mußte ich vor einer Armee von Impresarios die Flucht ergreifen, die mir für eine Tournee durch Amerika ein ganzes Kalifornien versprachen ...«

An die 14 großen Konzerte schlossen sich noch »auf allgemeines Verlangen« in Boston zwei große Bälle mit einem Orchester von 300 Mann, schlossen sich vier Konzerte im Neuyorker Opernhaus, womit er endlich die Campagne hinter sich brachte. Das Yankeeblut rebellierte wienerisch und man darf sagen, Strauß war der erste König, der Amerika beherrschte. Am 13. Juli landete er aufatmend in Europa: er hatte vor der Abfahrt sein Testament gemacht –, es war umsonst gewesen!

In Wien herrschte gerade die Cholera; so blieb Strauß in Baden-Baden und gedachte zwei Monate in Ruhe zu verschnaufen. Aber er war eines Triumphes nirgends sicher. In Baden-Baden gab es eine Kurkapelle. Und ein gütiger Mensch wie er lehnte nicht ab, sie zu wohltätigem Zweck zu dirigieren. Hier hörte ihn Hans von Bülow, hier hörte ihn der alte Kaiser Wilhelm. Der Kaiser liebte besonders die »Morgenblätter«, das »Künstlerleben«, »Wein, Weib und Gesang«, »Leichtes Blut«, vor allem aber, wie erwähnt, die »Geschichten aus dem Wienerwald«, die bei jedem Promenadekonzert gespielt werden mußten. Für den Kaiser mußte Strauß ein eigenes Konzert im Kurhaus und zwei Abende vor der kaiserlichen Familie veranstalten. Der alte Herr, dem Strauß eine »Kaiser-Wilhelm-Polonäse« widmete, ging mit ihm spazieren, lud ihn ein, ließ ihm öffentlich durch seinen Generaladjutanten den Roten Adlerorden überreichen, kurz, schien sich an dem Straußischen Wiener- und Walzertum kurartig zu verjüngen.

In das Frühjahr 1874 fällt die italienische Reise. Strauß unternahm sie mit dem Langenbachschen Orchester, das er schon 1873 während der Wiener Weltausstellung geleitet hatte. Der Erfolg war ein Trionfo ohne Lamento wie überall und das Ergebnis: die Straußischen Motive blieben in Italien hängen. Melonenverkäufer und Gondolier, Conte und Facchino, Gasse und Palazzo sangen Strauß. Als Billroth kurz darauf Italien bereiste, schrieb er an Hanslick, man höre hier nur Wiener Musik, wie man früher in Wien nur italienische hörte ... Ein Erfolg, um so bedeutungsvoller, als alles Habsburgisch-Österreichische in Italien seit den Spielberg- und Radetzkyzeiten verhaßt war. Gegen Johann Strauß erhob sich keine Irredenta: diese Form des Österreichers ließ man sich gefallen, ja man unterlag ihr.

Zwei Jahre später (Frühjahr 1876) geht's über Leipzig, Hamburg, Dresden, Baden-Baden nach Berlin: in zwölf Abenden wird vom Krollschen Garten aus Berlin erobert. Kaum erschienen, wird Strauß jubelnd begrüßt, man sieht seiner beweglichen Jugendlichkeit die überschrittenen Fünfzig nicht an, man vergleicht die Walzer, wie sie Bilse und wie sie Strauß spielt. Zum Schluß gibt Strauß noch ein Konzert in der Städtischen Turnhalle, Prinzenstraße, zugunsten des Luisendenkmals mit erheblichem Ertrag.

Die letzte dieser Triumphreisen geht nach Paris. Hier war Strauß seit langem zu Hause. Direktor Koning veranstaltet im Renaissancetheater (12. Januar 1877) eine Festaufführung von Indigo. Die Begeisterung macht sich in Straußkrawatten, Straußhüten und -handschuhen Luft. Er dirigiert zusammen mit Olivier Métra die Pariser Opernbälle und bringt sie zu glänzender Auferstehung. Eine chauvinistische Gegenbewegung der Pariser Musiker schlägt in eine Huldigung für Strauß um, der Donauwalzer ruft ein »Frémissement« im Publikum hervor und am Schluß gibt es das übliche Monsterkonzert zu wohltätigem Zweck, woran sich ihm zu Ehren eine Soirée in der großen Oper schließt. Mit einer eleganten gallischen Geste empfiehlt sich Johann Strauß, indem er 1000 Francs für die Vereinigung der Pariser Musiker widmete und um Aufnahme bat, wodurch alle Gegenagitationen erledigt waren. Mit dem Ritterkreuz der Ehrenlegion, das ihm der Präsident der Republik verlieh, verläßt er Paris. Die alte Strauß-Tradition, vom Vater begründet, spinnt sich fort.

Boston, Berlin, Venedig, Paris: – Strauß kehrt in seine Hietzinger Villa als Macht zurück, mehr noch: als Liebling der Welt.


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