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Walzerkritik

Schnell altert die Musik. Ja, es ist ihre Tragik, daß sie, die in ihren neuen Erscheinungen tiefer verletzt und erbittert, sich schneller abnützt als jede andere Kunst. Schauer wandelt sich in Anmut und die Anmut von heute in die Leere von morgen.

Die Altwalzer von Strauß, etwa bis zu den »Morgenblättern«, haben den Duft gilbender Liebesbriefe, ihr Ländler- und Lavendelklang verlangt von uns geschichtliche Einstellung und einmal waren sie junge, rebellische Klänge, denen die Kritik nur unsicher und zögernd folgte.

Zwölf Jahre nach dem Tode des alten Strauß kommt A. W. Ambros (in den Kulturhistorischen Bildern, 1861) noch nicht von ihm los und sieht den Sohn lediglich aus der Optik des Vaters:

»Mit Strauß selbst starb ein guter Teil der elektrisierenden Kraft seiner Tänze. Der schmächtige, blasse Mann mit den negerartigen Gesichtszügen war der eigentlich belebende Geist seines wohlgeübten Orchesters; wie er mit seiner Geige bald in Glanzstellen siegreich aus den Tonmassen hervortrat, bald mit dem Bogen wie mit einem Feldherrnstab gebietende Winke gab, sah man, wie ihm seine eigenen Melodien in allen Gliedern zuckten. Sein Grimassieren war nicht Affektation, er konnte eben nicht anders. Er hat ... die klassische Zeit der Tanzmusik, wie er sie fast persönlich repräsentierte, auch persönlich beschlossen ... Die Welt fuhr indessen fort zu tanzen und verlangte Neues. Johann Strauß der Jüngere trat an seines Vaters Stelle, man pflegt zu sagen: heroum filii nequam. Hier trifft es nicht ein, der jüngere Strauß hat etwas von dem Talent seines Vaters und manches hübsche Tonstück geschrieben. Es ist ungefähr das Verhältnis zwischen Giotto und Giottini, zwischen Palma vecchio und Palma giovane, zwischen Canale und Canaletto. Das Vorbild steht höher, aber das Nachbild darf sich sehen lassen ...«

Auch die musikalische Aufsichtsbehörde ist mit dem »Nachbild« nicht zufrieden. Eduard Hanslick runzelt die Brauen – Lisztsche Akkorde, schwere Instrumentation – und als er in den »Schallwellen« eine Posaune hört, die die Kontrabässe verstärkt, murmelt er das Wort: »Walzer-Requiem«. Er klagt damit öffentlich sein Leid: auch mit dem Walzer gehts abwärts, überall die verruchte unendliche Melodie, kein Winkel ohne Wagner! Offenbach gefiel ihm; Auber, Boieldieu, die Wagnerreinen gefielen ihm; aber, um Offenbach zu ärgern, spielte er in dessen Pariser Wohnung mit Vorliebe Strauß-Walzer ... Er hat später über Straußsche Operetten nicht die holdesten Kritiken geschrieben: aber daß er über sie schrieb, Hanslick, der kritische Mund der Neuen Freien Presse und damit der Wiener Gesellschaft, gab ihnen Ehren und Erhöhung. Und dann hat er Johann Strauß ein schönes, empfundenes Wort nachgesagt, das ihm allerdings der Donauwalzer nicht schwer machte. Diese wundersamen Klänge haben »die Bedeutung eines Citates, eines Schlagwortes für alles, was es Schönes, Liebes und Lustiges in Wien giebt. Ein patriotisches Volkslied ohne Worte.«

Wie gewöhnlich waren die Fremden die ersten Propheten und gerade die Neudeutschen besaßen die seelische Gelenkigkeit für den neuen Strauß. Peter Cornelius entzückt sich im gleichen Jahr (1861) an den »Thermen« und »Accelerationen«, die er mit Karl Taussig im Dianasaal hört.

Und ähnlich ergeht es Richard Wagner. Dreißig Jahre sind vergangen, seit er, ein blutjunger Mensch, in erster heißer Empfängnis Zampa und Strauß in den Sträußelsälen hörte. Und da er nun (1863) das Wiener Hofoperntheater studiert und einem unfruchtbaren Betrieb zornige Reformen vorschlägt, erinnert er sich jener originellsten und liebenswürdigsten Erscheinungen der Wiener Kunst: der Raimundschen Zauberdramen und der Straußischen Walzer. Das waren nicht Industrielle der Musik, das waren Minnesänger und Apostel.

 

Delirien

Heute Montag, den 9. September 1850 findet auf Veranstaltung des

Johann Strauss
im Universum

ein großes Spektakelfest mit Ball und großer teilweise beweglicher Illumination unter dem Titel »Der Kirchtag in den vier Elementen« statt.

Hierbei besonders bemerkenswerth:

Die Luftreise zu Pferd à la Paris.

Der Luftschiffer ein Jokey, der Ballon eigens hierzu neu verfertigt.
... Wasser- und Land-Feuerwerk ...

Ferners werden bei diesem Feste 3 Musik-Chöre: 1. der Unterzeichnete mit der Kapelle seines Vaters, wailand k. k. Hofball-Musik-Directors Johann Strauss, 2. die neuangekommene erste ungarische National-Musik-Gesellschaft unter der Leitung des Herrn Sarkozy Ferencz mitwirken. 3. Musikkapelle des löbl. k. k. 2. Feld-Artillerie-Regiments, unter persönlicher Leitung ihres Herrn Kapellmeisters Seb. Reinisch.

Um 3 Uhr großer Ball, wobei der Unterzeichnete die Musik dirigiren, und nebst den beliebtesten Tanz-Compositionen seine jüngst komponirten »Johanniskäferln« vorzutragen die Ehre haben wird. Herr Rabensteiner arrangirt die Tänze. Vor Beginn des Conzertständchens um ein Viertel auf 7 Uhr findet die Luftreise zu Pferd des Jokey statt, zu welcher der Unterzeichnete eigens einen Marsch, betitelt:

Luftreisemarsch

neu komponirt hat, und bei dieser Gelegenheit
zur Aufführung bringen wird ...

J. Strauss

*

Das Pferd, welches heute die Luft-Fahrt im Universum mitmacht, ist keineswegs, wie das Fremdenblatt ganz unberufen berichtet, aus Pappendeckel.


Das Strauß-Delirium beginnt in den Fünfzigerjahren. Wien rotiert um seinen »Jean« und Jean muß es in Bewegung erhalten. Kein Sonntagnachmittag, den die gute Gesellschaft nicht im Volksgartenkonzert zubringt. Kein Eliteball ohne ihn. Kein Fremder, der nicht drei Dinge sieht: das Kärntnertortheater, den Stephansturm, den Strauß. Über die steile Stiege zu Daums Elysium stürzen am Faschingsamstag neuntausend Personen hinab. Die ersten Karikaturen erscheinen, der »Punsch« zeigt ihn mit Riesenkopf und Lockengewirr auf zwerghaftem Unterbau und dichtet dazu ein geistiges Porträt:

 

Meister der Töne,
Faschingssirene,
Freund der Camöne,
Füßebeschwinger,
Nächtedurchbringer,
Tänzeerfinder,
Russenbezwinger,
Brautkränzebinder,
Gramüberwinder,
Rastlos tactierender,
Länder durchirrender,
Tanzfeinde kirrender,
Ruhmübergossener,
Goldüberflossener,
Nie überragter,
Stets schwarz befrackter,
Unbeschreiblich geplagter,
Walzer herausschüttender,
Potpourris zusammenkittender,
Und alles Ceremoniell
sich verbittender

Wiener Compositeur

 

Dabei hatte auch das Delirium seine vorgeschriebenen Gesetze. Eine Polonäse, gewöhnlich eine Chopinsche, bildete die Einleitung der großen »Elitebälle« oder der wichtigen Vereinsbälle, wobei man paarweise marschierte. Hierauf begann der eigentliche Tanz: Walzer, Française, Mazurka, Quadrillen und zwar die dritte Quadrille vor der »Ruhe« (d. h. dem ausgiebigen Souper) mit einem Kotillon. Nach der Ruhe wiederholte sich die Sache, beginnend mit der »Damenwahl« (einem Walzer) und endigend in ungezählten Schnellpolkas, wozu bei »Bauernbällen« noch der Landler und ein Polstertanz kam. Durch die Reihen aber schritt in hochgeschniegelter Eleganz der Tanzmeister, verzweifelt die Hände ringend, wenn die Figuren der Quadrille von Ungeschick oder erotischer Verlorenheit mißachtet wurden, und dem älteren Geschlecht klingt noch sein halb verzweifelter, halb wehmütig bittender Ausruf vor jeder Quadrille ins Ohr: »Eeeein Vis-à-vis!« Es gab Tanzmeisterfamilien, die ganze Tänzergeschlechter ausbildeten und das Debakel des »Sechsschritts«, der in ein Chaos auslief, schaudernd miterlebten. Die Honorare, die für die persönliche Mitwirkung der Kapelle Strauß bezahlt wurden, beliefen sich auf 300 Gulden.

1852 wird in den Sperlsälen ein musikalischer Wettbewerb veranstaltet. Die Besucher stimmen – glückliche Leute! – über den schönsten Walzer mit Zetteln ab und Jean siegt mit den »Johanniskäferln« über den berühmten Zigeuner Kalozdy, eine nervenerregende Angelegenheit.

siehe Bildunterschrift

Zwei Titelblätter Straußscher Tänze
aus der Zeit der ersten Erfolge

siehe Bildunterschrift

Josef Strauß

Ein Knecht seines Namens, muß Strauß auf Reisen gehen. Die Popularität, mächtiger als seine Reisescheu, entführt ihn nach Hamburg, 1851 nach Prag, Dresden und Leipzig, wo er Prager, Dresdener und Leipziger Delirien verursacht. Dann gehts, worauf der »Punsch« anspielt, ans Russenbezwingen.

Von Breslau aus versucht er – ohne Pässe – nach Warschau zu kommen, wo gerade eine Dreikaiserzusammenkunft stattfand. Aber einige Stunden vor der Grenze wird er samt der Kapelle angehalten: Abrahamovicz, der Gouverneur, duldet kein Konzert. Die Leute müssen in Schweineställen nächtigen. Umsonst versucht Strauß, diesen Pizarro umzustimmen: »Ich bin der Johann Strauß aus Wien!« – »Das könnte jeder sagen! Marsch, hinaus!« Der Gouverneur hält das Orchester für eine Räuberbande, die die Stadt verkleidet überfallen will, zittert um seine Stelle, will die ganze Gesellschaft in Ketten nach Sibirien schicken – da klopft es an die Tür: der Leiblakai der Zarin mit einem Handschreiben Ihrer Majestät – Johann Strauß habe sich zu einem Konzert ungesäumt ins Schloß Laschenski zu begeben ... Erstarrung. Dieser deus ex machina überzeugt. Der dramatische Konflikt löst sich in die Warschau durchzitternde Kunde: der Strauß aus Wien ist da! »Ja, wenn Sie Räuber gewesen wären – einer von uns wäre deportiert worden. Und da war mir lieber Sie als ich!«, atmete der Gouverneur auf ...

Zurückgekehrt bringt Strauß die Stadt zum Aufsieden. In jenem Jahrzehnt werden einige nicht unerhebliche Kulturdinge entdeckt: der Ruhmkorffsche Induktionsapparat und die Akkumulatoren, der Augenspiegel und der Kehlkopfspiegel, der Dampfpflug und die Spektralanalyse; Owen untersucht fossile Tiere, Krönig und Klausius entwickeln die kinetische Gastheorie. Aber Augenspiegel und kinetische Gastheorie ertrinken in den Wellen der Wiener Heiterkeit, worin der Wiener »nicht untergeht«. Es gibt acht Vergnügungslokale: Dianasaal und Schwender, Neue Welt und Volksgarten, Blumen- und Sophiensäle, Viktoriahotel und Dommayer. Acht Himmel voller Geigen. Und es gibt, was die übrige Welt nicht besitzt: das Komikertrifolium Carl, Scholz und Nestroy.

Die besondere Tanz- und Gaudéstimmung Altwiens, eine Blüte des Volkstemperaments, kann sich auf Herrn Walter von der Vogelweide berufen:

»Uns wil schiere wol gelingen
wir suln sin gemeit,
tanzen, lachen unde singen
âne dörperheit.«

Mehr als andern Volksstämmen eignet dem Wiener das Gemeit- (d. i. Fröhlich-)sein – seine unbeschwerte Heiterkeit, ein Temperament, das, wie wir sahen, landschaftlich bedingt ist, aber dem Wiener auch anregiert wurde. Ein Ton, auf welchen die Kanzelreden Abraham a Sancta Clara ebenso eingestellt sind wie die Märchen Raimunds und die Straußischen Tänze.

Im Wiener seiner Jugend lebte noch als fortwirkende Erinnerung der Hanswurst, dessen letzter Vertreter erst im Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts starb (der Komiker Gottsleben). Im Wiener seiner Jugend lebte noch die Erinnerung an die Tierhetzen, die die Wiener Mundart in abgeschwächter Bedeutung aufbewahrt hat (»Hetz« – eine fröhliche Unterhaltung). Ja, noch im Jahr des Lustigen Kriegs (1881) wurde in Wien ein Automat, »Kingfu«, gezeigt, der »wirklich« lesen, schreiben und rechnen konnte, und kindliches Wienertum ergötzte sich an einem hockenden Chinesen, dessen Seele ein Knabe, und huldigte einem Vergnügen, das aus dem achtzehnten Jahrhundert mitgeschleppt war.

Strauß muß alles mitmachen, halb treibend, halb getrieben, stets bewundert und verkannt, zwischen Luftreisemarsch und Liszts symphonischen Dichtungen. Ohne Strauß kein Leben und, beinahe muß man sagen: kein Sterben. Eine Wiener Bürgersfrau bestimmt testamentarisch, bei ihrem Leichenbegängnis müsse Johann Strauß spielen. Er erscheint tatsächlich und folgt mit seiner Kapelle, seinen Walzern dem Sarg: der lustigste aller Totentänze. Nur in Wien ist das möglich, denn:

»Es wird a Wein sein,
und mir werd'n nimmer sein.«

Damals nahm auch der dreiundzwanzigjährige Bülow, der seine ersten Konzerte in Wien wagte, Fühlung mit Johann Strauß und dieser war sofort bereit, die Ouvertüre zu Julius Cäsar und den Marsch daraus aufzuführen. Der Marsch, den Bülow aus dem Gedächtnis niederschrieb, wurde mit großem Beifall aufgenommen und häufig wiederholt. (Richard Graf du Moulin-Eckart, Bülow-Biographie, S. 151.)

1853 ist Strauß zur ersten Erholungsreise gezwungen. Sein Nervensystem verträgt nicht mehr das Nächtedurchbringen und Füßebeschwingen. Die Ärzte sprechen von Ausspannen. Der stets Befrackte, unbeschreiblich Geplagte reist ins Bad Neuhaus bei Cilli.

Für die verwaiste Kapelle hat er einen Stellvertreter: seinen Bruder Josef.


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