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Herr Gardist Strauß

»Wien ist eine Stadt, voll von sinnlichen
Genüssen, und Strauß ist die Sonne, der
Mittelpunkt, um den sich alles dreht ...«

Wilhelm von Kaulbach an seine Frau, 1847.

 

In jenen blauen Tagen genossen die Wiener ein ergötzliches Schauspiel und ihr Kinderherz freute sich: die väterliche Geige betörte beim Sperl, beim Zeisig und den Sieben Kurfürsten; der Bogen des Sohns beim Dommayer, beim Grünen Tor, beim Zögernitz und in den Sträußelsälen. Jeder besaß Anhang, Parteinehmer, Fanatiker. Jeder war Zivil-, jeder Militärkapellmeister. Beim ersten Bürgerregiment stand der eine im roten, beim zweiten der andere im blauen Tuch. Jeder marschierte mit seiner Truppe auf, jeder im hohen Tschako, mit den gekreuzten weißen Lederbändern. Standen einander auf dem Platz gegenüber, salutierten und marschierten wieder ab, jeder in andere Richtung. –

Es gehörte viel Takt dazu, in der Enge der Stadt, wo man mit der Nase aufeinanderstieß, das Auskommen zu finden.

Dabei führte Johann sein Orchester genau nach dem väterlichen Vorbild, begnügte sich nicht mit der Rolle des Unterhalters und Zeitvertreibers, sondern erfüllte eine, wenn auch begrenzte Sendung, wozu ihn die Güte seiner Kapelle wie musikalischer Ehrgeiz anhielt. Als guter Kapellmeister will er das Neueste zuerst spielen, als populärer wagt er, seinen Ruhm damit zu belasten. Hatte der Vater die Ouvertüren Cherubinis und Mendelssohns, den jungen Meyerbeer gebracht, so führte Johann die verrufenen »Neudeutschen« ein. Er ist Verehrer Liszts und spielt zu dessen Anwesenheit in Wien, 1856, den Mazeppa; er ist Wagner ergeben und spielt in seinen Promenadekonzerten 1853 die Tannhäuser-Ouvertüre und Lohengrinstücke weit früher als das Kärntnertor-Theater die Opern. Und nicht Dessoff und Esser, die Hofkapellmeister, dirigierten in Wien zuerst die Tristanmusik, sondern Johann Strauß (31. August 1861). Als er es mit der Tannhäusermusik versuchte, erhoben sich in der verwälschten, konservativen Stadt nur zwei entzückte Stimmen: die seiner Mutter und die des »Humoristen«, eines Witzblatts, das Wagner bei dieser Gelegenheit »zu den größten deutschen Komponisten« zählte.

Strauß senior reist oder flieht nach Deutschland und England; Strauß junior geht in seinem 21. Jahr auf die erste Künstlerfahrt: nach Steiermark, Ungarn und weiter nach Serbien, Rumänien, dem romantischen Balkan.

Er folgte wahrscheinlich lockenden Anträgen, dem Ruf des jungen Orchesters zuliebe. Gern reiste er nie. Den kosmopolitischen Zug, vom Vater ererbt, bezahlte er mit seinen Nerven. Gebirge empfand er zeitlebens als feindliche Mächte, ja unheimliche Erscheinungen, liebte ganz naiv wie der mittelalterliche Mensch die Landschaft als Idylle, fühlte sich in gartenhafter Flachheit, die sich übersehen ließ, wohl und fuhr als Wiener gern im Wagen. Mußte er nach Steiermark über den Semmering, so siedelte er sich auf dem Boden des Eisenbahnwagens an und sah nicht hinaus, bis der Schrecken vorüber war. Als er viel später seiner dritten Ehe wegen in Koburg Aufenthalt nahm, bereitete ihm seine Villa die größten Schwierigkeiten: sie lag auf einem Hügel ... und gewöhnlich mußte jemand ihn den »Berg« hinaufführen. Um über die harmlosen Viadukte und Steigungen der Westbahn bei Rekawinkel zu kommen, begann er mitgenommenen Champagner zu trinken.

Auf dem Balkan machte die bunte Uniform der Wiener Bürgergarde – dies war eine halbmilitärische Organisation der Handwerker – einen verwirrenden Eindruck und seine Reise in halbbarbareske Fernen lief nicht ohne tolle Abenteuer ab. In Belgrad hielt ihn der residierende türkische Pascha für ein hohes österreichisches Tier und bereitete dem »Würdenträger« alle möglichen militärischen Ehrungen. In Pancsova wurden ihm auf offenem Platz die Instrumente gepfändet, und als sie freigegeben waren, schickte der Gläubiger, sicher der einzige, den Strauß nicht betörte, einen Polizeimeister mit, bis in Kronstadt auch der Rest getilgt war. In Rumänien verlangten die dort lebenden Österreicher, er solle den Konsul absetzen. Die empörte Menge versammelte sich vor seinem Haus und Strauß blieb nichts übrig, als hinzugehen und den Mann seines Amtes zu »entheben«. Nach Wien zurückgekehrt, wird er vor die Behörde zitiert, um Aufklärung zu geben. Allein der Uhrzeiger der Weltgeschichte näherte sich bedenklich der Zahl 1848, aus den Volksmassen ward unangenehmes Brodeln hörbar und die Autoritäten wagten sich an den Volksliebling nicht recht heran. So verlief die Episode, würdig eines Shawschen Lustspiels, im Sand.


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