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Evolutionen II

Tänzer und Laien, die vom Walzerkomponieren hören, haben eine Vorstellung von Aus-dem-Ärmel-Schütteln und Aufs-Papier-Werfen, wenn sie überhaupt eine haben. Wie man ja Musizieren, Dichten, Rübenschaben und Tarockspielen für gleich behagliche, »von selbst gehende« Sachen hält ...

Aber Walzer, die Dauer und Physiognomie besitzen, sind Geschöpfe, deren Vater schwitzte wie der Lied- und Sonatenkomponist, schwitzte er vielleicht auch auf liebenswürdigere Art. Jedenfalls muß er soviel Arbeit auf die Formung des Einfalls verwenden, daß die letzten Arbeitsspuren durch Arbeit getilgt werden und alles den Eindruck des Von-selbst-Gegangenen macht. »Kunst kommt vom Nichtkönnen, nicht vom Können«, sagte einmal eine Wiener Possenfigur, »denn, wenn man die Kunst einmal kann, dann ist's ja keine Kunst mehr ...«

Johann Strauß besaß die Leichtigkeit des Ariosto, diejenige, an der die Gewissenhaftigkeit unablässig hämmert.

Die Skizze zum Naturwalzer, die man im Museum der Stadt Wien sehen kann, verrät die schweren Überlegungen, die ihn der leichte Einfall kostete: zwischen zwei möglichen Schlüssen steht ein besorgtes »Oder«:

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Als er seine ersten Walzer schrieb, war Wien noch die mauerumschlossene Basteienstadt. Auf den Glacis fingen Wiesen an, vor den Toren lag das Land. Die Gesellschaft, die ihre Herbste in Ischl verbrachte, wohin sie dem Hof automatisch nachzog, die Tugend und Anmut nur im biederen Hochgebirge vermutete, besaß in Alexander Baumann einen Wiener Rousseau, der in den Salons seine Gstanzeln mit Zitherbegleitung den entzückten Damen zum besten gab. Eine Seitenerscheinung bildeten viele der ersten Straußwalzer, durch welche die Landluft streicht, mitunter Schubertluft, wie die Berglieder (Werk 18), die Panaceaklänge (Werk 161), Abkömmlinge der Linzer Schiffsmusik:

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Man hört auch, daß in dieser Stadt Mozart zu Haus war, sein Unschuldston, sein Anmutsvorhalt klingt manchmal in die Walzer ein, wie in die Windsorklänge, Werk 104:

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Themen wie die »Zeitgeister«, Werk 25, sind die treuen Abbilder der Vormärz-Gesellschaft, der sie dienten, des goldenen Wien, das eigentlich nur aus der Innern Stadt bestand, »wo sich alles zusammendrängte wie auf einem Theater, und aus dessen Prunkfenstern der Leichtsinn schaute ...«

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Jeder junge Komponist beginnt bei seinem Lieblingskomponisten und wie man bei Brahms die Größe eines Beethovenerlebnisses, so erkennt man beim jungen Strauß im Nachahmen und Leugnen die tiefe Spur, die die Größe des Vaters in ihm zurückließ. Wenn er oft gegen ihn ankämpft, sich emporschnellt und es justament anders versucht, so gehorcht er gleichwohl dem Gesetz des Vaters, der, seine Umwelt überwachsend, einige starke Vor- und Mitläufer plötzlich bei Apollo und dem Publikum unbeliebt machte.

Sieht man die altstraußischen Walzer heute in der Gesamtausgabe (von Breitkopf & Härtel) durch, so wird man zunächst enttäuscht. Wo ist der Biedermeierteufel? Wo die Lockung, die Betörung? Wo die »vollblütige Ader der Leidenschaftlichkeit«, von der Saphir einst schwärmte?

Nichts von alledem. Die Harmonik dieser Walzer scheint uns mager und ärmlich und dies rührt von der mageren, ärmlichen Melodik her, denn immer ist es das Linienschöne, das die Harmonie, aber auch – den Tänzer beseelt: die Melodie verleiht der Tanzmusik die Flügel und schon der alte Noverre mahnt (in seinen Briefen über die Tanzkunst, Wien 1767) die Ballett-Komponisten: mit ihrer Musik »die armseligen Taktarten und Modulationen zu verlassen, in welchen bisher die Tanzmelodien gesetzt worden. Trockene und maschinenmäßig zusammengesetzte Töne können dem Tänzer unmöglich zu Hilfe kommen ...«

Die älteren Straußwalzer tragen einen Zug von herrischer Kürze und lassen das Bild eines Mannes zurück, dem man den Haustyrannen wohl zutraut. Und man begreift die schon gestreifte richtige Empfindung der Wiener: »Beim Lanner heißt's: ich bitt' euch, geht's tanzen! – beim Strauß: Geht's tanzen, ich will's!«

Erst die Loreley-Rheinklänge mit ihrem sirenenhaften Es-dur, der Charmantwalzer, die Donaulieder enthüllen liebenswürdigere Seiten und dieser singende, verführende Strauß, dessen Nervenbewegung in einer melodischen Vibration austönte, wurde das nächste Vorbild des Sohnes. Viele Walzer von Alt-Strauß hintereinander verträgt man ebensowenig wie von Lanner, obwohl er zweifellos der romantischere Geist, auch in Scherz und Grazie, ist. Als vor dem ersten Weltkrieg im Wiener Raimund-Theater eine der üblichen Belebungsoperetten »Die tolle Theres'« mit Musik von Alt-Strauß aufgeführt wurde, zeigte sich, daß die erfolgreichsten Stücke (»Fiaker 809« und »Das erste Rendezvous«) nicht von Strauß, sondern vom Bearbeiter Roemisch stammten.

Und doch war Strauß eine Höhe, ein erster Gipfel, der mit Stolz auf die Bierfiedler in den Wirtshäusern blicken durfte, auf den vertrunkenen Pamer und den ordinären Drahanek, auf Leute wie den Mayer-Zwickerl, der den »Kss-kss-Walzer«, auf den Herrn Abbé Gelinek, der »Mollwalzer«, den Herrn Kanne, der für den Sperl sechs »Zauberschminkwalzer« lieferte. Von Gruber, Hubovsky, Horzalka, von den Rohen und Schmalzigen, von den zahllosen Liebhabern, deren Beteuerungen, Schwüre, Kniefälle und Heiratsanträge Walzerform annahmen, gar nicht zu reden.

Man darf Alt-Strauß nicht aus der Optik seines Sohnes betrachten. Um seine Persönlichkeit, sein Reformwerk zu erleben, muß man ihn mit den Augen eines Menschen von 1800 oder 1812 ansehen. Ausgehend etwa von Johann Nepomuk Hummels Walzern mit Trio, die für den Apollosaal geschrieben sind.

Jeder dieser alten Herren hat seine geregelte Lebensweise, seine genau bemessene Taktzahl, die ehrenhafte Nacktheit der Harmonie, die ausgewogene Symmetrie der Perioden. Acht Takte Vordersatz, acht Takte bis zum Halbschluß, Wiederholung des Vordersatzes, dazwischen zwei Verbindungstakte. Das Ganze engbrüstig, wohlzufrieden wie ein Menuett und von schwungloser Wichtigtuerei. Einmal, im Walzer »La Bataille«, deutet der verminderte Septakkord schweren Herzens das Völkermorden an, während über »La Victoire« eine Ehrensonne in D-dur aufgeht, worauf ein Fugato »La joie« die Freude schildert ... Welch patriarchalische Walzerfreude ohne – Walzer!

Die Loreley-Rheinklänge sind dagegen Tanzdichtung, ein Walzerkreis von weitgespanntem Durchmesser. Der Walzer, ein Enkel der bäuerlichen Erde, in seiner Jugend der Oberländler, der Deutsche, dann der Langaus genannt, verliert unter genialen Händen seine ungefüge Schwere, seine acht Takte schwellen auf sechzehn an, seine Steifheit wird elastisch, sein Seelenleben durch Erfahrung bereichert, er bereist mit Vater Strauß Europa und selbst Paris beugt sich dem Kavalier, dessen Eleganz bajuvarischer Herkunft ist.

Der alte Ambros hat Vater Strauß in seinen »Kunsthistorischen Bildern« tüchtig gezaust. Dennoch spürt man Gelehrtendünkel in dieser Abkanzlung und die Ohnmacht, sich auf Musik der populären Ebene einzustellen, die deshalb noch nicht Schund, Verrat oder Unkunst sein muß. Auch ist der alte Strauß nicht aus Einfallsmangel auf anderer Gedanken gekommen, sondern hat in naiver Freude die hübschesten Melodien der erfolgreichsten Zeitopern seinen Zuhörern in Gartenkonzerten mitgeteilt, die sie mit naiver Freude anhörten und wiedererkannten. Im Cäcilienwalzer »mit dem berühmten Tremolo« schwirren Themen der Kreutzersonate munter durch die Dreiviertel, wie Karl Wilde den Tancred und Lanner andere Rossinimotive verwalzerte. Und zuletzt hat er, was Ambros ganz entgeht, der Walzerform wirkungsvolle Neuerungen gegeben.

Seine Introduktionen sind anfänglich kurz wie die Hummelschen: beim Paganiniwalzer 4 Takte, beim Launenwalzer 6 Takte mit Verwertung des Zauberflöten-Beginns, beim Lustlagerwalzer 8 Takte, beim zweiten Kettenbrückenwalzer 10 Takte – also eigentlich nur ein erweiterter Auftakt. Erst später erlaubt er seiner Phantasie größere Breiten: 23 Takte im »Leben ein Tanz«, eine große Andante-Einleitung mit 29 Takten im Alexandrawalzer.

Die Einleitung, ursprünglich nur Zweckmusik, wollte gar nichts mitteilen, sondern nur »Habt acht!« rufen und möglichst rasch die Dominante erreichen, hinter der die eigentlichen Walzerdinge begannen. Nun wird das Zweckliche verkleidet, der Mantel poetischer Stimmung darüber geworfen, der Hörer ins Gespräch gezogen; und umgekehrt verkürzt der Vater wieder ältere Ausdehnungsformen, verringert zwölf Walzerpartien Hummels auf fünf, auf sechs. Seine Zeit hat nicht mehr die Nervenlosigkeit von anno Tobak, er schiebt allerdings noch gerne Trios ein, die Überbleibsel patriarchalischer Formen, aber er kündigt schon in den Titeln aufrührerische Absichten an – »Mittel gegen den Schlaf« – überall die vibrierende Unruhe und Unzufriedenheit eines erfinderischen Mannes, der Grenzen erreichen will, die ein Naturmusiker überhaupt erreichen konnte.

Sein Pracht- und Unsterblichkeitsstück bleiben die Loreley-Rheinklänge und davon sind, dem Wesen nach, wie wir sagten, Johann und sein Bruder Josef ausgegangen. Einem guten, weichen, gnadenvollen Augenblick entsprungen, sammeln die Loreley-Rheinklänge das romantische Erlebnis im Walzertakt. Vorausnehmend beschwört die Einleitung das märchenhafte Motiv, wie es Johann später im Donauwalzer tun wird. Erst die Partie Nr. 1 bringt die volle Gestalt in ungewöhnlicher Ausdehnung, bestrickend durch das Zögern und Verlocken der Melodie. Die Coda kennt die romantischen Terzenrucke Meyerbeers: das Halbmotiv steht in Es, die Antwort in H – eine sinnvolle Verwirrung der Sinne –, die Coda wiederholt als Rückschau den Loreleyzauber in schmerzlicher Süße, ein letzter Blick, worauf der Walzer pp in eine geradezu mystische Stimmung absinkt: das holde Trugbild läßt eine Sehnsucht zurück, die sich zu wildem, wundem Begehren steigert. Vater Strauß, der Tondichter.

Das war vielleicht Selbstporträt, jedenfalls ein Ausnahme-, ein Grenzfall. Als Strauß seufzte, wie schwer es ihm falle, »in acht oder zwölf Takten« Neues zu sagen, beseufzte er unbewußt seinen Grundmangel, die kurze melodische Welle: acht, zwölf, mitunter sechzehn Takte. Hier lag Beschränkung, die nicht die des Meisters war und die nur der Spätere, aus Zeitfernen prüfend, kritisch empfinden konnte.

Hier beginnt nun das Problem des Sohns: mit diesem Geist, der alle Möglichkeiten erschöpfte, hat er zu ringen, über diesen Toten, der, ach, so lebendig war, mußte er hinaus, wollte er vor sich selbst bestehen; als Erbe, nicht als Nachtreter gelten, zumal in dem so scharfhörigen, kritisch empfindlichen Wien.

Wie jeder Junge versucht Strauß, ihm durch Kühnheiten zu entkommen, sich seinen Fesseln durch Blüffungen zu entreißen. Er erspäht eine Lücke, entdeckt eine Schwäche: die väterliche Harmonik ist mager: wir, die wir Liszt verstehen, können das besser. Die »Gunstwerber« werden wie in Auflehnung geschrieben: eine reichhaltige Verwendung der Tonarten in den einzelnen Nummern, der A-dur-Walzer wird in der Coda nach As versetzt, verminderte Septakkorde tauchen auf, das Finale bringt das Einleitungsmotiv wieder. In den Lindwalzern steht eine Coda mit pp-Schluß, eine Einleitung mit Mediantensprüngen; doch dies alles haben schon die Loreley-Rheinklänge gewagt und es scheint, seine schönsten Walzer sind die seines Vaters ...

In diese Gruppe der Versuchswalzer gehören die »Ernte-Tänze«, Werk 45, die »Freiheitslieder«, die »Walacheiklänge«, Werk 50, wo ein g-moll-Teil mit neapolitanischer Sext allen Mollschmerz unglücklicher Liebe entsendet: die Vorahnung des langsamen Leharwalzers.

Aber in den ersten zwanzig Jahren seines Wirkens, vom 19. bis zum 39. Lebensjahr, schreibt Johann Strauß rund 300 Tanzwerke: an dem einen sich zum anderen rüstend, an den eigenen Werken den eigenen Lehrmeister findend. Auf jeden Monat entfällt ungefähr ein Werk, von Bearbeitungen für die Kapelle ganz abgesehen. Und Fleiß, Fleiß, Fleiß wird Kennzeichen gerade des leichtschaffenden Genies, des Künstlers, den die Einfälle verfolgen. Unter seinen 479 Werken befinden sich rund 160 Walzer, rechnet man jeden zu fünf Partien, so bedeutet es zusammen etwa 1600 Walzereinfälle, da jede Partie in zwei Teile zerfällt: eine arithmetisch feststellbare Fruchtbarkeit, wobei die starken Einfälle überwiegen.

Strauß beschäftigte sich damit keinen Augenblick spekulativ; aber er wird davon bei jedem neuen Tanzstück erfaßt. Genée erzählt, wie eifrig er die Zahl der Taktgruppen auswog, und die Walzer selbst spiegeln den Arbeiter Strauß wieder, der die rhythmischen Gegenbilder aneinanderrückt und vor allem die Schlüsse bildet, die schweren Schlüsse, von denen das Schicksal des Walzers abhängt. Den Schluß des Trüffelcouplets aus dem »Spitzentuch« hat er zwölfmal neu geschrieben, bevor die Sache »saß«. Was man dem leichtsinnig hintippenden Couplet natürlich nicht ansieht: es komponierte sich »von selbst«.

So wird Strauß ein Fanatiker des musikalischen Versuchs wie Artur Sullivan, der Mikadokomponist. Aber er fühlt, mit alledem kam er nicht weiter. Mit alledem nicht über den Vater hinaus. Die schönsten Mediantensprünge waren den Tänzerinnen beim Dommayer gleichgültig. Und ob die Instrumentation nun Meyerbeerisch war wie beim Alten oder Lisztisch wie beim Sohn – wenn sie nur stark genug schallte und mehrere Säle durchdrang! Man kann die Teile des Walzers verringern, auf vier, auf drei herabsetzen, das Trio streichen, man kann die Coda straffer halten, man kann so viel – – man kann gar nichts als arbeiten und abwarten!

1860 wird mit den »Accelerationen« der neue Walzertyp erreicht; im Kron- und Prachtwalzer von der schönen blauen Donau steht er fertig da. Strauß war vierzig; die Energien von zwanzig Arbeitsjahren sind in einem Stück gesammelt.

Und wie immer bei überraschenden Lösungen lag das Ergebnis sozusagen auf der Hand: die Neugestalt des Walzers war eine Neugestaltung der Melodie, eine Erweiterung ihrer Taktzahl. Eine Verlängerung, die nervösere Linien, verfeinerte Profilierung, Bindung von Gegensätzen im linearen Gesamtumriß zur Folge hatte.

So sehr Ahnenverehrung seine Lippen bewegte, Klugheit und musikalischer Blick verrieten ihm immer deutlicher die Achillesferse des Vaters, die melodische Kürze und Härte, ja das Überwiegen der naturhaften, der primitiven Erregungskräfte des Tanzes: des Rhythmus.

Da der Rhythmus in der Baßunterwelt starr und unveränderbar forthämmert, mußte die Melodie es sein, die in unerschöpflichen Varianten den dionysischen Reigen der Töne entfesselte, in immer neuen Kurven den Hörer umringelnd und ins Rauschhafte treibend.

Also Platz der Melodie! Die berühmten Dreiviertel sind beim kultivierten Walzer nur das Sekundäre. Die Tänzer warten bei den vorbereitenden Takten, kein Paar vermöchte auf bloßes Hmtata zu tanzen. Erst der melodische Antrieb setzt sie in Schwung und je reizvoller die melodische Erregung, die sich auf einfache tonale Polaritäten stützt (Tonika, Dominante), desto siegreicher der Walzer.

Das war eine Entdeckung, die dem Ei des Kolumbus glich. Sie bot dem Unerschöpflichen Gelegenheit, seine Unerschöpflichkeit in ewig neuen Formen zu verwirklichen. Ja, sein Genius konnte sich nur dieses Walzertyps bedienen, weil er einen größeren melodischen Vorrat als der Vater absetzen mußte und weil seine Nervenbewegung in längeren melodischen Wellen auszitterte als die des Vaters.

Je älter Strauß wird, desto stärker bändigt er instinkthaft alle musikalischen Nebenkräfte zugunsten der linearen Hauptkraft. Strauß wird nur noch Kantilene, vierzig Takte lange Kantilene, die imstande ist, über dem Einerlei dreier Akkorde zu schweben und zu fesseln wie ein Vogel auf seiner Bahn. Der Harmonie wird Modulieren und Farbenspielen, alles Extratourliche untersagt, sie hat sich auf jene drei Grundakkorde zu beschränken, womit Strauß, der immer Tanzkomponist war, zurückbog zu den Anfängen der Wiener Tanzmusik, zu seinem Barockvorfahren Johann Heinrich Schmelzer und zu den Tanzkomponisten des Rokoko, deren Werke Robert Lach herausgegeben hat. Wenn er sich einmal modulatorisch ausschwelgt, dann zum Scherz, im pikanten Übermut, um den unromantischen Eduard Hanslick zu bluffen, dem er das Werk 292 »Aus den Bergen« widmet.

Seine Linienbildung verträgt schon, wenn's darauf ankommt, modernes Kolorit (Waldmeister), aber sie flüchtet nicht aus Armut dahin: ein Reichtum, der ihn unter die Erlesenen und Ausgesuchten stellt, die die Bindung von Linien- und Farbenschönem in der letzten Musik verwirklichen, wenigstens auf ihrem Gebiet.

Aus seinen Meisterwalzern kann man nicht Teile entfernen, man kann darin nicht Teile vertauschen: alles verklammert sich baulich zum tanzenden Gedicht.

Der Titel »Demolirerpolka« (1862) spricht von einem neuen Ereignis der Ortsgeschichte: die Basteien, die Mauern und Tore waren gefallen (1858), aus der mittelalterlichen Stadt sollte ein zweites, schlankes Paris werden; das Haus Österreich eine neue Welle von Glanz entsenden; die schönen Alleen, die aus dem romantischen Gewinkel der inneren Stadt den Vorstädten zuliefen – wie liebte Beethoven diesen Blick ins Unbegrenzte! – wurden umgelegt, die Stadtgräben zugeschüttet, die roten Wälle geschliffen und die Ringstraße mit Prachtgebäuden darübergepflastert. Der Vormärz und seine Gebundenheiten waren äußerlich vorbei.

Mit dem neuen Wien entstand eine neue Gesellschaft oder vielmehr die neue Gesellschaft brauchte eine neue Stadt. Leute, die man nie gesehen hatte, Arme von gestern, Nabobs von heute, bauten Zinshäuser und Paläste, wo früher die Ziegen weideten. Der Feudaladel, »der bis dahin seinen Reichtum in den Mauern der Residenz glanzvoll ausbreitete, war verscheucht, die Großgrundbesitzer mußten sich, schon wegen Aufhebung der Robot, auf ihre Güter zurückziehen und an Stelle des immobilen trat das mobile Kapital«, erzählt Friedrich Uhl. Mit der liberalen Gesellschaft, die in die Lücken der alten trat und ihre Ringstraßenhäuser von Künstlern schmücken ließ, war auch der Straußische Meisterwalzer da: die »Accelerationen« (1860), die »Karnevalsbotschafter« (1862), die »Morgenblätter« (1864), die »Bürgerweisen« (1866) und »Neu-Wien« (1870). Im gleichen Jahr wird »Freut euch des Lebens!« aufgeführt, geschrieben zum Eröffnungsball der Gesellschaft der Musikfreunde, die ihre Musikgenüsse in einem pompejanisch roten Tempel mit goldschimmerndem Saal luxuriös unterbrachten. Dazwischen steht das unsterbliche Glanzwerk »An der schönen blauen Donau«, das der Freude des Bürgertums am neugebauten, neuentdeckten Wien künstlerische Form verlieh.

Mit seiner Vaterstadt hatte Strauß sich selbst erweitert, die »inneren Basteien« demoliert und sich künstlerisch entriegelt. Den neuen Wiener Prachtbauten entsprechen seine neuen zierlichen Tonpaläste.

Der Kampf zwischen Vater und Sohn endete mit einem Erfolg der Musik: unter Johanns Händen entstand die Triumphmelodie, die sich verewigen will, »denn alle Lust will Ewigkeit« – das Tanzstück, das abgelöst vom Tanzsaal ein Tonstück eigener Art bleibt. Johann Strauß schob die Auszeichnungen, die ihm bei der Feier seines fünfzigjährigen Wirkens zuteil wurden, auf seine Vorgänger, seinen Vater und Lanner zurück. »Sie haben mir angedeutet, auf welche Weise ein Fortschritt möglich ist ... Meine Verdienste sind schwache Versuche, die Form zu erweitern, die ich von meinem Vater erhalten habe ...«

Der Bescheidenste aller Künstler nahm den Lorbeer von der Stirn und bekränzte damit huldigend seinen einstigen Gegner.


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