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Die Mutter

»Sei guten Muts, trockne deine Augen.«

Shakespeare.

 

Frau Strauß, geb. Streim war in diesem Streit um den Sohn der leidende, der vernünftigere und – der siegende Teil.

Nicht, daß sie von Haus aus für den Musikerberuf gewesen wäre; aber mit dem Sohn vertrauter als der Vater, immer ihn umsorgend, mit den natürlichen Instinkten des Volkes begabt, stellte sie sich mühelos auf ihn ein. »Wenn er durchaus will –!«

Ihr Jugendbild zeigt die hübsche Wienerin der Zwanzigerjahre, hochgemachte Frisur à la chinoise, dunkle, lebendige Augen, nicht die Züge der kochenden und reinmachenden Hausbackenheit, sondern eines tüchtigen Menschen, der mit dem Leben fertig wird, so oder so. Und sie wurde es. Auch als sie vorzeitig gealtert war, blieb sie eine Frau, die sich aus innerer Vornehmheit erneute, dem Leben nicht nachhinkte, es vielmehr mit einer seltsamen Einstellungskraft übersah. So schien sie später – um nur eins zu nennen – auf Wagners Musik gestimmt, die sie als Geschenk modernen Geistes aufnahm. Die Tannhäuser-Ouvertüre, die Johann einmal zur Probe spielte, überraschte sie wie ein interessanter Gast, den zu sehen sie ins Zimmer trat. Und ihrer Söhne Vorliebe für Wagner, den Riesen, den sie neugierig umschlichen und fleißig pflegten, stammt von ihr.

Der Konflikt mit ihrem Mann kam aus tieferen Gründen. Er hatte sie, überjung – er zählte 21 Jahre – in erster Verliebtheit zur Frau genommen; aber der vierzigjährige Strauß, der kein Vorstadtmusikant mehr war und die Damen der großen Welt gestreift hatte, worin er sich keinen Zwang auferlegte, war dieser Liebe längst entwachsen; betrachtete sie als Rätsel, als Jugendlähmung seines Verstandes, als Irrtum, der ihn allen erotischen Gnaden entzog, ihn nur Sorgen und Verpflichtungen, der Freudlosigkeit, auslieferte, während andere das Bankett des Lebens feierten.

Die Zeitstimmung trug das ihre bei: sie war der Ehe abhold und Fälle wie die Ferdinand Raimunds und Ludwig Devrients blieben nicht die einzigen. Die Männer des Vormärz lebten in Fieber und Aufruhr und was Strauß aus Heim und Stadt und Ehe trieb, ließ sich nicht durch gute Worte, Vorstellungen und Bitten ableiten: das saß in Blut und Nerven, das war der Dämon, dessen Walzer Herzen siedend machte ...

Frau Strauß fühlt ihn entgleiten. Die Kämpfe um den Sohn richten ihre Spitze immer stärker gegen sie selbst. Sie ergreift Partei, sie beweist nicht mehr ihr gutes Recht, sie betätigt es, leiht ihrem Sohn, was sie an Geld ersparte, und verschafft ihm, da er üben muß – die Geige seines Vaters. Sie wird sein Rat, sie schließt sich fest an ihn, den Freund, den sie geboren und der sich an die Mutter, die Freundin, schließt. Gegen sie nun hat der Vater zuletzt kein Mittel mehr als – sich von ihr zu trennen.

Er liebt Emilie Trampusch. Eine hübsche Person von dunkler Herkunft, Modistin. Deren Ruhmestitel ist, die Straußischen Walzer geliebt zu haben, während die Familie ihr Schätzung für Brillanten und Putz nachsagte. Er verfällt dem Weib und ihrem Körper und der große Strauß, die Gottheit Wiens, der Hofballmusikdirektor, verläßt das Hirschenhaus und zieht erst in die Lilienbrunngasse, dann zu Emilie in die Armut, in ein Quartier, kaum Wohnung zu nennen, in die schlechten Gerüche und den üblen Ruf des Kumpfgassels, eines düsteren, krummen Gewinkels der inneren Stadt, wo die Lichtlosigkeit und das Strawanzertum haust. Hier lebt er die letzten Jahre seines Lebens und Ruhms, der Kirchengesetze wegen unvermögend, sein zweites Weib, die Mutter neuer Kinder, zu seiner Frau zu machen, getrennt, nicht geschieden.

Frau Strauß trug es in schweigender Ohnmacht. Und wandte, was an weiblicher Zärtlichkeit in ihrem Herzen blühte, ihrem Erstgeborenen, dem Johann, zu.

In Johann sollte die Familie gewinnen, was sie durch den Vater verlor.


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