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Das Capua der Geister

»Schön bist du, doch gefährlich auch,
Dem Schüler wie dem Meister,
Entnervend weht dein Sommerhauch,
Du Capua der Geister.«

Grillparzer, Abschied von Wien.

 

Das Straußische Vormärz-Wien war, als Silhouette gesehen, ein dunkler Streifen von Adelspalästen und Bürgergiebeln, umfaßt von abgeschrägten alten Festungsmauern, worüber in symmetrischer Teilung die schwarze Nadel des Stephansturms zum Himmel stand. Ein reizendes Stadtbild, in dessen Enge sich die Gesellschaft als »eine Scheibe mit eingeteilten Kreisen« um das Vergnügen drehte. Eine Kleinstadt, die ein Reich, die einen Teil der Welt beherrschte ...

Die ungarischen, böhmischen, galizischen, kroatischen Adelsgeschlechter wohnten hier in glanzvollen Wintersitzen, zu dessen erleuchteten Stuckdecken der Wiener Bürger aufschauen durfte. Die Geistigkeit der Gesellschaft ist romanisch gefärbt und wie ihre Barockvorfahren in der venezianischen, so schwelgt sie in der italienischen Oper Rossinis, Bellinis, Donizettis. »Die sinnliche Musik Italiens stimmte zu dem rein sinnlichen Leben der vornehmen Gesellschaft Wiens ... Jährlich im Frühjahr wurde ein neues Werk des eben in Mode stehenden Komponisten aufgeführt ... Wien entschied in Opernsachen, und man ahnt nicht, wie flammend der Enthusiasmus im Kärntnertortheater emporschlug, selbst wenn man den Spektakel abrechnet, den die zahlreiche in Wien wohnende italienische Landsmannschaft erhob ...«

Den Gegenpol zu dieser ausländischen bildet, wie der fremde Wagner scharfblickend erkannte, die bodenentwachsene, volkhafte Berauschung durch die Vorstadtbühnen, die Märchenerzählungen Raimunds, die Satyrspiele Nestroys, wozu die Genüsse der alles übertönenden Tanzmusik kamen. Man mußte zu ihnen die langen Alleen über die Glacis hinauswandern und geriet in das zweite kleinbürgerliche Wien, das sich auf unterer Oktave seinem Freudendasein ebenso hemmungslos hingab wie das erste. Wien zählte bis 1847 etwa über 400.000 Einwohner. Im Fasching 1832 fanden 772 Bälle statt, woran sich 200.000 Menschen beteiligten (Gumpendorf und Schottenfeld nicht einmal eingerechnet) – es tanzte also die halbe Stadt.

Erstes Tanzlokal in der Kaiser-Franz-Zeit war der Apollosaal, dem Hummel seine Apollo-Deutschen widmete. Er bestand aus 5 Riesensälen, 44 weiten Gemächern, 3 kolossalen Glashäusern und 13 Küchen! Das vorhandene Tafelsilber wog 4000 Mark Kölnisch. »Die vielen Blumen und Bäume, die kühlenden Wasserfälle und Grotten, ein Bassin mit lebenden Schwänen, reizende Girlanden, Blüten und Gebüsche mitten im Winter verwandelten das Ganze in einen Blumengarten«: ein Bild des schwelgenden Wien und seines an römische Formen erinnernden Luxus. Die Herrlichkeiten des Apollosaals bestanden noch »in vielen brillant geschliffenen Glaslüstern, die mit ihren irisierenden Strahlen den Tanzsaal taghell beleuchteten«, und alles dies konnte »von einer Terrasse aus beim Eintritt mit einem Blick überschaut werden. Man schritt durch antike Triumphbögen herab, die auf marmornen Säulen ruhten und die die Namenszüge des Kaiserpaars, das Stadtwappen mit dem Genius der Stadt trugen.«

Der Apollosaal, der Stolz des Brillantengrunds (d. i. Schottenfelds, wo die reichen Seidenfabrikanten wohnten), lebte von 1808 bis etwa 1834, nahm ein unrühmliches Ende als Seifenfabrik, wurde abgelöst und überboten von seinem Nachfolger, dem »Sperl« in der Leopoldstadt, für den Strauß den Sperlgalopp und später (für den 1834 eröffneten Fortunasaal) die Fortunapolka schrieb. Vom »Sperl«, der wieder dreißig Jahre lebte, behauptete Saphir, der gaminhafte Beobachter des Biedermeier-Wien: »Hier ruhen nicht, hier tanzten die Gebeine unsrer Vorfahren.« Um 1842 etwa hatte das Capua der Geister seinen Hochpunkt erreicht: »Ist das ganze Leben der Wiener ein rot angestrichener Freudentag im ewigen Kalender der Zeit, so steht der Fasching darin rot in rot, mit freudigen, doppelt durchschossenen Lettern aufgezeichnet. Das ganze Jahr sind sie so lustig und guter Dinge; als wäre es – Fasching; kommt er dann, so ist es Pflicht jedes guten Christen, sein übriges zu tun, und den Fasching nicht so einförmig und freudlos zu verleben, wie die übrige Zeit im Jahre! – Die Faschingsbelustigungen werden in sechs Klassen eingeteilt: 1. Öffentliche Bälle; 2. Redouten; 3. geschlossene Gesellschaftsbälle; 4. Hausbälle; 5. Piqueniques; 6. Schnackerlbälle ...« (Saphir, 1842.)

Peter Cornelius, diese reine Seele, hat ein rosiges Bild von Altwien hinterlassen, von der geliebten Kaiserstadt, die er allerdings erst in den Sechzigerjahren kennenlernte. Die drei Genien Franz Schubert, Johann Strauß und Ferdinand Raimund führen ihn unmittelbar in das Herz des Wiener Gemütslebens ein, er sieht »einen Frohsinn ohne Gemeinheit, einen Humor ohne Bosheit« und spürt »die Zusammenhänge des Schubertschen Liedes mit der unverwüstlichen Herzlichkeit, des Straußischen Walzers mit der Anmut und dem Übermut unverdorbenen Vergnügungstriebes, der Raimundschen Posse mit einer Lachlust, der alles Edle heilig bleibt ...«

Um sein Bild auch nach der dunkleren Seite hin zu vervollständigen und es sittengeschichtlich abzurunden, muß erwähnt werden, daß Apollosaal und Sperl eine gewisse Rolle in Schrancks »Geschichte der Prostitution in Wien« spielen – das feinere Hetärentum war dort zu finden – und daß das Nymphenwesen in Altwien in üppigster Blüte stand. Umsonst verbot die Polizei das Vermieten ebenerdiger Gassengewölbe an die zahllosen Priesterinnen der Liebe und erst die im Juli 1845 eingeführte Gasbeleuchtung machte wenigstens der »Unzucht auf der Straße« ein Ende.

Strauß und Lanner waren – und das ist für den Wienfremden wichtig – vorstädtische Musikanten; sie begannen draußen vor den Toren, in den sogenannten »enteren Gründen«, in kleinen, verräucherten Lokalen; ihre ersten Träume galten der Eroberung der inneren Stadt, und die Energie, mit der sie sich steigerten, führte sie über das Bierfiedlertum ihrer Kollegen in die Höhe: sie wurden Dirigenten der Hofballmusik, Kapellmeister des Capuas der Geister ...

Bauernfeld aber sah dem endlosen Wiener Faschingstag mit einer lächelnden Bekümmernis zu:

»Muntre Feste, Schmäuse, Tänze,
Volle Becher, weiße Nacken,
Süße Ruhe, tiefer Frieden
In dem Lande der Phäaken.

Von dem Finger an der Wand,
Von der Mene-Tekel-Mahnung,
Von dem Popanz Politik
Hatte Wien noch keine Ahnung.«


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