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Das Füllhorn

Wie toll der neue Geist auch schalte,
Den alten trieb er doch nicht aus;
Noch lebt im neuen Wien das alte,
Im jungen Wien der junge Strauß.«

Alfred v. Berger.

 

Wien durchlebte nach 1848 eine schwere Zeit. Haynau wütete als das »große Rasiermesser«, Windischgrätz stellte Robert Blum und Messenhauser vor die Gewehre. General Frank brannte den Odeonsaal in der Leopoldstadt, den größten und schönsten Tanzsaal Europas, nieder. Polizeigeist fahndete nach langen Haaren und radikaler Gesinnung; der ganze Staat war ein Gefängnis, woraus die Hand der Rache Opfer fischte.

Sie versuchte es auch im Hirschenhaus, in dessen Keller Josefs Legionäruniform vergraben war. Polnische Soldaten drangen ein und fragten nach »Studentskys«, doch die Mutter, die ihre Pappenheimer kannte, fertigte die Leute echt wienerisch durch ein Trinkgeld an den Unteroffizier ab.

Echt wienerisch ist es auch, daß man bei Zusammenbrüchen immer Geigenjubel hört. So kommt es, daß Johann Strauß gerade jetzt Höhe gewinnt. Er wohnt bei seiner Mutter, mit den Brüdern unter ihre Liebe geduckt, und fühlt sich in einem harmonischen, gewitterlosen Familienleben unendlich wohl. Aus welcher Glücksempfindung auch die ersten seligen Dreivierteltakte, die Walzerschönheiten kamen, die seinen Weltruhm begründeten: Schallwellen, Schneeglöckchen, Wellen und Wogen, Idyllen, Gedankenflug, Nachtfalter, Wien mein Sinn, Zykloiden, Lavaströme, Karnevalsbotschafter, Man lebt nur einmal und die besonders beliebten Liebeslieder.

Er kann den Tag nicht verlängern und müßte es, denn er hat zu dirigieren, zu komponieren, befindet sich ununterbrochen auf Konzertreisen durch die Stadt, immer im Fiaker, um überall zu erscheinen, wo »Johann Strauß persönlich« angekündigt war. Und dabei hat der Wiener Tag die fatale Eigenschaft, für alles zu kurz zu sein. Im Winter muß die Kapelle verstärkt werden, in vier Partien arbeiten: als großer Gesamtkörper und als »kleines Gspiel« – der Musikbedarf ist kaum zu decken.

Der Hof wußte, Strauß war Kapellmeister der Nationalgarde gewesen, er hatte Studentenmärsche und die Liguorianerseufzer-Polka geschrieben und höfisches Gedächtnis vergaß nicht der »roten Musik« und anderer Belastungen des Gesinnungskontos, sondern hielt mit der Gnadenverteilung zurück. Strauß rückte nicht seinem Vater nach, wurde nicht Hofballmusikdirektor, vielmehr im diplomatischen Ausweg – umgehen konnte man ihn nicht – neben dem Kapellmeister Fahrbach zur »Leitung« der Hofballmusik herangezogen, ein fein distanzierter Unterschied, auf den sich sein Urheber gewiß viel einbildete. Aber auch diese Würde errang Strauß eigentlich selbst, denn als eine Erzherzogin nach der »Annenpolka« verlangte und Fahrbach sie nicht in seinem Notenkasten fand, blieb nichts übrig, als den Autor selbst zu entbieten. Erst 1864 waren seine Jugendsünden so weit vergessen, daß er definitiver Hofballmusikdirektor werden konnte.

Der Kaiser-Franz-Josef-Marsch, der Viribus-unitis-Marsch, der Erzherzog-Wilhelm-Genesungs-Marsch, die Myrthenkränze (einleitend die Volkshymne im Dreivierteltakt und die Deutsche Hymne) spiegeln den Wandel der Zeiten, nicht den der Gesinnung. Ein paar Verbeugungen mochten dabei sein – der Tanzmusiker ist immer in Abhängigkeit von seinem Publikum –, aber Strauß unterwarf sich nicht lobenswert, er war überhaupt nicht politisch gerichtet. Die Revolution erlebte er als lustiger Außenseiter und je älter er wurde, desto österreichischer und weltbürgerlicher stellte er sich ein.

Über die schwarze Zeit streute Strauß, wie wir gesehen haben, seine Walzer aus dem berühmten Füllhorn aus; der vielzitierte Born seiner Phantasie begann zu sprudeln. Niemals ist er um seine Fruchtbarkeit besorgt; nie sitzt er wie Grillparzers Fischer »mit lässigen Händen am Ufer«; nie schrie er Flüche wider sich an die Wände wie Hugo Wolf, wenn das geistige Uhrwerk stillstand. Keinen Augenblick stockt der Zufluß von Ideen, sie verfolgen ihn, er muß sie notieren, um sie los zu werden.

Nach einem Ball im Sophiensaal sitzt der Vielgeplagte übernächtig und zerschlagen am Tisch; die Sonne scheint bereits durch die Fenster und ein Komiteemitglied des Technikerballes nähert sich besorgt: ob die versprochene Walzerpartie für heute abend fertig sei. Der Meister hebt den schweren Kopf – noch nicht eine Note! –, langt dann nach der Speisekarte, zieht Notenlinien und entwirft die Komposition – in einer halben Stunde. Es waren die damals berühmten »Accelerationen« mit dem lustigen Maschinengesurr ihres ersten Teiles. Und manche andere graziöse Thematik entsprang der verkaterten Übernächtigkeit.

Die Kopisten tragen Blatt um Blatt weg: am Abend wird alles prima vista gespielt. Oft wundert er sich, daß Walzer, die so rasch entstanden waren, den Leuten gefielen und so mächtig einschlugen.

Alle seine Walzer besaßen leise Keckheiten, buhlerische Zärtlichkeiten, aber vor allem Herzensfrohsinn und Unschuld – Musik seines fröhlichen Herzens, Musik, die das Wienerische sagte, nicht das »Weanerische«. Nie wurde Johann Strauß der Ausdruck des Schlögl-Wieners, jenes armgeistigen Kleinbürgers, dessen kulturlose Zurückgebliebenheit Friedrich Schlögl, leider vergebens, mit Geißeln züchtigte, und der Humor mit »Hamur«, Ekstase mit Besoffenheit verwechselte. Man kann in jeder Taktform Künstler sein, nur nicht in der ordinären.

Strauß schrieb nie eine Note, die die Stadt nicht verstand, und hielt dabei Niveau, worin seine populäre Wirkung beruht. Denn ob Roman, ob Drama oder Walzer: der Hörer muß getroffen werden – »das bin ich ... wunderbar erraten und erhöht ...« Seine Walzer und Polken überraschten, weil man sein Gefühl darin erkannte, als sei es nur abgeschrieben, doch irgendwie verklärt; man sang den Straußton nach wie junge Wiener dann den Girarditon kopierten und sich des Girardihumors bedienten. Der Künstler schien ihres geheimsten Schmerzen und »Söligkeiten« zu wissen, gab ihrer Liebe und Werbung Sprache und so ging der Meister in die Stadt über, aus der er hervorging.

»Ein Evoë begrüßt ihn, wenn er erscheint ... aus einem Potpourri erkennt das Publikum das kleinste Straußische Wort heraus ... er beginnt seine zitternden, nach vollem Ausströmen lechzenden Präludien ... der Wiener legt sich sein Mädchen tief in den Arm, sie wiegen sich aufs wunderlichste in den Takt ...« So erzählt Heinrich Laube in einer seiner Reisenovellen vom Straußzauber, den er mit Augen des Fremden sah.

Als Strauß ins biblische Alter eintrat und der 50. Jahrestag sein erstes Auftreten beim Dommayer unter den üblichen Wiener Anstrudelungen gefeiert wurde – 15. Oktober 1894 –, sprach er in einer liebevollen Rede vom harmonischen Ineinanderfließen seines und des Wiener Talents und schob die Verhimmelungsversuche mit einer fast kokett anmutenden, bei ihm aber durchaus echten Bescheidenheit allein auf seine Vaterstadt: »Wenn es wahr ist, daß ich einiges Talent habe, so verdanke ich dessen Ausgestaltung meiner geliebten Vaterstadt Wien ..., in deren Boden meine ganze Kraft wurzelt, in deren Luft die Klänge liegen, die mein Ohr gesammelt, mein Herz aufgenommen und meine Hand niedergeschrieben, meinem Wien, der Stadt der Lieder und des Gemütes, die dem Knaben liebevoll auf die Beine half und dem reifen Mann noch immer ihre Sympathien zuwendet, Wien, der Stadt der schönen Frauen, die jeden Künstler begeistern und bezaubern, Wien, dem Herzen unseres schönen, gottgesegneten Österreich, der goldenen Stadt!«

Gewiß wäre Strauß nicht Strauß, der Tänzer der Sinnlichkeit geworden, hätte er in Brünn, in Olmütz oder Triest gelebt. Die große Wiener Werkstätte, bestimmt von feinem, altem Geschmack, schliff an seinem Talent herum und das Anmutige wurde anmutiger in einer Gesellschaft von vornehmerem Lebensstil und unbeirrbarem musikalischem Instinkt. Vor allem aber verdankt Johann Strauß seiner Vaterstadt eben – das Füllhorn: die ewige Bereitschaft, den immer gespitzten Liedermund, die schwebende Leichtigkeit, den Tanz der Seele. Und dies ist ein Geschenk der Wiener Landschaft.

Die hellenischen oder indischen Staaten erkrankten an ihrer paradiesischen Natur und die Wiener Lebensführung mit ihrem Geselligkeitsdrang, ihren Gastereien und Landpartien wurde künstlerische Gefahr, gegen die sich Grillparzer mit einem Seufzer wehrt: »Man lebt in halber Poesie, gefährlich für die ganze ...!« Schubert ist ohne Schubertiade nicht zu denken und nur der fremde Beethoven bleibt der Ungesellige, der Klausner des Wiener Waldes. Menschen, die nicht im Kampf mit der Landschaft stehen, entwickeln mehr sängerische und tänzerische Begabungen als cäsarische und volkswirtschaftliche.

Das große Füllhorn ...


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