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Morgenblätter

Im Fasching 1864 taucht in Wien ein hagerer, zappeliger Mann auf – mächtiger Adamsapfel, weitabstellende braune Koteletts, stechende blaue Augen hinter schwarzgerändertem Zwicker – in Witzen sprühend: Jacques Offenbach.

Wien und Offenbach gefielen einander glänzend. Drei Theater spielen seine Operetten gleichzeitig, darunter die von Nestroy geraubte Hochzeit bei Laternenschein, was Offenbach jedoch nicht anfocht. Wien war nach Paris »die Hauptstadt seiner Muse«, ja eine Art »Offenbachscher Sparkasse«. Hier wiederholte sich Elan und Heiterkeit, hier gab's parodistische Talente wie die Gallmeyer, die mit Offenbach augenblicklich nach Paris gehen möchte, oder die Grobecker, die er sofort ins Palais Royal mitgenommen hätte.

Mit Offenbach kam aus dem zweiten Kaiserreich auch eine neue Tanzmode mit, der aus Algerien eingewanderte Cancan, den Wien zuerst im »Orpheus in der Unterwelt« erblickte. Es verwirrte die Sinne, wenn die Tänzerinnen die Fußspitze an die Stirn warfen, und die »Debardeurs«, die ersten weiblichen Hosenmasken, pflegten den Cancan mit Genuß beim »Sperl«, in der »Walhalla«, beim »Engländer« und beim »Schwender«. Die berühmte Fiaker-Milli tanzte ihn in Balltoilette und der klassische Ausruf, mit dem sie das Zurückschleudern ihrer Schleppe begleitete – »Gehst hintri!« – wurde zum geflügelten Wort.

Das war der Mann der Wiener Presse: Bankier der Musik und ein geselliges Talent ersten Ranges; hätte er ein Festspielhaus verlangt, man hätte dafür agitiert. Als der Presse-Verein Concordia einen Ball gibt, bittet er Offenbach um die Gunst, das Fest durch einen neuen Walzer auszuzeichnen. Warum nicht? Offenbach ist witzig, hat Einfälle immer zur Hand und alsbald ist ein Widmungswalzer fertig: »Die Abendblätter«.

Man erinnert sich auch des Johann Strauß; doch Strauß leidet an der Wiener Bescheidenheit, hätte zwar einen neuen Walzer, hat aber keinen Namen dafür und – keine Lust zum Wettbewerb. Das Komitée beginnt Sensationen zu wittern, es entreißt ihm das Stück, man nennt es »Morgenblätter« – der Gegenwalzer ist fertig

Der Ballabend kommt, beide Widmungen werden aufgeführt. Zuerst die Abendblätter, die mit fünf Wiederholungen einen Offenbach würdigen Erfolg erringen: wer hätt' es auch anders erwartet! Die Morgenblätter haben darauf – wie denn anders, sie tragen nicht Pariser Marke, sind bescheidene heimische Fechsung – nur einen Nebenerfolg: kaum kommt es zur Wiederholung. Aus hastig belächelten Anerkennungen hört Strauß den Mißerfolg heraus.

Er schluckt seine Empfindlichkeit hinunter und deckt seine Bewegung unter Verbeugungen; er schweigt und wartet.

Seine Stunde kam. Er selbst führte in der Folge Offenbachs Abendblätter auf, die Militärkapellen spielten sie – ihr musikalischer Reiz ermattete; das Stück gehörte zu den Blendern, deren Ende Makulatur heißt.

Die Morgenblätter dagegen? Man begann zu entdecken, was man besaß, zu lieben, was man verworfen hatte. Sie wurden mit den Jahren immer jünger. Und heute noch wollen sie nicht wie Musik von gestern klingen, sie erscheinen frisch wie eben ausgegeben. Das erste Thema, mit Achtelnoten in die Luft stechend, hat Puppenhaftes: Colombine tanzt in ruckweisen Schritten, eine typisch Straußische Manier. Von Violinen in vibrierenden Achteln wiederholt, erwacht die Marionette, wird warm und lebendig, die Freude am Thema wächst mit seiner Entfaltung durch die Variation. Ein C-dur-Walzer folgt als verklärte Wiener Geisteshaltung. Im F-dur-Teil verschiebt ein Straußischer Lieblingsgriff dem dionysischen Thema den Rhythmus. Ein Baßwalzer – die Lustige Person mit gravitätischem Leibesumfang – vollendet den Humor des Stücks.

Mit den »Morgenblättern« steigt Strauß eine weitere Stufe über die mit den »Accelerationen« erreichte Entwicklung empor und nähert sich dem Typ der Schönen blauen Donau. Bezeichnend für ihn, der immer Harmonie suchte, daß er nun, in Harmonie mit einer Frau, in glücklichen Lebensumständen, von Pflichtarbeit befreit, zu seinem Ich vordringt und die goldene Reihe der Unsterblichkeitswalzer beginnt.

Mit den Morgenblättern (Werk 279) geht Strauß zu einem neuen Verleger über. Seine ersten Werke (1–17) erschienen bei Mechetti (später Spina); Werk 18–58 bei Müller; 59–94 zum größten Teil wieder bei Mechetti; Werk 95 (Idyllenwalzer) bis 271 bei Haslinger; die Quadrille nach Verdis Maskenball (Werk 272) bei Spina; Werk 273–278 bei Haslinger, womit der Vertrag ablief. Die folgenden Werke kommen meist bei Spina, Cranz, Lewy, Simrock heraus, wie aus dem Werkeverzeichnis am Schluß zu ersehen ist.

Carl Haslinger, Altwiener Figur, Erbe des Beethoven-Haslinger, war auch Komponist (»Liebesblüten«, Werk 89) und schrieb einen Walzer-Nachruf auf Strauß Vater. Mit ihm verkehrte Johann auf sehr vertrautem Fuß und schleuderte dem Mann alle Verlegerkniffe wie Aussaugen, Anschmieren, Hineinlegen in durchaus freundschaftlicher Weise an den Kopf. Einmal begrüßte er eine finanzielle Untat Haslingers mit dem Meyerbeer-Zitat: »Ha, welche Großmut! Sie muß ich loben!« Einen Brief aus Rußland schließt Strauß in bissigem Humor: »Es grüßt Dich und Deine liebe Frau herzlich und aufrichtig – Du kennst die Bedeutung dieses Wortes als Verleger nicht – Euer Jean.«

Schließlich ging ihm, scheint es, der Humor aus und er übersiedelte zu Spina, wo er einen besseren Vertrag schloß. Danach hatte er gegen bestimmtes Honorar jährlich sechs Tänze zu liefern, Mehrarbeit wurde besonders vergütet oder für nächstes Jahr gutgeschrieben und dieser Vertrag dauerte bis 1874, als Strauß aufhörte, einzelne Tanzstücke zu komponieren.

Übertriebene Vorstellungen darf man sich dabei nicht machen. Für den Donauwalzer, der um die Welt lief und zwar ein paarmal, bekam Strauß ganze 250 Gulden, nachher allerdings noch ein Ehrenhonorar. Die Sechzigerjahre kannten noch keine Komponisten, denen ein Schlager Millionenhonorare trägt.

In den Titelblättern spiegelt sich der Wandel der Verleger und der Zeiten. Die alten biedermeierischen Querformate mit den zierlichen Blumenkränzen, den sauberen Lettern und Girlanden, den feingestochenen Porträts zeugen von der Kultur ihrer Jahre und Sammler fahnden nach ihnen wie nach den Gläsern, Vitrinen und Kommoden dieser Zeit. Das Verdienst, Walzer mit Titel versehen zu haben, fällt dem alten Strauß und Josef Lanner zu und hatte ein praktisches Bedürfnis zur Ursache. Früher hießen die Tanzstücke einfach: »12 Deutsche mit Trio«. Nun wollte man den Käufern neuer Walzer entgegenkommen und sie nicht zwingen, die Opuszahlen auswendig zu lernen. Es war leichter, die »Schönbrunner« zu bestellen als den Walzer in F, Nro soundsoviel. Die Titel des Alt-Strauß sind im Anfang noch vorstädtisch, ein Widerhall der Aufführungsorte: Täuberln-Walzer, Döblinger Reunion, Hietzinger Reunion. Später verraten sie die Zeit lebendiger klassischer Bildung: Egerien-Tänze, Latonen-Walzer, Asträa-, Eunomien-Tänze, Minos-, Themis-, Amphion-Klänge. Noch später wandelt sich alles: das Quer- ins Hochformat, der Druck, die Ausstattung, das Papier ins Geschäftliche, der Titel ins Plakat. Johann Strauß Sohn besaß eine Liste von Titeln, aus denen im Verein mit dem Verleger ein Name ausgesucht wurde. Aus den Umschlägen seiner Zeit – Siebziger- und Achtzigerjahre – blickt zuletzt der industrielle Betrieb mit industriellem Ungeschmack.


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