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Der Vater

»Von einem durchaus verrückten und fehlerhaften Künstler ließe sich allenfalls sagen, er habe alles von sich selber; allein von einem trefflichen nicht.«

Goethe

 

Das Stammschloß der Strauße war das kleine Wirtshaus »Zum guten Hirten« in Wien, nahe dem Donauarm, der die Leopoldstadt von der Stadt trennt. Ist man wohlwollend, kann man es »Schenke«, ist man aufrichtig, darf man es »Beisel« nennen, was eine niedrige, räucherige Kneipe bezeichnet. Zwar besaß der »Gute Hirt« feine Kunden, Komponisten und Schriftsteller – Wenzel Müller, Bäuerle, Castelli, Deinhardstein sollen dort gesehen worden sein –, zehrte vielleicht von der blaßgewordenen Romantik einer alten Schifferzuflucht. Wie dem auch sei: zum Wirtshaus gehört Musik, dort will sich der Mensch, zumal in Wien, von Wohnung, Geschäft, Gedanken, Steuern und allen anderen unnötigen Lasten des Daseins erholen. Hier sitzt man den Sonntagabend durch, Kopf an Kopf, in Zigarren- und Pfeifenluft, trinkt und lauscht und füllt sich mit Wein und Musik.

Aber gerade diese Wirtshäuser sind die Wiegen der Wiener Tanzmusik. Der Ländler, die Musik der Berge, kam die Donau herabgeschwommen. »Wenn in Linz die Ulmer Schiffe und die anderen Kähne anlegten, die Menschen und Vieh nach Wien bringen sollten, stiegen auch die Linzer Geiger ein, und von zwei Violinen, Gitarre und Baßgeige, oder einer Violine, Klarinette, Gitarre und Baßgeige erklangen während der Donaufahrt die instrumentalen Weisen des Gebirges im langsamen Dreivierteltakt.« Das Ordinarischiff des 18. Jahrhunderts trug diese Weisen herab. Am Donauufer reihte sich Gasthof an Gasthof, da gab es das »Weiße Lamm«, den »Goldenen Bären«, den »Weißen Hahn«, den »Blauen Stern«, und in allen spielten die Linzer Musikanten und wanderten von hier in die anderen Wirtshäuser der Stadt, besonders in die am lebelustigen Spittelberg. Und nun gewinnt der »Gute Hirt«, der nicht weit vom Donauufer und seinen Wirtshäusern lag, eine neue Bedeutung. Er ist ein Stapel volkhafter Tänze und weder ist ganz zufällig Johann Strauß Vater in dieser Sphäre geboren, noch drüben am Spittelberg, dem gleichen Musiknest, Josef Lanner. Und volkhaft blieb diese Kunst und behielt bis in ihre letzten Verfeinerungen hinein – Johanns unsterblichen Donauwalzer – den Naturton.

Dazu kommt die Sonderart des Wiener Volkes; von Landschafts wegen optimistisch und musikalisch wie kein zweites, eingestellt auf die Geschenke des Lebens: Tanz, Gesang und Liebe, und selbst glücklicher Geber und Schenker. Seine Tanzmusik wurde die Freudenmusik der Welt.

Der Tanz aber stammt aus dem alten Wiener Hausinstrument, der Geige, die die großen Violen verdrängte und eine sinnlich-melodische Macht im kleinsten Format darstellt. Weshalb es denn natürlich ist, daß der Knabe Strauß auch einer der gottvollen Geiger werden will, die in der Floßgasse fiedelten. Der Mensch holt seine Ideale vom Nachbarn her.

Die Eltern wollen den Buben nun nicht gerade Kellner werden lassen; aber bestimmt nicht Musiker – ein Beruf, merkwürdig verrufen bei bürgerlichen Eltern. Bis auf den Vater Rossinis oder Mozarts findet sich auch keiner, der seinen Sohn dazu bestimmt, schon weil in dieser Wahl eine Auflehnung der Persönlichkeit und eine Neigung zur Welt des Unsoliden liegt. Wenn wir hier von Eltern sprechen, so kommt nicht mehr der leibliche Vater Johanns des Älteren, der Bierwirt Franz Strauß (geb. 1750), in Betracht, denn er machte seinem Leben angeblich mißlicher Geschäftsverhältnisse wegen freiwillig ein Ende und die Witwe, die zwei Kinder besaß, Johann und Ernestine, heiratete den Gastwirt Golder. Johann quälte sich als gedrückter, widerwilliger Schüler und wird, während er von einem romantischen Musikantenleben träumt, zu einem Buchbinder namens Lichtscheidl in die Lehre gesteckt, der ein seelenguter Mensch mit rauher Außenseite gewesen sein soll. Die Seelengüte beruht auf wohlwollender Überlieferung, die rauhe Außenseite prügelte den Lehrling, machte ihn scheu und rebellisch, weshalb der Knabe auch durchbrennt, von einem Musiker namens Polischansky auf der Straße aufgegriffen wird, von ihm regelmäßigen Geigenunterricht erhält, also seinem Schicksal in die Arme lief.

Wir kennen sonst keinen Lehrer des jungen Strauß; seine Meisterin ward die Wiener Luft mit ihren tausend künstlerischen Keimen. Die handwerkliche Praxis hat seine Anlagen entwickelt. Ein Kind der alten Musiker-Romantik, die lieber dreimal durchbrennt, bevor sie einmal nachgibt. Bewundernswert in allem, was sein dämonischer Trieb erreichte, nicht beneidenswert in den schweren inneren Kämpfen, die er später mit sich austrug, um Errungenes und Erahntes auszugleichen, die ihn dazu brachten, noch in seinen Glanzjahren Kompositions- und Violinunterricht zu nehmen.

Er kommt als Bratschist ins Orchester des hauptsächlich durch seinen Durst musikgeschichtlich berühmten Pamer und – mit 15 Jahren – zu seinem Ideal: Josef Lanner, dessen Quartett mit einem freundlichen Ausdruck Kapelle genannt werden darf.

Das war 1819. Lanner, der Handschuhmachersohn von Sankt Ulrich, ist nur um drei Jahre älter (geb. 1801), hat sich aber schon hinaufgearbeitet; er spielt im »Wällischen Bierhaus« auf der Praterstraße; spielt beim »Rebhuhn« in der Goldschmiedgasse, wo ihm Schwind und Schubert gern zuhören.

Lanner ist »wer« in Wien. Für seinen neuen Bratschisten bedeutete er überhaupt das Höchste, was ein Musiker erreichen kann. Nun wird er sogar sein Freund! Er zieht mit ihm in ein gemeinsames Zimmer, worin alles gemeinsam ist, Möbel, Noten, sogar das berühmte einzige Hemd, das nur getragen werden konnte, wenn der andere zu Hause blieb. Ein seliges Zigeunerleben im alten fidelen Wien.

Beethovenluft weht ... Nicht weit von Lanners Geburtshaus wohnte in der Trautsohngasse, auf dem Glacis, in abenteuerliche Fernen blickend, der Meister. Lanners erster Verleger ist Diabelli, derselbe, der die 33 Variationen hervorrief; und sein zweiter – Haslinger, ein kleiner Kerl mit Vatermördern, der Diabelli auf den Tod haßt und im Paternostergaßl haust, dessen Laden Wiener und Fremde aufsuchen, um Beethoven zu sehen.

Lanner, immer stärker begehrt, muß sein Orchester vermehren, dann teilen. Die eine Hälfte behält er, die andere übernimmt Strauß. Doppelherrschaft ist immer verderblich. Strauß hat schon heimlich Walzer geschrieben wie Lanner, und es soll Kapellmeister gegeben haben, die sie als die ihren aufführten. Er verfügte also über Musiker-Erfahrungen, besitzt aber auch Ehrgeiz und Nerven des Musikers, ist reizbar, will selbständig, ganz selbständig werden, nicht mehr dienen, auch dem Freund nicht. Schließlich erhält er seinen Abschied unter stürmischen Formen.

Beim »Bock« auf der Wieden traten beide zum letztenmal zusammen auf. Sezessionsgerüchte flackerten voraus. Auf dem Podium begann, durch einen Zufall herbeigeführt, der Bruch der Freundschaft und das Publikum sieht ihm wie einem Staatsstreich zu. Fiedelbögen schwirrten, Schlachtrufe ertönten und das Ganze endete in einer geschichtlichen Prügelei, an der Musiker und Wirt, Gäste und Nachbarn mit edlem Kunstfeuer teilnahmen.

Der aufgeregte Lanner schimpfte, bereute die Sache später, veredelte seine Schmerzen in einem Trennungswalzer (»Trennung« – »Schnackerl Walzer« – »Vorbereitung zur Reise« – »Trennung«). – Alles endete bei den Leuten in Walzern – das Ergebnis war: von jetzt an gab's in Wien einen Herrn Johann Strauß, Besitzer und Chef der Kapelle Strauß.

Einmal selbständig, kommt er rasch vorwärts. Eine der Naturen, die unabhängig sein müssen, um sich zu entwickeln, folgt er herrischen Instinkten. Mit 22 Jahren hat Strauß von der Vorstadt aus halb Wien erobert: seine Einbruchstelle sind die »Zwei Tauben« am Glacis, woher sein erstes Werk (»Täuberlwalzer«) den Namen führt. Er nistet sich in Döbling, in der Roßau ein und im Sterbejahr Beethovens erscheinen seine »Kettenbrücke-Walzer«, benannt nach dem Gasthaus »Zur Kettenbrücke«.

Noten

Mit 25 Jahren ist er oben. Nach einem Probespiel wird er Musikdirektor beim Sperl in der Leopoldstadt. Ganz keusch war dieser Venustempel nicht und das Reinste daran dürfte die Musik gewesen sein. Aber Sperl ist das Vergnügungslokal Wiens, erstes, vornehmstes, einziges, nicht mehr Wirtshaus. Einem Burgschauspieler, der gestern bei der Schmiere stand, heute sein Dekret besitzt, kann nicht wohler gewesen sein als Strauß, da er seinen Vertrag las. Wien ist erobert.

Wunderlich und rasch führte das Schicksal ihn empor.

Mit Strauß kamen einige Neuerungen. Dazu gehörte ein neuer Walzer und die persönliche Eleganz. Der Mann mit dem schwarzen Kopf, den blassen Wangen, den tiefbrennenden dunklen Augen, dem koketten Schnurrbart, der pikfeinen Wäsche und Toilette war kein »Bratlgeiger«; das war der Teufel als Kavalier. Eine Personnage, an der Schneider und Friseur herumgearbeitet hatten, bevor er sich auf dem Ball zeigte. Fluten von Zuhörern brechen beim Sperl ein, überschwemmen Soireen und Faschingsabende. Dieser zuckende, rhytmische Mensch verführt. Sperl in floribus. Der Straußzauber beginnt.

Herbst 1830 kommt der junge Chopin mit Konzertabsichten nach Wien; er sieht mit Bedauern, daß es »mit dem Wiener Ernst nicht weit her ist«, seine Sonne will nicht recht aufgehen: »Lanner, Strauß und ihre Walzer beschatten alles ...«

Zwei Jahre später folgt der 19jährige Richard Wagner und sein Wiener Erlebnis – es zieht sich lang durch sein Erinnern – heißt: Strauß. Wagner findet hier einen Boden »originaler, volksblütiger Produktivität«: die Zauberpossen in der Vorstadt, den Zamparausch in der Josefstadt und überall die Strauß-Ekstase. Der Walzer ist ein stärkeres Narkotikum als Alkohol. Die Zuhörerschaft steht beim ersten Bogenstrich in Flammen. Er hört das Wonnegewieher der Trunkenen, sieht eine Begeisterung, die an Raserei grenzt. Und der wunderliche Strauß selbst, der zauberische Vorgeiger, »dieser Dämon des Wiener musikalischen Volksgeistes erzitterte beim Beginn eines neuen Walzers wie eine Pythia auf dem Dreifuss ... So ward mir die heisse Sommerluft Wien's nur noch von Zampa und Strauss geschwängert.«

Das war die erste Berührung zweier Lebenslinien. Ein Menschenalter später schreibt Wagner sein Tannhäuser-Bacchanal und nach sechzig Jahren sitzt der Sohn jenes Alt-Strauß im Festspielhaus von Bayreuth und hört mit einiger Genugtuung den »Walzer« der Blumenmädchen.

siehe Bildunterschrift

Josef Lanner
Lithographie von Kriehuber

siehe Bildunterschrift

Johann Strauß Vater
Lithographie von Kriehuber


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