Dante
Die göttliche Komödie
Dante

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiunddreißigster Gesang

        1


4


7


10


13


16


19


22


25


28


31


34


37


40


43


46


49


52


55


58


61


64


67


70


73


76


79


82


85


88


91


94


97


100


103


106


109


112


115


118


121


124


127


130


133


136


139


142


145
    »O Jungfrau, Mutter, Tochter deinem Sohne,
    Der nichts an Demut, nichts an Hoheit gleich,
    Du, ewigen Heilsbeschlusses Ziel und Krone!
Du adeltest, was menschlich, also reich,
    Daß sein Geschöpf zu werden nicht die Güte
    Des Schöpfers selbst verschmäht im Himmelreich.
In Deinem Schoß die Liebe neu erglühte,
    In deren Strahl so herrlich auf der Schwelle
    Des ewigen Friedens sproßte diese Blüte.
Uns bist Du hier die Leuchte mittaghelle
    Der Liebeshuld, im irdschen Schattenspiel
    Den Sterblichen lebendiger Hoffnung Quelle.
Herrin, Du bist so groß, vermagst so viel:
    Wer Gnade heischt und nicht zu dir will kommen,
    Will fliegen ohne Flügel an sein Ziel!
Ja, Deine milde Güte hilft dem Frommen,
    Der bittet, nicht allein: mit offnen Armen
    Hast, eh er bittet, Du ihn angenommen.
In Dir ist Mitleid, Frau, in Dir Erbarmen.
    In Dir ist Großmut, ja, vermählt in Dir,
    Was Menschen ziert und läßt das Herz erwarmen! 445
So fleht denn dieser, der zur Seite mir,
    Der, Stuf um Stufe, all der Geister Leben
    Vom tiefsten Schlund des Alls ersah bis hier:
Aus Gnaden sei ihm nun die Kraft gegeben,
    Daß er sich höher noch, zum Glorienschein
    Des höchsten Heiles schauend mag erheben.
Und ich, der heißer nie für das, was mein,
    Als für sein Schaun entbrannt, bring all mein Flehen
    Dir dar: o laß es nicht vergebens sein!
Durch Dein Gebet laß allen Dunst vergehen
    Der Sterblichkeit, der ihm umflort den Sinn,
    Daß er das höchste Heil enthüllt darf sehen.
Dann bitt ich dich noch eins, o Königin –
    Du kannst ja, was du willst: woll ihn erhalten
    Nach solchem Schaun in Reine fürderhin!
Sei Schutz ihm wider irdischer Wünsche Walten!
    Sieh Beatrice samt der seligen Schar
    Zu meinem Beten ihre Hände falten.«
Das Gott selbst liebt und ehrt, das Augenpaar,
    Tat, ruhend auf des Beters Angesichte,
    Am frommen Flehn sein Wohlgefallen dar.
Dann wandt es sich empor zum ewigen Lichte,
    Und keiner wähne, daß dahin so klar
    Sich jemals ein erschaffnes Auge richte!
Und mir, der aller Wünsche Ziel ich gar
    So nahe kam, das mir bestimmt da droben,
    All meines Sehnens Glut gestillt nun war.
Sankt Bernhard, lächelnd, wies mich hin nach oben,
    Doch, wie sein Wink es wollte, hatt' ich da
    Mein Auge schon von selber aufgehoben.
Denn mehr und mehr, wie's immer heller sah,
    Drangs in den Strahlenglanz vom hehren Lichte,
    Des Lichts, das Wahrheit in sich selber ja.
Zu groß nun wird die Fülle der Gesichte!
    Das Angedenken weicht dem Überschwang,
    Und all der Schau weicht unser Wort, das schlichte.
Wie wer ein Traumbild sah und spürt den Drang
    Im Innern noch, den träumend er empfunden,
    Ob ihm das Bild verging, das Wort verklang: 446
So ich, dem dies Gesicht fast ganz entschwunden,
    Indes noch immer träuft ins Herz hinein
    Die Süße, die aus solcher Schau entbunden.
So muß der Schnee vergehn im Sonnenschein,
    So mocht' auf Blättern leicht im Wind verwehen,
    Was der Sibylle Weisheit schrieb darein.
O höchstes Licht, das menschlichem Verstehen
    So ganz entrückt! Laß meinen Geist die Spur
    Des, was mir dort erschienen, wieder sehen:
Die Zunge löse Deiner Kreatur,
    Auf daß sie künftigen Geschlechtern weise
    Ein Fünklein, Herr, von Deiner Glorie nur!
Hallt mirs im Innern wider, ob nur leise,
    Und tönt ein Hauch in diesen Reimen bloß,
    Wird Deines Siegs gedacht mit höherm Preise. –
Vom grellen Strahle, glaub ich, den, im Schoß
    Lebendigen Lichts entfacht, ich da ertragen,
    Geblendet wär mein Auge, riß ichs los;
Und das, noch weiß ichs, ließ mich ohne Zagen
    Standhalten, bis der unbegrenzten Macht
    Ins Auge gar zu schaun ich konnte wagen.
O Gnade, die mich also reich bedacht,
    Daß mir ins ewige Licht zu schaun gelungen,
    Wo alles Schauns Erfüllung mir gelacht!
In seinen Tiefen sah ich eng verschlungen
    Zum einigen Bunde, den die Liebe flicht,
    Was, sich vereinzelnd, rings das All durchdrungen:
Wesen und Zufall und ihr Walten, dicht
    Verflochten, als wenn eins am andern hinge, –
    Ach, was ich sage, gibt nur blasses Licht!
Wie All in Eins zum Knoten hier sich schlinge,
    Fürwahr, ich sahs, und höher fühl ich nun
    Die Brust mir schwellen, da ichs sag und singe.
Ein Augenblick läßt tiefren Blick mich tun
    Als viel Jahrhunderte das Abenteuer,
    Da Argos Schatten staunen ließ Neptun:
So war in Schaun mein Geist versenkt, in neuer
    Erwartung unbeweglich, scharf gespannt,
    Und immer heißer loht' im Schaun sein Feuer. 447
Vor diesem Licht wird so der Blick gebannt,
    Daß nie kein Auge, das an ihm gehangen,
    Sich willentlich nach andrer Schau gewandt.
Ist doch das Gut, nach dem wir all verlangen,
    In ihm beschlossen und in ihm vollendet,
    Was außer ihm in Mängeln stets befangen. –
Nun stockt, noch ehe mein Erinnern endet,
    Mein Wort und stammelt, wie ein Säugling lallt,
    Dem seiner Mutter Brust noch Labe spendet.
Seht, nicht, daß mehr denn einerlei Gestalt
    Ihm, das da bleibt, was es von je gewesen,
    Dem All-Licht eigen, dem mein Schauen galt:
Nein, weil im Schaun mein Auge so genesen,
    So wandelte sich mir das Ewig-Eine,
    Dieweil ein andres ward mein eignes Wesen.
Tief in des hehren Lichtes klarem Scheine
    Erstrahlte dreier Kreise Leuchten mir,
    Dreifarbig, eines Umfangs; und der eine
Schien rückgestrahlt vom andren gleich der Zier,
    Die zwiefach Iris webt; den dritten sahe
    Ich gleicherweis entflammt von dort und hier.
Wie schwach das Wort! Wie käms dem Denken nahe?
    Wie wenig – minder noch denn wenig tut
    Das Denken dem genug, was mir geschahe!
O ewig Licht, das in sich selber ruht,
    Nur selber sich durchdringt und, so durchdrungen
    Und sich durchdringend, lacht in Liebesglut!
Da jenen Kreis, der Deinem Glanz entsprungen
    Wie rückgestrahlten Lichtes Widerschein,
    Jetzt zu umfassen meinem Blick gelungen,
Da sah, in eigner Farbe, klar und rein,
    Ich unser Ebenbild gemalt darinnen,
    Und ganz versenkt hat sich mein Blick darein.
Dem Geometer gleich, der all sein Sinnen,
    Des Zirkels Viereck auszumessen, spannt
    Und kann das Maß nicht, das ihm taugt, gewinnen.
Stand ich, von nie gesehner Schau gebannt:
    Wie Kreis und Bild einander so durchdringen,
    Wollt' ich erspähn, wie eins zum andren stand. 448
Doch reichten nicht so weit die eigenen Schwingen;
    Es zuckt' ein Blitz, darin das Licht empfahn
    Mein Geist, das all sein Sehnen wollt' erringen:
Um all die Schau, die hehre, wars getan.
    Doch Wunsch und Willen, wie der Himmelsferne
    Urewig kreisend Rad, führt' ihre Bahn
Die Liebe, die in Gang hält Sonn und Sterne.

 


 


 << zurück