Dante
Die göttliche Komödie
Dante

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Gesang

        1


4


7


10


13


16


19


22


25


28


31


34


37


40


43


46


49


52


55


58


61


64


67


70


73


76


79


82


85


88


91


94


97


100


103


106


109


112


115


118


121


124


127


130


133


136


139


142


145
    Dieweil die andren jähe Flucht versprengt
    Dahin und dorthin über das Gebreite,
    Bergan, wohin Gebot der Pflicht sie drängt,
Hielt ich mich an des treuen Führers Seite –
    Und ohne ihn, wohin auch wandt' ich mich?
    Wer gab zur Höh des Berges mir Geleite?
Er selber, schiens, er haderte mit sich:
    O des Gewissens, also stolz und strenge,
    Dem solch gelinder Fehl so herber Stich!
Als nach der Hast, die allzeit ins Gedränge
    Die Würde bringt, sein Fuß dann kam zur Ruh,
    Da tat, befangen erst in seiner Enge,
Mein Sinn sich auf, daß ich dem Gipfel zu,
    Von Wissensdurst gedrängt, mein Auge wandte,
    Wo flutenttaucht zum Himmel ragt die Fluh.
Der Sonne, die im Rücken rot mir brannte,
    Zerriß vor mir mein Schattenriß der Schein,
    Da Schirm mein Leib dem Strahl, den sie entsandte;
So wandt' ich mich, denn Sorge schuf mir Pein,
    Ich sei im Stich gelassen, da die Breite
    Ich so beschattet sah vor mir allein.
Allein mein Hort: »Was argwöhnst du? Zur Seite
    Dir bin ich«, sprach er, ganz mir zugewandt.
    »Vertraust du nicht, daß treu ich dich geleite?
Wo jetzt der Abend sinket, liegt im Sand
    Die Hülle, drin ich Schatten warf, bestattet:
    Kam aus Brundisium an Napels Strand.
Nicht staune drum, wenns hier vor mir nicht schattet,
    So wenig, wie ums Licht der Himmel droben,
    Wo eins dem andren stets den Weg verstattet. 168
Qual läßt in Glut und Frost die Macht dort oben
    Dergleichen Körper leiden; doch für keinen
    Hebt sie den Schleier, der darum gewoben.
Tor, wer da hofft, mit Menschenwitz und -meinen
    Auf Seiner Wege unermeßner Bahn
    Ihm nahzukommen, der da Drei im Einen!
Laßt, Sterbliche, genügen eurem Wahn
    Am Wie! Denn so ihr alles solltet wissen,
    Nicht brauchte dann Maria zu empfahn;
Und die ihr fruchtlos sehnend saht beflissen,
    Ihr Sehnen wär gestillt, das ihren Sinn
    In Ewigkeit nur sehrt mit Bitternissen.
Von Aristoteles und Plato bin
    Ich Zeuge des und andren mehr . . .«, in Schweigen
    Die Stirne senkend, gramvoll ging er hin.
So kamen wir zum Bergesfuß. Da steigen
    So steil empor die Felsen, daß behende
    Zu klimmen sich umsonst die Kniee zeigen.
Die kühnsten, wildsten Steige, die man fände
    Von Lerici bis gen Turbia: Stiegen
    Sinds, zahm und sänftlich gegen diese Wände!
»Wo mag nun so der Hang herab sich schmiegen,
    Daß klimmend«, sprach mein Hort und hielt dort an,
    »Hinauf kommt, wer nicht Flügel hat zu fliegen?«
Und während er die Blicke senkt' und sann,
    Den Weg hinauf bei sich zu überlegen,
    Und an den Schrofen rings ich starrt' hinan,
Da kam zur linken Hand, kam uns entgegen
    Von Seelen eine Schar, doch sah man nicht,
    So langsam ging ihr Schritt, den Fuß sie regen.
»Heb auf, o Meister«, sagt' ich, »dein Gesicht!
    Hier kommen welche, die auf unser Fragen
    Uns Rat wohl geben, wenn er dir gebricht.«
Auf blickt' er, wie befreit zu mir zu sagen:
    »Gehn wir entgegen, kurz sind ihre Tritte.
    Und Wurzel laß, mein Sohn, dein Hoffen schlagen!«
Wir waren noch, da wir an tausend Schritte
    Voran getan, so weit, als mit der Hand
    Ein guter Schleudrer wirft, von ihrer Mitte, 169
Da, ans Gestein gedrängt der hohen Wand,
    Stand alles still, zuhauf, so wie hienieden
    Anhält zu spähn, wer lugen will ins Land.
»Ihr Wohlvollendeten! Bei jenem Frieden«,
    Begann Virgil, »der eurem ganzen Heer,
    Erwählte Seelen, sicherlich beschieden,
Sagt, wo der Berg sich senkt und minder schwer
    Der Anstieg: Zeit verlieren macht Beschwerde,
    Je mehr bewußt dem Menschen, um so mehr.«
Wie Schäflein, kommt aus ihrem Pferch die Herde,
    Erst eins, dann zwei und drei, die andren stehen
    Und senken ängstlich Stirn und Blick zur Erde,
Und ganz, wie sie's das erste machen sehen,
    Tun alle, stutzt es, drängen sie heran,
    Einfältig, unbewußt, warums geschehen:
So von der Herde, die das Heil gewann,
    Sah ich die Vorhut nahn; mit züchtigem Schreiten,
    Bescheidner Miene kam ihr Häuflein an.
Doch als die vorn zu meiner rechten Seiten
    Das Licht am Boden unterbrochen sahn
    Und meinen Schatten auf den Fels sich breiten,
Da stutzten sie und wichen aus der Bahn
    Ein wenig hinter sich, und unbesehen
    Von all den Folgenden wards nachgetan.
»Ohn euer Fragen will ich euch gestehen:
    Was ihr da seht, ist sterblich Fleisch und Bein,
    Drum lischt das Licht, wo seine Füße gehen.
Nicht nehms euch wunder! Glaubt ihr, dies Gestein
    Dort zu erklimmen hätt er unternommen
    Ohn Hilfskraft, die der Himmel muß verleihn?«
Also der Meister, und die Schar der Frommen
    Rief winkend mit dem Rücken ihrer Hände:
    »Kehrt um, geht uns voran, wie wir gekommen!«
Und einer sprach: »Wer du auch seiest, wende
    Im Weitergehn dein Angesicht und schau,
    Ob je du mich gesehn vor meinem Ende.«
Ich wandte mich und blickt' ihn an genau:
    Blond war er, schön, von adligem Gebaren,
    Doch spaltet' ihm ein Hieb die eine Brau. 171
Fremd nannt' ich mich, in Ehrfurcht, seinen Jahren;
    Da sprach er: »Sieh!«, und oben ließ er mich
    Auf seiner Brust ein Wundenmal gewahren
Und lächelte und sprach: »Manfred bin ich,
    Konstanzens Sproß, der Kaiserin. Zum Port
    Der Heimat kehrend, geh, das bitt ich dich,
Zu meiner schönen Tochter, die den Hort
    Siziliens und Aragons gebar,
    Und sag ihr Wahrheit, sagt mans anders dort!
Von zweier Todeswunden Streiche war
    Mein Leib gefällt, da bracht' ich meine Seele
    In Tränen Ihm, der gern verzeihet, dar.
Viel sind und furchtbar meines Fleisches Fehle,
    Doch lang der Arm, den Gnade fort und fort
    Dem Reuigen reicht, daß er sich ihr befehle.
Ach, wenn doch besser, wie's geschrieben dort,
    Er, den mir auf die Fährte Clemens hetzte.
    Cosenzas Hirte, las in Gottes Wort!
Noch läge mein Gebein, das unverletzte,
    Am Brückenturm bei Benevent im Sand,
    Im Schutz des Mals, das lastend man ihm setzte!
Nun wests, dem Reiche fern, an Verdes Strand,
    Vom Regen naß, von Windsbraut umgetrieben,
    Seit bei gelöschten Lichtern ers verbannt.
Doch bannt ihr Fluch nicht so das ewige Lieben,
    Daß nicht sein Segen wiederkehren kann,
    So nur ein Reis von Hoffnung grün geblieben.
Wer freilich Todes stirbt im Kirchenbann,
    Der muß, bereut er gleich vor Lebensende,
    Für jedes Jahr, das so im Trotz verrann,
Hier draußen dreißig stehn am Fuß der Wände,
    Will fromm Gebet ihm solchen Harrens Pflicht
    Nicht kürzen. Siehe denn, was Trost mir spende!
Konstanzen, meiner treuen, tu Bericht:
    Gib ihr Bescheid, wie du mich hier gesehen
    Und welch Verbot den Gang uns wehrt zum Licht.
Groß Heil von jenen dort kann uns geschehen!« 172

 


 << zurück weiter >>