Dante
Die göttliche Komödie
Dante

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Zweiunddreißigster Gesang

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    Versenkt in seine Wonne, war der Hort
    Des Schauens willig doch, die Last zu tragen
    Des Lehramts, und begann sein heilig Wort:
»Die Wunde, die erst in Mariens Tagen
    Ihr Balsam heile, sie, die so voll Zier
    Zu Füßen dort ihr sitzt, hat sie geschlagen.
Grad unter der sitzt Rahel dann, wo hier
    Zum dritten Rang gereiht die Sitze stehen,
    Und Beatrice siehst du neben ihr.
Sara, Rebekka, Judith kannst du sehen,
    Des Sängers Ahne dann, der Miserere,
    Da ihn sein Fehl gereute, mußte flehen:
So, Stuf um Stufe siehst du sie im Heere
    Des Heils sich folgen, wie von Blatt zu Blatt
    Der Rose hin die Namen ich dich lehre.
Auch ab der siebten haben ihre Statt,
    Wie drüber, Fraun aus Juda, deren Zeile
    Die Blätter scheidet, so die Blüte hat.
Denn diese Reihe teilt in gleiche Teile
    Die heiligen Staffeln dort als Scheidewand,
    Je nach dem Schaun, das jedem half zum Heile. 441
Diesseit, wo reif die Blume bis zum Rand
    In allen Blättern, sitzen sie, die Frommen,
    Die Christum, der da kommen wird, bekannt;
Dort, wo du leere Reihen wahrgenommen,
    Im andren Halbrund, die zum Gottessohn
    Den Blick erhoben, da er war gekommen.
Und wie sich hier die Reihn am Ehrenthron
    Der Himmelsherrin und an denen scheiden,
    Die drunter ich dir wies am Anfang schon,
So trennt da drüben Sankt Johann die beiden,
    Der, groß und heilig, Wüste, Marterpein
    Und Höllenqual, zwei Jahr noch, mußte leiden;
So teilen unter ihm Franziskus ein
    Und Benedikt und Augustin die Kreise
    Und die dann folgen all von Reih zu Reihn.
Nun sieh, und Gottes Vorsehung dann preise,
    Wie jede Glaubensschau den Garten dort
    Zur Halbscheid füllen soll nach gleicher Weise!
Und wisse: abwärts hat von jenem Bord,
    Der mittlings beide Scheidemarken schneidet,
    Durch sein Verdienst hier keiner Sitz am Ort;
Durch fremdes nur, soferns die Regel leidet:
    Denn lauter Geister sinds, die aufgefahren,
    Noch eh die Wahl des Willens sich entscheidet.
Wohl kannst an ihren Mienen du's gewahren
    Und auch an ihrer Kinderstimmen Klang,
    Horchst du mit Fleiß und merkst auf ihr Gebaren.
Nun zweifelst du und schweigst in Zweifeln bang;
    Allein ich löse dich aus solchen Banden,
    Drein dich verstrickt so tiefen Grübelns Drang.
In dieses Königsreiches weiten Landen
    Hat Zufall keine Statt, sowenig ja
    Durst, Hunger, Trübsal hier die Stätte fanden.
Nein, alles ist, was nur dein Auge sah,
    Durch ewige Satzung vorbestimmt hier oben:
    Unfehlbar paßt der Ring zum Finger da.
So sind nicht ohne Ursach die da droben,
    Die so zum wahren Leben einzukehren
    Sich eilten, mehr und minder hoch erhoben. 442
Der König, sieh, dank dem dies Reich der Ehren
    In solcher Liebe, solcher Wonne ruht,
    Daß mehr kein Wunsch noch wagte zu begehren,
Hat, wie in seines lichten Auges Hut
    Die Seelen all er schuf, verschieden jede,
    Wie's ihm gefiel, begnadet. Damit gut!
Lehrts doch die Heilige Schrift, in klarer Rede,
    Wo sie von jenem Zwillingspaare spricht,
    Das schon im Mutterleib begann die Fehde:
Wie nach der Farbe da des Haares flicht
    Je nach dem Maße solcher Gnadenspende
    Den Kranz um jedes Haupt das höchste Licht.
Ohn ihr Verdienst an Werken ihrer Hände,
    Nur unterschieden durch den ersten Strahl,
    Sind diese so verteilt auf all die Stände.
Zur Urzeit tat, mit Unschuld allzumal
    Im Bund, das Heil der Seele zu bereiten,
    Genüge schon der Eltern Glaubenswahl;
Dann mußte, als erfüllt der Väter Zeiten,
    Beschneidung des, was männlich, Kraft den Schwingen
    Der Unschuld leihn, zum Fluge sich zu breiten;
Doch seit der Zeit, die Gnade kam zu bringen,
    Kann, wo die echte Taufe fehlt auf Christ,
    Der Unschuld nimmer solcher Flug gelingen. –
Blick auf zum Antlitz jetzo, das dem Christ
    Am nächsten gleicht! Die Klarheit, die's umflossen,
    Macht einzig dich bereit, zu schaun den Christ.«
So lichte Wonne um ihr Haupt ergossen
    Sah ich in jener heiligen Geister Schar,
    Erschaffen, zu umschweben diese Sprossen,
Daß nichts, was je ich sah, so wunderbar
    Andächtig Staunen ließ mein Herz durchdringen,
    Noch Gott so ähnlich mir erschienen war.
Und huldigend breitete vor ihr die Schwingen
    Die Liebe, die schon einmal schwebt' hernieder,
    Und hob »Ave Maria« an zu singen;
Den Sang, den gottgeweihten, hallte wider
    Das himmlische Gesind auf allen Seiten,
    Und froher hoben alle noch die Lider. 443
»O heiliger Vater, der, um mich zu leiten,
    Den Wonnesitz zu lassen du geruht,
    Der dir verliehn für alle Ewigkeiten:
Wer ist der Engel, der so frohgemut,
    So liebend unsrer Königin dort oben
    Ins Auge schaut, als wär er lauter Glut?«
So fragend hab ich da den Blick erhoben
    Zu ihm, den leuchtend wie den Morgenstern
    Der Sonnenstrahl, Mariens Glanz umwoben.
Und er: »Soviel an Mut und Huld vom Herrn
    Je Seelen oder Engeln ward verliehen,
    Ist all in ihm; des rühmen wir ihn gern.
Er war es, der den Palmenzweig Marien
    Herabgebracht, als unsres Fleisches Kleid
    Der Gottessohn gewillt war anzuziehen.
Doch folge mit dem Blick nun jederzeit
    Dem Wort und merk die Häupter dieser Scharen
    Im Reich des Rechtes und der Frömmigkeit.
Die zwei, die droben höchstes Heil erfahren,
    Weil der Erlauchten allernächst sie nahn,
    Die Wurzeln gleichsam dieser Rose waren:
Der ihr zur Linken ist der Menschheit Ahn,
    Des dreiste Kostgier schuld, daß all ihr Leben
    So Bitteres zu kosten sie empfahn;
Zur Rechten siehst den Ahnen du daneben
    Der Heiligen Kirche, dem zur Herrlichkeit
    Der Blume hier die Schlüssel Christ gegeben.
Er, dem zu schauen all die schwere Zeit
    Der schönen Braut, noch eh er starb, beschieden,
    Die da mit Speer und Nägeln ward gefeit,
Sitzt neben ihm; nächst jenem hat den Frieden
    Der, unter dessen Stab genährt mit Manna
    Das Volk, das störrisch, unstet, nie zufrieden.
Sankt Petrus gegenüber siehst du Anna,
    Die so der Tochter Anblick muß erbaun,
    Daß keinen Blick sie wendet beim Hosianna;
Dem Ahnen aller sieh ins Auge schaun
    Lucia dort, die deine Herrin sandte,
    Da du zum Sturze neigtest deine Braun. 444
Doch flieht die Zeit des Traumes, der dich bannte:
    So sei's genug; ja nach dem Tuche macht
    Den Rock der Meister, das man drauf verwandte.
Laß uns zur ersten Liebe mit Bedacht
    Den Blick erheben, schauend einzudringen,
    So weit du kannst, in ihres Glanzes Pracht!
Doch, daß dein Fuß nicht, weil auf raschen Schwingen
    Empor du wähnst zu streben, rückwärts schleiche,
    Gilts im Gebet um Gnade noch zu ringen:
Gnade von ihr, die hilft, die Hilfereiche!
    Drum folge mir mit deiner Andacht stet,
    Daß nie dein Herz von meinem Worte weiche.«
So hub er an sein heiliges Gebet.

 


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