Dante
Die göttliche Komödie
Dante

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehnter Gesang

        1


4


7


10


13


16


19


22


25


28


31


34


37


40


43


46


49


52


55


58


61


64


67


70


73


76


79


82


85


88


91


94


97


100


103


106


109


112


115


118


121


124


127


130


133


136


139
    Sahst, Leser, je du Nebel um dich braun
    Auf Bergeshöhn, darein du eingesponnen,
    Nur wie durchs Lid der Maulwurf konntest schaun;
Denk, wenn alsdann zu lichten sich begonnen
    Der dichte, feuchte Dunst, wie bleich allda
    Hindurchgeblinkt das matte Rund der Sonnen:
Leicht stellst du dann dir vor, wie mir geschah,
    Als ich, zur Ruhe schon, der abendlichen,
    Hinsinkend, nun die Sonne wiedersah.
Vom treuen Schritt des Meisters nicht gewichen,
    Trat aus dem Qualm ich in ihr sterbend Licht,
    Da schon am Bergesfuß die Strahlen blichen.
O Phantasei! Benimmst so oft die Sicht
    Der äußern Dinge, daß man nichts verspüret,
    Dröhnt gleich Posaunenschall am Ohre dicht:
Was weckt dich, wenn kein Reiz die Sinne rühret?
    Licht, das vom Himmel strahlt, ob dessen Macht,
    Ob höhrer Wille seine Flammen schüret!
Des Frevels Bild war mir im Geist erwacht,
    Um den zum Vogel ward, die ihn begangen,
    Der Singens sich getröstet Nacht für Nacht. 228
Und in sich selbst ward da mein Sinn gefangen
    So, daß er, was auch um ihn her geschah,
    Im Innern keine Spur davon empfangen.
In solch entrücktes Schauen träufte da
    Ein neu Gesicht: ein Mann, ans Kreuz gebunden,
    Den trotzig, grimmen Blicks ich sterben sah;
Der große Ahasver und Esther stunden
    Um ihn; auch Mardochai sah ich stehn,
    Der so gerecht in Wort und Tat erfunden.
Und da das Bild zerfloß in Windeswehn,
    Wie, wenn das Wasser schwand, dem sie entsprangen,
    Schaumblasen platzen und in nichts zergehn,
Stand eine Maid vor Augen mir, die Wangen
    Von Tränen naß, und rief: »O Königin,
    Warum bist du vor Zorn ins Grab gegangen?
Gingst, bang, Lavinien zu verlieren, hin:
    Bin dir verloren nun, um dich in Trauer,
    O Mutter, eh ichs um den andren bin!«
Wie jäh ein Schlag zerreißt des Schlummers Dauer,
    Fällt ins geschloßne Auge grelles Licht,
    Und, eh er schwand, dich noch durchzuckt sein Schauer,
So fiel zu Boden flugs mein Traumgesicht,
    Weil mich ein Leuchten traf mit stärkrer Blende,
    Als je hienieden uns ins Auge sticht.
Ich wandte mich, zu sehen, wo ich stände,
    Als eine Stimme sprach: »Hier gehts hinan«,
    Die allem meinem Denken gab die Wende.
Und also facht' es mein Verlangen an,
    Ihn, der so sprach, zu schaun von Angesichte,
    Daß, ehs gestillt, ich keine Ruh gewann.
Doch wie das Antlitz birgt im Meer von Lichte
    Die Sonne, deren Strahl dem Auge Pein,
    So ward die Kraft des Schauens hier zunichte.
»'s ist Gottes Engel, der aus sich allein
    Uns ungefragt den Weg nach droben lehret,
    Verhüllt in eignen Strahlenglanzes Schein.
Tut uns, was sich zu tun der Mensch begehret:
    Wer sieht, daß Hilfe not, und harrt auf Flehen,
    Sinnt harten Herzens, wie er sie verwehret. 229
Den Fuß laß folgen solchem Ruf; zu gehen
    Sei rüstig, eh das Licht des Tages schwand!
    Dann gehts nicht fürder, eh wirs wiedersehen.«
Mein Führer sprachs, drauf wir den Schritt gewandt
    Zu Staffeln, die bergan im Felsen gingen,
    Und als ich auf der Stufen erster stand,
Da weht' es nah wie Fächeln reger Schwingen
    Um meine Stirn und »Selig«, klangs zumal,
    »Die Friedlichen, die bösen Zorn bezwingen!«
Schon lag am Berg der Sonne letzter Strahl
    Hoch über uns, schon folgt' ihm nächtiger Schatten,
    Und Stern auf Stern erblinkt' am Himmelssaal:
Was heißt euch, meine Sehnen, so ermatten?«
    Sprach ich bei mir; ich fühlt' an meiner Lende,
    Daß alle Kräfte sie verlassen hatten;
Da waren droben wir bereits, am Ende
    Der Stiege, die nicht weiter führt' empor,
    Und hielten, wie ein Schifflein an der Lände.
Erst horcht' ich eine Weile, was mein Ohr
    Erlauschen könnt in diesem neuen Runde,
    Dann wandt ich mich zum Meister wie zuvor:
»Mein teurer Vater«, sprach ich, »gib mir Kunde,
    Was da für Schuld gebüßt wird, wo wir weilen;
    Hält hier der Fuß, nicht halt dein Wort im Munde!«
Und er zu mir: »Hier muß den Mangel heilen
    Die Liebe, die zum Guten träge war:
    Das schlimm gesäumt, das Ruder, lernt hier eilen.
Doch daß du's besser noch erkennst und klar,
    So neige deinen Sinn mir; nützen heißt es
    Die Rast, so bringt sie gute Frucht dir dar.
Nicht Schöpfer, nicht Geschöpf, mein Sohn, du weißt es«,
    So hub er an, »kann sonder Liebe leben,
    Sei's die natürliche, sei's die des Geistes.
Stets ohne Fehl ist die Natur gegeben;
    Die andre fehlt, wenn sich zum Bösen kehret,
    Wenn allzu hitzig, wenn zu lau ihr Streben.
Wenn nach dem ersten Gute sie begehret,
    Wenn Maß sie hält in andren, nimmer schürt
    Die Glut sie, die mit böser Lust euch sehret. 231
Ist bös ihr Ziel, strebt mehr, als sich gebührt,
    Strebt minder sie nach Gutem, wird entgegen
    Dem Schöpfer das Geschöpf von ihr verführt.
So siehst du wohl, daß Liebe allerwegen
    Keim aller eurer guten Werke zwar,
    Doch aller auch, die Gottes Zorn erregen.
Nun kommt, weil Liebe nun und nimmerdar
    Das eigne Heil mag aus dem Auge lassen,
    Sich selbst zu hassen, keiner in Gefahr.
Und weil für sich kein Ding sich läßt erfassen,
    Getrennt von dem, der aller Ursprung ist,
    Ist auch kein Herz imstande, Ihn zu hassen.
Bleibt nur der Nächste, wenn mans recht ermißt,
    Des Leid man lieben kann; in drei Gestalten
    Wächst solches Lieben dort auf eurem Mist.
Der hofft in höhrem Glanz sich zu entfalten,
    Wenn nur sein Nachbar erst zu Fall gebracht,
    Wünscht einzig darum nieder ihn gehalten.
Der wähnt, daß Ansehn, Ehre, Gunst und Macht
    Ihm, wenn ein andrer hochkommt, schwinden sollen,
    Und wurmts ihn, bis ihm Schaden Freude macht.
Den sieht man um geschehne Unbill grollen,
    Daß er nach Rache dürsten muß und tut
    Dem Nächsten Übles rein aus Übelwollen.
Solch dreigestalter Liebe schlimme Glut
    Beweinen drunten die; nun laß dir sagen
    Von der, die ohne Maß erstrebt, was gut.
Ein Gut, drin Ruh erlangt des Herzens Schlagen,
    Ahnt jeder Mensch in seinem dunklen Drange
    Und sehnt sich sein und hofft es zu erjagen.
War Liebe trägt zum Finden, zum Empfange
    Sotanen Guts, so büßt sie ihre Pflicht
    Nach rechter Reue hier auf diesem Range.
Ein ander Gut, das hat kein Glück in Sicht,
    Ist nicht Glückseligkeit, nicht Sein und Leben,
    Ist Frucht und Wurzel alles Guten nicht:
Liebe, die solchem allzusehr ergeben,
    Beweints hier über uns in dreien Kreisen;
    Doch wie sich dreifach teilt ihr sündig Streben,
Des schweig ich. Mag dein Blick dirs selber weisen.« 232

 


 << zurück weiter >>