Dante
Die göttliche Komödie
Dante

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehnter Gesang

        1


4


7


10


13


16


19


22


25


28


31


34


37


40


43


46


49


52


55


58


61


64


67


70


73


76


79


82


85


88


91


94


97


100


103


106


109


112


115


118


121


124


127


130


133


136


139


142


145


148


151
    Eh Nessus jenes Ufer konnt erreichen,
    So langten wir in einem Dickicht an,
    Da Wegs und Steges keine Spur noch Zeichen.
Nicht grün: von düstrem Braun das Laub daran;
    Nicht schlank: verkrümmt und knorrig Stamm und Äste;
    Nicht Früchte: giftige Dornen wuchsen dran.
So rauh, so dicht hat kein Gestrüpp zum Neste
    Das Wild, das flurenscheue, von der Flut
    Der Cecina bis an Cornetos Feste; 61
Hier nistet der Harpyien ekle Brut,
    Die, krächzend künftigen Unheils Klagelieder,
    Die Troer scheucht' aus ihres Eilands Hut.
Die Schwingen breit, am Riesenrumpf Gefieder
    Mit Menschenhals und -antlitz, scharfen Klauen,
    So ächzt es vom verwunschnen Baum hernieder.
»Hör, eh du tiefer eindringst in dies Grauen.«
    Der gute Meister sprachs, »du schauest hier
    Des zweiten Kreises Weichbild, wirst es schauen,
Bis dich empfängt des grausen Sands Revier.
    Tu denn die Augen auf! Hier sollst du sehen,
    Was Lügen traun du straftest, sagt' ichs dir.«
Wehklagen hört' ich rings und Seufzer wehen,
    Doch derer, die so taten, sah ich keinen,
    Drum ganz verwirrt im Sinne blieb ich stehen.
Er meinte, mein' ich wohl, ich möchte meinen,
    Von solchen, die verborgen unsrer Sicht
    Dort im Gesträuche klinge solches Weinen;
Sprach drum der Meister: »Wenn ein Zweiglein bricht
    Dein Finger hier von dieser Dornenhecken,
    So wird der Wahn, den jetzt du hegst, zunicht.«
Da hob ich meine Hand, sie auszustrecken,
    Und brach vom größten Strauch mir eine Rute:
    »Was knickst du mich?« schrie der gekappte Stecken.
Und dunkel ward sein Stumpf von schwarzem Blute,
    Hub wieder an: »Was tust du wehe mir?
    Lebt nicht ein Hauch von Mitleid dir im Mute?
Wir waren Menschen, sind nun Bäume hier.
    Doch mehr Erbarmen sollten deine Hände
    Uns weihn, wenn Seelen selbst von Schlangen wir!«
Als ob ein grünes Scheit in Flammen stände
    Zur einen Hälfte, daß es tropft und zischt
    Vom Winde, der entweicht, am andren Ende:
Also entquollen Wort und Blut gemischt
    Dem Strunke, drum ich fallen ließ voll Grauen
    Das Reis und stand, wie wem der Mut erlischt.
»Konnt er mir glauben, was er jetzt muß schauen,
    Gekränkte Seele«, fiel mein Seher ein,
    »Und meinem Liede rein aufs Wort vertrauen, 62
Nie legt' er Hand an dich! Nur weil der Schein
    So wider mich, verlockt' ich sein Begehren,
    Zu tun, was jetzt mir selbst Gewissenspein.
Doch sag ihm, wer du warst, und neu zu Ehren,
    Als Sühne, bringt er dich auf Erden dort,
    Wohin ihm noch beschieden heimzukehren.«
Der Stamm drauf: »Lockt mich so dein süßes Wort,
    Nicht schweigen kann ich; laßt es denn geschehen,
    Spinn ich der Rede Garn noch weiter fort.
Ich bin, der beide Schlüssel hielt zu Lehen
    Zu Kaiser Friedrichs Herzen, und so zart
    Öffnend wie schließend wußt ich sie zu drehen,
Daß keiner sonst sein Siegel ihm bewahrt;
    Und Treue hielt ich rühmlich-hehrem Amte,
    Hab Schlaf mir drum und Herzblut abgespart.
Die Metze, die kein Auge, die verdammte,
    Von Cäsars Throne ließ, die Pest dem Land,
    Der Höfe Gift, die Herzen all entflammte
Sie wider mich; und die von ihr entbrannt,
    Die Hoheit zu entflammen sich erfrechten,
    Bis Ehr und Glück in bittres Leid gewandt.
Mein Sinn, verstört von der Verzweiflung Mächten,
    Im Tode wähnt' er zu entgehn der Schmach,
    Und Unrecht tat ich wider mich Gerechten.
Bei dieses Baumes Wurzel! Nimmer brach
    Ich meinem ruhmeswürdigen Herrn, dem hehren,
    Ich schwörs, die Treue, die ich ihm versprach!
Darf euer einer heim zur Welt denn kehren,
    So bring er meinen Nachruf, der vom Stich
    Noch immer wund des Neides, dort zu Ehren.«
Er hielt ein wenig inne. »Nun, so sprich!«
    Hieß mich der Dichter. »Nütze dir die Stunde!
    Frag, nun er schweigt; wonach verlanget dich?«
Und ich zu ihm: »Frag du mit eignem Munde,
    Wovon du meinest, daß mirs dienen kann,
    Ich könnt es nicht, so brennt des Mitleids Wunde.«
Drum er aufs neu: »Soll freundlich dieser Mann
    Dir tun, gefangner Geist, was dein Verlangen,
    Laß dirs gefallen denn und sag uns an: 63
Wie bleibt in diesen Knorrn die Seele hangen?
    Und weißt du's, sprich: Aus solcher Glieder Haft
    Macht einer je sich los, der drin gefangen?«
Da ging ein Sausen aus mit großer Kraft
    Von jenem Stumpf, ward dann zur Stimme wieder:
    »Ich sags euch bündig«, klang es aus dem Schaft.
»Trennt sich vom Leib die Seele, die der Glieder
    Gewahrsam trotzig selber sich erschlossen,
    Schickt Minos sie zum siebten Schlund hernieder.
Zum Walde kommt sie da herabgeschossen,
    Und ohne Wahl, wo's ihr Geschick erkor,
    Beginnt sie wie ein Weizenkorn zu sprossen.
Sie wächst zum Reis, zum Waldesbaum empor.
    Und die Harpyien, die am Laub sich laben,
    Machen ihr Schmerz und ihrem Schmerz ein Tor.
Einst rufts auch uns hin, wo der Leib begraben,
    Doch nicht, um anzutun sein altes Kleid:
    Was selbst der Mensch sich nahm, soll er nicht haben.
Hier schleppen wir ihn her; im Wald voll Leid,
    Am Strauche bei dem Schatten muß er hangen,
    Dem einst zur Last er war bei Lebenszeit.«
Wir lauschten noch dem Strunke voll Verlangen,
    Im Wahn, er woll' uns andres mehr noch sagen,
    Als Lärm und Rufe plötzlich uns erklangen,
Wie wenn ein Schütz auf seinem Stand das Jagen
    Heran hört kommen, hört den Keiler nahn,
    Den Lärm der Meute und die Zweige schlagen.
Und siehe da: zu unsrer Linken sahn
    Wir nackt, geschunden, zwei im Sturme fliehen,
    Die knickten Busch und Zweig auf ihrer Bahn.
»Nun komm, komm, Tod!« hat vorne der geschrieen,
    Der andre aber, dem es allzu lang
    Zu währen schien: »So rasch, sich zu verziehen,
War, Lano, nicht dein Fuß im Waffengang
    Beim Toppo!« Drauf, als müßt' er sich verschnaufen,
    Mit einem Strauch er sich zum Knäuel schlang.
Da, hinterher, kams durch den Wald zu Haufen,
    Hündinnen, schwarze, gierig, rasch im Hetzen,
    Gleich Rüden, die der Koppel just entlaufen; 64
Sie schlugen dem, der dalag voll Entsetzen,
    Ins Fleisch die Zähne, schleppten stückweis fort
    Der so zerfleischten Schmerzensglieder Fetzen.
Es nahm mich bei der Hand mein treuer Hort
    Und führte mich zum Strauch, der, ach, vergebens
    Aus blutigen Schrammen weint' und sprach das Wort:
»Daß ich dein Schild im Wahn des Widerstrebens,
    Jakob von Sankt Andrä, was frommts dir jetzt?
    Trag ich die Schuld denn deines Lasterlebens?«
Drauf über ihn gebeugt, der so zerfetzt,
    Virgil: »Wer warst du, der aus so viel Wunden
    Du Worte hauchst der Pein, mit Blut genetzt?«
Und er zu uns: »Die ihr hieher gefunden,
    Der schnöden Unbill Zeugen just zu sein,
    Wie man vom Leibe mir mein Laub geschunden,
Am Fuß des Jammerbaums o sammelts ein!
    Ich war von jener Stadt, die statt des alten
    Johann den Täufer wählt' als Schutzwardein;
Drum läßt all seine Kunst zu Leid ihr walten
    Der erste – wär am Brückenbogen nicht
    Des Arno seines Bilds ein Rest erhalten:
Vergebne Mühe wars, wenn neu ans Licht
    Aus Schutt und Asche Bürgertreu sie brachte,
    Darin sie lag seit Etzels Strafgericht . . .
Ich wars, der sich sein Haus zum Galgen machte.«

 


 << zurück weiter >>