Dante
Die göttliche Komödie
Dante

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elfter Gesang

        1


4


7


10


13


16


19


22


25


28


31


34


37


40


43


46


49


52


55


58


61


64


67


70


73


76


79


82


85


88


91


94


97


100


103


106


109


112


115


118


121


124


127


130


133


136


139


142
    »Du unser Vater, der im Himmel bist,
    Allgegenwärtig, doch in Wohlgefallen
    Ihm hold, der Deiner Schöpfung Erstling ist!
Geheiligt sei Dein Name und bei allen
    Erschaffnen Deine Macht, daß Lob hienieden
    Und Dank gebührend Deiner Huld erschallen.
Dein Reich, Herr, komme und mit ihm sein Frieden:
    Kommts nicht zu uns, mit unsrer Macht allein
    Zu ihm zu kommen, ist uns nicht beschieden.
Dein Wille, wie ihm Deiner Engel Reihn
    Lobsingend dienen, also auch auf Erden
    Laß ihm die Menschen ihren Willen weihn.
Laß unser täglich Manna heut uns werden
    In dieser Wüstenei, da ohne Dich
    Wir rückwärts gehn, so jach wir uns geberden.
Und wie auch wir verzeihn, was freventlich
    Uns kränkte, sieh nicht an, was uns gebührte,
    Und unsre Schuld vergib uns gnädiglich.
Laß unsre Tugend nicht, die leicht verführte,
    Versuchen mehr den alten bösen Feind,
    Erlös uns von den Flammen, die er schürte!
Nicht für uns selbst ist, lieber Herr, gemeint,
    Weil nicht mehr not uns, was zum Schluß wir bitten,
    Nein, denen gilts, die noch der Tag bescheint.«
So, sich und uns um Wegheil betend, schritten
    Dahin die Schatten unter ihrer Last,
    Wie der sie spürt, den nachts der Alp geritten; 202
Ungleich beladen, matt zum Sinken fast,
    So machen sie im ersten Ring die Runde,
    Bis allen Erdendunstes Spur verblaßt.
Klingt solch Gebet für uns da Stund um Stunde,
    Was kann hier tun für sie zu Dank und Preise,
    Wer guten Willens ist, mit Hand und Munde?
Laßt helfen uns, daß sie, vom Staub der Reise,
    Von ihres Erdenwallens Mal befreit,
    Auffahren, rein und Leicht, zum Sternenkreise! –
»Soll euch Erbarmen und Gerechtigkeit
    Entlasten, daß die Schwingen bald zu regen
    Ihr zum ersehnten Fluge tüchtig seid,
O weiset uns, wo zu den Staffelstegen
    Der nächste Pfad, und gehts auf beiden Seiten,
    Sagt, welche minder steil von beiden Wegen;
Drückt ihn die Bürde doch, den ich soll leiten,
    Von Adams Fleische, daß bergan zu gehn
    Er wider Willen säumig wird im Schreiten.«
So sprach er, dem ich folgte; nicht zu sehn
    Vermocht' ich, wer ihm Antwort drauf gegeben,
    Allein die Worte konnt ich wohl verstehn:
»Zur Rechten längs dem Rande kommt hier neben
    Uns her, da findet ihr die Stiege, schlicht,
    Daß wohl hinaufgelangt, wer noch am Leben.
Ach, wehrte mir die Wucht des Steines nicht,
    Der mich den stolzen Nacken zwingt zu neigen
    Und beugt so tief zu Boden mein Gesicht,
Nach ihm, der lebt und hehlet sich in Schweigen,
    Ob ich ihn kenne, späht' ich, daß er sich
    Barmherzig dieser Bürde mag erzeigen.
Lateiner, mächtigen Tuskers Sproß war ich
    – Weiß nicht, ob sein sie noch bei euch gedachten –,
    Wilhelm Aldobrandeschi zeugte mich.
Mein altes Blut, der Ruhm der Ahnen machten
    So dünkelhaft mich, daß, vor Hochmut blind,
    Ich mich vermaß, sie alle zu verachten,
Die doch mit uns von einer Mutter sind;
    Mein Tod wars: Siena weiß davon zu sagen,
    Zu Campagnatico sagts jedes Kind. 203
Humbert bin ich; ward nicht allein geschlagen
    Für meine Hoffart, ach, es hat ihr Wahn
    Auch all den Meinen schlimme Frucht getragen.
Hier muß ich diese Bürde drum die Bahn
    Hinschleppen, bis ich, ders versäumt im Leben,
    Hier, bei den Toten, Gott genuggetan.«
Die Stirne senkt' ich, ihm Gehör zu geben,
    Und unterm Block, der schwer ihn bog zur Erde,
    Sucht' einer – nicht, der sprach – sein Haupt zu heben
Und sah und kannt' und rief mich, mit Beschwerde
    Den Blick erhebend, bis er mich ihm wies,
    Der tief gebeugt ich ging mit ihrer Herde.
»O«, rief ich, »bist du denn nicht Oderis?
    Ruhm Gubbios, Ruhm du deiner Kunst wie keiner –
    Illuminieren heißt mans in Paris.«
»Ach, Bruder«, sagt' er, »lichter lacht und feiner,
    Was Francos Pinsel malt, des Bolognesen!
    Sein ist nun aller Ruhm, im Schwinden meiner.
So billig, glaub mir, wär ich nicht gewesen
    Bei Lebtag, da mein Herz vor Eifer schwoll
    Nach Ruhm und Ehre, die's zum Ziel erlesen!
Für solche Hoffart zahlt man hier den Zoll!
    Und wär auch hier nicht, hätt ich mich bekehret
    Zu Gott nicht, eh das Maß der Sünde voll.
O eitler Ruhm, der Menschenkünste ehret!
    Wie kurz doch grünt dein Laub, wenn aufs Entfalten
    Nicht Zeiten folgen, roh und unbelehret!
Jüngst wollte Cimabue das Feld behalten
    In Malerkunst, heut preiset jedermann
    Den Giotto, und es lischt der Ruhm des Alten.
Ein Guido just dem andern abgewann
    Den Dichterkranz; wohl mag den Tag schon sehen
    Er, der vom Neste sie beide jagen kann.
Ist Erdenruhm doch wie ein Windeswehen,
    Das hin und wider weht und tauscht die Namen,
    Wie sich sein Hauch nach Ost, nach West mag drehen.
Was bleibt, ob greise Glieder dir erlahmen,
    Ob Tod dich rafft, da noch gelallt dein Mund,
    Von deinem Ruf, eh tausend Jahre kamen, 205
Die von der Ewigkeit ein' kürzre Stund
    Als einer Wimper Zucken von der Reise
    Des Himmels, der am längsten rollt sein Rund?
Der vor mir da so sachte schleicht im Kreise,
    Von ihm scholl ganz Toskana! Kaum noch zag
    In Siena raunt man heut von ihm und leise,
Wo er ein Herre war, da jenen Schlag
    Der grimme Kampfzorn von Florenz empfangen,
    Das einst so stolz und Metze heutzutag!
Wie Grases Grün ist eures Namens Prangen,
    Das kommt und geht und bleicht im Sonnenlicht,
    In dessen Strahl es sprossend aufgegangen.«
Und ich zu ihm: »Was Wahrheit aus dir spricht,
    Dämpft, recht in Demut, meines Stolzes Regen.
    Doch sag: Von wem mir kündet dein Bericht?«
»Salvani Provenzan«, sagt' er dagegen,
    »Der ists und büßt hier, weil er seine Hand
    Auf ganz Siena sich vermaß zu legen.
So geht er um, seit er ins Grab gesandt,
    Geht ohne Rast; mit solcher Münze zahlen,
    Die dort zu keck, die Zeche hierzuland.«
Und ich: »Bleibt, wer an seines Lebens Malen
    Erst Reu gemacht und Leid, da drunten stehen
    Und steigt er nicht empor zu euren Qualen –
So ihm Gebet nicht hilft mit frommem Flehen –,
    Bis einmal noch ihm schwand die Lebenszeit,
    Wie ward dann ihm vergönnt, hier einzugehen?«
»Im Glanz«, versetzt' er, »seiner Herrlichkeit
    Stellt' er sich frei, auf offnem Markte, mitten
    In Siena hin, ließ alle Scham beiseit
Und hat, dem Freunde Lösung zu erbitten
    Aus Carlos strenger Haft, um diesen Preis,
    Was jeden Tropfen Bluts empört, gelitten.
Mehr sag ich nicht, und dunkel ists, ich weiß;
    Doch währts nicht lang, bis deine Markgenossen
    Dichs deuten lehren, traun, mit allem Fleiß!
Ihm hat solch Tun die Schranken hier erschlossen.« 206

 


 << zurück weiter >>