Dante
Die göttliche Komödie
Dante

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Zwanzigster Gesang

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    Wenn, die das All erhellt, ihr Angesicht
    Von unsrem Erdenrund hinabgewendet
    Und allenthalb verglimmt des Tages Licht,
Strahlt, eben noch von ihr allein geblendet,
    Von tausend Lichtern neu des Himmels Rund
    Im Widerschein des Lichts, das sie entsendet.
Solch himmlisch Bild kam mir in Sinn zur Stund,
    Als dort der Welt und ihrer Lenker Zeichen
    Verstummen ließ den hochgelobten Mund.
Denn der lebendigen Lichter Chor desgleichen
    Fiel, hellern Glanzes noch, mit Singen ein,
    Das mein Gedächtnis, ach, sich ließ entweichen.
O Liebe, hold in eignen Lächelns Schein,
    Wie glühtest du in dieser Lichter Reigen,
    Die heilig Sinnen nur belebt allein!
Als dann ihr englisches Geläut hieß schweigen
    Der köstlich strahlenden Karfunkel Schar,
    Die dort, des sechsten Stern Geschmeid, sich zeigen,
Da klangs wie Murmeln eines Bachs, der klar
    Von Fels zu Fels ergießet seine Wellen
    Und zeugt, wie quellenreich ihr Gipfel war.
Und wie ein Ton sich formt, um anzuschwellen,
    Am Hals der Laute, wie des Odems Wehen
    Aus der Schalmei das Schall-Loch läßt entquellen, 388
So stieg, das von dem Aar schien auszugehen,
    Das Raunen, ungehemmt den Hals hinauf,
    Als wäre die Kehle dort, wo der zu sehen;
Da wards zur Stimme, drang zum Schnabel drauf
    Hervor in Worten, wie's mit stummer Fragen
    Mein Herz ersehnt, und drinnen schrieb ichs auf.
»Nun blicke scharf mich an«, so hört' ich sagen,
    »Da, wo ein Aar, der sterblich, spürt den Strahl
    Des Lichts und den der Sonne kann ertragen!
Soviel mein Bild gestalten ohne Zahl,
    Die Lichter, die im Haupt mein Auge weben,
    Die höchsten sinds im Range sonder Wahl.
Der mitten strahlt im Sterne, war im Leben
    Des Heiligen Geistes Sänger, des Geheiß
    Der Bundeslade ihren Stand gegeben:
Nun sieht er an gerechten Lohnes Preis,
    Welch ein Verdienst vor Gott ihm warb sein Singen,
    Soviel davon erblüht auf seinem Reis.
Von fünfen, die zur Brau den Kranz mir schlingen,
    Steht nächst dem Schnabel jener, der den Sohn
    Der Witwe rächt', ihr Trost im Leid zu bringen:
Nun sieht er, wie so teuer zahlt den Lohn,
    Wer Christo nicht gefolgt: dies selige Leben
    Genießt er und erlitt das andre schon.
Dem, der im Umkreis folgt, von dem ich eben
    Gesagt, wo grad empor sein Bogen geht,
    Ward Frist, um rechte Reu, vom Tod gegeben:
Nun sieht er, daß sich nicht im Winde dreht
    Des Ewigen Ratschluß, wandelt dort auf Erden,
    Das Heut in Morgen gläubiges Gebet.
Der nächste wich dem Hirten eurer Herden
    – Trugs arge Frucht, war doch der Wille gut –,
    Mit mir ein Grieche samt dem Thron zu werden:
Nun sieht er, daß ihm nichts zuleide tut,
    Was sich aus seiner guten Tat ergeben,
    Obs schlimm die Welt verderbte bis aufs Blut.
Der, den du siehest, wo der Bogen eben
    Sich senkt, war Wilhelm, den das Land beweint,
    Das weinen muß, weil Karl und Friedrich leben: 389
Nun sieht er, wie's der Himmel gnädig meint
    Mit Königen, die gerecht, und läßt es sehen
    Am Glanze noch, mit dem sein Licht hier scheint.
Wer glaubte drunten, wo sie irre gehen,
    Ripheus, der Troer, könnt in diesem Runde
    Als fünftes hier der heiligen Lichter stehen?
Nun sieht er, was der Welt sich bis zur Stunde
    Von Gottes Gnadenfülle nie gezeigt,
    Dringt gleich sein Blick noch immer nicht zum Grunde.«
Wie, die mit Singen in die Lüfte steigt,
    Die Lerche, wenn der Lust genug geschehen,
    Ersättigt an dem süßen Klange, schweigt,
So sah das Abbild jener Macht ich stehen,
    Die ewiger Wille prägt, nach des Gefallen
    Sich jedes Ding gestaltet, wie wirs sehen.
Und hüllt' ich gleich mein Staunen beim Erschallen
    Der Kunde nur wie Glas die Farbe ein,
    Nicht konnt ich schweigend harren nach dem allen;
Nein, augenblicks den Ruf: »Wie kann das sein?«
    Erpreßt' aus meinem Mund des Zweifels Schwere;
    Drauf sah ichs blitzen, froh, mit hellem Schein,
Und hellern Glanz im Auge, gab das hehre,
    Geweihte Bild mir Antwort auf die Frage,
    Auf daß ich nicht in Staunen mich verzehre:
»Ich seh, du glaubst das alles, weil ichs sage,
    Doch wie es zugeht, leuchtet dir nicht ein,
    So daß es, ob geglaubt, dir doch nicht tage;
Dir ist, wie wer dem Namen nach allein
    Ein Ding erkennt und kann sein Was nicht sehen,
    Will keiner ihm des Rätsels Deuter sein.
Dem Himmelreiche will Gewalt geschehen,
    Dieweil den Willen Gottes selbst besiegt
    Lebendige Hoffnung, brünstiger Liebe Flehen;
Nicht so, wie Mensch den Menschen überwiegt:
    Läßt Er sie siegen, will Er sich ergeben
    Und siegt durch Gnade, wenn Er unterliegt.
Dich macht in meiner Brust das erste Leben
    Und fünfte staunen, siehst du diese beiden
    Das Reich nun zieren, da die Engel schweben. 390
Nicht, wie du wähnest, starben sie als Heiden,
    Nein, fest im Glauben schon an Christi Wunden:
    Der, daß erlitt, daß er werde leiden.
Von Höllen, wo kein Wille kann gesunden,
    Zum Fleisch kehrt' eine dieser Seelen, sieh,
    Dieweil lebendige Hoffnung Lohn gefunden:
Hoffnung, die brünstigem Beten Kraft verlieh,
    Dem Flehn zu Gott, daß Er ihn auferwecke,
    Auf daß er beugen könne seine Knie.
Im Fleische dann auf kurze Wegestrecke
    Glaubt' Ihn, von dem ihr Hilfe konnte frommen,
    Die Seele, deren Heil ich dir entdecke;
Und gläubig ist sie so in Glut entglommen
    Der wahren Liebe, daß sie wert, zur Stelle
    Vom zweiten Tod zur Freude hier zu kommen.
Die andre, kraft der Gnade, deren Quelle
    So tief, daß nichts Geschaffnes weit und breit
    Hinab sein Auge taucht zum Grund der Welle,
Warf all ihr Streben auf Gerechtigkeit,
    Drum Gott, zu Gnade häufend neue Gnaden,
    Fürs Heil sein Auge auftat vor der Zeit;
So glaubt' er dran und litt den alten Schaden,
    Des Götzendienstes Unflat nicht fortan
    Und strafte, die verirrt von Gottes Pfaden.
Als Taufe dienten ihm die Frauen dann,
    Die drei, die rechts du sahst am Rade gehen,
    Wohl tausend Jahr, eh man auf Taufe sann.
O Gnadenwahl, um wieviel tiefer gehen
    Doch deine Wurzeln als der Augen Sicht,
    Die völlig nicht die erste Ursach sehen!
Geht, Sterbliche, mit keinem ins Gericht!
    Wen alles Gott in Gnaden angenommen,
    Wir selber, die Ihn schauen, wissens nicht.
Und solcher Mangel dient zu unsrem Frommen,
    Denn darin, daß, wie Gott will, wir gewillt,
    In diesem Heil ist unser Heil vollkommen.«
So hat mir jenes himmlische Gebild,
    Zur Klarheit meinen engen Blick zu weiten,
    Mit mildem Heiltrank meine Not gestillt; 391
Und wie den guten Sänger auf den Saiten,
    Die schwirrend süßern Reiz verleihn dem Sang,
    Ein guter Zitherspieler muß begleiten,
So sah ich, da er sprach, und seh's noch lang,
    Wie stets der Augen Aufschlag trifft zusammen,
    Die zwei geweihten Lichter mit dem Klang
Des Worts im Gleichmaß wiegen ihre Flammen.

 


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