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Sechstes Kapitel.
Je le jure.

Ist es nicht eine überraschende Erscheinung, daß in ganz Frankreich trotz dieser Zeichen der Zeit Hoffnung noch immer das vorherrschende Gefühl war? O gesegnete Hoffnung, einziges Glück der Menschheit, die du selbst auf ihre engen Kerkermauern weite, herrliche Gefilde malst und sogar die Nacht des Todes zur Morgendämmerung eines neuen, heiligen Lebens machst! Du bist für alle Menschen auf dieser Gotteserde ein unzerstörbarer Besitz: für den Weisen ein Konstantinsbanner, ein am ewigen Himmel sichtbares, heiliges Kreuzeszeichen, in dem er siegen soll – denn der Kampf selbst ist ja Sieg –; für den Thoren ein Schatten stillen Wassers, hingezaubert auf den zerklüfteten Boden, eine irdische Fatamorgana, welche seine Pilgerfahrt durch die Wüste, mag es auch eine Irrfahrt sein, nicht nur möglich macht, sondern auch freundlicher gestaltet.

Im Todesringen einer untergehenden Gesellschaft erblickt das hoffende Frankreich nur die Geburtswehen einer neuen, unaussprechlich besseren Gesellschaft, und darum singt es mit gläubiger Zuversicht seine feurig-frohe Weise, die ein begeisterter Geiger gerade in diesen Tagen für sie komponiert hat, – das weltberühmte, » Ça-ira.« Ja, »es wird gehen;«und kommen wird dann? – Alles hofft, sogar Marat hofft, – daß der Patriotismus zu Dolch und Muff greifen werde. Auch König Ludwig ist nicht hoffnungslos und hofft auf glückliche Zufälle: auf Flucht zu irgend einem Bouillé, auf künftige Popularität in Paris. Worauf aber sein Volk hoffte, das mögt ihr aus einer Thatsache und aus der Reihe von Thatsachen ersehen, die jetzt berichtet werden sollen.

Der arme Ludwig, der trotz geringer Einsicht und noch geringerer Entschlossenheit das Beste will, muß eben auf seiner dunklen Bahn demjenigen Zeichen folgen, das ihm gerade gegeben wird: sei es vom Hintertreppen-Royalismus, sei es vom offiziellen oder Hintertreppen-Konstitutionalismus, der gerade im laufenden Monat auf die Seele des Königs überzeugend einzuwirken vermag. Wenn die Flucht zu Bouillé und der Bürgerkrieg (schon der bloße Gedanke daran ist schrecklich!) als Theorie verhängnisvoll im Hintergrunde schweben, so liegt viel näher die Thatsache, daß zwölfhundert Könige in der Salle de Manège sitzen, Könige, die sich von 327 ihm nicht beherrschen lassen, wenn sie auch bisher noch nicht unehrerbietig gegen ihn waren. Würde eine gütige Behandlung einen Erfolg verbürgen, wäre dies nicht bewaffneten Emigranten, Turiner Intriguen und österreichischer Hilfe bei weitem vorzuziehen? Ja, lassen sich nicht beide Hoffnungen vereinigen? Ausfahrten in die Vorstädte kosten, wie wir sahen, wenig, haben aber immer einige Vivats eingebracht. Siehe Bertrand Moleville, I, 241 &c. Noch wohlfeiler ist ein freundliches Wort, das schon gar oft den Zorn abgewendet hat. Könnte man nicht in diesen hastenden Tagen, da ganz Frankreich in Departements eingeteilt wird, da der Klerus einer völligen Umgestaltung entgegengeht, da Volksvereinigungen auftauchen und der Feudalismus mit so vielem anderen eben in den Schmelztiegel geworfen werden soll, könnte man nicht gerade jetzt einen Versuch damit machen?

Am 4. Februar also liest Monsieur le Président eine kurze, eigenhändige Zuschrift des Inhalts vor, Seine Majestät werde wahrscheinlich gegen Mittag ohne jedes Cermoniell hierher kommen. Denkt ein wenig nach, ihr Herren, was das zu bedeuten hat, denkt besonders nach, wie ihr den Saal ein wenig ausschmücken lassen könnt. Die Pulte der Schriftführer kann man vom Podium entfernen, über den Präsidentenstuhl kann man diese »violette mit goldenen fleur-de-lys durchwirkte Samtdecke« breiten: selbstverständlich ist Monsieur le Président unter der Hand schon früher von der Absicht des Königs unterrichtet worden und hat sich mit Doktor Guillotin beraten. Ließe sich nicht auch dort, wo gewöhnlich die Schriftführer sitzen, ein Stück »Samtteppich« von gleichem Gewebe und denselben Farben ausbreiten? So hat der verständige Guillotin geraten, und die Wirkung ist, wie sich zeigt, ganz zufriedenstellend. Da ferner Seine Majestät voraussichtlich trotz Samt und fleur-de-lys stehen und gar nicht sitzen wird, so präsidiert inzwischen der Herr Vorsitzende auch stehend. Und während nun irgend ein ehrenwertes Mitglied, sagen wir über die Teilung eines Departements spricht, melden die Saaldiener: »Seine Majestät der König.« In der That tritt der König mit kleinem Gefolge ein; das ehrenwerte Mitglied unterbricht seine Rede, die Versammlung erhebt sich eiligst, und fast ausnahmslos begrüßen die zwölfhundert Könige und ebenso die Galerien mit loyalen Zurufen den Wiederhersteller der französischen Freiheit. Die Rede 328 des Königs drückt in den gewöhnlichen wässerigen Redensarten der Hauptsache nach ungefähr folgenden Gedanken aus: er freue sich unter allen Franzosen am meisten, daß Frankreich regeneriert werde; er sei auch überzeugt, die Abgeordneten würden dabei mit Vorsicht zu Werke gehen und die Regenerierung nicht mit rauher Hand in Angriff nehmen. Das war des Königs Rede; die That, die er vollbrachte, bestand darin, daß er kam, die Rede hielt und wieder heimkehrte.

Fürwahr, das war wenig genug, und nur ein so hoffnungsfreudiges Volk konnte etwas darauf bauen. Und was baute es nicht alles darauf! Daß der König gesprochen hat, daß er freiwillig gekommen war, um zu sprechen, wie unaussprechlich ermutigend mußte schon diese Thatsache allein wirken! Hat nicht der Blick seines Antlitzes wie gesammelte Sonnenstrahlen alle Herzen der hohen Versammlung und mit ihr die Herzen des ganzen leicht entzündlichen enthusiastischen Frankreichs entflammt? Das Los, eine »Dankdeputation« zu beantragen, kann nur einem Glücklichen zufallen, Mitglied einer solchen Deputation zu werden, kann nicht vielen vergönnt sein. Die Deputierten sind gegangen und, mit überschwenglichster Huld überhäuft, zurückgekehrt; auch die Königin mit dem Dauphin an der Hand hat sie empfangen. Noch immer brennen unsere Herzen in unauslöschlicher Dankbarkeit: und nun zeigt sich dem geistigen Auge eines anderen Mitgliedes eine noch höhere Glückseligkeit: er beantragt, daß alle den Nationaleid erneuern sollen.

Glücklichstes, ehrenwertes Mitglied, das war ein Wort zu guter Stunde, wie selten eines; wunderthätiger Flügelmann einer ganzen Nationalversammlung, die da saß und vor Verlangen etwas zu thun fast verging; Flügelmann eines ganzen zuschauenden Frankreichs. Der Präsident schwört und erklärt, jeder solle schwören mit einem vernehmlichen: Je le jure! Ja, sogar die Galerie schickt ihm ein geschriebenes und unterzeichnetes Blatt Papier mit ihrem Eide darauf, und wie nun die Nationalversammlung hinaufblickt, erhebt sich die ganze Galerie und wiederholt ihren Schwur. Und nun stellt euch vor, wie draußen im Hôtel de Ville Bailly, der große Ballhaus-Schwörer, gegen Abend mit allen versammelten Municipalräten und Distriktvorstehern den Schwur leistet. Herr Danton giebt zu verstehen, das Publikum würde gern daran teilnehmen: darauf geht Bailly mit zwei Gemeinderäten auf die große Treppe hinaus, 329 beruhigt mit ausgestreckter Hand die wogende Volksmenge und nimmt ihr unter Trommelwirbel und himmelerschütterndem Jauchzen den großen Schwur ab. Und in allen Straßen »bildet das freudigerregte Volk freiwillige Gruppen, die mit Thränen der Begeisterung in den Augen den Schwur wiederholten,« – und die ganze Stadt wurde illuminiert. Das war der 4. Februar 1790, ein Tag, den man in den Annalen der Konstitution als Festtag rot anzeichnen soll.

Diese Illumination findet aber nicht nur in der einen Nacht statt, sondern wird durch eine ganze Reihe von Nächten entweder in der ganzen Stadt oder in einzelnen Stadtteilen wiederholt; denn jeder Distrikt und die Wähler jedes Distriktes wollen besonders schwören, und jeder schwörende Distrikt illuminiert sich auch. Seht, wie sich Distrikt auf Distrikt auf irgend einem freien Platze, wo das nicht wählende Volk zusehen und daran teilnehmen kann, versammelt und mit emporgehobener Rechten das: » Je le jure« unter Trommelwirbel, unter Umarmungen und einem endlosen Hurrageschrei der Freigewordenen ruft; – jeder etwa noch existierende Tyrann sollte daraus eine Lehre ziehen. Treu zu sein dem Könige, dem Gesetze und der Konstitution, die von der Nationalversammlung geschaffen werden soll, so lautet der Schwur.

Seht, auch die Universitätsprofessoren ziehen mit Jung-Frankreich durch die Straßen und schwören mit Begeisterung und nicht ohne Lärm. Und nun laßt euere Einbildungskraft spielen und malt euch im weitesten Sinne die Bedeutung des folgenden kleinen Satzes aus: »Das Gleiche geschah in jeder Stadt, in jedem Distrikt von Frankreich.« Ja, eine patriotische Mutter zu Lagnon in der Bretagne versammelt ihre zehn Kinder um sich und läßt sie alle in ihre eigene alte Hand schwören, – die hochsinnige verehrungswürdige Frau! Von alledem muß natürlich die Nationalversammlung mit beredten Worten in Kenntnis gesetzt werden. Drei volle Wochen ununterbrochenen Schwörens! Hat je die Sonne ein solches schwörendes Volk gesehen? Sind die Leute von einer Schwur-Tarantel gestochen? Nein, aber sie sind Menschen und Franzosen dazu; sie hoffen und, so sonderbar es klingen mag, sie glauben, wäre es auch nur an das Evangelium nach Jean Jacques! O, meine Brüder, wollte der Himmel, es wäre so, wie ihr denkt und geschworen habt! Aber es giebt – abgesehen von Schwüren der Spieler (auch nach einer bekannten Art) Liebesschwüre, die, wären sie auch wahr wie die Liebe selbst, nicht gehalten werden können. 330

 


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