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Neuntes Kapitel.
Begräbnis und Freudenfeuer.

Während dieser ganz außergewöhnlichen Maßnahmen, Wechsel des Premier-Ministers und Zahlung von zwei Fünfteln in Papier, bereiste Besenval angeblich seinen Kommando-Distrikt; in Wahrheit aber hatte er während der letzten Monate in aller Ruhe eine Brunnenkur in Contrexéville gebraucht. Gegen Ende August trifft er auf seiner Rückreise nach Moulins eines Abends nichts ahnend in Langres ein und findet die ganze Stadt in gewaltiger Aufregung ( grande rumeur). Ohne Zweifel eine Revolte, – in jenen Tagen etwas Alltägliches. Dennoch steigt er aus und fragt einen »anständig gekleideten Mann,« was es gebe. »Wie,« antwortet der Gefragte, »Sie haben die Nachricht noch nicht vernommen? Der Erzbischof ist davongejagt, und Necker ist zurückgerufen, und nun wird alles wieder gut werden.« Besenval, III, 366.

Lauter Lärm und Beifallssturm umbraust Necker »seit dem Tage, da er als ernannter Minister aus den Gemächern der Königin trat.« Es war der 24. August: »in den Galerien des Schlosses, in den Höfen und Straßen von Versailles, einige Stunden später in der Stadt, überall erschallt der Ruf, dessen Echo, da sich die Nachricht im Fluge verbreitet, bald in ganz Frankreich wiederhallt: Vive le roi, vive M. Necker!« Weber, I, 342. In Paris kam es leider bis zu Tumulten: auf der Place Dauphine entzündet man Petarden und läßt ungezählte Raketen steigen. Eine aus Weidenruten geflochtene Puppe ( mannequin d'osier) in erzbischöflichem Gewande, das 113 sinnbildlich zu drei Teilen aus Atlas und zu zwei Teilen aus Papier besteht, wird, wahrlich nicht unter Schweigen, herumgetragen, vor ein Volksgericht gebracht und verurteilt; ein falscher Abbé de Vermond nimmt ihr die Beichte ab, darauf wird sie feierlich auf dem Pont-Neuf am Fuße der Statue Heinrichs IV. unter einem solchen Freudengeschrei und unter Abfeuern so vieler Petarden verbrannt, daß es Chevalier Dubois und seine Stadtwache endlich für angezeigt halten, (mehr oder minder erfolglos) einzuschreiten; darauf fehlt es nicht an verbrannten Schilderhäusern, an gestürmten Wachstuben, ja selbst nicht an »Leichen, die man während der Nacht in die Seine wirft,« um eine neue Gährung hintanzuhalten. Histoire Parlementaire de la Révolution Française; ou Journal des Assemblées Nationales depuis 1789 (Paris 1833 et sqq.) I. 253. - Lameth: Assemblée Constituante, I. (Introd.) p. 89.

Die Parlamente sollen also aus der Verbannung zurückkehren; Plenarhof und Zahlung von zwei Fünfteln in Papier sind verschwunden, sind unter der Statue Heinrichs IV. in Rauch aufgegangen; die Generalstände (mit einem politischen Millennium) sind jetzt gewiß, ja in unserer liebevollen Hast wollen wir sie schon für den nächsten Jänner ankündigen, und so »wendet sich,« wie unser Mann in Langres sagte: »alles zum Guten.«

Besenvals prophetischer Blick sieht noch etwas anderes ganz klar, daß Freund Lamoignon ebensowenig Großsiegelbewahrer wie Graf von Brienne Kriegsminister bleiben kann. Schon geht der alte Foulon, der selbst nach dem Posten des Kriegsministers schielt, an seine heimliche Minierarbeit. Es ist derselbe Foulon, den man die âme damnée des Parlaments nennt, ein Mann, der in Verrat, Habgier, Ungerechtigkeit, in Ränken und Umtrieben grau geworden ist und der einst, da man gegen einen seiner Finanzpläne den Einwurf erhob: Was wird das Volk thun? – im Feuer der Diskussion antwortete: »Das Volk mag Gras fressen;« unüberlegte Worte, die unwiderruflich in alle Welt hinausfliegen und nicht ohne Erwiderung bleiben werden.

Zur Beruhigung der Welt unterliegt Foulon bei dieser Gelegenheit und wird immer unterliegen. Doch dies nützt Monsieur de Lamoignon nichts; dem verlorenen Manne helfen auch nicht die Unterredungen mit dem König, von 114 denen man ihn »strahlend ( radieux) zurückkehren« sieht. Lamoignon hassen die Parlamente, und der Graf von Brienne ist der Bruder des Kardinal-Erzbischofs. Der 24. August ist vorbei, und der 14. September ist noch nicht gekommen, an dem beide ebenso wie ihr großer Meister fallen werden; – ebenso wie ihn wird man auch sie weich fallen lassen.

Und jetzt bricht Paris abermals in unbeschreiblichen Jubel aus, als würde ihm der letzte Stein vom Herzen genommen, als wäre seine Zuversicht endlich felsenfest. Laute Freude zeigt die Basoche, daß der Feind der Parlamente gefallen ist, mit ihr freuen sich Adel, Bürger und Volk. Ja, selbst der Pöbel bricht jetzt plötzlich aus seinen dunkeln Höhlen hervor, um sich von neuem mit Nachdruck zu erheben und zu freuen; denn das neue politische Evangelium ist in der einen oder anderen rohen Version selbst bis zu ihm gedrungen. Es ist Montag, der 14. September 1788; der Pöbel sammelt sich wieder in Massen auf der Place Dauphine, entzündet Petarden, läßt in einer unglaublichen Weise durch volle 18 Stunden ununterbrochen alte Büchsen krachen. Abermals bildet eine Puppe aus Weidengeflecht, ein mannequin d'osier, den Mittelpunkt endlosen Geheuls. Auch das entwendete oder gekaufte Bild Neckers befestigt man auf einer Stange und trägt es wie bei einer Prozession unter Hurrarufen herum, – ein Beispiel, dessen man sich einmal erinnern wird.

Das größte Gedränge herrscht aber auf dem Pont-Neuf, wo man des großen Heinrichs eherne Reitergestalt hoch zu Roß sieht. Alle Vorübergehenden müssen stehen bleiben, sich vor dem Volkskönig verneigen und mit vernehmlicher Stimme sprechen: » Vive Henri IV., au diable Lamoignon!« Jeder Wagen muß halten, selbst der Seiner Hoheit von Orléans. Man öffnet eure Kutschenthüren: Monsieur wolle gefälligst seinen Kopf herausstecken und sich verneigen; wenn er sich weigert, muß er aussteigen und sogar niederknien; von Madame soll ein Nicken ihrer Federn, ein Lächeln ihres holden Angesichtes von ihrem Platze aus genügen; und wären nicht ein oder zwei Geldstücke (um fusées zu kaufen) von den höheren Klassen, den Freunden der Freiheit, ganz am Platze? So währen die rohen Späße schon tagelang, und es geht nicht ohne Stöße ab. Die Stadtwache kann nichts dagegen thun, sie kann sich kaum ihrer eigenen Haut erwehren; in den letzten zwölf Monaten bildete es, wie wir sahen, sozusagen eine Art Zeitvertreib, die Wache zu jagen. Besenval ist zwar mit Soldaten bei der Hand, sie haben aber den Befehl, 115 das Schießen zu vermeiden, und zeigen gar keine Eile, sich zu rühren.

Am Montag früh begann das Abbrennen der Petarden, und jetzt ist beinahe Mittwoch Mitternacht, und nun soll der mannequin, wie es scheint, auf antike Art begraben werden. Lange Reihen von Fackeln folgen ihm und nehmen ihren Weg gegen Lamoignons Hotel; aber »einer meiner Diener« sagt Besenval, »lief voraus, um zu warnen, und gleich waren die Soldaten zur Stelle. Dem schwermütigen Lamoignon ist es nicht bestimmt, des Feuertodes oder überhaupt schon in dieser Nacht zu sterben; erst in einem Jahre und zwar durch einen Flintenschuß (ob durch Zufall oder Absicht, ist unbekannt)« Histoire de la Révolution par Deux Amis de la Liberté, I. 50. soll ihn der Tod ereilen. Der enttäuschte Pöbel verbrennt unter dessen Fenstern seinen » mannequin d'osier« wirft das Schilderhaus um und wälzt sich dann weiter, um es mit Brienne und Dubois, dem Kapitän der Wache, zu versuchen. Aber jetzt rührt sich alles: französische Garden, Invaliden und berittene Patrouillen; man empfängt die Fackelprozession mit scharfen Schüssen, Bajonettstichen und Säbelhieben. Sogar Dubois mit seiner Kavallerie macht einen Angriff und zwar den grausamsten von allen: »es giebt viele Tote und Verwundete.« Lärm und Klagen, gerichtliche Untersuchungen und der Tod offizieller Persönlichkeiten, die an gebrochenem Herzen sterben, Histoire de la Révolution par Deux Amis de la Liberté. pag. 58. sind die Folgen. So hat man mit eisernem Besen den Pöbel wieder in seine dunkeln Höhlen zurückgejagt und die Straßen rein gefegt.

Seit anderthalb Jahrhunderten hatte sich der Pöbel nicht in solcher Weise hervorgewagt und seine rohen und gewaltigen Züge im hellen Tageslichte gezeigt. Es ist etwas Staunenerregendes, etwas Neues: vorläufig nur ein lustiges Herumspringen spielender, ungeschlachter Riesen, das sogar des Drolligen nicht entbehrt, das von Zorn kaum eine Spur verrät: aber hinter dem schallenden, gedankenlosen Gelächter lauert der Schatten eines Ingrimms, – der in furchtbarer Weise hervorbrechen könnte.

Inzwischen sind die von Loménie eingeladenen Denker mit ihren Flugschriften schon weit voran: die Generalstände werden nach dem einen oder anderen Plan unfehlbar 116 zusammentreten, wenn nicht im Jänner, wie man einmal hofft, so doch spätestens im Mai. Der alte Herzog von Richelieu, der in diesen Herbsttagen im Sterben liegt, öffnet noch einmal seine Augen und murmelt: «Was hätte Ludwig XIV. (der in seiner Erinnerung auftaucht) gesagt!« – Dann schließt er sie wieder, für immer vor der bösen Zeit. 117

 


 


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